EuGH: Nicht generell Nutzungsersatz nach Widerruf im Fernabsatz („Messner“)

01.10.2009

BGB §§ 312d, 355, 357, 346; RL 97/7/EG Art. 6

Nicht generell Nutzungsersatz nach Widerruf im Fernabsatz („Messner“)

EuGH, Urt. v. 3. 9. 2009 – Rs C-489/07

Urteilsausspruch:

Die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der RL 97/7/EG des EU-Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Verkäufer vom Verbraucher für die Nutzung einer durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekauften Ware in dem Fall, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht fristgerecht ausübt, generell Wertersatz für die Nutzung der Ware verlangen kann.

Diese Bestimmungen stehen jedoch nicht einer Verpflichtung des Verbrauchers entgegen, für die Benutzung der Ware Wertersatz zu leisten, wenn er diese auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat, sofern die Zielsetzung dieser Richtlinie und insbesondere die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf Widerruf nicht beeinträchtigt werden; dies zu beurteilen ist Sache des nationalen Gerichts.

Urteil:

[1]  Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 der RL 97/7/EG des EU-Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl L 144, S. 19).

[2]  Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Messner, einer Verbraucherin, und der Firma Stefan Krüger, die Versandhandel im Internet betreibt, wegen Rückzahlung von 278 € nach Kündigung eines im Fernabsatz geschlossenen Vertrags.

<zwtitel></zwtitel>Ausgangsverfahren und Vorlagefrage</zwtitel><//zwtitel>

[10]  Frau Messner kaufte am 2. Dezember 2005 über das Internet von Stefan Krüger ein gebrauchtes Notebook zum Preis von 278 €.

[11]  Stefan Krüger hatte zum Zeitpunkt dieses Kaufs AGB in das Internet eingestellt, in denen es u.a. hieß, dass der Käufer für die durch bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme eingetretene Verschlechterung der Ware Wertersatz leisten müsse.

[12]  Im August 2006 kam es zu einem Defekt des Displays des Computers. Frau Messner teilte Stefan Krüger am 4. August 2006 den Defekt an dem Display mit. Dieser lehnte eine kostenlose Beseitigung des Defekts ab.

[13]  Am 7. November 2006 widerrief Frau Messner den Kaufvertrag und bot Stefan Krüger das Notebook Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises an. Dieser Widerruf erfolgte innerhalb der im BGB vorgesehenen Fristen, da Frau Messner nicht die nach dessen Bestimmungen für das Inlaufsetzen der Frist erforderliche Widerrufsbelehrung erhalten hatte.

[14]  Frau Messner erhob gegen Stefan Krüger vor dem AG Lahr Klage auf Zahlung des Betrags von 278 €.

[15]  Stefan Krüger trägt beim vorlegenden Gericht gegen die Klageforderung vor, dass Frau Messner ihm für ihre Nutzung des Notebooks für etwa acht Monate auf jeden Fall Wertersatz zu leisten habe. Bei einem vergleichbaren Notebook liege der Mietpreis im Marktdurchschnitt bei 118,80 € für drei Monate, so dass sich für die Nutzungszeit der Klägerin ein Wertersatz von 316,80 € ergebe.

[16]  Unter diesen Umständen hat das AG Lahr beschlossen, das Verfahren auszusetzen, und dem Gerichtshof folgende Frage (s. Rz. 17) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Zur Vorlagefrage

[17]  Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der RL 97/7 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Verkäufer vom Verbraucher für die Nutzung einer im Fernabsatz gekauften Ware in dem Fall, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht fristgerecht ausübt, Wertersatz für die Nutzung der Ware verlangen kann.

[18]  Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der RL 97/7 sind die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.

[19]  In diesem Zusammenhang ergibt sich aus dem 14. Erwägungsgrund der RL 97/7, dass dieses Verbot, dem Verbraucher andere Kosten als die der unmittelbaren Rücksendung der Waren aufzuerlegen, gewährleisten soll, dass das in dieser Richtlinie festgelegte Widerrufsrecht „mehr als ein bloß formales Recht“ ist. Wäre dieses Recht nämlich mit negativen Kostenfolgen verbunden, könnte dies den Verbraucher davon abhalten, von diesem Recht Gebrauch zu machen.

