BGH: Geltung der Sitztheorie für Gesellschaften aus EU-Drittstaaten

29.12.2009

EG Art. 43; GmbHG § 13 Abs. 2, § 11 Abs. 2; HGB § 128

Geltung der Sitztheorie für Gesellschaften aus EU-Drittstaaten

BGH, Beschl. v. 8. 10. 2009 – IX ZR 227/06 (OLG Düsseldorf)

Leitsatz der Redaktion:

Der BGH hat die Sitztheorie nur für die Bereiche aufgegeben, in denen nach ausländischem Recht gegründete Kapitalgesellschaften im Inland Niederlassungsfreiheit genießen.

Gründe:

[1]  I. Das Berufungsgericht hat das klagabweisende Teilurteil des LG gegen den Beklagten zu 2) bestätigt, ohne sich mit dem Klagegrund der mittelbaren Gesellschafterhaftung und Handelndenhaftung für Verbindlichkeiten der erstinstanzlich drittbeklagten D. Ltd., Singapur, und dem diesbezüglichen Sachvortrag auseinanderzusetzen. Die genannte Gesellschaft hat den Kläger mit ihrer anwaltlichen Vertretung beauftragt, deren Vergütung Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Das Berufungsgericht erwähnt die nach seiner Ansicht beschränkte Haftung der erstinstanzlich drittbeklagten Gesellschaft nur beiläufig im Zusammenhang mit einer möglichen Rechtsscheinhaftung des Beklagten zu 2).

[2]  II. Die Revision ist zuzulassen und begründet, weil das angegriffene Urteil in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das angefochtene Urteil ist daher nach § 544 Abs. 7 ZPO durch Beschluss aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Hierbei macht der Senat im Hinblick auf das bisherige Berufungsverfahren von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.

[3]  Wegen der Einzelheiten des übergangenen Sachvortrages und seine Entscheidungserheblichkeit wird im Allgemeinen auf die zutreffenden Ausführungen der Beschwerdeschrift Bezug genommen. Ergänzend ist zu bemerken:

ZIP 50/2009, 2386

[4]  Die Sitztheorie (vgl. BGHZ 53, 181, 183; BGHZ 78, 318, 334 = ZIP 1981, 31 (m. Bespr. Hanisch, S. 569); BGHZ 178, 192, 196 ff. = ZIP 2008, 2411 (m. Bespr. Gottschalk, ZIP 2009, 948), Rz. 19 bis 22 – Trabrennbahn, dazu EWiR 2009, 355 (Tepfer)) hat der BGH nur für die Bereiche aufgegeben, in denen nach ausländischem Recht gegründete Kapitalgesellschaften im Inland Niederlassungsfreiheit genießen (BGHZ 153, 353, 355 ff. = ZIP 2003, 720, dazu EWiR 2003, 661 (Mankowski): deutsch-amerikanischer Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag v. 29.10.1954; BGHZ 154, 185, 188 ff. = ZIP 2003, 718 (m. Bespr. Leible/Hoffmann, S. 925), dazu EWiR 2003, 571 (Paefgen): Art. 43, 48 EG; BGHZ 164, 148, 151 ff. = ZIP 2005, 1869: Art. 31 EWR). Niederlassungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland genoss die in Singapur gegründete Drittbeklagte erster Instanz, die Auftraggeberin des Klägers, nicht. Sie mag zwar der Rechtsform nach einer britischen Ltd. gleichstehen. Völkerrechtlich bestehen jedoch im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Singapur nur für den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung (vgl. Art. 3 und 4 Abs. 3 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Singapur über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen v. 3.10.1973, BGBl II 1975, 49). Die im internationalen Gesellschaftsrecht zur uneingeschränkten Anwendung des Gründungsstatuts unerlässliche Niederlassungsfreiheit (vgl. BGHZ 153, 353, 357 a.E. = ZIP 2003, 720) ist vertraglich zwischen diesen Völkerrechtssubjekten nicht eingeräumt.

[5]  Die Haftungsbeschränkung der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen nach § 13 Abs. 2 GmbHG tritt infolgedessen ohne die Eintragung der im Ausland gegründeten Gesellschaft mit deutschem Sitz in das Handelsregister gem. § 11 Abs. 1 GmbHG nicht ein. Die für die Gesellschaft Handelnden haften persönlich nach § 11 Abs. 2 GmbHG. Die Gesellschafterhaftung entsprechend § 128 HGB würde hier zunächst die Société Civile Particulière, gegründet in Papeete/Tahiti, treffen, deren Gesellschafter der Beklagte zu 2) ist. Insoweit kommt mittelbar seine persönliche Gesellschafterhaftung gem. Art. 1857 bis 1859 CC in Betracht (vgl. Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl., Bd. 2, Rz. 2 L 315).

[6]  So gesehen war das vom Berufungsgericht übergangene Vorbringen des Klägers in den Tatsacheninstanzen zu einem angeblichen Sitz der Drittbeklagten erster Instanz in der Bundesrepublik Deutschland und zum Handeln des Beklagten zu 2) für diese Gesellschaft entscheidungserheblich. Die ggf. notwendigen Feststellungen zum französischen Gesellschaftsrecht wird das Berufungsgericht im zweiten Durchgang gem. § 293 ZPO nachzuholen haben.

[7]  III.  Zu Unrecht beanstandet die Beschwerde, dass die Revision auch wegen unterbliebener Beweisaufnahme zuzulassen sei, die im Prozessrecht keine Stütze mehr finde. (Wird ausgeführt.)

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell