BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2024 - XII ZB 173/24
BUNDESGERICHTSHOF
vom
30. Oktober 2024
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 3; FamFG § 61 Abs. 1
Die Beschwer eines zur Herausgabe von Urkunden verpflichteten Rechtsmittelführers bemisst sich, sofern nicht der Besitz der Urkunden unmittelbar den Wert eines Rechts verkörpert, an dessen Interesse, eine Zwangsvollstreckung nach § 883 ZPO zu verhindern und entspricht daher betragsmäßig den mit einer solchen Vollstreckung verbundenen Kosten (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 27. März 2019 XII ZB 564/18 FamRZ 2019, 1078 und von BGH Beschlüsse vom 29. Juni 2023 III ZR 30/23 FamRZ 2023, 1567 und vom 14. Juli 1999 VIII ZR 29/99 NJW 1999, 3049).
BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2024 - XII ZB 173/24 - OLG Köln, AG Köln
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Oktober 2024 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur und die Richterin Dr. Pernice
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 25. Zivilsenats Familiensenat des Oberlandesgerichts Köln vom 7. März 2024 wird auf Kosten des Antragsgegners verworfen.
Wert: bis 500 €
Gründe:
[1] I. Die Rechtsbeschwerde richtet sich gegen die Verwerfung der Beschwerde des Antragsgegners wegen Nichterreichens des Beschwerdewerts.
[2] Die Beteiligten sind getrenntlebende Eheleute. Sie streiten im vorliegenden Verfahren über die Verpflichtung des Antragsgegners zur Herausgabe verschiedener Originalurkunden, insbesondere zweier notarieller Kaufverträge über eine im Eigentum der Antragstellerin stehende Immobilie, eines Gewerberaummietvertrags nebst Anlagen, Zusatzvereinbarungen zu verschiedenen Gewerberaummietverträgen, eines Grundbuchauszugs und eines Darlehensvertrags nebst Saldenaufstellungen. Daneben verlangt die Antragstellerin Auskunft über etwa bestehende Konten des Antragsgegners, auf die Mieten für eine in ihrem Eigentum stehende Gewerbeimmobilie gezahlt werden, sowie über etwaige Untermietverträge hinsichtlich dieser Immobilie und gegebenenfalls hieraus erzielte Mieteinnahmen nebst Vorlage diesbezüglicher Belege für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis zum 28. Februar 2022.
[3] Das Amtsgericht hat den Antragsgegner antragsgemäß zur Herausgabe der Urkunden und zur Erteilung der begehrten Auskünfte verpflichtet. Dessen dagegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht verworfen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Rechtsbeschwerde.
[4] II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Insbesondere erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Antragsgegner weder in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG). Der Zugang zur Beschwerdeinstanz wurde dem Antragsgegner insbesondere nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2023 XII ZB 250/22 juris Rn. 4 mwN). Auch eine entscheidungserhebliche Divergenz liegt nicht vor.
[5] 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Beschwerde sei unzulässig, weil der mangels Zulassung der Beschwerde nach § 61 Abs. 1 FamFG maßgebliche Beschwerdewert nicht erreicht sei. Für die Wertbemessung komme es auf den Aufwand an, der mit der sorgfältigen Erfüllung der Auskunftsverpflichtung und der Verpflichtung zur Herausgabe von Urkunden verbunden sei. Hierbei sei grundsätzlich auf den in § 20 JVEG geregelten Stundensatz von 4 € zurückzugreifen. Mit dem Amtsgericht sei davon auszugehen, dass dem Antragsgegner kein nennenswerter Aufwand für die Herausgabe der Urkunden entstehe, weil sich diese in seinem Besitz befänden. Die diesbezügliche Beweiswürdigung des Amtsgerichts begegne keinen rechtlichen Bedenken. Dies gelte insbesondere mit Blick darauf, dass der Antragsgegner bei seiner förmlichen Parteivernehmung ohne Angabe von Gründen eine Erklärung zur Sache verweigert habe. Das Amtsgericht habe sich insoweit nachvollziehbar in freier Würdigung dieser Verweigerung und der ihr vorangegangenen widersprüchlichen Erklärungen des Antragsgegners zum Verbleib der verfahrensgegenständlichen Urkunden die Überzeugung gebildet, dass sich diese im Besitz des Antragsgegners befänden. Ungeachtet dessen habe der Antragsgegner auch nicht substantiiert dargetan, dass er für die Beschaffung der Urkunden anwaltlicher Unterstützung bedürfte. Es sei davon auszugehen, dass er als selbständiger Ingenieur in der Lage sei, etwa fehlende Unterlagen selbst auf dem von ihm beschriebenen Wege ohne Hilfe eines Rechtsanwalts zu beschaffen.