[20]  Außerdem ergibt sich aus demselben Erwägungsgrund, dass das Widerrufsrecht den Verbraucher in der besonderen Situation eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz schützen soll, in der er „keine Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen“. Das Widerrufsrecht soll also den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren.

[21]  Im Licht dieser Ziele ist das in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der RL 97/7 genannte Verbot auszulegen.

[22]  Insoweit ist festzustellen, dass die generelle Auferlegung eines Wertersatzes für die Nutzung der durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekauften Ware mit den genannten Zielen unvereinbar ist.

[23]  Falls nämlich der Verbraucher einen solchen pauschalierten Wertersatz allein deshalb leisten müsste, weil er die Möglichkeit hatte, die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware in der Zeit, in der er sie im Besitz hatte, zu benutzen, könnte er – wie die Generalanwältin in Rz. 74 ihrer Schlussanträge hervorhebt – sein Widerrufsrecht nur gegen ZIP Heft 38/2009, Seite 1821Zahlung dieses Wertersatzes ausüben. Eine solche Folge liefe eindeutig dem Wortlaut und der Zielsetzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der RL 97/7 zuwider und nähme insbesondere dem Verbraucher die Möglichkeit, die ihm von der Richtlinie eingeräumte Bedenkzeit völlig frei und ohne jeden Druck zu nutzen.

[24]  Außerdem würden die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf Widerruf beeinträchtigt, wenn dem Verbraucher auferlegt würde, allein deshalb Wertersatz zu zahlen, weil er die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware geprüft und ausprobiert hat. Da das Widerrufsrecht gerade zum Ziel hat, dem Verbraucher diese Möglichkeit einzuräumen, kann deren Wahrnehmung nicht zur Folge haben, dass er dieses Recht nur gegen Zahlung eines Wertersatzes ausüben kann.

[25]  Die RL 97/7 hat jedoch, auch wenn sie den Verbraucher in der besonderen Situation eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz schützen soll, nicht zum Ziel, ihm Rechte einzuräumen, die über das hinausgehen, was zur zweckdienlichen Ausübung seines Widerrufsrechts erforderlich ist.

[26]  Demzufolge stehen die Zielsetzung der RL 97/7 und insbesondere das in ihrem Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 festgelegte Verbot grundsätzlich Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, wonach der Verbraucher einen angemessenen Wertersatz zu zahlen hat, wenn er die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat.

[27]  Aus dem letzten Satz des 14. Erwägungsgrundes der RL 97/7 ergibt sich hierzu, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen. Diese Befugnis ist jedoch unter Beachtung der Zielsetzung dieser Richtlinie auszuüben und darf insbesondere nicht die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf Widerruf beeinträchtigen. Das wäre z.B. dann der Fall, wenn die Höhe eines Wertersatzes der in der vorstehenden Randnummer genannten Art außer Verhältnis zum Kaufpreis der fraglichen Ware stünde oder wenn die nationale Regelung dem Verbraucher die Beweislast dafür auferlegte, dass er die Ware während der Widerrufsfrist nicht in einer Weise benutzt hat, die über das hinausgeht, was zur zweckdienlichen Ausübung seines Widerrufsrechts erforderlich ist.

[28]  Es ist Sache des nationalen Gerichts, den Rechtsstreit, mit dem es konkret befasst ist, im Licht dieser Grundsätze unter gebührender Berücksichtigung aller seiner Besonderheiten zu entscheiden, insbesondere der Natur der fraglichen Ware und der Länge des Zeitraums, nach dessen Ablauf der Verbraucher aufgrund der Nichteinhaltung der dem Verkäufer obliegenden Informationspflicht sein Widerrufsrecht ausgeübt hat.

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