BGH, Beschluss vom 30. September 2025 - II ZR 70/24
BUNDESGERICHTSHOF
vom
30. September 2025
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 308 Abs. 1 Satz 1
Zum Klagegrund des Schuldbeitritts gehört die Schuld, der beigetreten worden ist.
BGH, Beschluss vom 30. September 2025 - II ZR 70/24 - OLG München, LG Kempten (Allgäu)
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. September 2025 durch den Vorsitzenden Richter Born, den Richter Wöstmann, die Richterin B. Grüneberg, den Richter Prof. Sander und den Richter Dr. von Selle
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 13. Juni 2024 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als darin zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Streitwert: 1.084.188,04 €
Gründe:
[1] I. Die Klägerin ist ein im lebens- und -futtermittelsegment tätiges Unternehmen. Ihre Anteilseigner waren ursprünglich die B. AG (65 %), der Beklagte (20 %) und N. H. (15 %). Der Beklagte war zudem seit dem 28. Dezember 2012 einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Klägerin. Seit April 2018 waren der Beklagte und N. H. Geschäftsführer der Klägerin.
[2] Im März 2018 gründete der Beklagte in Absprache mit der B. AG die in R. ansässige A. srl (im Folgenden: A. ), die als sog. Zweckgesellschaft Dienstleistungen für die Klägerin erbringen sollte. Hauptgesellschafter der A. war der Beklagte; ihre Geschäftsführer waren der Beklagte und J. H. , der Ehemann von N. H. .
[3] Die Gesellschafter der Klägerin vereinbarten am 9. April 2018 die Einrichtung eines Beirats, dem die Genehmigung bestimmter Entscheidungen u.a. über "neue Projekte mit substantiellen Auswirkungen auf das Unternehmen" vorbehalten war. Im Protokoll der Sitzung des Beirats vom 29. Juni 2018 ist unter dem Titel Silo-Instandsetzung usw. festgehalten, dass alle Teilnehmer dem auf Grundlage zweier Angebote mit voraussichtlichen Gesamtkosten von 400.000 € zustimmen. Am 17. August 2018 sind bei der M. GmbH zur Sanierung eines von der A. in R. betriebenen Silos dafür benötigte Maschinen und Bauteile bestellt worden. Am 5. August 2020 stellte die M. GmbH der Klägerin insgesamt 570.315,98 € in Rechnung. Die Klägerin beglich die Nettorechnungssumme von 475.263,32 €, nicht aber die darauf abgerechnete Umsatzsteuer von 95.052,66 €.
[4] Am 25. September 2018 schlossen die Klägerin und die A. einen verzinslichen Darlehensvertrag über ein Volumen von bis zu 800.000 €. In der Folge zahlte die Klägerin insgesamt 484.043,36 € an die A. aus. Mit einem von N. H. für die Klägerin und J. H. für die A. ? unterzeichneten "Darlehensvertrag Nr. 2" vom 15. November 2019 gewährte die Klägerin der A. ein unverzinsliches Darlehen über 270.000 €. Dies entsprach der Höhe der Einlage, die die B. AG auf ihren Geschäftsanteil an der A. zu leisten hatte. Am 3. Dezember 2020 trafen der Beklagte und die Eheleute H. eine Vereinbarung, in der sie die Niederlegung seines Geschäftsführeramts und sein Ausscheiden als Gesellschafter u.a. der Klägerin regelten; darin ist u.a. bestimmt, dass der Beklagte die alleinige Haftung bis zu einer Höhe von 500.000 € für die Kredite übernimmt, die die Klägerin der A. ? gewährte.
[5] Die Klägerin hat den Beklagten mit ihrer Klage zunächst wegen Verletzung seiner Geschäftsführerpflichten im Zusammenhang mit der Silo-Instandsetzung auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Klageerweiternd hat sie von ihm gestützt auf die Haftungsübernahmevereinbarung die Zahlung von 484.043,36 € nebst Zinsen wegen des der A. gewährten Darlehens beansprucht. Das Landgericht hat die auf Geschäftsführerinnenhaftung gestützte Klage abgewiesen und der erweiterten Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen; auf die Berufung des Beklagten hat es die Klage unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgewiesen, soweit das Landgericht ihn zur Zahlung von mehr als 270.000 € nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt hat. Hiergegen richten sich die Nichtzulassungsbeschwerden beider Parteien.
[6] II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im Umfang seiner Verurteilung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht das Recht des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist dagegen unbegründet.
[7] 1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit im Hinblick auf die Beschwerdeangriffe des Beklagten von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:
[8] Die auf die Haftungsübernahmevereinbarung vom 3. Dezember 2020 gestützte Klage sei nur in Höhe von 270.000 € nebst Zinsen begründet. Die Haftungsübernahmevereinbarung sei als Schuldbeitritt zu qualifizieren. Da der Beklagte insoweit als Verbraucher gehandelt habe, seien zu seinen Gunsten die Vorschriften über den Verbraucherdarlehnsvertrag nach §§ 491 ff. BGB anzuwenden, soweit das Darlehen i.S.v. § 491 Abs. 2 Satz 1 BGB entgeltlich sei. Dies treffe auf das Darlehen über 484.043,36 €, nicht aber auf das über 270.000 € zu. Danach hätte der Schuldbeitritt hinsichtlich des Darlehens über 484.043,36 € die in Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 14, Abs. 4, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 EGBGB vorgesehenen Angaben enthalten müssen. Mangels dieser Angaben sei der Schuldbeitritt insoweit gemäß § 494 Abs. 1 BGB nichtig. Zudem habe der Beklagte den Beitritt im Rechtsstreit nach § 495 Abs. 1 i.V.m. § 355 BGB wirksam widerrufen. In einem Tatbestandsberichtigungsbeschluss vom 26. Juni 2024 hat das Berufungsgericht die Auffassung vertreten, dass die auf die Haftungsübernahmevereinbarung gestützte Klage das Darlehen über 270.000 € einschließe, auch wenn sich die Klägerin nicht darauf berufen habe.
[9] 2. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG, § 544 Abs. 9 ZPO). Es hat der Klägerin mehr zugesprochen, als diese beantragt hat.
[10] a) Spricht das Gericht dem Kläger entgegen § 308 Abs. 1 ZPO mehr zu, als dieser beantragt hat, liegt darin eine Gehörsverletzung zum Nachteil des Beklagten (BGH, Beschluss vom 16. Mai 2017 - VI ZR 25/16, NJW 2017, 2561 Rn. 11; Beschluss vom 7. Mai 2019 - XI ZR 715/17, juris Rn. 3; Beschluss vom 24. Mai 2022 - VI ZR 304/21, VersR 2023, 615 Rn. 4). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach dem geltend gemachten prozessualen Anspruch (Streitgegenstand). Dieser wird nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO durch den Klageantrag bestimmt, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 3. April 2003 I ZR 1/01, BGHZ 154, 342, 347 f. mwN). Danach erfordert die Angabe des Grundes der Forderung die bestimmte Angabe des Lebenssachverhalts, aus dem die Forderung nach der Behauptung des Gläubigers entspringt (BGH, Urteil vom 19. Dezember 1991 - IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1, 5; Urteil vom 23. Juli 2024 II ZR 206/22, BGHZ 241, 127 Rn. 29). Zu diesem Lebenssachverhalt sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den eine Partei zur Stützung ihres Rechtsschutzbegehrens vorträgt (BGH, Urteil vom 3. August 2021 - II ZR 283/19, ZIP 2021, 1835 Rn. 14).
[11] Die Bestimmung des Streitgegenstands ist Sache des Klägers. Will er einen weiteren Streitgegenstand in den Prozess einführen, muss er zweifelsfrei deutlich machen, dass er einen neuen prozessualen Anspruch verfolgt; ein neuer Sachvortrag genügt als solcher nicht. Dies erfordert der Schutz des Beklagten, für den erkennbar sein muss, welche prozessualen Ansprüche gegen ihn erhoben werden, um seine Rechtsverteidigung danach ausrichten zu können (BGH, Urteil vom 29. Juni 2006 - I ZR 235/03, BGHZ 168, 179 Rn. 20 mwN).
[12] b) Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei der mit der Klageerweiterung geltend gemachten Haftung des Beklagten für das verzinsliche Darlehen, das die Klägerin der A. aufgrund des Darlehensvertrags vom 25. September 2018 über 484.043,36 € gewährte, und der Verurteilung des Beklagten aufgrund seiner Haftung für ein der A. von der Klägerin gemäß Darlehensvertrag vom 15. November 2019 ausgereichtes unverzinsliches Darlehen über 270.000 € um unterschiedliche Streitgegenstände.
[13] aa) Daran ändert entgegen der Auffassung der Klägerin nichts, dass das Berufungsgericht die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 270.000 € auf die Haftungsübernahmevereinbarung mit dem Beklagten vom 3. Dezember 2020 gestützt hat, mit der auch sie selbst dessen Haftung für das Darlehen über 484.043,36 € begründet hat. Das Berufungsgericht hat die Haftungsübernahmevereinbarung als Schuldbeitritt gewürdigt. Ein Schuldbeitritt teilt seinem Wesen nach die Rechtsnatur der Forderung des Gläubigers, zu der er erklärt wird (BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 - III ZR 304/14, BGHZ 205, 260 Rn. 24 mwN). Die Schuld des Beitretenden bestimmt sich grundsätzlich nach Inhalt und Beschaffenheit der Hauptschuld im Zeitpunkt des Beitritts (BGH, Urteil vom 7. November 1995 XI ZR 235/94, ZIP 1995, 1976, 1977 mwN). Durch den Schuldbeitritt wird ein Gesamtschuldverhältnis begründet, das sich nach dem Beitritt zwar für jeden Gesamtschuldner unterschiedlich entwickeln kann (§ 425 BGB; BGH, Urteil vom 10. Juni 1985 - III ZR 63/84, ZIP 1985, 1192, 1193 f. mwN); allerdings wirken die in den §§ 422 bis 424 BGB bezeichneten Tatsachen auch für und gegen den Beitretenden. Wegen dieser engen Verbundenheit der Beitrittsschuld in Entstehung und Entwicklung zu der Schuld (vgl. auch BGH, Urteil vom 21. April 1998 IX ZR 258/97, BGHZ 138, 321, 327), zu der der Beitritt erklärt wird, kann sie von ihr nicht losgelöst betrachtet werden. Zum Klagegrund des Schuldbeitritts gehört deshalb zwangsläufig auch die Schuld, der beigetreten worden ist.
[14] bb) Dem Tatbestand des Berufungsurteils einschließlich der Tatbestandselemente der Entscheidungsgründe lässt sich nicht entnehmen, dass die Klägerin ihre Klageforderung auch auf das Darlehen über 270.000 € gestützt hätte. Dieses Darlehen wird nur im Rahmen des Verteidigungsvorbringens des Beklagten erwähnt, nach dem es sich bei dem Darlehen tatsächlich um eine aus seinem Vermögen stammende Kapitaleinlage in die A. , die die Klägerin abredewidrig in ein kündbares Darlehen umgewandelt habe, handele. Die Klägerin räumt ein, dass sie die Klageerweiterung lediglich mit dem Darlehen über 484.043,36 € begründet hat. Soweit sich die Klägerin in ihrer Beschwerdeerwiderung auf den Grundsatz gleichwertigen Parteivorbringens beruft, weil der Beklagte das Darlehen über 270.000 € selbst in den Rechtsstreit eingeführt habe, reicht dies für seine Verurteilung nicht aus. Diesen Vortrag hat sich die Klägerin nicht hilfsweise zu eigen gemacht und ihre Klageforderung auch nicht hierauf gestützt, wie es eine Klagestattgabe unter dem Gesichtspunkt gleichwertigen Parteivorbringens erfordert (BGH, Urteil vom 18. Januar 2018 - I ZR 150/15, NZG 2018, 596 Rn. 39; Beschluss vom 22. November 2022 - VIII ZR 212/21, juris Rn. 8 mwN). Die Klägerin hat lediglich durch Nichtbestreiten (§ 138 Abs. 3 ZPO) die Existenz des Darlehensvertrags vom 15. November 2019 und die Ausreichung des Darlehens an die A. zugestanden. Hätte sie die Klage auch hierauf stützen wollen, hätte sie zudem das Verhältnis beider Klagegründe klarstellen müssen, da die Klage andernfalls als Alternativklage unzulässig geworden wäre (vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. Dezember 2020 - II ZR 108/19, BGHZ 228, 28 Rn. 15 mwN).
[15] c) Eine Zurückverweisung scheidet in einem solchen Fall aus (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2014 - XI ZR 126/13, juris; BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, Stand 1.7.2025, § 544 Rn. 27).
[16] 3. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zurückzuweisen, weil keiner der im Gesetz (§ 543 Abs. 2 ZPO) vorgesehenen Gründe vorliegt, nach denen der Senat die Revision zulassen darf. Der Rechtsstreit der Parteien hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert er eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO abgesehen.
Born Wöstmann B. Grüneberg
Sander von Selle