[6] 2. Dies hält sich im Ergebnis im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
[7] a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bemisst sich die Beschwer eines zur Auskunft und Belegvorlage verpflichteten Beteiligten nach seinem Interesse, die Auskunft nicht erteilen bzw. die Belege nicht vorlegen zu müssen. Dabei kommt es grundsätzlich auf den Aufwand an Zeit und Kosten an, den die Erteilung der Auskunft bzw. die Belegvorlage erfordern (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Juli 2020 XII ZB 334/19 FamRZ 2020, 1572 Rn. 7, 9 mwN und vom 8. März 2017 XII ZB 471/16 FamRZ 2017, 982 Rn. 5 mwN). Die Kosten der Hinzuziehung einer sachkundigen Hilfsperson können bei der Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands nur berücksichtigt werden, wenn und soweit sie zwangsläufig entstehen, weil der Auskunftspflichtige zu einer sachgerechten Auskunftserteilung nicht in der Lage ist. Dies hat der Auskunftspflichtige substantiiert darzulegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Juli 2020 XII ZB 334/19 FamRZ 2020, 1572 Rn. 9 mwN und vom 25. Oktober 2023 XII ZB 250/22 juris Rn. 7, 10 mwN). Hat die vom Rechtsmittelführer angegriffene Auskunftsverpflichtung hingegen keinen vollstreckbaren Inhalt oder ist sie auf eine unmögliche Leistung gerichtet, wird die Beschwer insoweit durch die mit der Abwehr einer ungerechtfertigten Zwangsvollstreckung verbundenen Kosten bestimmt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. März 2019 XII ZB 564/18 FamRZ 2019, 1078 Rn. 5 mwN).
[8] Die gleichen Maßstäbe gelten auch bei einer Verpflichtung zur Herausgabe von Urkunden, wenn sich was hier nicht der Fall ist ein anderer Wert nicht daraus ergibt, dass der Besitz der Urkunde unmittelbar den Wert eines Rechts verkörpert (vgl. BGH Beschlüsse vom 29. Juni 2023 III ZR 30/23 FamRZ 2023, 1567 Rn. 3 mwN und vom 14. Juli 1999 VIII ZR 29/99 NJW 1999, 3049 mwN). Die Beschwer eines durch die angefochtene Entscheidung zur Herausgabe von Urkunden verpflichteten Rechtsmittelführers, der geltend macht, hierzu nicht in der Lage zu sein, bemisst sich danach im Regelfall an dessen Interesse, eine Zwangsvollstreckung nach § 883 ZPO zu verhindern, und entspricht daher betragsmäßig den mit einer solchen Vollstreckung verbundenen Kosten.
[9] Auf dieser rechtlichen Grundlage ist der Wert der Beschwer gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 3 ZPO nach billigem Ermessen zu bestimmen. Dabei kann das Rechtsbeschwerdegericht die Bemessung der Beschwer durch das Beschwerdegericht nur darauf überprüfen, ob dieses den ihm eingeräumten Ermessensspielraum gewahrt oder aber die gesetzlichen Grenzen überschritten oder sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25. Oktober 2023 XII ZB 250/22 juris Rn. 8 mwN und vom 8. März 2017 XII ZB 471/16 FamRZ 2017, 982 Rn. 6 mwN).
[10] b) Auf derartigen Ermessensfehlern bei der Bemessung des nach § 61 Abs. 1 FamFG maßgeblichen Beschwerdewerts beruht die angefochtene Entscheidung nicht.
