BGH, Urteil vom 19. November 2024 - VI ZR 87/24

04.02.2025

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

19. November 2024

Böhringer-MangoldJustizamtsinspektorinals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1 Ah, § 1004 Abs. 1 Satz 2; KUG §§ 22, 23


Zur Zulässigkeit einer identifizierenden Wort- und Bildberichterstattung über den Schlagstockeinsatz eines Polizeibeamten.


BGH, Urteil vom 19. November 2024 - VI ZR 87/24 - OLG Frankfurt am Main, LG Frankfurt am Main


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 2024 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterin Müller sowie die Richter Dr. Klein, Dr. Allgayer und Böhm

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. Februar 2024 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] 1. Der Kläger, ein Polizeibeamter, macht gegen die Beklagte, die das Nachrichtenportal www.bild.de betreibt, Ansprüche auf Unterlassung einer Wort- und Bildberichterstattung über einen Polizeieinsatz geltend.

[2] Der Kläger arbeitete bei der Polizeidienststelle in K. als Streifenbeamter. Am 20. September 2021 folgte er mit einem Kollegen einem Verkehrsteilnehmer nach einem Verkehrsverstoß auf den Parkplatz einer Apotheke, deren Inhaber O. ist. Dort wurde der Verkehrsteilnehmer kontrolliert und zahlte das gegen ihn erhobene Verwarngeld. Während der polizeilichen Maßnahmen kam O. hinzu und forderte die Polizeibeamten auf, den Parkplatz sofort zu verlassen. Dabei kam es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung, während der der Kläger seinen Schlagstock gegen O. einsetzte. Der genaue Hergang der Auseinandersetzung ist streitig.

[3] Zu dem Vorfall veröffentlichte die Pressestelle der Polizei eine Pressemitteilung. Die Beklagte übermittelte der Pressestelle mit Email vom 26. September 2021 einen Fragenkatalog, der unbeantwortet blieb.

[4] Am 27. September 2021 veröffentlichte die Beklagte auf ihrem Nachrichtenportal www.bild.de einen allgemein zugänglichen Artikel (im Folgenden: Artikel A) mit der Überschrift:

"Umstrittener Polizeieinsatz

Apotheker (35) mit Schlagstock attackiert

Was das Opfer den Beamten vorwirft - und was die Polizei sagt."

[5] Darunter war ein Foto abgedruckt, das den Kläger mit erhobenem Schlagstock zeigt und dessen Augenpartie durch einen Balken verdeckt ist. Ihm gegenüber steht ein Mann (O.), der den Kläger am Halsausschnitt der Schutzweste festhält.

[6] Darunter findet sich folgender Text:

"Im hessischen K[...] lief eine Polizeikontrolle völlig aus dem Ruder, endete mit Gewalt. Und alles wurde gefilmt.

Was auf dem Video zu sehen ist, warum der Einsatz eskalierte, was der Polizei vorgeworfen wird und was sie dazu sagt, lesen Sie mit BILDplus."

[7] In dem diesbezüglichen, mit einer Bezahlsperre versehenen Artikel (im Folgenden: Artikel B) ist unter denselben Überschriften dasselbe Bild in einem etwas größeren Ausschnitt abgedruckt und wie folgt kommentiert:

"Ausschnitt einer Szene aus einem Handyvideo, das BILD exklusiv vorliegt: Ein Polizist schlägt mit dem Schlagstock auf die Beine des Apothekers."

[8] Im anschließenden Text heißt es weiter:

"K[...] - Polizisten brüllen: 'Auf den Boden!', ein Beamter schlägt mit dem Schlagstock auf die Unterschenkel eines Mannes. Schließlich wird er abgeführt. Was ist diesem Video vorausgegangen? Warum ist hier ein Polizeieinsatz so eskaliert?

Dr. O[...] (35) ist der Mann, der den Aufforderungen der Polizei nicht nachkommt. Er hat 2015 die 'E[...] Apotheke' aufgebaut. 'Ich habe gesehen, dass zwei Polizeibeamte an Kunden und Lieferanten Knöllchen verteilen wollten. Ich bin aus der Apotheke gegangen, habe gesagt, dass das mein Privat-Parkplatz ist, das meine Kunden sind.'

Die Beamten wollen auch von Dr. O[...] die Papiere sehen. Der Apotheker: 'Ich habe gesagt, dass meine Papiere in meinem Büro sind, ich sie holen kann. Sie brüllten sofort, ich solle mich auf den Boden legen. Ich dachte nur an George Floyd.'"

[9] An dieser Stelle ist unter der Schlagzeile "1 Million Dollar Kaution - Killer-Cop von George Floyd ist auf freiem Fuß" ein Video eingeblendet, das die Polizeigewalt gegen George Floyd im Mai 2020 in Minneapolis (USA) zum Gegenstand hat. Darunter wird der Artikel wie folgt fortgesetzt:

"BILD liegen exklusiv Handy-Videos von Kunden und Passanten vor, die Zeugen des Vorfalls waren.

