BGH: Haftung des Geschäftsführers bei Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung nach Insolvenzreife

05.08.2009

GmbHG § 64 Satz 1, 2

Haftung des Geschäftsführers bei Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung nach Insolvenzreife

BGH, Urt. v. 8. 6. 2009 – II ZR 147/08

Leitsatz des Gerichts:

Die Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung durch den Geschäftsführer ist nach der Insolvenzreife der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht vereinbar und führt zur Erstattungspflicht nach § 64 Satz 1 und 2 GmbHG.

Tatbestand:

[1]  Der Kläger ist Insolvenzverwalter der H. Bedachungen GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), über deren Vermögen am 30. November 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Beklagte war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Schuldnerin, die seit Ende 2003 durchgehend überschuldet war. Zwischen Juni und August 2005 veräußerte der Beklagte Gegenstände aus dem Anlage- und Umlaufvermögen der Schuldnerin für insgesamt 34.872,96 €. Aus den Verkaufserlösen zahlte er 27.935,87 € an verschiedene Gläubiger, davon 16.819,82 € an Sozialversicherungsträger. Der Kläger hat behauptet, auch mit dem restlichen Verkaufserlös von 6.937,09 € habe der Beklagte Gläubiger der Schuldnerin befriedigt.

[2]  Mit der Klage hat der Kläger u.a. Erstattung der Zahlungen i.H. v. 34.782,96 € verlangt. Das LG hat ihm davon 27.935,87 € zugesprochen. Das OLG hat den Beklagten unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers insoweit noch zur Zahlung von 11.116,05 € verurteilt. Gegen die Teilabweisung richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der er den abgewiesenen Anspruch (23.756,91 €) weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe:

[3]  Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit zum Nachteil des Klägers entschieden ist. Der Beklagte ist zur Zahlung von weiteren 6.937,09 € zu verurteilen; hinsichtlich weiterer 16.819,82 € ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

[4]  I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen (16.819,82 €) sei mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, jedenfalls bestehe dafür eine tatsächliche Vermutung. Hinsichtlich der weiter verlangten 6.937,09 € sei dem Klagevorbringen nicht zu entnehmen, auf welche vom Beklagten veranlassten Zahlungen der Anspruch gestützt sein solle.

[5]  II. Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

[6]  1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Zahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung, auch der Arbeitgeberbeiträge, nach Insolvenzreife sei mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, ist von Rechtsirrtum geprägt. Der Geschäftsführer einer GmbH ist nach § 64 Abs. 2 Satz 1 und 2 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 1 und 2 GmbHG n.F.) zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft geleistet werden, wenn die Zahlungen nicht auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Die Zahlung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung nach Insolvenzreife ist im Gegensatz zur Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht vereinbar. § 266a Abs. 1 StGB stellt nur das Vorenthalten der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, nicht auch der Arbeitgeberbeiträge unter Strafe. Zahlungen der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sind mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, weil einem Geschäftsführer mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden kann, fällige Leistungen an die Sozialkasse nicht zu erbringen, wenn er dadurch Gefahr liefe, strafrechtlich verfolgt zu werden (Senatsurt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781), Rz. 12, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); Senatsurt. v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229, Rz. 13, dazu EWiR 2008, 557 (Schulz/Schröder); Senatsurt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275, Rz. 6, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); Senatsurt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220, Rz. 10, dazu EWiR 2009, 201 (Wilkens)).

