BGH: Bindung im Feststellungsprozess an gerichtlichen Vergleich mit Einigung über Rechtsgrund der Forderung als vorsätzliche unerlaubte Handlung (hier: Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen)

10.09.2009

InsO § 175 Abs. 2, §§ 184, 302 Nr. 1; BGB §§ 779, 823; StGB § 266a

Bindung im Feststellungsprozess an gerichtlichen Vergleich mit Einigung über Rechtsgrund der Forderung als vorsätzliche unerlaubte Handlung (hier: Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen)

BGH, Urt. v. 25. 6. 2009 – IX ZR 154/08

Leitsatz des Gerichts:

Hat der Schuldner mit einem gerichtlichen Vergleich auch den Rechtsgrund der dadurch titulierten Forderung als vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung außer Streit gestellt, so steht für den Feststellungsprozess bindend fest, dass die Forderung auf einer entsprechenden Handlung beruht.

Tatbestand:

[1]  Die Klägerin hatte den Beklagten als früheren Geschäftsführer einer GmbH und Vorstandsmitglied einer AG wegen Beitragsvorenthaltung gem. § 266a StGB, § 823 Abs. 2 BGB in Anspruch genommen. In jenem gerichtlichen Verfahren schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich der Beklagte zur Zahlung von insgesamt 7.600 € verpflichtete. In dem am 21. Dezember 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten meldete die Klägerin diesen Betrag mit dem Zusatz „Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher Beitragsvorenthaltung“ an. Der Beklagte widersprach der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher Beitragsvorenthaltung in Höhe eines Teilbetrages von 5.600 €.

[2]  Die von der Klägerin erhobene Klage auf Beseitigung des Widerspruchs des Beklagten gegen die Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ist im ersten Rechtszug erfolglos geblieben. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG die Unbegründetheit des Teilwiderspruchs des Beklagten festgestellt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

[3]  Die Revision ist unbegründet.

ZIP Heft 35/2009, Seite 1688

[4]  I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Feststellungsklage sei nach § 256 Abs. 1 ZPO, § 184 InsO zulässig. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin sei gegeben. Es sei zu erwarten, dass der Beklagte nach Erteilung der Restschuldbefreiung Vollstreckungsabwehrklage gegen eine Vollstreckung der Klägerin aus dem gerichtlichen Vergleich erhebe. Der Feststellungsantrag erweise sich auch als begründet. Der Beklagte könne dem Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht mehr widersprechen, nachdem er im Vorprozess einen Vergleich mit der Klägerin geschlossen habe, in dem er sich zur Zahlung von 7.600 € verpflichtet habe. (Wird ausgeführt.)

[5]  II.  Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.

[6]  1. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage auf Feststellung eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung ist gegeben. Legt der Schuldner Widerspruch gegen die Anmeldung einer derartigen Forderung ein, kann der Insolvenzgläubiger Klage auf Feststellung dieses Rechtsgrundes erheben (BGH, Beschl. v. 18.12.2008 – IX ZR 124/08, ZIP 2009, 389 = ZInsO 2009, 389 f., Rz. 9 m.w.N.; Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 184 Rz. 98 f.).

[7]  2. Der in einem Anwaltsprozess auf Vorschlag des Gerichts geschlossene Prozessvergleich kann entgegen der Auffassung der Revision weitergehende Wirkungen haben als ein Vollstreckungsbescheid, in dem der Gläubiger einseitig angegeben hat, sein Anspruch beruhe auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Der Prozessvergleich ist ein Vollstreckungstitel gem. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Sein Inhalt ist im Wege einer Auslegung festzustellen. Eine Auslegung des Vergleichsinhaltes, die den behaupteten Schuldgrund einbezieht, rechtfertigt sich generell noch nicht allein aus dem Umstand, dass der geltend gemachte Anspruch nach richtiger rechtlicher Beurteilung nur aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung begründet sein kann, und der Beklagte sich zu Zahlungen verpflichtet. Ergibt jedoch die Auslegung des Vergleichs – wie hier –, dass die Parteien auch den Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung außer Streit stellen wollten, so reicht dies aus, um eine für das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten bindende Feststellung des Bestehens einer ausgenommenen Forderung i.S.d. § 302 Nr. 1 InsO zu treffen.

[8]  a) Gemäß § 302 Nr. 1 InsO in der hier anwendbaren Fassung des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 2001 vom 26. Oktober 2001 (BGBl I, 2710) steht einem Gläubiger eine von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderung nur zu, wenn er diese unter Angabe des Rechtsgrundes nach § 174 Abs. 2 InsO angemeldet hat und ein Widerspruch des Schuldners gegen diese Anmeldung, den dieser im Prüfungstermin entsprechend § 176 Satz 2 InsO einlegen kann, durch eine Feststellungsklage entsprechend § 256 Abs. 1 ZPO, § 184 Abs. 1 Satz 1 InsO beseitigt ist. Grundsätzlich zulässig ist auch der Widerspruch des Schuldners gegen eine bereits titulierte Forderung. Fehlt in dem Titel die Feststellung, dass die Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht, oder hat der Titel – wie dies jedenfalls beim Vollstreckungsbescheid der Fall ist, in dem der Gläubiger angegeben hat, die Forderung beruhe auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung – keine Bindungswirkung (BGH, Urt. v. 18.5.2006 – IX ZR 187/04, ZIP 2006, 1700 (LS) = ZVI 2006, 311 = ZInsO 2006, 704, 705, Rz. 12 f., dazu EWiR 2006, 539 (Ahrens)), so kommt eine ergänzende Feststellungsklage des Gläubigers in Betracht (für die parallel gelagerte Problematik des § 850f Abs. 2 ZPO vgl. BGHZ 152, 166, 171 f. = ZVI 2002, 420, dazu EWiR 2003, 91 (Hintzen); BGH, Beschl. v. 5.4.2005 – VII ZB 17/05, ZVI 2005, 253 = NJW 2005, 1663).

[9]  b) Nach diesen Grundsätzen konnte das Berufungsgericht vorliegend von der Bindungswirkung des im Vorprozess abgeschlossenen Vergleichs ausgehen. Entgegen der Auffassung der Revision durfte es der Frage, ob der Beklagte für die Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile persönlich aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung in Anspruch genommen werden konnte, nicht erneut nachgehen.

[10]  aa) Zwar entfaltet der Vollstreckungsbescheid, in dem als Rechtsgrund der Tatbestand der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung angegeben ist, keine Bindungswirkung, weil die Feststellung des Rechtsgrundes nicht auf einer gerichtlichen Schlüssigkeitsprüfung beruht, sondern allein auf der Angabe des Gläubigers (BGH ZIP 2006, 1700 (LS) = ZVI 2006, 311 = ZInsO 2006, 704, 705, Rz. 12 f.; BGH ZVI 2005, 253 = NJW 2005, 1663 für den Fall des § 850f Abs. 2 ZPO). Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Das Berufungsgericht hat den im Vorprozess zwischen den Parteien geschlossenen Vergleich tatrichterlich dahin ausgelegt, die Parteien hätten sich „verständigt ..., dass die Forderung, zu deren Erfüllung sich der Beklagte schließlich im Vergleichswege bereit fand, insgesamt eine solche aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen war“. Ob dem Vergleich eine richterliche Schlüssigkeitsprüfung vorausgegangen war, ist unerheblich. Sie wird durch die Einigung der Parteien ersetzt, die sich auch über die Rechtsnatur des Anspruchs verhielt und diese dem Streit der Parteien entzog. Gleichfalls unerheblich ist, ob der Beklagte vor Vergleichsschluss seitens seines Anwalts darüber aufgeklärt worden war, er sei im Begriffe, einen auf einer unerlaubten Handlung beruhenden Anspruch anzuerkennen, was die weitreichenden Folgen des § 302 Nr. 1 InsO nach sich ziehen könne. Ein etwaiges Belehrungsdefizit kann der Beklagte der Klägerin nicht entgegenhalten, sondern allenfalls einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Anwalt rechtfertigen. Dieser Fall ist ebenso zu beurteilen wie die Abgabe einer Erklärung des Schuldners, nach der er einer gem. § 850f Abs. 2 ZPO privilegierten Vollstreckung des Gläubigers zustimmt (BGHZ 152, 166, 171 f. = ZVI 2002, 420). Anders als beim Vollstreckungsbescheid liegt der Titulierung nicht bloß eine einseitige Angabe des Gläubigers zugrunde.

[11]  bb) Die Angriffe der Revision gegen die tatrichterliche Auslegung verfangen nicht. Das Berufungsgericht hat den Grundsatz, wonach die Auslegung den beiderseitigen Interessen gerecht zu werden habe, im Blick gehabt. Es hat außerdem ausgeführt, dass der Beklagte, falls er daran hätte festhalten wollen, keine vorsätzliche unerlaubte Handlung begangen zu haben, dies im Wortlaut des Vergleichs hätte zum Ausdruck bringen können. Er hätte sich beispielsweise „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ zur Zahlung bereit erklären können. Damit hat das Berufungsgericht die von der Revision angeführte Möglichkeit, dass der „Vergleich ... als Versuch erschien, Restschuldbefreiung beantragen zu können“, ausdrücklich erwogen.

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