BGH, Beschluss vom 7. Juli 2021 - XII ZB 106/18

31.08.2021

BUNDESGERICHTSHOF

vom

7. Juli 2021

in der Betreuungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BGB §§ 1836 c Nr. 2, 1836 d, 1908 i Abs. 1; § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII; § 5 VBVG in der bis zum 26. Juli 2019 geltenden Fassung


a) Vergütungsschuldner des Berufsbetreuers ist bei Mittellosigkeit des Betreuten die Staatskasse und bei vorhandenem verwertbaren Vermögen der Betreute. Für die Feststellung, ob der Betreute mittellos oder vermögend ist, ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz abzustellen (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 19. August 2015 ­ XII ZB 314/13 ­ FamRZ 2015, 1880 und vom 6. Februar 2013 ­ XII ZB 582/12 ­ FamRZ 2013, 620).

b) Für den Umfang des dem Betreuer zu vergütenden Zeitaufwands ist hingegen darauf abzustellen, ob der Betreute im Vergütungszeitraum mittellos war (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 6. Februar 2013 ­ XII ZB 582/12 ­ FamRZ 2013, 620).

c) Bei der Ermittlung des einzusetzenden Vermögens ist grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, ob den Vermögenswerten Schulden oder Verpflichtungen des Hilfebedürftigen gegenüberstehen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 6. Februar 2013 ­ XII ZB 582/12 ­ FamRZ 2013, 620). Daher können auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren die Voraussetzungen der Mittellosigkeit des Betroffenen nicht dadurch herbeigeführt werden, dass die festzusetzende Vergütung vorab als Verbindlichkeit von seinem Vermögen abgezogen wird.


BGH, Beschluss vom 7. Juli 2021 - XII ZB 106/18 - LG Koblenz, AG Diez


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juli 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger und die Richterin Dr. Krüger

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 5. Februar 2018 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zu 2 zurückgewiesen.

Wert: 176 €

Gründe:

[1] I. Die Beteiligten streiten über die Höhe der Betreuervergütung.

[2] Die Beteiligte zu 1 ist auf Grund eines ihr am 8. April 2010 zugestellten Beschlusses als Berufsbetreuerin für den Betroffenen bestellt, der nicht in einem Heim lebt. Nach ihrer Qualifikation stand ihr gemäß § 4 VBVG in der bis zum 26. Juli 2019 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) ein Stundensatz von 44 € zu. Spätestens seit 2012 besteht eine unbeanstandete Abrechnungspraxis, wonach der monatliche Vergütungszeitraum jeweils am 10. des Monats beginnt und am 9. des Folgemonats endet.

[3] Am 19. Juni 2017 hat die Beteiligte zu 1 beim Amtsgericht beantragt, ihre Vergütung für den Abrechnungszeitraum vom 10. April 2016 bis 9. April 2017 unter Berücksichtigung eines Stundenansatzes von monatlich viereinhalb Stunden für die Betreuung eines nicht in einem Heim lebenden bemittelten Betroffenen auf insgesamt 2.376 € festzusetzen. Das Amtsgericht hat die Vergütung gegen die Staatskasse auf insgesamt 2.332 € festgesetzt. Mit der zugelassenen Beschwerde hat der Beteiligte zu 2 eingewandt, der Betroffene sei unter Berücksichtigung der streitgegenständlichen Vergütung bereits für den Abrechnungszeitraum ab dem 10. November 2016 als mittellos anzusehen, und eine Herabsetzung der Vergütung auf insgesamt 2.156 € beantragt. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beteiligte zu 2 den Antrag auf Herabsetzung der Vergütung weiter.

[4] II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht sie in der angefochtenen Entscheidung zugelassen hat (§ 70 Abs. 1 FamFG), und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch in der Sache nicht begründet.

[5] 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Vergütungsanspruch der Beteiligten zu 1 sei gegen die Staatskasse festzusetzen, weil der Betroffene weder zum Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts noch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts über ausreichend Einkünfte oder Vermögen zur Begleichung der Vergütung verfügt habe. Der Betroffene verfüge lediglich über Guthaben auf einem Girokonto und einem Sparbuch. Das geringe Renteneinkommen des Betroffenen bleibe unter Berücksichtigung seiner Ausgaben für Miete etc. außer Betracht. Da zudem das vom Betroffenen einzusetzende Einkommen und Vermögen insgesamt unter dem ab April 2017 geltenden Schonbetrag von 5.000 € liege, sei der Betroffene zwischenzeitlich als mittellos zu behandeln.

[6] Dagegen sei für den Stundenansatz im Rahmen der Betreuervergütung nach § 5 VBVG aF darauf abzustellen, ob der Betreute im Vergütungszeitraum vermögend oder mittellos gewesen sei, was sich für jeden Abrechnungsmonat einheitlich nach der finanziellen Situation des Betroffenen am Ende des Abrechnungsmonats bestimme. Im Gegensatz zum letzten Abrechnungsmonat sei der Betroffene insoweit während der ersten elf Monate des Abrechnungszeitraums als vermögend anzusehen. Denn das auf dem Sparbuch vorhandene Vermögen habe sich in diesen Monaten immer im Bereich von 4.000 € bewegt, so dass der Betroffene in der Lage gewesen sei, daraus unter Berücksichtigung des Schonbetrags von damals 2.600 € die gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 VBVG aF nach dem Status vermögend anfallende Betreuervergütung in Höhe von viereinhalb Stunden à 44 € aufzubringen. Bei der Ermittlung des einzusetzenden Vermögens finde eine Saldierung des Aktivvermögens mit Verbindlichkeiten grundsätzlich nicht statt. Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2 sei daher keine fiktive Berechnung vorzunehmen, als ob der Betroffene die streitgegenständliche Vergütung jeweils monatlich gezahlt hätte. Daher könne im Ergebnis auch dahinstehen, ob die jeweils am Monatsanfang erfolgte Überweisung von 100 € vom Girokonto auf das Sparkonto noch dem Einkommen oder bereits dem Vermögen des Betroffenen zuzurechnen sei.

[7] 2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.

[8] a) Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beteiligte zu 1 die Erstattung ihrer Vergütung aus der Staatskasse verlangen kann.

[9] Vergütungsschuldner des Berufsbetreuers ist bei Mittellosigkeit des Betreuten gemäß §§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 3 BGB, § 1 Abs. 2 VBVG die Staatskasse und bei vorhandenem verwertbaren Vermögen nach §§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 BGB, § 1 Abs. 2 Satz 1 VBVG der Betreute. Mit der Übernahme der Betreuungskosten erbringt die Staatskasse eine Sozialleistung, die gemäß § 1836 c BGB davon abhängt, dass der Betreute über kein einzusetzendes Vermögen im Sinne des Sozialhilferechts verfügt. Der Betreute soll durch die Kosten der Betreuung nicht in seinen vorhandenen Lebensgrundlagen wesentlich beeinträchtigt werden. Deshalb ist für die Feststellung, ob der Betreute mittellos oder vermögend ist, auf den Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz abzustellen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. August 2015 ­ XII ZB 314/13 ­ FamRZ 2015, 1880 Rn. 10 und vom 6. Februar 2013 ­ XII ZB 582/12 ­ FamRZ 2013, 620 Rn. 18 mwN).

[10] Die Rechtsbeschwerde stellt weder diese Grundsätze noch die Feststellung des Beschwerdegerichts in Frage, dass Einkommen und Vermögen des Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts insgesamt den mit Wirkung ab 1. April 2017 auf 5.000 € erhöhten Schonbetrag im Sinne des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG (jetzt: § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII; vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 11. Februar 1988 BGBl. I, 150, zuletzt geändert durch Artikel 1 der Zweiten Änderungsverordnung vom 22. März 2017 BGBl. I, 519) nicht übersteigen.

[11] b) Das Beschwerdegericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass der Berechnung der Vergütung der Beteiligten zu 1 für die ersten elf Monate des Abrechnungszeitraums der geltend gemachte Stundenansatz von monatlich viereinhalb Stunden für die Betreuung eines nicht in einem Heim lebenden bemittelten Betroffenen zugrunde zu legen ist.

[12] aa) Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 VBVG aF ist der dem Betreuer zu vergütende Zeitaufwand, wenn der Betreute seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Heim hat, nach den ersten zwölf Monaten der Betreuung für einen vermögenden Betreuten mit viereinhalb Stunden und nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VBVG aF für einen mittellosen Betreuten mit dreieinhalb Stunden anzusetzen. Für den Umfang des dem Betreuer zu vergütenden Zeitaufwands ist danach darauf abzustellen, ob der Betreute im Vergütungszeitraum mittellos war (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Februar 2013 ­ XII ZB 582/12 ­ FamRZ 2013, 620 Rn. 11). Diese für die Wahl des Stundenansatzes maßgebende Frage der Mittellosigkeit ist für jeden Abrechnungsmonat einheitlich zu beurteilen, wobei es entscheidend auf die finanzielle Situation des Betreuten am Ende des Abrechnungsmonats ankommt (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 ­ XII ZB 170/08 ­ FamRZ 2011, 368 Rn. 10 ff. mwN).

[13] Als mittellos gilt gemäß §§ 1908 i Abs. 1, 1836 d BGB ein Betreuter, der die Vergütung aus seinem einzusetzenden Einkommen oder Vermögen nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten oder nur im Wege gerichtlicher Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen aufbringen kann. Das einzusetzende Vermögen bestimmt sich nach § 1836 c Nr. 2 BGB gemäß § 90 SGB XII. Danach ist das gesamte verwertbare Vermögen (§ 90 Abs. 1 SGB XII) mit Ausnahme des in § 90 Abs. 2 SGB XII im Einzelnen aufgeführten Schonvermögens einzusetzen, soweit dies keine Härte bedeutet (§ 90 Abs. 3 SGB XII). Bei der Ermittlung des danach verwertbaren Vermögens kommt es, entsprechend dem Zweck der sozialhilferechtlichen Leistungen einer tatsächlichen Notlage abzuhelfen beziehungsweise einen tatsächlichen Bedarf abzudecken, auf die tatsächlich vorhandenen und tatsächlich verwertbaren Vermögenswerte an. Dabei ist grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, ob den Vermögenswerten Schulden oder Verpflichtungen des Hilfebedürftigen gegenüberstehen (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Februar 2013 ­ XII ZB 582/12 ­ FamRZ 2013, 620 Rn. 12 f. mwN).

[14] bb) Gemessen daran hat das Beschwerdegericht für die ersten elf Abrechnungsmonate auf der Grundlage eines Vermögens von jeweils rund 4.000 € ­ bei einem Schonvermögen von damals 2.600 € ­ zutreffend den Stundenansatz von viereinhalb Stunden für einen bemittelten Betroffenen zugrunde gelegt. Die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass bei der Ermittlung des einzusetzenden Vermögens eine Saldierung des Aktivvermögens mit Verbindlichkeiten grundsätzlich nicht stattfindet, steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats. Gründe dafür, dass hinsichtlich der festzusetzenden Betreuervergütung etwas anderes gelten sollte, vermag die Rechtsbeschwerde nicht aufzuzeigen.

[15] Die festzusetzende Betreuervergütung beeinträchtigt das vorhandene und tatsächlich verwertbare Vermögen des Betroffenen (noch) nicht. Sie ist zwar für den gesamten Abrechnungszeitraum bereits entstanden (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 ­ XII ZB 170/08 ­ FamRZ 2011, 368 Rn. 11 mwN), aber der Höhe nach noch nicht konkretisiert (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Februar 2013 ­ XII ZB 582/12 ­ FamRZ 2013, 620 Rn. 15 mwN). Vielmehr ist die Höhe dieser Vergütung Gegenstand des Festsetzungsverfahrens nach §§ 292 Abs. 1, 168 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 FamFG. Die Auffassung der Rechtsbeschwerde, zur Ermittlung der Höhe der Vergütung sei die festzusetzende Vergütung vorab fiktiv als Verbindlichkeit vom Vermögen des Betroffenen abzuziehen, erscheint danach zirkelschlüssig. Weder der Umstand, dass die Beteiligte zu 1 in der Vergangenheit Betreuungsleistungen bereits erbracht hat, noch der Gedanke der Begünstigung der Staatskasse (vgl. dazu BT­Drucks. 15/4874 S. 32; BVerfG FamRZ 2009, 1899 Rn. 11 mwN) vermögen ein solches Vorgehen zu rechtfertigen.

[16] c) Schließlich hat das Beschwerdegericht für den letzten Abrechnungsmonat zutreffend einen zu vergütenden Zeitaufwand von dreieinhalb Stunden für einen mittellosen Betreuten angesetzt.

[17] Die Rechtsbeschwerde stellt nicht in Frage, dass der Betreute zum Ende dieses Abrechnungsmonats über ein Vermögen von 2.700 € und ein Guthaben von rund 300 € auf dem Girokonto verfügte. Dass das Beschwerdegericht den Betroffenen als mittellos erachtet hat, beruht dabei entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht auf einer inkonsequenten Anwendung des § 1836 d BGB nur für den letzten Abrechnungsmonat, sondern folgt aus der zwischenzeitlichen Erhöhung des Schonvermögens auf 5.000 €.

[18] 3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose Klinkhammer Günter

Nedden-Boeger Krüger

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