[7]  Rechtsirrig ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, für die Vereinbarkeit der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns spreche eine tatsächliche Vermutung. Schon weil nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 2 GmbHG n.F.) vermutet wird, dass der Geschäftsführer Zahlungen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geleistet hat (Senat ZIP 2007, 1265, Rz. 15; Senatsbeschl. v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501, Rz. 4; Senat ZIP 2008, 1229, Rz. 8), ist kein Raum für eine gegenteilige tatsächliche Vermutung. Auch für eine Vermutung, dass Zahlungen an Sozialversicherungsträger auf Arbeitnehmerbeiträge geleistet werden, besteht keine Grundlage. § 4 der Verordnung über die Berechnung, Zahlung, Weiterleitung, Abrechnung und Prüfung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages – Beitragsverfahrensverordnung (BVV) – trifft eine Bestimmung über die Reihenfolge der Tilgung bei Teilzahlungen des Gesamtsozialversicherungsbeitrages. Arbeitnehmeranteile werden nur dann vorrangig getilgt, wenn der Arbeitgeber eine Tilgungsbestimmung trifft. Eine konkludente Tilgungsbestimmung setzt voraus, dass sie greifbar in Erscheinung getreten ist (BGH, Urt. v. 26.6.2001 – VI ZR 111/00, ZIP 2001, 1474, dazu EWiR 2001, 1003 (Peters-Lange)), und kann nicht vermutet werden.

[8]  2. Von Rechtsfehlern beeinflusst ist auch die Abweisung der Klage i.H. v. 6.937,09 €. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Substanziierung des Vortrags des Klägers überspannt, weil es Angaben verlangt hat, auf welche konkreten Zahlungen der Anspruch i.H. v. 6.937,09 € gestützt sein soll. Der Insolvenzverwalter muss nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 1 GmbHG n.F.) nur darlegen und ggf. beweisen, dass ein Geschäftsführer Zahlungen nach Insolvenzreife veranlasst hat (Senatsurt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956, Rz. 14). Diese Anforderungen hat der Kläger erfüllt. Der Kläger hat vorgetragen, dass der Beklagte nach Feststellung der Überschuldung als Geschäftsführer der Schuldnerin aus den Verkaufserlösen für das Anlage- und Umlaufvermögen 6.937,09 € an Gläubiger gezahlt hat. Da der Beklagte nicht bestritten hat, dass er mit diesem Teil des Erlöses aus dem Verkauf des Anlage- und Umlaufvermögens Zahlun-ZIP Heft 31/2009, Seite 1469gen an Gläubiger geleistet hat, musste der Kläger weder nähere Einzelheiten vortragen noch einzelne Zahlungen nachweisen.

[9]  III. Das Berufungsurteil ist aufzuheben (§ 563 Abs. 1 ZPO).

[10]  1. Soweit Zahlungen an Sozialversicherungsträger betroffen sind (16.819,82 €), ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Insoweit ist die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif. Der Beklagte hat behauptet, sämtliche Zahlungen an den Sozialversicherungsträger seien Zahlungen auf die Arbeitnehmerbeiträge gewesen. Das Berufungsgericht hat dazu – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen getroffen.

[11]  2. Dagegen kann der Senat hinsichtlich des Anspruchs i.H. v. 6.937,09 € in der Sache selbst entscheiden, weil die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[12]  Der Beklagte leistete die Zahlungen an Gläubiger nach Insolvenzreife. Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt des Verkaufs des Anlage- und Umlaufvermögens, mit dessen Erlös der Beklagte die Zahlungen geleistet hat, bereits seit langem überschuldet war, ist in der Revisionsinstanz nicht mehr angegriffen und der Entscheidung zugrunde zu legen.

[13]  Den Beklagten trifft ein Verschulden. Es entlastet ihn nicht, dass er mit dem Verkaufserlös laufende Verbindlichkeiten der Gesellschaft getilgt hat. Nach Insolvenzreife ist dem Geschäftsführer die Tilgung fälliger Verbindlichkeiten grundsätzlich verboten (§ 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. = § 64 Satz 1 GmbHG n.F.), um Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern. Nur ausnahmsweise ist eine die Masse schmälernde Zahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar (§ 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. = § 64 Satz 2 GmbHG n.F.). Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen einer Ausnahme ist der Geschäftsführer (Senat ZIP 2007, 1265, Rz. 15; Senat ZIP 2007, 1501, Rz. 4; Senat ZIP 2008, 1229, Rz. 8). Dass die Zahlungen der Abwendung von größeren Nachteilen für die Masse dienten oder der Beklagte strafbewehrte bzw. steuerliche Verbindlichkeiten tilgte, ist nicht behauptet.

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