BGH: Haftung des Kommanditisten trotz gutgläubiger Gewinnentnahmen nach Absinken seines Kapitalanteils unter Einlagebetrag

30.06.2009

HGB § 172 Abs. 4, 5
Haftung des Kommanditisten trotz gutgläubiger Gewinnentnahmen nach Absinken seines Kapitalanteils unter Einlagebetrag
BGH, Urt. v. 20. 4. 2009 – II ZR 88/08
Leitsätze des Gerichts:

1. Gewinn i.S.d. § 172 Abs. 5 HGB ist allein der aufgrund eines Jahresabschlusses und eines Gewinnverwendungsbeschlusses ausgeschüttete Gewinn. Nicht darunter fallen Gewinnvoraus- oder -garantiezahlungen.

2. Ob der Kapitalanteil eines Kommanditisten unter den Betrag der geleisteten Einlage herabgemindert ist oder durch eine Gewinnentnahme herabgemindert wird i.S.d. § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB, beurteilt sich allein nach dem Inhalt der Bilanz und nicht nach dem guten Glauben des Gesellschafters.

3. § 172 Abs. 5 HGB setzt eine unrichtige Bilanz voraus.
Tatbestand:

[1]  Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Rückzahlung eines Teils des Darlehens, das sie der B. GmbH & Co. KG gewährt hat. Der Beklagte ist mit einer eingezahlten Einlage i.H. v. 51.129,19 € Kommanditist der B. Auf seinem Kapitalkonto wurden im Jahre 1996 ein Verlustanteil i.H. v. 45.651 € und im Jahre 1997 ein solcher i.H. v. 3.145,58 € gebucht. Er erhielt in den Jahren 1997 bis 2003 Ausschüttungen i.H. v. 16.361,34 €. In Höhe dieses Betrages kündigte die Klägerin das Darlehen und macht den Darlehensrückzahlungsanspruch gegen den Beklagten geltend.

[2]  Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG (ZIP 2008, 2267) die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe:

[3]  I. Die Revision ist begründet und führt zur Verurteilung des Beklagten gemäß dem Klageantrag.

[4]  1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Zwar sei der Beklagte an sich zur Zahlung der Klageforderung nach § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB verpflichtet, weil an ihn Gewinnanteile ausgezahlt worden seien, obwohl sein Kapitalanteil durch die Verlustzuweisungen unter den Betrag der Einlage herabgemindert gewesen sei. Diese Haftung sei aber durch § 172 Abs. 5 HGB ausgeschlossen. (Wird ausgeführt.)

[5]  II. Dagegen wehrt sich die Revision mit Erfolg.

[6]  Die Klägerin hat gegen den Beklagten gem. § 488 Abs. 1 Satz 2, § 490 Abs. 1 BGB, §§ 128, 161 Abs. 2, § 171 Abs. 1 Halbs. 1 HGB einen Anspruch auf Erfüllung des fällig gestellten Teils des an die B. begebenen Darlehens. Die persönliche Haftung des Beklagten war zwar durch die Zahlung eines Be-ZIP Heft 25/2009, Seite 1223trages in Höhe seiner im Handelsregister eingetragenen Hafteinlage gem. § 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB ausgeschlossen. Sie ist aber infolge der an ihn geleisteten Ausschüttungen in Höhe der Klageforderung nach § 172 Abs. 4 HGB wieder aufgelebt. Dem steht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Regelung des § 172 Abs. 5 HGB nicht entgegen.

[7]  1. Das Berufungsgericht hat schon verkannt, dass § 172 Abs. 5 HGB nur anwendbar ist auf die Ausschüttung von Gewinn gemäß dem Jahresabschluss und dem Gewinnverwendungsbeschluss, nicht dagegen auf Gewinnvoraus- oder -garantiezahlungen (MünchKomm-K. Schmidt, HGB, 2. Aufl., §§ 171, 172 Rz. 84). Deshalb hat es – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – nicht erörtert, ob die – halbjährlichen – Ausschüttungen an den Beklagten Gewinn in diesem Sinne zum Gegenstand hatten oder ob es sich dabei um „konzeptbedingte“ Garantiezahlungen gehandelt hat, wie hier anzunehmen ist (s.u. 2a).

[8]  2. Jedenfalls hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, § 172 Abs. 4 HGB sei nicht anwendbar, wenn an einen gutgläubigen Kommanditisten Gewinn ausgezahlt werde.

[9]  a) Grundsätzlich lebt die persönliche Haftung des Kommanditisten aus §§ 128, 171 Abs. 1 HGB, die durch Zahlungen an die Gesellschaft in Höhe der im Handelsregister eingetragenen Haftsumme ausgeschlossen ist, gem. § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB wieder auf, wenn und soweit der Kommanditist von der Gesellschaft Zahlungen zurückerhält. Das gilt nach § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB auch dann, wenn der Kommanditist Gewinnanteile entnimmt, während sein Kapitalkonto durch Verlust unter den Betrag der geleisteten Hafteinlage herabgemindert ist oder wird. Dabei reicht es aus, dass der Verlust – wie hier – durch steuerliche Sonderabschreibungen entstanden ist (BGHZ 109, 334, 337 ff. = ZIP 1990, 307, dazu EWiR 1990, 169 (Crezelius)).

[10]  Die Ausschüttungen an den Beklagten erfüllen diese Voraussetzungen für ein Wiederaufleben der Haftung. In den von der Klägerin vorgelegten Bilanzen der B. war jeweils kein Gewinn, wohl aber ein Verlustvortrag – i.H. v. 7.559.955,15 DM im Jahre 1997 bis zu 3.310.887,50 € im Jahre 2003 – ausgewiesen. Die für die Jahre 1999 bis 2003 erzielten Jahresüberschüsse i.H. v. 73.271,81 DM, 137.710,61 DM, 124.305,17 DM, 361.247,93 € und 66.165,97 € konnten angesichts der hohen Verlustvorträge nichts daran ändern, dass keine Gewinne entstanden waren. Das ergibt sich auch aus § 12 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages der B. Darin heißt es, „Gewinne“ – d.h. anteilige Jahresüberschüsse – seien den Verlustvortragskonten der Kommanditisten so lange gutzuschreiben, bis diese ausgeglichen seien. Folgerichtig hat die B. in ihren Gewinn- und Verlustrechnungen für 1999 bis 2003 nach dem Ausweis der Jahresüberschüsse die Verlustvorträge aus dem jeweiligen Vorjahr aufgeführt, daraus den Stand des – für alle Kommanditisten zusammengefassten – Verlustvortragskontos errechnet und diesen Betrag in die Bilanz übernommen.

[11]  b) Aus § 172 Abs. 5 HGB ergibt sich nichts anderes. Die Vorschrift enthält eine Ausnahme von der Regel des § 172 Abs. 4 HGB nur unter der Voraussetzung, dass die Bilanz einen Gewinn ausweist, obwohl – bei richtiger Bilanzierung – kein Gewinn entstanden ist und sowohl der Kommanditist als auch die Personen, die die Bilanz errichtet haben, gutgläubig von der Richtigkeit der Bilanz ausgehen.

[12]  Hier scheitert die Anwendbarkeit des § 172 Abs. 5 HGB schon daran, dass in den Bilanzen ein Gewinn nicht ausgewiesen worden ist. Nur wenn die Bilanzen – nach Verrechnung mit den jeweiligen Verlustvorträgen – Gewinne ausgewiesen hätten, hätte Anlass bestehen können, ein etwaiges Vertrauen des Beklagten in die Richtigkeit des Zahlenwerks zu schützen.

[13]  3. Daraus folgt zugleich, dass § 172 Abs. 5 HGB entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine unrichtige Bilanz voraussetzt. Davon geht auch das Schrifttum ganz überwiegend als selbstverständlich aus (v. Gerkan/Haas, in: Röhricht/v. Westphalen, HGB, 3. Aufl., § 172 Rz. 41; Schilling, in: Großkomm. z. HGB, 4. Aufl., § 172 Rz. 16; MünchKomm-K. Schmidt, a.a.O., §§ 171, 172 Rz. 87 f.; Strohn, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 172 Rz. 52 f.; Heymann/Horn, HGB, 2. Aufl., § 172 Rz. 22 f.; Ensthaler/Fahse, HGB, 7. Aufl., § 172 Rz. 18 f.; a.A. wohl – soweit ersichtlich allein und ohne nähere Begründung – Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl., § 172 Rz. 10). Ist die Bilanz dagegen – wie hier – zutreffend errichtet worden, kommt es für die Haftung des Kommanditisten nach § 172 Abs. 4 HGB allein auf den Inhalt der Bilanz an.

[14]  4. Der Beklagte ist auch nicht deshalb von der Haftung befreit, weil er nach Meinung des Berufungsgerichts die Rechtslage unzutreffend beurteilt hat und deshalb der Annahme war, die Jahresüberschüsse dürften an ihn ohne Haftungsfolgen ausgeschüttet werden. Insoweit gilt der allgemeine Grundsatz, dass jeder, der am Rechtsverkehr teilnimmt, die dabei geltenden Regeln zu beachten hat und sich nicht darauf berufen kann, diese Regeln nicht zu kennen. Für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung ist schließlich, ob der Beklagte über seine Haftung in dem Emissionsprospekt der B. zutreffend aufgeklärt worden ist. Denn die Klägerin muss sich etwaige Aufklärungsmängel – anders als die Revisionserwiderung meint – nicht entgegenhalten lassen.

[15]  5. Da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind, kann der Senat in der Sache entscheiden und die Klage zusprechen.

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