BGH, Urteil vom 5. Mai 2021 - XII ZR 45/20

26.06.2021

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

5. Mai 2021

FahrnerJustizhauptsekretärinals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


SGB VI § 225 Abs. 1 Satz 1; BGB § 1587 b Abs. 2; GVG § 17 a Abs. 4


a) Hat das Oberlandesgericht im Berufungsurteil seine Rechtswegzuständigkeit bejaht, ohne darüber im Wege der Vorabentscheidung befunden zu haben, ist das Revisionsgericht daran gebunden (im Anschluss an BGH Urteile vom 18. November 1998 ­ VIII ZR 269/97 ­ NJW 1999, 651 und BGHZ 132, 245 = NJW 1996, 1890).

b) Aufwendungen des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung auf Grund eines (rechtswidrig durchgeführten) Quasi-Splittings von privatrechtlichen Versorgungsansprüchen nach beamtenrechtlichen Grundsätzen sind nach § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI zu erstatten (Fortführung von Senatsbeschluss vom 17. April 1985 ­ IVb ZB 796/81 ­ FamRZ 1985, 794 sowie von BSG Urteil vom 21. März 2018 ­ B 13 R 17/15 R ­ SozR 4 ­ 2600 § 225 Nr. 3).


BGH, Urteil vom 5. Mai 2021 - XII ZR 45/20 - OLG Koblenz, LG Koblenz


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird, unter Verlustigerklärung des Rechtsmittels im Übrigen, das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 21. April 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung der gegen den Beklagten zu 1 gerichteten Klage zurückgewiesen worden ist.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 12. September 2019 im Kostenpunkt und insoweit abgeändert, als die gegen den Beklagten zu 1 gerichtete Klage abgewiesen worden ist.

Der Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die Klägerin 26.913,70 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 25. Januar 2018 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 1 verpflichtet ist, der Klägerin nach Maßgabe der Versorgungsausgleichs-Erstattungsverordnung (VAErstV) alle weiteren Zahlungen zu erstatten, die diese ab dem 1. Januar 2017 auf der Grundlage der Versorgungsausgleichsentscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. März 1982 ­ 4 UF 11/82 ­ bezüglich der bei dem Beklagten zu 1 für den Beklagten zu 2 bestehenden und ausgeglichenen Anwartschaft an die Ausgleichsberechtigte B. leistet.

Die Gerichtskosten in allen Rechtszügen tragen die Klägerin und der Beklagte zu 1 je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte zu 1 zur Hälfte; die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2 trägt die Klägerin. Im Übrigen tragen die Parteien und der Streithelfer des Beklagten zu 1 ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Die Parteien streiten darum, ob nach einem (rechtswidrig durchgeführten) Quasi-Splitting von privatrechtlichen Versorgungsansprüchen nach beamtenrechtlichen Grundsätzen die gesetzliche Rentenversicherung ihre aufgrund des durchgeführten Versorgungsausgleichs an die ausgleichsberechtigte Person ausgezahlten Renten von dem Versorgungsträger der ausgleichspflichtigen Person ersetzt verlangen kann.

[2] Der Beklagte zu 1 ist kirchlicher Schulträger in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Der verheiratet gewesene Beklagte zu 2 (im Folgenden: Ehemann) erwarb als Angestellter des Vereins während der gesetzlichen Ehezeit (1. Dezember 1968 bis 30. November 1978; § 1587 Abs. 2 BGB) ein privatrechtliches Anrecht auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Die Ehe wurde mit Urteil vom 15. Januar 1979 geschieden. Der Versorgungsausgleich wurde durch rechtskräftigen Beschluss des Beschwerdegerichts vom 12. März 1982 unter Beteiligung beider Parteien dieses Rechtsstreits dahin durchgeführt, dass im Wege des Quasi-Splittings zu Lasten der für den Ehemann bei dem Beklagten zu 1 bestehenden Versorgungsanwartschaft monatliche Rentenanwartschaften der Ehefrau in Höhe von 166,40 DM bei der Klägerin (Deutsche Rentenversicherung Bund ­ seinerzeit Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) begründet wurden; weitere 30,40 DM monatlich wurden dem schuldrechtlichen Ausgleich vorbehalten. Ein nachfolgender Abänderungsantrag der Klägerin, mit dem sie sich darauf berief, dass die Begründung von Rentenanwartschaften fehlerhaft zu Lasten eines privatrechtlichen Trägers angeordnet worden sei, blieb erfolglos (Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2014 ­ XII ZB 323/13 ­ FamRZ 2015, 125). Die Ehefrau bezieht seit dem 1. April 2003 Altersrente von der Klägerin. Die auf dem Versorgungsausgleich beruhenden Rentenzahlungen an die Ehefrau beliefen sich bis einschließlich 2016 auf insgesamt 26.913,70 €.

[3] Die Klägerin hat beide Beklagten auf gesamtschuldnerische Erstattung der an die geschiedene Ehefrau bis 2016 geleisteten 26.913,70 € nebst Zinsen in Anspruch genommen sowie die Feststellung der Erstattungspflicht aller weiteren Zahlungen aufgrund des Versorgungsausgleichs ab 1. Januar 2017 beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ­ nach Rücknahme ihres zunächst auch gegen den Ehemann eingelegten Rechtsmittels ­ ihre Ansprüche noch gegen den Beklagten zu 1 weiter.

Entscheidungsgründe:

[4] I. Der Senat ist zur Entscheidung über die Revision unabhängig davon zuständig, ob Ersatzansprüche nach § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI unter den Begriff einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit gemäß § 51 Abs. 1 SGG fallen (hierzu BSG Urteil vom 14. März 2006 ­ B 4 RA 8/05 R ­ SozR 4-2600 § 225 Nr. 2 Rn. 12; vgl. auch GmS-OGB BGHZ 108, 284 = NJW 1990, 1527). Denn das Oberlandesgericht hat seine Rechtswegzuständigkeit bejaht, woran der Senat gemäß § 17 a Abs. 5 GVG gebunden ist. Zwar war auch das Oberlandesgericht grundsätzlich nach § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG gehalten, im Wege der Vorabentscheidung über seine Rechtswegzuständigkeit zu befinden. Eine Vorabentscheidung ist jedoch ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn das Berufungsgericht den Rechtsweg bejaht und keinen Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG) sieht (BGH Urteile vom 18. November 1998 ­ VIII ZR 269/97 ­ NJW 1999, 651 und BGHZ 132, 245 = NJW 1996, 1890; MünchKommZPO/Zimmermann 5. Aufl. § 17 a GVG Rn. 29 mwN). Denn hätte das Oberlandesgericht durch Vorabentscheidung entschieden, wäre ohne Zulassung der Rechtsbeschwerde auch dagegen kein Rechtsmittel möglich gewesen und der Senat daran ebenso gebunden.

[5] II. Die Revision hat im Umfang ihrer Durchführung Erfolg und führt zur antragsgemäßen Verurteilung des Beklagten zu 1.

[6] 1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 1 aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB scheide aufgrund des Fehlens einer Leistungsbeziehung aus, da es sich bei den Zahlungen der Klägerin um eine Leistung an die Ehefrau handele. Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB scheide aus, da in der Zahlung der Klägerin nicht zugleich ein unmittelbarer Eingriff des Beklagten zu 1 in eine Rechtsposition der Klägerin liege.

[7] Ein Ausgleichsanspruch ergebe sich auch nicht aus der Formulierung "zu Lasten" im Ausspruch zum Versorgungsausgleich, da sich die Gestaltungswirkung dieser Entscheidung auf die Rechtsbeziehung der Ehegatten untereinander und des jeweiligen Ehegatten zu seinem Versorgungsträger beschränke. Das Verhältnis der Versorgungsträger untereinander werde hierdurch nicht geregelt.

[8] Aus § 225 SGB VI folge weder in direkter noch in analoger Anwendung ein Ausgleichsanspruch. Der hierin geregelte Erstattungsanspruch richte sich ­ was sich aus dem Regelungsgefüge der übrigen Vorschriften des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs und dem engen Zusammenhang mit § 1587 b BGB sowie der gesetzgeberischen Intention ergebe ­ ausschließlich gegen öffentlich-rechtliche Versorgungsträger. Der Beklagte zu 1 sei jedoch als eingetragener Verein privatrechtlich organisiert. Die Rechtskraft des Scheidungsurteils beziehe sich nur auf den durchzuführenden Versorgungsausgleich und entfalte keine weitergehende Wirkung auf die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des § 225 SGB VI.

[9] 2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

[10] Gemäß § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI werden die Aufwendungen des Trägers der Rentenversicherung aufgrund von Rentenanwartschaften, die durch Entscheidung des Familiengerichts begründet worden sind, von dem zuständigen Träger der Versorgungslast erstattet. Aufgrund dieser Vorschrift kann die Klägerin ihre auf Grundlage des Versorgungsausgleichs erbrachten Leistungen von dem Beklagten zu 1 erstattet verlangen. Die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch nach § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI sind vorliegend erfüllt.

[11] a) Durch die rechtskräftige Entscheidung über den Versorgungsausgleich wurden Rentenanwartschaften der Ehefrau bei der Klägerin in Höhe von monatlich 166,40 DM begründet, aus denen die Ehefrau Leistungen bezieht. Die Wirksamkeit der Begründung dieses Rentenanspruchs wird nicht dadurch infrage gestellt, dass das Anrecht des Ehemanns bei dem Beklagten zu 1, einem eingetragenen Verein, nicht durch Quasi-Splitting gemäß § 1587 b Abs. 2 BGB hätte ausgeglichen werden dürfen (vgl. Senatsbeschluss vom 17. April 1985 ­ IVb ZB 796/81 ­ FamRZ 1985, 794, 795 f.). Die rechtskräftig gewordene, rechtsgestaltend wirkende Entscheidung über den Versorgungsausgleich geht im konkreten Einzelfall der materiellen Rechtslage vor, bindet die Parteien ungeachtet ihrer Rechtsfehlerhaftigkeit bis zu einer Aufhebung oder Abänderung und ist daher dem Ausgleichsverfahren gemäß § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI zugrunde zu legen (vgl. BSG Urteil vom 21. März 2018 ­ B 13 R 17/15 R ­ SozR 4-2600 § 225 Nr. 3 Rn. 18 ff.).

[12] b) Der Erstattungsanspruch aus § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI richtet sich gegen den Beklagten zu 1 als Träger der Versorgungslast des ausgeglichenen Anrechts, da er die zugesagte Versorgung im Leistungsfall zu erbringen hatte (vgl. Hauck/Noftz/Bachmann Sozialgesetzbuch SGB VI [Stand: 4/19] § 225 Rn. 20 und BGHZ 81, 100 = FamRZ 1981, 856, 859 f.).

[13] Rechtlich umstritten ist allerdings, ob § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI seiner Natur nach nur Ansprüche gegen öffentlich-rechtliche oder ausnahmsweise auch gegen privatrechtliche Versorgungsträger ­ hier einen eingetragenen Verein ­ begründen kann.

[14] aa) Teilweise wird angenommen, der Anwendungsbereich des § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI sei auf den Ausgleich von Versorgungsansprüchen gegen öffentlich-rechtliche Versorgungsträger beschränkt (LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 22. Februar 2007 ­ L 1 RA 23/03 ­ juris Rn. 18 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 19. März 2010 ­ L 13 R 12/05 ­ juris Rn. 21 ff.; OLG Köln Urteil vom 4. Juli 2019 ­ 15 U 95/18 ­ juris Rn. 18 ff.; Leihkauff in Stegmüller/

Schmalhofer/Bauer Beamtenversorgungsgesetz des Bundes und der Länder [Stand: Dezember 2020] 12.2.3 Rn. 32; Reinhard in Ruland/Dünn Gemeinschaftskommentar SGB VI November 2014 § 225 Rn. 6; Eichenhofer/Wenner/

Naumann Kommentar zum Sozialgesetzbuch SGB IV § 225 Rn. 3).

[15] bb) Demgegenüber erstreckt eine Gegenauffassung den Anwendungsbereich des § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI generell auch auf Fälle, in denen ein Anrecht gesetzeswidrig im Wege des Quasi-Splittings ausgeglichen wurde. Träger der Versorgungslast im Sinne des § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI sei jeweils der Leistungspflichtige des aufgrund der Entscheidung über den Versorgungsausgleich ausgeglichenen Anrechts. Dazu gehörten nicht nur Versorgungsträger im eigentlichen Sinne, sondern auch sonstige Leistungsträger, wenn die bei ihnen bestehenden Anrechte ­ gesetzeswidrig ­ zum Quasi-Splitting herangezogen worden seien, wie etwa eine Berufsgenossenschaft im Hinblick auf eine im Versorgungsausgleich ausgeglichene Verletztenrente (vgl. BSG Urteil vom 21. März 2018 ­ B 13 R 17/15 R ­ SozR 4-2600 § 225 Nr. 3 Rn. 27; Wick ZNotP 2019, 441, 447). In gleicher Weise seien im Ausnahmefall auch private Versorgungsträger zur Erstattung von Leistungen nach § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI verpflichtet, wenn bei diesen bestehende Anrechte zum Quasi-Splitting gesetzeswidrig herangezogen worden seien (vgl. Hauck/Noftz/Bachmann Sozialgesetzbuch SGB VI [Stand: 4/19] § 225 Rn. 18 f.; wohl auch Rehbein jurisPR-FamR 11/2019 Anm. 6 und jurisPK-SGB VI/Beckmann 3. Aufl. [Stand: 1. April 2021] § 225 Rn. 20).

[16] cc) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. Für sie sprechen Wortlaut und Zweck der Vorschrift.

[17] (1) Dem Wortlaut des § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI lässt sich eine Einschränkung auf öffentlich-rechtliche Versorgungsträger nicht entnehmen. Der in der Gesetzesüberschrift ebenso wie im Gesetzestext verwendete Begriff "Träger der Versorgungslast" erfasst begrifflich alle denkbaren Versorgungsträger und weist ihnen die Schuldnerstellung zu (vgl. BSG Urteil vom 21. März 2018 ­ B 13 R 17/15 R ­ SozR 4-2600 § 225 Nr. 3 Rn. 28). Darunter können auch privatrechtliche juristische Personen fallen, die eine Versorgungszusage übernommen haben (vgl. Hauck/Noftz/Bachmann Sozialgesetzbuch SGB VI [Stand: 4/19] § 225 Rn. 19).

[18] (2) Ebenso spricht der Regelungszweck des § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI für eine Anwendung auch auf privatrechtliche Versorgungsträger. Die Vorschrift soll dem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, der die Leistungen an den ausgleichsberechtigten Ehegatten erbringt, einen Ausgleich für diejenigen Aufwendungen aufgrund von Rentenanwartschaften verschaffen, die durch eine Entscheidung des Familiengerichts im Rahmen des Versorgungsausgleichs begründet worden sind und somit nicht auf selbst erworbenen Versicherungszeiten beruhen. Sie wahrt damit das Prinzip der Kostenneutralität des Versorgungsausgleichs für den Versorgungsträger der ausgleichsberechtigten Person als Spiegelbild der Begründung von Rentenanwartschaften. Hiermit soll gewährleistet sein, dass der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung immer dann und insoweit Erstattung begehren kann, als seine Aufwendungen gegenüber dem Ausgleichsberechtigten gerade auf Anwartschaften beruhen, die durch eine familiengerichtliche Entscheidung über den Versorgungsausgleich erst begründet worden sind (vgl. BSG Urteil vom 21. März 2018 ­ B 13 R 17/15 R ­ SozR 4-2600 § 225 Nr. 3 Rn. 29 ff.; Hauck/Noftz/Bachmann Sozialgesetzbuch VI [Stand: 4/19] Rn. 12 mwN).

[19] Im Hinblick auf diesen Regelungszweck ist es unerheblich, ob der in Anspruch genommene Rechtsträger als juristische Person des öffentlichen oder des privaten Rechts organisiert ist. Die nach § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI zu erstattenden "Aufwendungen (...) aufgrund von Rentenanwartschaften, die durch Entscheidung des Familiengerichts begründet worden sind" entstehen unabhängig von der Rechtsform des Versorgungsträgers des ausgleichspflichtigen Ehegatten. Der im Vordergrund stehende Schutzzweck der Kostenneutralität des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung wird allein dann konsequent verwirklicht, wenn der Erstattungsanspruch nur die Begründung von Anrechten durch familiengerichtliche Entscheidung zum Anknüpfungspunkt hat und nicht die Rechtsform des Trägers des auszugleichenden Anrechts.

[20] (3) Auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergibt sich keine Zielsetzung dahingehend, dass § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI nur auf öffentlich-rechtliche Versorgungsträger anzuwenden sei.

[21] Zwar war das Quasi-Splitting nach § 1587 b Abs. 2 BGB ausdrücklich nur bei Anrechten "gegenüber einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts, einem ihrer Verbände einschließlich der Spitzenverbände oder einer ihrer Arbeitsgemeinschaften" eröffnet. Der Gesetzgeber hat das Quasi-Splitting gemäß § 1587 b Abs. 2 BGB seinerzeit bewusst auf öffentlich-rechtliche Versorgungsträger beschränkt, weil er aufgrund deren weitgehender Insolvenzunfähigkeit und der überschaubaren Anzahl dieser Rentenversicherungsträger annahm, dass das Erstattungsverfahren mit vertretbarem Verwaltungsaufwand und ohne wirtschaftliches Risiko durchgeführt und somit der Anspruch des Rentenversicherungsträgers dauerhaft erfüllt werden könne (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 17. April 1985 ­ IVb ZB 796/81 ­ FamRZ 1985, 794, 795 f. mwN zu § 1587 b Abs. 2 BGB und vom 19. September 1984 ­ IVb ZB 921/80 ­ FamRZ 1985, 56, 58 zu § 1 Abs. 3 VAHRG; BSG Urteil vom 21. März 2018 ­ B 13 R 17/15 R ­ SozR 4-2600 § 225 Nr. 3 Rn. 27).

[22] Auf die so in den Blick genommenen Versorgungsträger ist aber der Erstattungsanspruch nicht beschränkt. Schon die Vorgängervorschriften der § 83 b Abs. 2 Satz 2 AVG und § 1304 b Abs. 2 Satz 2 RVO, die im Zeitpunkt der ergangenen Entscheidung über den Versorgungsausgleich galten, knüpften offen formuliert an Aufwendungen an, die "dem Versicherungsträger auf Grund der nach § 1587 b Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs begründeten Rentenanwartschaften entstehen". Die Erstattungsvoraussetzung war unabhängig von der Rechtsform des Versorgungsträgers erfüllt, sobald Anrechte im Wege des Quasi-Splittings nach § 1587 b Abs. 2 BGB begründet wurden, sei es auch durch fehlerhafte Anwendung dieser Vorschrift. Beschränkt war also von Beginn an nicht die Erstattung der Leistung des Zielversorgungsträgers an die ausgleichsberechtigte Person durch den Versorgungsträger der ausgleichspflichtigen Person, sondern lediglich der Ausgleich im Wege des Quasi-Splittings als solcher.

[23] Zwar wurde die früher noch im Gesetz enthaltene Bezugnahme auf § 1587 b Abs. 2 BGB nicht in den Wortlaut des § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI übernommen, doch war hiermit ausdrücklich keine Änderung der Rechtslage bezweckt (BT-Drucks. 11/4124 S. 195 zu § 220 SGB VI-E). Anhaltspunkte dafür, dass der Kreis der Erstattungsverpflichteten durch die neu gefasste Vorschrift auf öffentlich-rechtliche Versorgungsträger beschränkt werden sollte, bestehen nicht. Denn auch in Bezug auf sonstige Versorgungsträger besteht das Bedürfnis der Wahrung der Kostenneutralität des Versorgungsausgleichs für den Versorgungsträger der ausgleichsberechtigten Person. Daher kann auch der Leistungsträger eines anderen vom Familiengericht im Wege des Quasi-Splittings als ausgleichsfähig herangezogenen Anrechts in den Anwendungsbereich des § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI fallen (vgl. BSG Urteil vom 21. März 2018 ­ B 13 R 17/15 R ­ SozR 4-2600 § 225 Nr. 3 Rn. 27).

[24] (4) Systematische Widersprüche ergeben sich auch nicht daraus, dass sich alle übrigen im Unterabschnitt "Erstattungen" (§§ 223 ff. SGB VI) geregelten Ansprüche ausschließlich gegen öffentlich-rechtliche Versorgungsträger richten (aA LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 19. März 2010 ­ L 13 R 12/05 ­ juris Rn. 24). Denn Anknüpfungspunkt der in dem Unterabschnitt geregelten Erstattungsansprüche sind jeweils die fremd veranlassten Aufwendungen des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung und ist nicht die Rechtsform des Erstattungspflichtigen.

[25] (5) Der Anspruch wird auch nicht dadurch infrage gestellt, dass die Klägerin etwa nicht schutzwürdig sei, weil sie bereits als Beteiligte am Versorgungsausgleichsverfahren auf eine zutreffende Entscheidung habe hinwirken können (so aber OLG Köln Urteil vom 4. Juli 2019 ­ 15 U 95/18 ­ juris Rn. 21; LSG

Nordrhein-Westfalen Urteil vom 19. März 2010 ­ L 13 R 12/05 ­ juris Rn. 28). Denn die gleiche Möglichkeit bestand für den am Versorgungsausgleichsverfahren ebenfalls beteiligten Beklagten zu 1 (vgl. BSG Urteil vom 21. März 2018 ­ B 13 R 17/15 R ­ SozR 4-2600 § 225 Nr. 3 Rn. 32).

[26] (6) Nach dem durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geprägten Verständnis von § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI kommt es auch nicht darauf an, ob und unter welchen Voraussetzungen der Beklagte zu 1 die Möglichkeit hat, aufgrund der Entscheidung über den Versorgungsausgleich oder seiner Inanspruchnahme nach § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI seinerseits die Versorgung des Ehemanns zu kürzen.

[27] Zwar stehen § 1587 b Abs. 2 BGB und § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI in einem Regelungszusammenhang, der neben der Begründung eines Anrechts für die ausgleichsberechtigte Person auch die entsprechende Kürzung des Anrechts der ausgleichspflichtigen Person vorsieht (vgl. § 57 BeamtVG sowie entsprechende landesrechtliche Vorschriften). Weder aus dem Wortlaut des § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI noch aus dem Zweck einer unselbständigen Hilfs- und Garantiefunktion des Erstattungsverfahrens und dem Prinzip der Kostenneutralität für den Versorgungsträger (BSG Urteil vom 21. März 2018 ­ B 13 R 17/15 R ­ SozR 4-2600 § 225 Nr. 3 Rn. 31) ergibt sich jedoch, dass eine solche Kürzungsmöglichkeit für eine Inanspruchnahme aus § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI vorausgesetzt wird. Der Träger des ausgeglichenen Anrechts hat vielmehr auch dann die Ansprüche des Rentenversicherungsträgers der ausgleichsberechtigten Person zu erfüllen, wenn er selbst eine Kürzung der Versorgung der ausgleichspflichtigen Person nicht vornehmen kann (Hauck/Noftz/Bachmann Sozialgesetzbuch VI [Stand: 4/19] § 225 Rn. 14; vgl. auch Kümmel Beamtenversorgungsgesetz [Stand: Oktober 2014] § 57 Rn. 18). Deshalb hat das Bundessozialgericht auch die Heranziehung einer Berufsgenossenschaft zur Erstattung nach § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI nicht davon abhängig gemacht, dass im Leistungsverhältnis zu ihrem Unfallversicherten entsprechende Kürzungsmöglichkeiten bestehen (vgl. Borth FamRZ 2018, 1820, 1821).

[28] 3. Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache abschließend entscheiden, da die Sache zur Endentscheidung reif ist.

[29] Die gemäß § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erstattungsfähigen Aufwendungen der Klägerin, für deren Berechnung sie an die rechtskräftige Entscheidung über den Versorgungsausgleich gebunden ist (vgl. BSG Urteil vom 21. März 2018 ­ B 13 R 17/15 R ­ SozR 4-2600 § 225 Nr. 3 Rn. 15 ff.), betragen nach den getroffenen Feststellungen 26.913,70 €.

[30] Der für den Erstattungszeitraum ab 2017 gestellte und ursprünglich zulässige Feststellungsantrag bleibt unabhängig davon zulässig, ob im Verlauf des Rechtsstreits die Voraussetzungen für den Übergang zu einer Leistungsklage insoweit (teilweise) eingetreten sind (vgl. etwa BGH Urteil vom 4. November 1998 ­ VIII ZR 248/97 ­ NJW 1999, 639, 640 mwN).

Dose Schilling Günter

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