BVerfG: Akteneinsichtsrecht des Geschädigten im Strafverfahren wegen Scalping

07.07.2009

GG Art. 2, 1; StPO §§ 406e, 403; WpHG §§ 38, 20a, 8; BGB § 826
Akteneinsichtsrecht des Geschädigten im Strafverfahren wegen Scalping
BVerfG (2. Kammer des Zweiten Sentas), Beschl. v. 4. 12. 2008 – 2 BvR 1043/08

Leitsatz der Redaktion:

Das Akteneinsichtsrecht im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nach § 406e StPO steht auch dem Geschädigten zu, der einen Schadensersatzanspruch wegen Kursmanipulation durch Scalping gem. § 826 BGB geltend machen will. Dem steht das Grundrecht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung nicht entgegen.

Gründe:

[1]  I. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Voraussetzungen der Gewährung von Akteneinsicht an mutmaßlich Verletzte im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.

[2]  1. Die Staatsanwaltschaft Berlin führt gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der strafbaren Marktmanipulation (§ 38 Abs. 2 i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 2, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG). Der Beschwerdeführer bietet über eine entgeltliche E-Mail-Hotline und auf Seminaren Börseninformationen und Empfehlungen zum Erwerb von Aktien an. Ihm wird vorgeworfen, die Börsenkurse geringwertiger Aktien durch falsche Angaben in seinen Kaufempfehlungen in die Höhe getrieben zu haben, bevor sie dann aufgrund von Geschäftsberichten der betroffenen Gesellschaften eingebrochen seien. Als Bevollmächtigter eines in Mauritius ansässigen Unternehmens habe der Beschwerdeführer Aktien der von ihm empfohlenen Gesellschaften vor der jeweiligen Empfehlung bei einer deutschen Privatbank eingeliefert und vor dem Zusammenbruch der Kurse verkaufen lassen.

[3]  Das AG Tiergarten ordnete mit Beschluss vom 26. September 2007 wegen der Empfehlung dreier Gesellschaften den dinglichen Arrest i.H. v. rund 27,1 Mio. € in das Vermögen des mauritischen Unternehmens an. Wegen der Empfehlung weiterer Gesellschaften wurde der Arrest später auf etwa 45,6 Mio. € erhöht. Aufgrund von Pfändungsverfügungen der Staatsanwaltschaft wurden rund 38,7 Mio. € sichergestellt.

[4]  2. Die Antragsteller im Ausgangsverfahren, die Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer erstattet hatten, beantragten Einsicht in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft auf der Grundlage von § 406e StPO. Sie behaupteten, sie hätten im Jahr 2007 aufgrund einer Kaufempfehlung im Börsendienst des Beschwerdeführers Aktien der S. Corp., einer der in der Arrestanordnung genannten Gesellschaften, gekauft und knapp vier Monate später mit einem Verlust von etwa 47.000 € wieder verkauft. Ihnen stehe deswegen ein Schadensersatzanspruch gegen den Beschwerdeführer zu. Zur Vorbereitung einer entsprechenden Klage hätten sie ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme in die Ermittlungsakte.

[5]  3. Nachdem die Staatsanwaltschaft den Antrag abgelehnt hatte, ordnete das LG Berlin mit Beschluss vom 20. Mai 2008 (ZIP 2008, 1826 (LS), dazu EWiR 2008, 617 (Mock)) an, den Antragstellern zu Händen eines Rechtsanwalts Einsicht in bestimmte Aktenbestandteile zu gewähren. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Antragsteller seien Verletzte i.S.d. § 406e StPO. Zwar werde dem Beschwerdeführer keine Tat zur Last gelegt, bei der die verletzte Strafnorm die Antragsteller unmittelbar schütze. § 20a WpHG (Verbot der Marktmanipulation) bezwecke nicht den Schutz von Anlegern. Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 263, 264a StGB seien hier nicht erfüllt. Die Antragsteller hätten jedoch gegen den Beschwerdeführer einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Auch ein solcher zivilrechtlicher Anspruch sei geeignet, die Stellung als Verletzter i.S.v. § 406e StPO zu begründen.

[8]  4. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG ordnete mit Beschluss vom 2. Juni 2008 im Wege der einstweiligen Anordnung an, die Vollziehung des Beschlusses des LG Berlin bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen.

[9]  5. Die Antragsteller des Ausgangsverfahrens nahmen ihren Antrag auf Akteneinsicht anschließend zurück. Es haben sich seither weitere mutmaßliche Geschädigte gemeldet, die Schadensersatzansprüche gegen den Beschwerdeführer geltend machen und ebenfalls Akteneinsicht beantragt haben.

[10]  II. Mit der am 27. Mai 2008 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG, und von Art. 3 Abs. 1 GG.

[13]  III. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

[14]  Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22, 24 ff.; BVerfGE 96, 245, 248 ff.). Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

[15]  1. Die Verfassungsbeschwerde ist zwar weiterhin zulässig. Das Rechtsschutzinteresse ist nicht entfallen, obwohl die Antragsteller des Ausgangsverfahrens ihren Antrag auf Akteneinsicht inzwischen zurückgenommen haben und der Beschwerdeführer daher durch die angegriffene Entscheidung nicht mehr unmittelbar beschwert ist. Das Rechtsschutzinteresse besteht fort, wenn wegen des zugrunde liegenden Sachverhalts eine Wiederholungsgefahr für die grundrechtliche Beeinträchtigung besteht (vgl. BVerfGE 69, 257, 266; BVerfGE 81, 208, 213). Es haben sich zahlreiche weitere mutmaßliche Geschädigte gemeldet, die zivilrechtliche Schadensersatzansprüche auf derselben Grundlage wie die Antragsteller des Ausgangsverfahrens geltend machen und deswegen Akteneinsicht beantragt haben. Es ist daher zu erwarten, dass die Staatsanwaltschaft und das LG Berlin über weitere Anträge auf Akteneinsicht zu entscheiden haben werden und sich damit die umstrittene Frage zur Auslegung von § 406e StPO in einem anderen Verfahren erneut stellen wird.

[16]  2. Die Entscheidung des LG zur Gewährung der Akteneinsicht ist aber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Prüfungsmaßstab für die Frage, ob die angegriffene Entscheidung des LG mit der Verfassung vereinbar ist, ist das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Dieses Recht gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1, 43; BVerfGE 78, 77, 84; BVerfGE 80, 367, 373). Einschränkungen dieser Befugnis bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen; sie dürfen nicht weiter gehen, als zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich (vgl. BVerfGE 65, 1, 44; BVerfGE 78, 77, 85).

[17]  Die Gewährung von Akteneinsicht in strafrechtliche Ermittlungsakten stellt einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Personen dar, deren personenbezogene Daten auf diese Weise zugänglich gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Zweiten Senats v. 26.10.2006 – 2 BvR 67/06, NJW 2007, 1052). Die Auslegung und Anwendung des § 406e StPO hat sich daher an Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zu orientieren (vgl. BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Zweiten Senats v. 24.9.2002 – 2 BvR 742/02, NJW 2003, 501, 502). Da es nicht Aufgabe des BVerfG ist, fachgerichtliche Entscheidungen auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, ist Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung allein, ob bei der Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht grundrechtliche Positionen des Beschwerdeführers außer Acht gelassen wurden (vgl. BVerfG NJW 2007, 1052, 1053).

[18]  3. Die Anwendung von § 406e StPO durch das LG verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Weder sind durch das GG vorgegebene verfassungsrechtliche Maßstäbe verkannt worden, noch stellt die Gewährung von Akteneinsicht eine unverhältnismäßige und damit sachwidrige Maßnahme dar. Die Auslegung des Begriffs des „Verletzten“, die das LG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, hält sich innerhalb der Grenzen, welche das Grundrecht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung der Auslegung von § 406e StPO setzt. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das LG auch den Geschädigten als Verletzten i.S.v. § 406e StPO einordnet, der aufgrund eines strafrechtlich relevanten Verhaltens nur einen zivilrechtlichen Anspruch aus § 826 BGB geltend machen kann (vgl. BVerfG NJW 2003, 501, 503). Der Umstand, dass der Tatverdacht sich nur auf Strafrechtsnormen bezieht, die nicht speziell dem Schutz der Individualinteressen der Antragsteller dienen, zwingt nicht von Verfassungs wegen zu einer Ablehnung der Verletzteneigenschaft.

[19]  a) Der Gesetzgeber hat bei der Neugestaltung der formellen Verletztenbeteiligung am Strafverfahren durch Einführung der §§ 406d bis 406g StPO – wie bereits im geltenden Recht – von einer Bestimmung des Verletztenbegriffs abgesehen (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 16). Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass es nach weitgehend anerkannter Ansicht einen einheitlichen Verletztenbegriff im Strafverfahrensrecht nicht gebe, sondern dieser aus dem jeweiligen Funktionszusammenhang heraus zu bestimmen sei (BT-Drucks. 10/5305, S. 16). Bei unterschiedlichen dogmatischen Ausgangspunkten namentlich zu § 172 StPO hätten sich im Ergebnis die Auffassungen so angenähert, dass in einem großen Kernbereich in der Praxis weitgehende Übereinstimmung bestehe, wer als Verletzter anzusehen sei; die nähere Bestimmung des Verletzten in Grenzbereichen solle der Rechtsprechung überlassen bleiben (BT-Drucks. 10/5305, S. 16).

[20]  b) Teile der Rechtsprechung und Literatur setzen den Verletztenbegriff in den §§ 406d ff. StPO mit dem Verletztenbegriff gleich, der in § 172 StPO die Antragsbefugnis für das Klageerzwingungsverfahren begründet (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 30.5.1988 – 2 VAs 3/88, StV 1988, 332; LG Stralsund, Beschl. v. 10.1.2005 – 22 Qs 475/04, juris; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., 2008, vor § 406d Rz. 2; Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., 2008, § 172 Rz. 54; Schöch, in: AK-StPO, 1996, vor § 406d Rz. 9). Diese Gleichsetzung führt zu einer engeren Auslegung des Verletztenbegriffs. Die Verletzteneigenschaft und damit der Anspruch auf Akteneinsicht sollen danach nur dem zustehen, der durch die behauptete Tat – ihre tatsächliche Begehung unterstellt – unmittelbar in einem Rechtsgut verletzt ist (Meyer-Goßner, a.a.O., vor § 406d Rz. 2, § 172 Rz. 9; LG Mühlhausen, Beschl. v. 26.9.2005 – 9 Qs 21/05, wistra 2006, 76; LG Stralsund, Beschl. v. 10.1.2005 – 22 Qs 475/04, juris). Anstelle der Unmittelbarkeit der Rechtsverletzung wird zum Teil auch auf den Schutzbereich der verletzten Strafrechtsnorm abgestellt. Verletzter i.S.d. §§ 406d ff. StPO soll demnach nur sein, wer in einem rechtlich geschützten Interesse durch eine Straftat beeinträchtigt wird, soweit die verletzte Strafrechtsnorm dabei auch seinem Schutz dient (Stöckel, in: KMR-Komm. z. StPO, Stand: 4/2008, vor § 406d Rz. 11; Kurth, in: Heidelberger Komm. z. StPO, 3. Aufl., 2001, § 406d Rz. 2; Velten, in: Systematischer Komm. z. StPO, Stand: 2/2008, vor §§ 406d – 406h Rz. 5; Schöch, a.a.O., vor § 406d Rz. 10).

[21]  c) Nach einem weiteren Verständnis des Verletztenbegriffs in §§ 406d ff. StPO, den auch das LG in der hier angegriffenen Entscheidung vertritt, erfasst der Begriff darüber hinaus auch den Verletzten i.S.d. Adhäsionsverfahrens nach § 403 StPO, da die Vorschriften über die Befugnisse des Verletzten ihrem Zweck nach der Wahrnehmung vielfältiger rechtlich geschützter Interessen dienten und daher der Verletzte einer Straftat im weitesten Sinne gemeint sei (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 14.10.1987 – 2 VAs 17/87, NJW 1988, 3275, 3277, dazu EWiR 1988, 1027 (Marxen); Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., 2001, vor § 406d Rz. 2; Engelhardt, in: Karlsruher Komm. z. StPO, 6. Aufl., 2008, Vor §§ 406d – 406h Rz. 1; Otto, GA 1989, 289, 290). Nach diesem weiteren Begriff des § 403 StPO soll Verletzter auch der durch eine Straftat nur mittelbar Geschädigte sein, so etwa der zivilrechtlich Anspruchsberechtigte aus den §§ 844, 845 BGB bei einem Tötungsdelikt (Hilger, a.a.O., § 403 Rz. 1; Engelhardt, a.a.O., § 403 Rz. 5; Stöckel, a.a.O., § 403 Rz. 1; Kurth, a.a.O., § 403 Rz. 2).

[22]  d) Vor allem der systematische und funktionale Zusammenhang des Akteneinsichtsrechts nach § 406e StPO mit dem Adhäsionsverfahren rechtfertigt die hier vom LG zugrunde gelegte weite Auslegung des Verletztenbegriffs. Das berechtigte Interesse daran, zur Prüfung von Ansprüchen, die im Adhäsionsverfahren verfolgt werden könnten, auch Einsicht in die Strafakte zu nehmen, spricht für eine einheitliche Auslegung des Verletztenbegriffs in §§ 403 und 406e StPO. Ein Adhäsionsantrag wird sinnvollerweise durch Akteneinsicht vorbereitet werden. Dies gilt aber ebenso für den Geschädigten, dem Ansprüche aus einem auch strafrechtlich relevanten Verhalten entstanden sein könnten und der diese Ansprüche vor den Zivilgerichten statt im Adhäsionsverfahren verfolgen will. Es entspricht daher der Wertung des Gesetzgebers, der durch das Adhäsionsverfahren dem Verletzten in diesem weiten Sinne eine eigene verfahrensrechtliche Position im Strafverfahren eingeräumt hat, die Wahrnehmung der Verletztenrechte auch durch Akteneinsicht zu unterstützen. Der Gesetzgeber verfolgte mit Einführung der §§ 406d ff. StPO die Absicht, insbesondere die Ersatzmöglichkeiten des Verletzten bei materiellen Schäden zu verbessern (vgl. BT-Drucks 10/5305, S. 8). Der damit einhergehende Eingriff in das Recht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung ist durch den Zweck, die rechtlichen Interessen des Verletzten im Strafverfahren zu schützen, gerechtfertigt und durch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 406e StPO und das dort geregelte Verfahren, insbesondere durch die gebotene sorgfältige Abwägung der gegenläufigen Interessen ausreichend beschränkt.

[23]  Im vorliegenden Fall ist der Zusammenhang der geltend gemachten deliktischen Ansprüche mit dem Verdacht der strafbaren Marktmanipulation, der dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegt, so eng, dass das LG bei Anwendung dieses weiteren Verletztenbegriffs die Antragsteller als Verletzte einordnen konnte. Das strafbare Verhalten, dessen der Beschwerdeführer verdächtigt wird, hätte, falls es vorliegt, nach den Feststellungen des LG auch die Tatbestandsvoraussetzungen eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs erfüllt.

[24]  4. Auch die Abwägung der schutzwürdigen Interessen des Beschwerdeführers mit dem Verletzteninteresse an der Akteneinsicht, die das LG hier vorgenommen hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist die Verfolgung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche ein schutzwürdiges Interesse des Verletzten einer Straftat, das zu Akteneinsicht über einen Rechtsanwalt nach § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO berechtigt (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 8). Zu den schutzwürdigen Interessen des Beschwerdeführers als Beschuldigtem zählt dagegen sein Interesse an der Geheimhaltung persönlicher Daten. Einer Akteneinsicht steht dieses Interesse allerdings nur dann entgegen, wenn es das Informationsinteresse der Verletzten überwiegt. Dies tut es nicht generell. Vielmehr hat das Gericht oder die Behörde, die über die Akteneinsicht entscheidet, die gegenläufigen Interessen von Verletzten und Beschuldigten gegeneinander abzuwägen, um hierdurch festzustellen, welchem Interesse im Einzelfall der Vorrang gebührt. Eine solche Abwägung hat das LG hier vorgenommen. Dabei ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass diese Abwägung zu Gunsten der Verletzten ausging. Das LG konnte dem qualifiziert dargelegten Interesse an der Akteneinsicht, um erhebliche Schadensersatzansprüche geltend zu machen, größeres Gewicht beimessen als den Geheimhaltungsinteressen des Beschwerdeführers, gegen den ein hoher Verdachtsgrad einer Straftat besteht. Es hält sich auch im Rahmen einer zulässigen Abwägung, dass das LG die Akteneinsicht zur Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche für erforderlich hielt. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragsteller zur Begründung ihres Akteneinsichtsgesuchs bereits substanziiert zu ihren Schadensersatzansprüchen vorgetragen haben. Ob die Antragsteller aus anderen Quellen als der Ermittlungsakte ohne Weiteres alle erforderlichen Informationen erhalten können, um ihre Ansprüche durch den Instanzenzug geltend zu machen, ergibt sich daraus noch nicht. Auch kann die Akteneinsicht erforderlich sein, um sich über das Nichtvorliegen von Umständen zu vergewissern, die einem scheinbar bereits schlüssigen Anspruch entgegenstehen könnten.

[25]  Auch der Umfang der gewährten Einsichtnahme begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Entscheidung des LG, den Antragstellern auch Einsicht in die Teile der Akten zu gewähren, die weitere Gesellschaften betreffen, von denen sie keine Aktien erworben haben, verkennt nicht das schutzwürdige Interesse des Beschwerdeführers an einer Geheimhaltung seiner Daten. Die Erwägung, dass auch im Rahmen der zivilprozessualen Beweiswürdigung von Belang sei, ob der mutmaßliche Täter mehrfach ähnlich gehandelt habe, rechtfertigt die Gewährung der umfassenden Akteneinsicht. Der beauftragte Rechtsanwalt, durch den Akteneinsicht genommen wird, steht im Übrigen als Organ der Rechtspflege in der Pflicht, seinen Mandanten nur die Auskünfte zukommen zu lassen, die zur Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche gegen den Beschwerdeführer dringend erforderlich sind.

[26]  5. Von einer weiteren Begründung der Nichtannahmeentscheidung wird gem. § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.


Mitgeteilt von RA und Notar Sebastian Mock, Berlin

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell