BGH: Keine Anrechnung der Verfahrensgebühr auf die Geschäftsgebühr bei der Kostenfestsetzung

20.10.2009

RVG § 15a; RVG VV Vorb. 3 Abs. 4; ZPO § 91

Keine Anrechnung der Verfahrensgebühr auf die Geschäftsgebühr bei der Kostenfestsetzung

BGH, Beschl. v. 2. 9. 2009 – II ZB 35/07

Leitsatz des Gerichts:

Der Gesetzgeber hat durch die Einfügung von § 15a Abs. 1 RVG (Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften, BGBl I 2009, 2449) die bereits unter Geltung des § 118 BRAGO und nachfolgend unter Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG bestehende Gesetzeslage klargestellt. Die Anrechnungsvorschrift wirkt sich danach grundsätzlich im Verhältnis zu Dritten, damit insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aus. Im Kostenfestsetzungsverfahren musste und muss eine Verfahrensgebühr, von den in § 15a Abs. 2 RVG geregelten Ausnahmen abgesehen, stets auch dann in der geltend gemachten Höhe festgesetzt werden, wenn für den Bevollmächtigten des Erstattungsberechtigten eine Geschäftsgebühr entstanden ist.

Gründe:

[1]  I. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. August 2007 hat die Rechtspflegerin des LG die von den (vollumfänglich) unterlegenen Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf 3.073,84 € festgesetzt. In diesem Betrag ist u.a. die von der Klägerin für ihren Be-ZIP Heft 40/2009, Seite 1928vollmächtigten geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV RVG in voller Höhe berücksichtigt. Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Begründung, wegen der vorgerichtlichen Tätigkeit des Bevollmächtigten der Klägerin und der dadurch entstandenen 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG sei im Hinblick auf die Anrechnungsregelung in Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG die Verfahrensgebühr nur i.H. v. 0,55 entstanden und nur in dieser Höhe festsetzbar.

[2]  Das OLG hat die sofortige Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

[3]  II. Die statthafte und frist- und formgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Beklagten (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, § 575 ZPO) hat in der Sache keinen Erfolg. Die Rechtspflegerin hat zu Recht die von den Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf insgesamt 3.073,84 € festgesetzt und dabei die Verfahrensgebühr des Bevollmächtigten der Klägerin in der geltend gemachten Höhe von 1,3 Gebühren trotz der unstreitig entfalteten außergerichtlichen Tätigkeit des Bevollmächtigten berücksichtigt.

[4]  1. Die Beklagten stützen – vor allem im Rechtsbeschwerdeverfahren – ihre Ansicht auf die neuere Rechtsprechung einiger Senate des BGH. Der VIII. Zivilsenat des BGH hat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung mit Beschluss vom 22. Januar 2008 (VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323, dazu EWiR 2008, 477 (Tomson)) – abweichend von der bis dahin feststehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Beschl. v. 20.10.2005 – I ZB 21/05, NJW-RR 2006, 501; BGH, Beschl. v. 27.4.2006 – VII ZB 116/05, NJW 2006, 2560 und BGH, Beschl. v. 30.1.2007 – X ZB 7/06, NJW 2007, 3289) und ohne sich mit ihr auseinanderzusetzen – entschieden, dass in einem Fall wie dem vorliegenden die Verfahrensgebühr nur i.H. v. 0,55 festgesetzt werden könne, da sie im Hinblick auf die vorgerichtliche Tätigkeit des Bevollmächtigten und die Anrechnungsregelung in Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG überhaupt nur in dieser Höhe „entstehe“. Dem haben sich mehrere Senate des BGH ohne eigene Begründung angeschlossen.

[5]  Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum ganz überwiegend und z.T. auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung auf – teilweise heftige – Kritik gestoßen (s. nur Schons, AnwBl 2008, 356; Hansen, RVG-Report 2008, 121; Junglas, NJOZ 2008, 2707; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., VV 3100 Rz. 217; Bericht der Gebührenreferenten der RAK, RVG-Report 2008, 210; KG JurBüro 2008, 304; KG AnwBl 2009, 236). Selbst der Petitionsausschuss des Bundestages hat den Gesetzgeber aufgefordert, tätig zu werden.

[6]  2. Den erkennenden Senat überzeugt die Ansicht des VIII. Zivilsenats nicht. Ohne die gegen diese Lösung des Anrechnungsproblems anzuführenden systematischen, teleologischen und sprachlichen Argumente im Einzelnen darzustellen, vermag der Senat ihr nicht zuletzt im Hinblick auf die teilweise zu Recht als katastrophal bezeichneten Folgen, aber auch, weil er sie aus den gesetzlichen Bestimmungen nicht abzuleiten vermag, nicht zu folgen.

[7]  Statt im Hinblick auf seine abweichende Meinung den Großen Senat für Zivilsachen anzurufen, hat der Senat die Bearbeitung des vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahrens zurückgestellt, nachdem der Gesetzgeber die vom VIII. Zivilsenat begründete Rechtsprechung zum Anlass für eine klarstellende Änderung des RVG genommen hat. Das Gesetzgebungsverfahren hat am 4. August 2009 durch Verkündung des § 15a RVG (Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften) im Bundesgesetzblatt (BGBl I, 2449) sein Ende gefunden. § 15a RVG ist gem. Art. 10 Satz 2 dieses Gesetzes am Tag nach der Verkündung (5.8.2009) in Kraft getreten.

[8]  Mit dem neu eingefügten § 15a RVG hat der Gesetzgeber das RVG nicht geändert, sondern lediglich die seiner Ansicht nach bereits vor Einfügung von § 15a RVG bestehende Gesetzeslage in dem Sinne, wie auch der erkennende Senat sie verstanden hat, klargestellt (Hervorhebung des Gerichts), derzufolge sich die Anrechnung gem. Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG grundsätzlich im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht auswirkt. Die Anrechnungsvorschrift betrifft vielmehr grundsätzlich nur das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant. In der Kostenfestsetzung musste und muss daher eine Verfahrensgebühr auch dann in voller Höhe festgesetzt werden, wenn für den Bevollmächtigten eine Geschäftsgebühr entstanden ist. Sichergestellt wird durch § 15a Abs. 2 RVG lediglich, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz und Erstattung in Anspruch genommen werden kann, den der Anwalt von seinem Mandanten verlangen kann (s. hierzu BT-Drucks. 16/12717, S. 2 und S. 67 f.; Pressemitteilung des BMJ v. 5.4.2009; ebenso OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.8.2009 – 8 W 339/09, juris, Rz. 10; OLG Dresden, Beschl. v. 13.8.2009 – 3 W 793/09, n.v.; OVG Münster, Beschl. v. 11.8.2009 – 4 E 1609/09, juris, Rz. 9 ff.; Kallenbach, AnwBl 2009, 442; Schons, AGS 2009, 216, 217; Hansens, RVG-Report 2009, 241, 246; Hansens, AnwBl 2009, 535).

[9]  3. Da – unstreitig – keiner der Anwendungsfälle des § 15a Abs. 2 RVG vorliegt, hat die Rechtspflegerin die Verfahrensgebühr mit Recht in voller Höhe festgesetzt.

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell