BGH, Beschluss vom 30. September 2020 - XII ZB 327/20

18.11.2020

BUNDESGERICHTSHOF

vom

30. September 2020

in der Unterbringungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG § 68 Abs. 3 Satz 2, § 317 Abs. 1 Satz 1


Eine Anhörung des Betroffenen im Unterbringungsverfahren, die stattgefunden hat, ohne dass der Verfahrenspfleger Gelegenheit hatte, an ihr teilzunehmen, ist verfahrensfehlerhaft (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 8. März 2017 ­ XII ZB 516/16 ­ FamRZ 2017, 911).


BGH, Beschluss vom 30. September 2020 - XII ZB 327/20 - LG Flensburg, AG Schleswig


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. September 2020 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling

beschlossen:

Der Betroffenen wird für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt

W. beigeordnet.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom 13. Juli 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

[1] I. Die Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung ihrer geschlossenen Unterbringung.

[2] Das Amtsgericht hat ein Sachverständigengutachten eingeholt und dieses der Betroffenen im Anhörungstermin am 9. Juni 2020 übergeben. Anschließend hat es mit Beschluss vom 10. Juni 2020 ihre Unterbringung bis längstens 10. Juni 2021 betreuungsgerichtlich genehmigt. Auf ihre Beschwerde hat das Amtsgericht die Betroffene im Abhilfeverfahren nochmals angehört, der Beschwerde aber nicht abgeholfen. Das Landgericht hat die Beschwerde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Unterbringung nur "in einer geschlossenen Abteilung einer geeigneten Wohneinrichtung" genehmigt werde. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

[3] II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

[4] 1. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Entscheidung verfahrensfehlerhaft ergangen ist. Das Landgericht hätte die Betroffene erneut anhören müssen.

[5] a) Nach der Rechtsprechung des Senats räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht zwar die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Im Beschwerdeverfahren kann aber nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (Senatsbeschluss vom 6. Mai 2020 ­ XII ZB 504/19 ­ FamRZ 2020, 1219 Rn. 9 mwN).

[6] b) Vorliegend hätte das Landgericht die Betroffene jedenfalls deshalb erneut anhören müssen, weil das Amtsgericht der Verfahrenspflegerin nach Aktenlage keine Gelegenheit gegeben hat, an den jeweiligen Anhörungen teilzunehmen.

[7] Dabei kann dahinstehen, ob die im Abhilfeverfahren - im Hinblick auf das zuvor im Anhörungstermin vom 9. Juni 2020 übergebene Sachverständigengutachten - durchgeführte, erneute Anhörung der Betroffenen die Fehlerhaftigkeit der ersten Anhörung heilen konnte (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Februar 2017 ­ XII ZB 462/16 ­ FamRZ 2017, 755 Rn. 13 mwN).

[8] aa) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Unterbringungssache gemäß § 317 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll bei den besonders schwerwiegenden Eingriffen in das Grundrecht der Freiheit der Person nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und begleitet werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Dies gebietet es zumindest dann, wenn das Betreuungsgericht bereits vor der Anhörung des Betroffenen die Erforderlichkeit einer Verfahrenspflegerbestellung erkennen kann, in Unterbringungssachen also regelmäßig, den Verfahrenspfleger schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen. Das Betreuungsgericht muss durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 8. März 2017 ­ XII ZB 516/16 ­ FamRZ 2017, 911 Rn. 11 mwN).

[9] bb) Dem ist das Amtsgericht nicht gerecht geworden. Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, ist den Gerichtsakten nicht zu entnehmen, dass die Verfahrenspflegerin zu den beiden Anhörungsterminen, bei denen sie nicht zugegen war, geladen worden ist. Im Rechtsbeschwerdeverfahren ist daher davon auszugehen, dass dies unterblieben ist.

[10] 2. Weil die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG.

[11] Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen, § 74 Abs. 7 FamFG.

Dose Schilling Günter

Nedden-Boeger Guhling

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