Dr. O[...]: 'Ich bin wirklich tief erschüttert. Sie haben mit dem Schlagstock auf mich eingeschlagen. Ich habe mich weder gewehrt, noch war ich aggressiv, das sieht man auch auf den Videos deutlich.' O[...] lässt sich im Krankenhaus behandeln, er hat Prellungen an Beinen, Verletzungen vom Schlagstock.

O[...]: 'Ich hatte Angst, wollte mich vor meinen Kunden auch nicht wie ein Schwerverbrecher auf den Boden legen. Ich habe doch nix gemacht.'

Einen Tag später schreibt die Polizei in ihrem Pressebericht über den Vorfall. Auf einem Parkplatz hätte eine Streife einen Verkehrsteilnehmer angehalten, plötzlich soll ein 35-Jähriger laut brüllend gefordert haben, sofort den Parkplatz zu verlassen. Bei der Überprüfung des Mannes soll er sich gewehrt, einen Beamten leicht im Gesicht verletzt haben. Der Mann müsse sich nun 'wegen des Verdachts des Widerstandes strafrechtlich verantworten.'

Der renommierte Strafverteidiger B[...] hat gegen die Beamten Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt und beim Polizeipräsidium S[...] Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht: 'Mein Mandant ist von den beteiligten Polizeibeamten grundlos mit Schlagstöcken geschlagen worden. Hier liegt ein völlig überzogenes und maßloses Gewaltverhalten der beteiligten Polizeibeamten vor, was durch die uns zur Verfügung stehenden Videos erkennbar ist.'

Nach BILD-Infos wurde die Szene auch von der Polizei aufgezeichnet. Mit einer Bodycam, die einer der Beamten trug. Die Polizei ließ am Sonntag eine Anfrage von Bild unbeantwortet."

[10] Das gegen O. eingeleitete Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte wurde zwischenzeitlich mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Gegen den Kläger wurde Anklage unter anderem wegen Körperverletzung im Amt erhoben. Er wurde vor dem Amtsgericht freigesprochen.

[11] Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, identifizierend über den Kläger im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit O. (Vorwurf der Körperverletzung im Amt, der gefährlichen Körperverletzung und der Nötigung sowie dienstaufsichtsrechtlicher Verfehlungen) anhand der Identifizierungsmerkmale seines Bildnisses und seiner Arbeitsstelle zu berichten, wenn dies geschieht wie aus den streitgegenständlichen Artikeln A und B ersichtlich (im Folgenden: Antrag zu I.). Ferner hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Verbreitung der folgenden unterstrichenen Äußerung zu unterlassen: "Die Beamten wollen auch von Dr. O[...] die Papiere sehen. Der Apotheker: 'Ich habe gesagt, dass meine Papiere in meinem Büro sind, ich sie holen kann. Sie brüllten sofort, ich solle mich auf den Boden legen. Ich dachte nur an George Floyd'", wenn dies geschieht wie in dem Artikel B (im Folgenden: Antrag zu II.). Schließlich hat er die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt.

[12] Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten mit der "Klarstellung" zurückgewiesen, dass das Identifizierungsmerkmal "seiner Arbeitsstelle" durch "seines Einsatzortes" ersetzt werde. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:

A.

[13] Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts hinsichtlich der ihn identifizierenden Berichterstattung aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 und 2 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK zu (Antrag zu I.). Es handle sich um eine Verdachtsberichterstattung, weil gegenüber dem Leser der Verdacht transportiert werde, dass der (unstreitige) Schlagstockeinsatz durch den Kläger möglicherweise eine unrechtmäßige Polizeigewalt in Form einer Körperverletzung im Amt darstelle. Durch die Nennung des Einsatzortes K. und das Lichtbild sei der Kläger für sein berufliches und persönliches Umfeld identifizierbar, weil auf dem Bild trotz des Balkens über der Augenpartie persönliche Merkmale wie Haartracht, Bart, Kopfform, Gesichtszüge und Figur erkennbar seien. Die angegriffene Verdachtsberichterstattung sei unzulässig, weil es an der Einholung einer Stellungnahme des Klägers vor der Veröffentlichung fehle. Zwar sei die E-Mail der Beklagten vom 26. September 2021 an die in der Pressemitteilung der Polizei vom 21. September 2021 genannte Kontaktadresse gerichtet. Auch könne zugunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, dass die Kontaktaufnahme mit der Pressestelle die einzige Möglichkeit für sie gewesen sei, eine Stellungnahme (auch) des Klägers zu erlangen. Allerdings werde in dem Schreiben kein (konkludentes) Verlangen nach Einholung einer Stellungnahme des Klägers zum Ausdruck gebracht. Weder seien die Fragen an den Kläger gerichtet noch werde um Weitergabe an diesen gebeten. Der Kläger sei von der Pressestelle auch nicht angesprochen und zur Beantwortung der Fragen aufgefordert worden. Die weisungsgebundene Polizeibehörde und die betroffenen Beamten könnten unterschiedliche Positionen vertreten. Ihre Interessenlage hinsichtlich der Preisgabe bestimmter Tatsachen und Wahrnehmungen müsse nicht gleichlaufend sein, wie sich schon daran zeige, dass in der Pressemitteilung der Schlagstockeinsatz keine Erwähnung finde.

[14] Es bestehe auch ein Anspruch auf Unterlassung der Verbreitung des Zitats des O. (Antrag zu II.). Die darin aufgestellte Behauptung sei unwahr. Wie sich aus der Aufzeichnung mit der Bodycam und aus einem der Handyvideos entnehmen lasse, habe es erst einen Wortwechsel zwischen den Beteiligten gegeben, in dessen Verlauf O. sodann angekündigt habe, auf die Dienststelle zu gehen, gefolgt von entgegenstehenden Anordnungen der Polizei, bevor es zu deren Aufforderung gekommen sei, O. solle sich auf den Boden legen. Ob sich die Beklagte die Äußerung des O. zu eigen gemacht habe, sei fraglich, bedürfe aber keiner abschließenden Beurteilung. Denn auch wenn die Beklagte die Äußerung lediglich verbreitet habe, ergebe sich ihre Verantwortlichkeit nach den Grundsätzen der Verbreiterhaftung. Die Beklagte habe ihrer Pflicht zur sorgfältigen Recherche nicht Genüge getan. Aus dem Handyvideo, das ihr vorgelegen habe, gehe hervor, dass die Darstellung des O. nicht dem tatsächlichen Geschehensablauf entspreche, weil die Aufforderung der Polizisten ihm gegenüber, sich auf den Boden zu legen, einige Meter von der Kontrollstelle entfernt und zeitlich erst erfolgt sei, als die Situation schon eskaliert und es zu einem Handgemenge zwischen den Beteiligten gekommen sei. Dass es der Beklagten durch den zu Antrag zu I. zuerkannten Unterlassungsanspruch strafbewehrt untersagt sei, über den Kläger identifizierend im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit O. zu berichten, führe nicht dazu, dass es an der Erkennbarkeit und damit an der individuellen Betroffenheit des Klägers fehle und deshalb für die Untersagung der angegriffenen Einzeläußerung kein besonderes Bedürfnis bestehe. Denn es sei nicht auszuschließen, dass früheren Lesern der Berichterstattung in ihrer Ursprungsfassung der Kläger weiterhin erkennbar sei als die Person, die von der unwahren und sein Ansehen beeinträchtigenden Äußerung des O. betroffen sei.

B.

[15] Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

[16] I. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte bejaht, es zu unterlassen, identifizierend über die Auseinandersetzung des Klägers mit O. wie in den Artikeln A und B geschehen zu berichten (Antrag zu I.).

[17] 1. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht mit der "Klarstellung", dass im Tenor des stattgebenden erstinstanzlichen Urteils das Identifizierungsmerkmal "seiner Arbeitsstelle" durch "seines Einsatzortes" zu ersetzen sei, nicht unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO dem Kläger etwas anderes zugesprochen als dieser beantragt hat. Mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, "identifizierend über den Kläger zu berichten im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung mit O. (Vorwurf der Körperverletzung im Amt, der gefährlichen Körperverletzung und der Nötigung sowie dienstaufsichtsrechtlicher Verfehlungen) anhand der Identifizierungsmerkmale a. seines Bildnisses und b. seiner Arbeitsstelle, wenn dies geschieht wie am 27.09.2021" in den Artikeln A und B, wendet sich der Kläger gegen die Wort- und Bildberichterstattung in den beiden Artikeln. Er sieht darin identifizierend den Verdacht verbreitet, dass er bei der Auseinandersetzung mit O. eine Straftat (Körperverletzung im Amt etc.) begangen habe. Identifiziert sieht sich der Kläger durch die Beigabe des Bildnisses, mit der die im Text thematisierte Auseinandersetzung illustriert wird, ferner durch die Nennung "seiner Arbeitsstelle" im Text. In der Wortberichterstattung ist allerdings von der "Arbeitsstelle" des Klägers nicht die Rede. Genannt wird nur der Ort, an dem es zu dem Einsatz des Klägers und der Auseinandersetzung mit O. kam. Ausweislich der tatbestandlichen Feststellung im angefochtenen Urteil meint der Kläger, dass sich seine Arbeitsstelle aus der Nennung des Einsatzortes ergebe. Eine Auslegung seines Antrags ergibt damit unzweifelhaft, dass er sich gegen die Nennung des Einsatzortes K. wendet. Darauf, ob er die Aussagekraft des Einsatzortes (Rückschluss auf Arbeitsstelle) richtig beurteilt, kommt es für die Auslegung seines Antrags nicht an.

[18] 2. Die Wiedergabe des den Kläger identifizierenden Bildnisses, wie sie hier im Kontext der streitgegenständlichen Textberichterstattung in den Artikeln A und B über den Polizeieinsatz erfolgt ist, ist unzulässig. Dabei kann dahinstehen, ob - wie das Berufungsgericht meint - die Beklagte mit der Übermittlung des Fragenkatalogs an die Pressestelle der Polizei nicht die Anforderungen erfüllt hat, die an die Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen vor einer Wort-Verdachtsberichterstattung zu stellen sind, was auch zur Unzulässigkeit der begleitenden Bildberichterstattung führen kann (vgl. dazu Senatsurteile vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751 Rn. 42; vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 36). Denn unabhängig davon handelt es sich bei dem Bildnis nicht um ein solches aus dem Bereich der Zeitgeschichte, so dass dem Kläger ein Anspruch auf Unterlassung der Wiedergabe seines Bildnisses im Kontext der Berichterstattung vom 27. September 2021 aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung mit §§ 22, 23 KUG, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zusteht. Die notwendige Abwägung kann der Senat selbst vornehmen, weil keine weiteren Tatsachenfeststellungen erforderlich sind.

[19] a) Das Bild, das Gegenstand sowohl des der Allgemeinheit zugänglichen Artikels A als auch des mit einer Bezahlsperre versehenen Artikels B ist, zeigt einen Mann (den Kläger) in einer Schutzweste mit dem Aufdruck Polizei. Über seiner Augenpartie befindet sich ein Balken, der Großteil seines Gesichts und seines Kopfes ist aber erkennbar. Er hält einen Schlagstock in der rechten Hand, der Arm ist erhoben. Ihm gegenüber steht ein deutlich größerer Mann, der den Polizeibeamten mit der linken Hand am Halsausschnitt der Schutzweste festhält. Der begleitenden Wortberichterstattung zufolge, die zur Ermittlung des Aussagegehalts des Bildes heranzuziehen ist (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 7. Mai 2024 - VI ZR 307/22, AfP 2024, 323 Rn. 17 mwN), stammt das Foto aus einem Video, das während eines "umstrittenen" Polizeieinsatzes aufgenommen wurde, bei dem der abgebildete große Mann - ein Apotheker - von dem Polizeibeamten mit dem Schlagstock "attackiert" wurde. In der Berichterstattung geht es - so die weitere Überschrift - darum, was "das Opfer den Beamten vorwirft - und was die Polizei sagt" zu einer Polizeikontrolle, die, so der Text zu Artikel A, "völlig aus dem Ruder" lief und "mit Gewalt" endete. Durch die Textberichterstattung in Artikel B erfährt der Leser Details, etwa, dass der Polizist dem Apotheker mit dem Schlagstock auf die Unterschenkel schlug und ihm damit Prellungen zufügte. Artikel B gibt die unterschiedlichen Versionen der Polizei einerseits und des Apothekers andererseits dazu wieder, ob letzterer aggressiv war und sich wehrte. Mitgeteilt wird ferner, dass gegen den Apotheker "wegen des Verdachts des Widerstands" strafrechtlich ermittelt wird und dass der Strafverteidiger des Apothekers seinerseits gegen die Polizeibeamten Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt erstattet hat, weil sie seinen Mandanten "grundlos mit Schlagstöcken" geschlagen hätten und ein "völlig überzogenes und maßloses Gewaltverhalten" vorgelegen habe. Illustriert wird mit dem Bild im Kontext sowohl der kurzen Wortberichterstattung des Artikels A als auch des längeren Artikels B damit der Verdacht, der abgebildete Polizeibeamte habe mit dem Schlagstockeinsatz die Grenzen zulässiger Polizeigewalt überschritten und eine Körperverletzung im Amt begangen.

[20] b) Wie vom Berufungsgericht festgestellt und von der Revision nicht angegriffen, ist der Kläger aufgrund seiner auf dem Bild erkennbaren Merkmale wie Haartracht, Bart, Kopfform, Gesichtszüge, Figur und der Nennung des Einsatzortes K. für sein berufliches und persönliches Umfeld identifizierbar.

[21] c) Die Zulässigkeit der Bildveröffentlichungen beurteilt sich nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG. Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren - hier nicht vorliegender - Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Abs. 1 KUG). Hiervon besteht allerdings gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme gilt aber nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG).

