BGH: Keine Zugehörigkeit der Zahlungen auf ein Insolvenzverwalter-Anderkonto zum Schuldnervermögen oder zur Masse

06.04.2009

InsO §§ 35, 55

Keine Zugehörigkeit der Zahlungen auf ein Insolvenzverwalter-Anderkonto zum Schuldnervermögen oder zur Masse

BGH, Urt. v. 18. 12. 2008 – IX ZR 192/07

Leitsatz des Gerichts:

Zahlungen, die auf einem von einem Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter oder Treuhänder eingerichteten Anderkonto eingehen, fallen weder in das Schuldnervermögen noch in die Masse, sondern stehen ausschließlich dem Anwalt zu.

Tatbestand:

[1]

 Die Beklagte, eine Rechtsanwältin, ist Treuhänderin im vereinfachten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Für die Abwicklung des Insolvenzverfahrens richtete die Beklagte bei einem Kreditinstitut ein Anderkonto ein, dessen Inhaberin sie ist. Sie unterrichtete mit Schreiben vom 10. März 2006 die Klägerin, eine Landesbank, über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und forderte diese auf, die Konten des Schuldners aufzulösen und ein etwaiges Guthaben auf das angeführte Anderkonto zu übertragen. Hierauf überwies die Klägerin am 4. April 2006 infolge einer Verwechslung mit einem anderen Kunden gleichen Namens 3.692,20 € auf das Anderkonto der Beklagten. Nachdem die Klägerin ihr Versehen erkannt hatte, forderte sie die Beklagte auf, den irrtümlich überwiesenen Betrag zurückzuzahlen. Die Beklagte lehnte dies ab und verwies die Klägerin auf die Insolvenzmasse. Am 10. April 2006 zeigte die Beklagte gegenüber dem Insolvenzgericht Masseunzulänglichkeit an.

[2]

 Die Klägerin macht geltend, die Beklagte sei als Inhaberin des Anderkontos zur Rückzahlung verpflichtet. Das AG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

[3]

 Das Rechtsmittel hat Erfolg.

[4]

 I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der bereicherungsrechtliche Rückforderungsanspruch stehe der Klägerin nicht gegenüber der Beklagten, sondern nur gegenüber der Insolvenzmasse zu, wobei die Einschränkungen der § 55 Abs. 1 Nr. 3, § 209 InsO berücksichtigt werden müssten. (Wird ausgeführt.)

[6]

 II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

[7]

 1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte Vollrechtsinhaberin des von ihr eingerichteten Anderkontos geworden ist. Anderkonten sind offene Vollrechtstreuhandkonten, aus denen ausschließlich der das Konto eröffnende Rechtsanwalt persönlich der Bank gegenüber berechtigt und verpflichtet ist (vgl. BGHZ 11, 37, 43; BGH, Urt. v. 15.12.1994 – IX ZR 252/93, ZIP 1995, 225, dazu EWiR 1995, 465 (Uhlenbruck); MünchKomm-Ganter, InsO, 2. Aufl., § 47 Rz. 395; MünchKomm-Füchsl/Weishäupl, InsO, § 149 Rz. 14; Lwowski, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl., § 38 Rz. 2). Dass die Beklagte die Eröffnung des Anderkontos als „Treuhänderin im vereinfachten Insolvenzverfahren“ beantragt hat, ist unerheblich. Die Rechtsprechung, wonach für die Forderungsberechtigung gegenüber der Bank maßgeblich ist, wer nach dem erkennbaren Willen des die Kontoeröffnung beantragenden Kunden Gläubiger der Bank werden soll, ist im Hinblick auf die rechtliche Ausgestaltung eines anwaltlichen Anderkontos hierauf nicht übertragbar.

[8]

 2. Nicht gefolgt werden kann der Ansicht des Berufungsgerichts, dass auf das Treuhandkonto eingehende Gelder, wie die hier streitgegenständliche Zahlung der Klägerin, zur Insolvenzmasse i.S.d. § 35 InsO gehören.

[9]

 Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Die während des Insolvenzverfahrens auf das Anderkonto der Beklagten eingegangene Zahlung hat der Schuldner nicht erworben.

[10]

 In der höchstrichterlichen Rechtsprechung und im Schrifttum ist anerkannt, dass Zahlungen, die auf ein von einem Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter oder Treuhänder eingerichtetes Anderkonto eingehen, nicht in das Schuldnervermögen fallen. Dass die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 10. März 2006 Schuldnervermögen habe vereinnahmen wollen, wie das Berufungsgericht meint, rechtfertigt keine andere Beurteilung (vgl. BGH ZIP 1995, 225; BGH, Urt. v. 20.9.2007 – IX ZR 91/06, ZIP 2007, 2279, 2280 = ZVI 2008, 69, Rz. 10, dazu EWiR 2008, 213 (Mitlehner); MünchKomm-Füchsl/Weishäupl, a.a.O., § 149 Rz. 14; Graf-Schlicker/Kalkmann, InsO, § 149 Rz. 7; Braun/Bäuerle, InsO, 3. Aufl., § 55 Rz. 48; Kreft, in: Festschrift Merz, S. 313, 326; Fuest, ZInsO 2006, 464, 466). Die Zahlungen fallen aber – anders als bei solchen auf ein Sonderkonto – auch nicht in die Masse (MünchKomm-Füchsl/Weishäupl, a.a.O., § 149 Rz. 12; Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 8. Aufl., § 21 Rz. 117 ff.). Die Masseunzulänglichkeit ist daher unerheblich.

[11]

 3. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Vielmehr sind auch die Voraussetzungen eines Bereicherungsanspruches aus § 812 Abs. 1 Satz 1 ZIP 2009, Seite 532Alt. 1 BGB im Hinblick auf die unstreitig infolge einer Kontoverwechslung erfolgte Zahlung erfüllt.

[12]

 III. Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach Letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine eigene Sachentscheidung zu treffen (§ 563 Abs. 3 ZPO).

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