BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 115/19

05.01.2021

BUNDESGERICHTSHOF

vom

6. Oktober 2020

in der Abschiebungshaftsache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG § 428


Die ordentlichen Gerichte sind nach § 428 FamFG auch für die Entscheidung über die Freiheitsentziehung im Verwaltungswege und damit auch für Fälle zuständig, in denen eine gerichtlich angeordnete Haft über ihr gesetzliches Ende hinaus vollzogen wird oder nicht rechtzeitig von der beteiligten Behörde beendet wird.

AsylG § 14 Abs. 3 Satz 3, VwVG § 15 Abs. 3

a) Die beteiligte Behörde hat in entsprechender Anwendung von § 15 Abs. 3 VwVG den Vollzug der Abschiebungshaft schon an dem Tag, an dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entschieden hat, den aus der Haft heraus gestellten Asylantrag als "einfach" unbegründet abzulehnen, einzustellen und die Freilassung des Betroffenen zu veranlassen.

b) Dazu hat das Bundesamt parallel zu der gesetzlich vorgeschriebenen Zustellung des Bescheids an den Betroffenen den Erlass und den Inhalt einer solchen Entscheidung auf dem schnellstmöglichen Weg, regelmäßig mit Telefax oder E-Mail, der Behörde, die die Haft erwirkt hat, und der Einrichtung mitzuteilen, in der die Haft vollzogen wird.


BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 115/19 - LG Hof, AG Hof


Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Oktober 2020 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, den Richter Prof. Dr. Kirchhoff sowie die Richterinnen Dr. Picker und Dr. Linder

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Hof - 2. Zivilkammer - vom 12. August 2019 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Feststellungsantrag für den Zeitraum vom 13. bis zum 21. November 2018 zurückgewiesen worden ist.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 26. Oktober 2018 den Betroffenen im Zeitraum vom 13. bis zum 21. November 2018 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Bundesrepublik Deutschland zu 35 % auferlegt, soweit sie im Beschwerdeverfahren entstanden sind, und in vollem Umfang, soweit sie im Rechtsbeschwerdeverfahren entstanden sind.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:

[1] I. Der Betroffene, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste am 25. Oktober 2018 ohne gültige Papiere aus Spanien nach Deutschland ein, um hier zu studieren. Er wurde gegen 2:30 Uhr auf einer Autobahnrastanlage von Beamten der beteiligten Behörde festgenommen. Die beteiligte Behörde drohte ihm nach seiner Festnahme die Abschiebung nach Pakistan an, verfügte diese anschließend und erklärte sie für sofort vollziehbar.

[2] Auf ihren am nächsten Tag dort eingegangenen Haftantrag hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Abschiebung nach Pakistan bis längstens zum 15. Februar 2019 angeordnet. Während der Haft hat der Betroffene Asyl beantragt; dieser Antrag ist beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan: Bundesamt) am 31. Oktober 2018 eingegangen. Das Bundesamt hat ihn mit einem am gleichen Tag zur Post gegebenen Bescheid vom 13. November 2018 als unbegründet abgelehnt. Da die Zustellung durch Übergabeeinschreiben nicht erfolgreich gewesen ist, hat das Bundesamt den Bescheid am 20. November 2018 noch einmal zwecks erneuter Zustellung durch Übergabeeinschreiben zur Post gegeben. Beide Sendungen sind am 22. November 2018 in der Justizvollzugsanstalt eingegangen, haben den Betroffenen aber nicht mehr erreicht, weil dieser auf Veranlassung der beteiligten Behörde am 21. November 2018 aus der Haft entlassen worden ist. Die - mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft fortgeführte - Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der Betroffene die Feststellung erreichen, dass die Haft ihn im Zeitraum vom Erlass des Bescheids am 13. November 2018 bis zur Haftentlassung am 21. November 2018 in seinen Rechten verletzt hat.

[3] II. Das Rechtsmittel des Betroffenen hat Erfolg.

[4] 1. Das Beschwerdegericht hält die Haftanordnung für rechtmäßig. Es meint, der Betroffene sei auch durch den weiteren Vollzug der Haft im Zeitraum vom 13. bis zum 21. November 2018 nicht in seinen Rechten verletzt worden. Die Stellung des Asylantrags vom 31. Oktober 2018 aus der Haft heraus habe gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylG keinen Einfluss auf die Haft gehabt. Allein durch die Stellung des Asylantrags habe der Betroffene seine Entlassung nicht herbeiführen können. Richtig sei zwar, dass der Betroffene mit der Zustellung des Bescheids des Bundesamts aus der Haft habe entlassen werden müssen, weil das Bundesamt seinen Asylantrag als "einfach" unbegründet abgelehnt habe. Die gesetzliche Regelung stelle aber auf die Zustellung des Bescheids des Bundes-amts ab. Es sei nicht zu beanstanden, dass das Bundesamt seinen Bescheid vom 13. November 2018 am gleichen Tage zur Zustellung durch Einschreiben zur Post gegeben habe. Zwar sei das Bundesamt im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz verpflichtet gewesen, die Zustellung seines Bescheids nicht ohne triftigen Grund zu verzögern und die Haft nicht unnötig zu verlängern. Eine Zustellung per Fax werde aber nicht verlangt. Dass es im Fall des Betroffenen zu Verzögerungen bei der Zustellung gekommen sei, sei zwar dem Betroffenen nicht zuzurechnen, begründe aber auch kein rechtswidriges Verhalten des Bundesamts. Deshalb könne nicht festgestellt werden, dass der Betroffene zu spät aus der Haft entlassen worden sei.

[5] 2. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung für den im Rechtsbeschwerdeverfahren nur noch zu prüfenden Zeitraum zwischen der Absendung des Bescheids des Bundesamts am 13. November 2018 und der Entlassung des Betroffenen aus der Haft am 21. November 2018 in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

[6] a) Das Rechtsmittel ist statthaft.

[7] aa) Allerdings beantragt der Betroffene im Rechtsbeschwerdeverfahren nur noch, die Verletzung seiner Rechte durch den Vollzug der Haft im Zeitraum zwischen dem 13. und dem 21. November 2018 festzustellen. Er stützt diesen Antrag darauf, dass das Bundesamt unter Berücksichtigung des Beschleu-nigungsgrundsatzes seine Entscheidung sofort mittels Telefax hätte übermitteln müssen, um das nach deren Inhalt - Ablehnung des Asylantrags des Betroffenen als weder nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG unzulässig noch als offensichtlich unbegründet, sondern "nur" als "einfach" unbegründet - abzusehende gesetzliche Ende der Haft früher herbeizuführen. Ihm geht es jedenfalls im Rechtsbeschwerdeverfahren weder um Fehler des Gerichts bei der Haftanordnung noch darum, dass das Amts- oder das Beschwerdegericht eine Teilaufhebung der Haftanordnung von Amts wegen gemäß § 426 FamFG versäumt hätten.

[8] bb) Das ändert aber an der Statthaftigkeit des Rechtsmittels nichts. Die ordentlichen Gerichte sind nämlich nach § 428 FamFG auch für die Entscheidung über die Freiheitsentziehung im Verwaltungswege und damit auch für Fälle zuständig, in denen eine gerichtlich angeordnete Haft über ihr gesetzliches Ende hinaus vollzogen wird oder nicht rechtzeitig von der beteiligten Behörde beendet wird. Die behördliche Freiheitsentziehung kann zwar ebenso wie die gerichtlich angeordnete Freiheitsentziehung auch eine vorläufige Maßnahme sein, die nach § 70 Abs. 4 FamFG einer Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nicht zugänglich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2017 - V ZB 119/16, FGPrax 2017, 184 Rn. 9). Für die möglicherweise rechtswidrige Fortsetzung einer durch das Gericht im ordentlichen Verfahren angeordneten Haft über ihr gesetzliches Ende hinaus gilt das aber nicht.