[22] aa) Schon die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zuzuordnen ist, erfordert eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits. Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse. Es gehört zum Kern der Pressefreiheit, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt (vgl. nur Senatsurteil vom 29. September 2020 - VI ZR 449/19, AfP 2020, 488 Rn. 22 mwN).

[23] Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Es bedarf mithin einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen. Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu, wobei der Informationsgehalt der Bildberichterstattung unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung zu ermitteln ist. Entscheidend ist insbesondere, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, oder ob sie - ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis - lediglich die Neugier der Leser befriedigen. Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen desto schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist (vgl. nur Senatsurteil vom 29. September 2020 - VI ZR 449/19, AfP 2020, 488 Rn. 23 f. mwN).

[24] Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird (vgl. nur Senatsurteil vom 29. September 2020 - VI ZR 449/19, AfP 2020, 488 Rn. 25 mwN).

[25] bb) Geht es um eine identifizierende Bildberichterstattung über den Verdacht einer Straftat, so ist darüber hinaus zu beachten, dass eine solche Berichterstattung in das Recht des Abgebildeten auf Schutz seiner Persönlichkeit eingreift, weil sie sein angebliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten von vornherein negativ qualifiziert (Senatsurteil vom 16. Februar 2016 - VI ZR 367/15, VersR 2016, 606 Rn. 38). Insbesondere hat in der Abwägung der widerstreitenden Interessen die Unschuldsvermutung Berücksichtigung zu finden (Senatsurteile vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 46 mwN; vom 16. Februar 2016 - VI ZR 367/15, VersR 2016, 606 Rn. 38; BVerfG, NJW 2009, 350 Rn.14). Oftmals wird bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch das Recht des Beschuldigten auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Bildberichterstattung überwiegen (Senatsurteile vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 46; vom 7. Juni 2011 - VI ZR 108/10, BGHZ 190, 52 Rn. 25; BVerfG, NJW 2009, 3357 Rn. 20). Eine individualisierende Bildberichterstattung über den Beschuldigten eines Strafverfahrens scheidet aber nicht in jedem Fall aus. Vielmehr können es die jeweiligen Umstände rechtfertigen, dass sich der Betreffende nicht bzw. nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann. Dies gilt etwa dann, wenn er kraft seines Amtes oder wegen seiner gesellschaftlich hervorgehobenen Verantwortung bzw. Prominenz in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medienöffentlichkeit mit Rücksicht hierauf hinzunehmen hat (vgl. BVerfG, NJW 2009, 2117 Rn. 23, zum gerichtlich verfügten Verbot von Bildaufnahmen in der Hauptverhandlung). Während des nichtöffentlichen Ermittlungsverfahrens wiegt der Schutz der Persönlichkeit eines bis dahin in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung getretenen Betroffenen dagegen in der Regel schwerer als das Interesse der Öffentlichkeit an seiner (bildlichen) Identifizierung (vgl. Senatsurteil vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 46 f.).

[26] d) Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Bildnis nicht um ein solches aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Zwar wird der Kläger bei einer Amtshandlung als Polizeibeamter gezeigt, deren Rechtmäßigkeit der begleitenden Textberichterstattung zufolge "umstritten" ist. Es besteht ein erhebliches berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit, über den Verdacht unrechtmäßiger Polizeigewalt informiert zu werden (vgl. EGMR, NJW 2024, 2303 Rn. 34). Das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen hängt wesentlich davon ab, dass diejenigen, die mit der Befugnis zur Ausübung von unmittelbarem staatlichen Zwang ausgestattet sind, hiervon nur in den Grenzen des Rechts und insbesondere der Verhältnismäßigkeit Gebrauch machen. Es gehört zu den Aufgaben der Presse als "Wachhund der Öffentlichkeit", über Vorfälle wie den vorliegenden zu berichten. Dies gilt vorliegend umso mehr, als die den Vorfall betreffende Pressemitteilung des Polizeipräsidiums den Schlagstockeinsatz unerwähnt ließ. Zudem sind die Grenzen akzeptabler Kritik für Beamte, die in ihrer amtlichen Eigenschaft handeln, im Falle eines behaupteten Fehlverhaltens weiter gesetzt als für Privatpersonen (EGMR, NJW 2024, 2303 Rn. 33). Allerdings bestand im Zeitpunkt der Berichterstattung, in welchem lediglich gegenseitige Strafanzeigen erstattet waren und sich der Kläger ebenso wie O. auf die Unschuldsvermutung berufen konnte, kein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit, über die Funktion des Klägers (Polizeibeamter) hinaus mittels eines nur in der Augenpartie verdeckten Fotos auch über dessen Identität informiert zu werden. Damit wurde der Kläger noch vor einer Anklageerhebung und trotz seines später erfolgten Freispruchs der Gefahr erheblicher sozialer Missachtung in seinem beruflichen und privaten Umfeld ausgesetzt. Dies konnte sich zudem negativ auf sein berufliches Wirken und die Akzeptanz seiner künftigen polizeilichen Maßnahmen auswirken.

[27] Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Bildberichterstattung in Artikel B kommt hinzu, dass durch die Wiedergabe des Zitats des O. "Ich dachte nur an George Floyd" und vor allem durch die Einfügung eines diesen Fall von außergewöhnlich brutaler Polizeigewalt zeigenden Videos die mit dem Abdruck des Bildnisses des Klägers verbundene Intensität des Eingriffs noch gravierend verstärkt wurde. Denn damit wurde die Parallele zu dem weltweit bekannt gewordenen Fall aus den USA gezogen, in dem ein Afroamerikaner dadurch getötet wurde, dass ein Polizeibeamter über neun Minuten auf seinem Hals kniete und ihm die Atemwege abdrückte.

[28] Eine Selbstöffnung des Klägers liegt entgegen der Ansicht der Revision nicht vor. Weder ist festgestellt, dass der Kläger die Pressemitteilung der Polizei veranlasste, noch wurde die Identität des Klägers in der Pressemitteilung preisgegeben.

[29] 3. Auch die Wortberichterstattung in den Artikeln A und B, die den durch die Beifügung seines Bildnisses in Verbindung mit der Nennung des Einsatzortes erkennbar gemachten Kläger mit dem Verdacht eines unrechtmäßigen Schlagstockeinsatzes belegt, ist unzulässig, weil sie den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Dem Kläger steht insoweit ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu.

[30] a) Gegenstand der streitgegenständlichen Textberichterstattung ist der Verdacht, der auf dem beigefügten Foto abgebildete Polizeibeamte habe bei einem Schlagstockeinsatz in K. die Grenzen zulässiger Polizeigewalt überschritten und damit eine Körperverletzung im Amt begangen, die - so Artikel B - zur Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gebracht worden sei. Diese den Kläger identifizierende Verdachtsäußerung greift in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers ein. Der Vorwurf, eine Körperverletzung im Amt begangen zu haben, beeinträchtigt ihn in erheblichem Maße in seiner Ehre und sozialen Anerkennung.

[31] b) Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ist rechtswidrig. Im Rahmen der insoweit vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Recht des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 20. Juni 2023 - VI ZR 262/21, AfP 2023, 417 Rn. 20 f.) überwiegt das Schutzinteresse des Klägers.

[32] aa) Heranzuziehen sind dabei die Grundsätze zu den Voraussetzungen einer zulässigen identifizierenden Verdachtsberichterstattung. Danach darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 20. Juni 2023 - VI ZR 262/21, AfP 2023, 417 Rn. 25; vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 50; vom 17. Dezember 2013 - VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 26; vom 11. Dezember 2012 - VI ZR 314/10, AfP 2013, 57 Rn. 26; jeweils mwN).

[33] bb) Auch hier kann dahinstehen, ob es vorliegend, wie das Berufungsgericht meint, an der Einholung einer Stellungnahme des Klägers fehlt. Offenbleiben kann auch, ob die Artikel vorverurteilend sind. Denn jedenfalls war es im Hinblick auf die Unschuldsvermutung nicht gerechtfertigt, über den Verdacht unrechtmäßiger Polizeigewalt unter Identifizierung des Klägers zu berichten. Auch insofern bleibt festzuhalten, dass es sich bei der vorliegenden Auseinandersetzung um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handelt, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Insbesondere hat die Allgemeinheit ein berechtigtes Interesse daran, über einen möglicherweise unverhältnismäßigen Schlagstockeinsatz eines Polizeibeamten informiert zu werden. Ein berechtigtes Interesse daran, vor einer Verurteilung Informationen gerade über die Identität des Polizeibeamten zu erhalten, bestand aber nicht. Insoweit gelten die oben zur Bildberichterstattung angestellten Erwägungen hier entsprechend.

[34] II. Im Ergebnis ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht der Beklagten die Unterlassung der Verbreitung der mit dem Antrag zu II. angegriffenen Einzeläußerung untersagt.

[35] 1. Gegenstand des Antrags zu II. ist ebenfalls eine identifizierende Wortberichterstattung. Mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, "in Bezug auf den Kläger zu verbreiten/verbreiten zu lassen: Die Beamten wollen auch von Dr. O... die Papiere sehen. Der Apotheker: 'Ich habe gesagt, dass meine Papiere in meinem Büro sind, ich sie holen kann. Sie brüllten sofort, ich solle mich auf den Boden legen. Ich dachte nur an George Floyd', wenn dies geschieht wie am 27.09.2021 unter der URL...", hat der Kläger eine Einzeläußerung des O. herausgegriffen, die die Beklagte im Rahmen ihrer (Wort-)Verdachtsberichterstattung in Artikel B zitiert hat. Dabei hat er diese Äußerung ausdrücklich so angegriffen, wie sie in Artikel B veröffentlicht worden ist, und zudem die Unterlassung ihrer Verbreitung "in Bezug auf den Kläger" verlangt. Auch wenn die Einzeläußerung (wie die gesamte Textberichterstattung in Artikel B) isoliert gesehen den Kläger nicht zu erkennen gibt, ist sie durch die Beifügung des Bildnisses des Klägers in einer den Kläger identifizierenden Weise erfolgt. Dieselbe Einzeläußerung in einem Artikel, der den Kläger nicht wie geschehen identifiziert, hat der Kläger seinem Antrag zufolge nicht angegriffen. Sie wird auch nicht dadurch zum Streitgegenstand, dass der Antrag zu I. der Unterlassungsklage des Klägers Erfolg hat, es der Beklagten also (allerdings erst) mit Verkündung dieses Senatsurteils rechtskräftig und strafbewehrt untersagt ist, in den Kläger identifizierender Weise über den Verdacht eines unrechtmäßigen Schlagstockeinsatzes wie in den Artikeln A und B geschehen zu berichten. Denn eine vorbeugende Unterlassungsklage gegen die Verbreitung der genannten Einzeläußerung in einem künftigen, den Kläger erstmals nicht identifizierenden Artikel hat der Kläger mit dem Antrag zu II. ersichtlich nicht erhoben. Die Erwägungen des Berufungsgerichts und der Parteien dazu, ob der Kläger in einem solchen künftigen Artikel für Leser des früheren Artikels in seiner identifizierenden Ursprungsfassung noch erkennbar wäre, betreffen damit nicht den Gegenstand dieses Verfahrens.

[36] 2. Die Verbreitung der mit dem Antrag zu II. angegriffenen, den Kläger identifizierenden Äußerung des O. ist unzulässig, weil sie den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Auch insoweit steht dem Kläger ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu.

[37] a) Die angegriffene Äußerung ist Teil der von der Beklagten in Artikel B wiedergegebenen Schilderung des Apothekers O. zur Vorgeschichte des Schlagstockeinsatzes. Danach wollten die Polizeibeamten die Papiere des O. sehen. Auf dessen bloße Erklärung hin, dass die Papiere in seinem Büro seien und er sie holen könne, hätten die Beamten "sofort" gebrüllt, er solle sich auf den Boden legen. Die Verbreitung dieser Äußerung in einer den Kläger identifizierenden Weise greift in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers ein. Sie beeinträchtigt ihn in erheblichem Maße in seiner Ehre und sozialen Anerkennung. Denn das von O. in dieser Äußerung geschilderte Verhalten des Klägers (Anbrüllen, sich auf den Boden zu legen) wäre offensichtlich eine völlig unverhältnismäßige, geradezu willkürliche Reaktion auf die Erklärung des O., er könne die vom Kläger verlangten Papiere holen.

[38] b) Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ist rechtswidrig. Abzuwägen ist auch insoweit zwischen dem Recht des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit. Zu dem durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Kommunikationsprozess kann die Mitteilung einer fremden Meinung oder Tatsachenbehauptung auch dann zählen, wenn der Mitteilende sich diese weder zu eigen macht noch in eine eigene Stellungnahme einbindet, sondern - wie hier - die fremde Äußerung lediglich verbreitet (Senatsurteil vom 17. November 2009 - VI ZR 226/08, AfP 2010, 72 Rn. 13 mwN). Hier überwiegt das Schutzinteresse des Klägers die schutzwürdigen Belange der Beklagten.

[39] aa) Entgegen der Ansicht der Revision handelt es sich bei der Äußerung des O., die Beamten hätten auf seine Erklärung hin, er könne seine Papiere holen, "sofort" gebrüllt, er solle sich auf den Boden legen, im vorliegenden Kontext nicht um eine Meinung, sondern um eine Tatsachenbehauptung.

[40] (1) Ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil einzustufen ist, ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt. Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dies scheidet bei Werturteilen und Meinungsäußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen. Eine Äußerung, die auf Werturteilen beruht, kann sich als Tatsachenbehauptung erweisen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird. Auch die schlagwortartig verkürzte Wiedergabe eines Sachverhalts kann selbst dann, wenn sie sich wertender Schlagworte bedient, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalten. Anders liegt es jedoch, wenn der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm bleibt, dass er gegenüber der subjektiven Wertung ganz zurücktritt (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 26. Januar 2021 - VI ZR 437/19, AfP 2021, 226 Rn. 23 mwN).

[41] (2) Die zutreffende Einstufung einer Äußerung als Wertung oder Tatsachenbehauptung setzt die Erfassung ihres Sinns voraus. Die Sinndeutung unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittsrezipienten hat. Dabei ist vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und von den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt. Die Äußerung darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 4. April 2017 - VI ZR 123/16, NJW 2017, 2029 Rn. 30 mwN).

[42] (3) In dem Kontext der Schilderung des Geschehensablaufs durch O. stellt seine Äußerung, die Beamten hätten ihn "sofort" nach seiner Erklärung, er könne die verlangten Papiere aus dem Büro holen, angebrüllt, er solle sich auf den Boden legen, eine Tatsachenbehauptung dar. Zwar mag es allgemein von der individuellen Einschätzung des sich Äußernden abhängen, welcher Zeitraum genau noch unter den Begriff "sofort" zu fassen ist. Nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittsrezipienten bedeutet "sofort" im vorliegenden Kontext aber jedenfalls, dass die Aufforderung, sich auf den Boden zu legen, unmittelbar auf die Erklärung des O. erfolgte, er könne die Papiere holen, es also keinen Zwischenakt gab. Ob dies der Fall war, ist dem Beweis zugänglich.

[43] bb) Unter Zugrundelegung der Feststellungen des Berufungsgerichts ist die von der Beklagten verbreitete Tatsachenbehauptung des O. unwahr, weil es zwischen der Erklärung des O., er könne seine Papiere aus dem Büro holen, und der Aufforderung seitens des Klägers, O. solle sich auf den Boden legen, Zwischenakte gab. Nach den insoweit von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts erfolgte erst ein Wortwechsel der Beteiligten, in dessen Verlauf O. sodann ankündigte, auf die Polizeidienststelle zu gehen, gefolgt von "entgegenstehenden Anordnungen der Polizei." Erst danach kam es zu der Aufforderung, O. solle sich auf den Boden legen.

[44] cc) Allerdings fällt auch die Aufstellung oder Verbreitung einer unwahren Tatsachenbehauptung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, wenn im Zeitpunkt der Äußerung ihre Wahrheit noch ungewiss ist und sich die Unwahrheit erst später herausstellt (Senatsurteil vom 4. April 2017 - VI ZR 123/16, NJW 2017, 2029 Rn. 26 mwN). Ihre Zulässigkeit richtet sich dann nach den bereits oben (I.3.b.aa.) dargestellten Grundsätzen der identifizierenden Verdachtsberichterstattung. Diese sind hier nicht erfüllt.

[45] Dabei kann dahinstehen, wie weit die Sorgfaltspflichten der Beklagten bei den Recherchen zum Wahrheitsgehalt der Schilderung des O. im Hinblick darauf reichten, dass sie sich diese nicht zu eigen machte, sondern nur verbreitete (vgl. zur sog. Verbreiterhaftung Senatsurteil vom 17. November 2009 - VI ZR 226/08, AfP 2010, 72 Rn. 13 mwN; BVerfG, NJW-RR 2010, 470 Rn. 64 ff.; EGMR, NJW 2017, 795, Rn. 46, 58 ff.). Nicht der Klärung bedarf ferner die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe die Feststellung, dass die Beklagte ihrer Sorgfaltspflicht nicht genügt habe, weil aus den ihr vorliegenden Videos die Unwahrheit der Äußerung des O. erkennbar gewesen sei, unter Verstoß gegen § 286 ZPO und damit verfahrensfehlerhaft getroffen. Denn selbst wenn die Beklagte ihren Sorgfaltspflichten genügt haben sollte, war es nicht gerechtfertigt, bei der Verbreitung der Äußerung des O. wie geschehen die Identität des Klägers preiszugeben.

[46] Zwar kann ein erhebliches berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit auch daran bestehen, über die Vorgeschichte eines Schlagstockeinsatzes der Polizei informiert zu werden. Das ist etwa dann der Fall, wenn, wie hier behauptet, ein Bürger vor einem Schlagstockeinsatz von einem Polizeibeamten ohne nachvollziehbaren Grund angebrüllt wird, sich auf den Boden zu legen. Andererseits belastet eine Behauptung über ein solches Verhalten den betroffenen Polizeibeamten schwer, weil sich der Eindruck der Willkür und des Missbrauchs seiner Amtsbefugnisse geradezu aufdrängt. Vorliegend wurde dieser Eindruck durch den Zusatz, O. habe in dieser Situation "nur an George Floyd" gedacht, noch verschärft. Selbst wenn im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels für die Beklagte noch nicht erkennbar gewesen sein sollte, dass die hier streitgegenständliche Behauptung des O. unwahr war, so war doch zumindest offen, ob sie zutraf. Im Zeitpunkt der Berichterstattung konnte sich der Kläger auf die Unschuldsvermutung berufen. Im Hinblick darauf bestand kein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit, über die Funktion des Klägers (Polizeibeamter) hinaus auch über dessen Identität informiert zu werden.

Seiters Müller Klein

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