[11] aa) Der Entscheidung des Beschwerdegerichts liegt allerdings ein Fehlverständnis der amtsgerichtlichen Entscheidung zugrunde. Ausweislich der Beschlussformel und der Gründe hat das Amtsgericht den Antragsgegner zur Auskunftserteilung und gestützt auf Ansprüche aus Auftragsrecht und aus § 985 BGB zur Herausgabe der konkreten verfahrensgegenständlichen Originalurkunden verpflichtet. Eine (Ersatz-)Beschaffung von Zweitausfertigungen der herausverlangten Urkunden ist dagegen nicht Gegenstand der Entscheidung, so dass hierdurch etwa entstehende Kosten bei der Bemessung der Beschwer des Antragsgegners nicht zu berücksichtigen sind.
[12] bb) Ausgehend hiervon ist das für § 61 Abs. 1 FamFG maßgebliche Interesse des Antragsgegners, die ihn zur Auskunft und zur Herausgabe der Urkunden verpflichtende Entscheidung des Amtsgerichts aufheben zu lassen (vgl. BGH Beschluss vom 14. Juli 1999 VIII ZR 29/99 NJW 1999, 3049 mwN), an dessen Rechtsschutzziel zu bemessen, die Auskünfte nicht erteilen und die Urkunden nicht herausgeben oder nicht gemäß § 120 Abs. 1 FamFG iVm § 883 Abs. 2 ZPO an Eides statt versichern zu müssen, dass er weder im Besitz der Urkunden ist noch Kenntnis von ihrem Verbleib hat. Das Interesse, ein Vollstreckungsverfahren und die insoweit gegebenenfalls erforderliche Abgabe einer Versicherung an Eides statt nach § 883 Abs. 2 ZPO zu verhindern, entspricht dabei einem Wert in Höhe der für das Vollstreckungsverfahren anfallenden Kosten. Dieses Interesse ist unabhängig davon, ob der Antragsgegner die Urkunden in Besitz hat oder nicht, mit einem Wert von bis zu 500 € vollständig erfasst. Insbesondere hat der Antragsgegner nichts dazu vorgetragen und ist auch sonst nichts dafür ersichtlich, dass die insoweit zu erwartenden Kosten den Betrag von 500 € übersteigen.
[13] Selbst wenn indes das Verständnis des Beschwerdegerichts von der Verpflichtung des Antragsgegners zur Beschaffung von Ersatzurkunden wie nicht zutreffend wäre, wäre die für ihn mit der Entscheidung verbundene Beschwer entgegen den von der Rechtsbeschwerde hierzu erhobenen Rügen mit einem Betrag von bis zu 500 € nicht ermessensfehlerhaft bemessen. Denn die als notwendig für die Ersatzbeschaffung geltend gemachten entgegen der Rechtsbeschwerde vom Beschwerdegericht durchaus in den Blick genommenen Maßnahmen würden nach zutreffender Auffassung des Beschwerdegerichts die Inanspruchnahme anwaltlicher Unterstützung nicht ohne Weiteres rechtfertigen. Warum es insoweit einer Prüfung der Rechtslage zur Art und Weise der Beschaffung von Ersatzurkunden durch einen Rechtsanwalt bedürfte, erschließt sich insbesondere vor dem Hintergrund des Bildungsstandes des Antragsgegners und seiner beruflichen Erfahrung als selbständig tätiger Ingenieur nicht. Die Voraussetzungen für die Erteilung von Zweitschriften lassen sich ohne Weiteres bei den zuständigen Stellen erfragen, ohne dass es hierfür anwaltlicher Unterstützung bedürfte.
[14] cc) Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO). Insbesondere kommt es nicht darauf an, dass das Beschwerdegericht gegebenenfalls den für das Beschwerdeverfahren nach §§ 26, 65 Abs. 3, 68 Abs. 3 Satz 1, 115 FamFG geltenden Prüfungsmaßstab für die Überprüfung der Beweiswürdigung des Amtsgerichts verkannt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 14. August 2013 XII ZB 206/13 NJW-RR 2013, 1473 Rn. 9 mwN; OLG Koblenz FamRZ 2024, 519, 521; Dutta/Jacoby/Schwab/Lies-Benachib FamFG 4. Aufl. § 115 Rn. 2 mwN).
Guhling Günter Nedden-Boeger
Botur Pernice