[9] b) Das Rechtsmittel ist auch begründet.

[10] aa) Der angeordneten Haft liegt zwar ein zulässiger Haftantrag zu Grunde. Ferner lagen die Voraussetzungen für die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen nach Pakistan vor. Aus dem Protokoll ergibt sich schließlich, dass der Haftantrag dem Betroffenen übersetzt worden und die persönliche Anhörung des Betroffenen auch sonst nicht zu beanstanden ist. Ob die Haft von vornherein für mehr als drei Monate angeordnet werden durfte, ist hier nicht mehr zu prüfen, da sie am 21. November 2018 beendet worden ist. Insoweit wird von einer näheren Begründung gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

[11] bb) Der Vollzug der Haft über den Tag hinaus, an dem das Bundesamt entschieden hat, den aus der Haft heraus gestellten Asylantrag als "einfach" unbegründet abzulehnen, mithin den 13. November 2018, ist aber rechtswidrig, weil die beteiligte Behörde in entsprechender Anwendung von § 15 Abs. 3 VwVG den Vollzug der Abschiebungshaft schon an diesem Tag hätte einstellen und die Freilassung des Betroffenen hätte veranlassen müssen.

[12] (1) Die vor dem Eingang des Asylantrags des Betroffenen beim Bundesamt angeordnete Abschiebungshaft endet kraft Gesetzes erst zu den in § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylG bestimmten Zeitpunkten. Diese Zeitpunkte waren hier nicht erreicht. Die Frist von vier Wochen nach dem Eingang des Asylantrags beim Bundesamt endete am 26. November 2018. Zu diesem Zeitpunkt war der Betroffene schon freigelassen worden. Zu der vom Bundesamt zweimal veranlassten Zustellung seines Bescheids vom 13. November 2018 im Wege einer Zustellung durch die Post mittels Einschreiben durch Übergabe nach § 4 Abs. 1 VwZG ist es bis zum 26. November 2018 nicht gekommen. Die beiden Sendungen sind der Justizvollzugsanstalt, in der der Betroffene untergebracht war, erst am 22. November 2018, mithin nach dessen Freilassung, übergeben worden. Da-raus folgt aber entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht, dass der weitere Vollzug der Abschiebungshaft im Zeitraum zwischen der Herausgabe des Bescheids zur Zustellung am 13. November 2018 und der Freilassung des Betroffenen am 21. November 2018 insgesamt rechtmäßig war.

[13] (2) Die Haft verfehlte in diesem Zeitraum den ihr zugedachten Zweck und bedeutete eine nicht vertretbare Beeinträchtigung des Betroffenen in seinen Freiheitsrechten aus Art. 2 und Art. 104 GG.

[14] (a) Mit der Regelung in § 14 Abs. 3 AsylG möchte der Gesetzgeber verhindern, dass Betroffene nach Anordnung von Haft zur Sicherung ihrer Abschiebung aus rein taktischen Erwägungen und damit rechtsmissbräuchlich einen Asylantrag stellen, so die sachlich nicht gerechtfertigte Aufhebung der Haft erreichen und sich dann dem Zugriff der Behörden entziehen

(BT-Drucks. 13/4948, S. 10 f. unter Verweis auf BT-Drucks. 13/3331, S. 5). Bis zum Inkrafttreten der ersten Vorgängerregelung des heutigen § 14 Abs. 3 AsylG am 1. November 1997 (Gesetz vom 29. Oktober 1997, BGBl. I S. 2584) löste nämlich auch der aus der Abschiebungshaft gestellte Asylantrag kraft Gesetzes eine Gestattung des Aufenthalts gemäß dem heutigen § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG aus. Folge dessen war, dass mit dem Eingang des Antrags beim Bundesamt die Verlassenspflicht und mit ihr die Grundlage der angeordneten Abschiebungshaft entfielen und diese aufgehoben werden musste. Diese Folge erschien dem Gesetzgeber bei bloß aus taktischen Erwägungen gestellten rechtsmissbräuchlichen Asylanträgen nicht gerechtfertigt.

[15] (b) Er hat sich mit § 14 Abs. 3 AsylG dazu entschlossen, die Gestattungswirkung eines aus der (Abschiebungs-)Haft gestellten Asylantrags generell hinauszuschieben und in den in § 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 AsylG genannten Fallgruppen gar nicht eintreten zu lassen. Von diesen nicht einschlägigen Fallgruppen abgesehen, sollte die Ablehnung eines nicht rechtsmissbräuchlichen Asylantrags als "einfach" unbegründet mit der Zustellung der Entscheidung des Bundesamts, spätestens aber der Ablauf von vier Wochen nach dem Eingang des Antrags die in § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG bestimmte Gestattungswirkung auslösen, die Verlassenspflicht entfallen und die Haft kraft Gesetzes enden lassen. Ziel war es sicherzustellen, dass einerseits das Bundesamt den Asylantrag prüfen und über ihn entscheiden konnte und andererseits die Prüfung nicht länger als vier Wochen in Anspruch nehmen durfte, die man dem Betroffenen zumuten wollte. In jedem Fall sollte "die Entscheidung des Bundesamts" die vorläufig aufrecht erhaltene Abschiebungshaft beenden (BT-Drucks. 13/4948, S. 11 mit BT-Drucks. 13/3331, S. 5).

[16] (c) Dieses Konzept des Gesetzgebers würde in sein Gegenteil verkehrt, endete die Abschiebungshaft vor Ablauf der Höchstfrist von vier Wochen auch bei Verzögerungen des Zustellungsvorgangs erst mit dessen erfolgreichen Abschluss und bei seinem Scheitern erst mit dem Ablauf der Höchstfrist. In solchen Fällen liegt die "Entscheidung des Bundesamts" nämlich längst vor. Spätestens mit der Absendung des Bescheids, der den Asylantrag nur als "einfach" unbegründet ablehnt, steht auch fest, dass die Gestattungswirkung des Asylantrags des Betroffenen nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG wirksam werden und seine Abschiebungshaft enden soll. Der - mit der gesetzlichen Höchstfrist von vier Wochen bewusst - angestrebte Effekt, die Gestattungswirkung nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG möglichst wenig hinauszuschieben und die Haft so schnell wie möglich zu beenden, würde verfehlt. Der Betroffene bliebe letztlich nur aus formalen Gründen in Haft, obwohl ihr Zweck längst entfallen ist. Dies entspricht nicht der Vorstellung des Gesetzgebers, der darauf bedacht war, die Abschiebungshaft nicht zu lange andauern zu lassen (BT-Drucks. 13/4948, S. 11). Die Aufrechterhaltung einer Haft letztlich nur noch aus formalen Gründen stellte zudem einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheitsrechte des Betroffenen aus Art. 2 und Art. 104 GG dar.

[17] (3) Dieses planwidrige Ergebnis ist die Folge einer Lücke in der Vorschrift. Sie berücksichtigt nicht, dass das Abstellen auf die Zustellung des Bescheids allein keine angemessene Reaktion auf die Folgen von Verzögerungen oder eines Scheiterns des Zustellungsvorgangs ermöglicht.

[18] (a) Die Lücke lässt sich nicht mit der Beschwerde durch die Annahme schließen, dass der Bescheid stets mit Telefax zu übermitteln ist und auf dieser Grundlage ein gesetzliches Haftende stets mit dem Erlass des Bescheids eintritt. Denn diese Lösung entspräche nicht dem Plan des Gesetzgebers.

[19] Der Gesetzgeber hat sich in der Begründung der Regelung nur mit der schon erwähnten "Entscheidung des Bundesamts" befasst, ist dabei aber nicht auf die Einzelheiten der Übermittlung dieser Entscheidung an den Betroffenen eingegangen. Es ist zu vermuten, dass er im Text der vorgeschlagenen Regelung die Form der Zustellung deshalb gewählt hat, weil das Bundesamt nach § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG gesetzlich verpflichtet ist, den Bescheid nicht nur nach § 41 VwVfG bekannt zu machen, sondern nach Maßgabe des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes und der Sondervorschriften in § 10 AsylG förmlich zuzustellen.

[20] Die Übermittlung des Bescheids mittels Telefax ist in § 5 Abs. 4 VwZG indessen nur bei Betroffenen zugelassen, die im Asylverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten sind. Dagegen ist diese Form der Zustellung nicht möglich, wenn der Betroffene im Asylverfahren - wie hier - nicht anwaltlich vertreten ist. Hier kommen nur eine andere Zustellung durch die Behörde nach § 5 Abs. 1 bis 3 VwZG, eine Zustellung durch Postzustellungsurkunde nach § 3 VwZG und die - hier gewählte - Zustellung mittels Einschreiben (durch Übergabe oder gegen Rückschein) nach § 4 Abs. 1 VwZG in Betracht. In diesen Fällen könnte dem Betroffenen der Bescheid mit Telefax nur gemäß § 41 VwVfG bekannt gemacht, aber nicht förmlich zugestellt werden. Nichts spricht dafür, dass der Gesetzgeber diese Form der Übermittlung des Bescheids zulassen wollte. Denn das Bundesamt ist nach § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG gesetzlich verpflichtet, seine Bescheide nicht nur bekanntzumachen, sondern förmlich zuzustellen. Die Zustellung löst zudem nach § 74 Abs. 1 AsylG die im Asylverfahren besonders kurzen Rechtsmittelfristen aus. Der gesetzliche Zwang zur förmlichen Zustellung schließt eine zusätzliche Bekanntgabe des Bescheids mit Telefax aus.

[21] (b) Eine dem Plan des Gesetzgebers entsprechende Lösung des beschriebenen Problems ermöglicht aber ein Rückgriff auf das Verwaltungsvollstreckungsrecht.

[22] (aa) Ein solcher Rückgriff ist möglich, weil die Abschiebungshaft, um deren gesetzliches Ende es hier geht, den Zweck hat, die Vollstreckung der gesetzlichen oder durch Bescheid begründeten Verlassenspflicht im Wege der Verwaltungsvollstreckung abzusichern (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. September 2012 - V ZB 31/12, InfAuslR 2013, 38 Rn. 6, und vom 21. August 2019 - V ZB 60/17, InfAuslR 2020, 28 Rn. 12). Sie setzt den (Fort-)Bestand der Verlassenspflicht voraus (BGH, Beschluss vom 21. August 2019 - V ZB 60/17, InfAuslR 2020, 28 Rn. 12) und ist deshalb zu beenden, wenn diese nicht mehr besteht. Sie ist aber wegen ihrer dienenden Funktion auch dann zu beenden, wenn die Verwaltungsvollstreckung einzustellen ist. Dies wiederum ist nach einem allgemeinen Grundsatz, der seinen Niederschlag in § 15 Abs. 3 VwVG gefunden hat, der Fall, wenn der Zweck erreicht ist.

[23] (bb) Diesen Zweck erreicht die Fortdauer der Abschiebungshaft bei einem aus der Haft gestellten Asylantrag, wenn das Bundesamt seine Entscheidung erlassen hat. Dann steht nämlich, wie bereits ausgeführt, fest, ob der Asylantrag des Betroffenen rechtsmissbräuchlich ist und die Abschiebungshaft fortdauern soll oder ob der Asylantrag des Betroffenen - wie hier - nur "einfach" unbegründet ist und damit die Gestattungswirkung nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG eintreten und die Abschiebungshaft enden sollen. Deshalb sieht der Gesetzgeber im Erlass der Entscheidung auch die maßgebliche Zäsur (BT-Drucks. 13/4948, S. 11).

[24] (cc) Damit knüpft der Gesetzgeber das Ende der Sicherungshaft des Betroffenen, dessen Asylantrag nur als "einfach" unbegründet abgelehnt wird, an einen behördeninternen Vorgang an. Dieser Vorgang muss aber nach außen in Erscheinung treten, damit Behörden, die die Haft veranlasst haben oder durch die die Haft vollzogen wird, den Betroffenen auch tatsächlich freilassen können. Der Gesetzgeber, der sich in der Begründung der Vorschrift mit diesen technischen Fragen nicht befasst hat, hat offensichtlich deshalb auf die Zustellung abgestellt.

[25] Er hat dabei aber übersehen, dass die Zustellung als Sonderform der Bekanntmachung nach § 41 Abs. 1 VwVfG an den zu richten ist, für den der Bescheid bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist. Diese Zweckrichtung macht sie als Anknüpfungspunkt für die Unterrichtung der Stellen, die das mit dem Erlass kraft Gesetzes eintretende Haftende durch die umgehende Freilassung des Betroffenen Wirklichkeit werden lassen sollen, ungeeignet. Denn die Bekanntmachung und die Zulassung sind, wie bereits ausgeführt, auf die Unterrichtung des Betroffenen ausgerichtet und treffen an diesem Zweck ausgerichtete Unterscheidungen, die aber bei der Anwendung auf die "Bekanntgabe" der Entscheidung gegenüber den maßgeblichen Dienststellen zu sachwidrigen Ergebnissen, insbesondere dazu führen, dass ein Betroffener, der im Asylverfahren nicht anwaltlich vertreten ist, de facto länger in Haft bleibt als ein Betroffener, der anwaltlich vertreten ist und dem deshalb die Entscheidung durch Telefax an seinen Ver-fahrensbevollmächtigten bekannt gemacht werden kann.

[26] Diese zudem mit Art. 2 und Art. 104 GG unvereinbaren Folgen entsprechen offensichtlich nicht dem Ziel des Gesetzgebers. Mit der in § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylG genannten "Zustellung" bezweckte dieser in der Sache nicht die Unterrichtung des Betroffenen, sondern die unverzügliche Umsetzung des kraft Gesetzes eintretenden Haftendes durch seine sofortige Freilassung. Dazu hat das Bundesamt parallel zu der gesetzlich vorgeschriebenen Zustellung des Bescheids an den Betroffenen den Erlass und den Inhalt der Entscheidung auf dem schnellstmöglichen Weg, regelmäßig mit Telefax oder E-Mail, der Behörde, die die Haft erwirkt hat, und der Einrichtung mitzuteilen, in der die Haft vollzogen wird.

[27] (4) Danach hätte der Betroffene hier am 13. November 2018 freigelassen werden müssen. Der Entscheider des Bundesamts hatte den Bescheid am 13. November 2018 freigegeben. Durch den Bescheid wurde der Asylantrag des Betroffenen als "einfach" unbegründet abgelehnt. Der Erlass und der Tenor dieser Entscheidung hätten der beteiligten Behörde und der Justizvollzugsanstalt, in der die Sicherungshaft gegen den Betroffenen vollzogen wurde, noch am 13. November 2018 auf schnellstmöglichem Wege, also mindestens per Telefax, übermittelt und von beiden zum Anlass genommen werden müssen, den Betroffenen sofort freizulassen. Das ist nicht geschehen. Der weitere Vollzug der Haft über die Freigabe der Entscheidung am 13. November 2018 hinaus war deshalb rechtswidrig. Die beteiligte Behörde muss sich das Versäumnis des Bundesamts zurechnen lassen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Haft mit dem Erlass der Entscheidung enden, wenn der Asylantrag als "einfach" unbegründet abgelehnt wird. Es ist Aufgabe aller beteiligten Behörden, diesen Willen umzusetzen. Die Haft war deshalb vom 13. bis zum 21. November 2018 rechtswidrig, was festzustellen ist.

[28] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 84 FamFG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene im Beschwerdeverfahren die Verletzung seiner Rechte in einem weitergehenden Umfang beanstandet hat als im Rechtsbeschwerdeverfahren. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.

Meier-Beck Schmidt-Räntsch Kirchhoff

Picker Linder

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