EuGH: Unmittelbare Wirkung der Antidiskriminierungs-RL im Kündigungsschutzprozess („Kücükdeveci“)

07.08.2009

RL 2000/78/EG Art. 2, 6; BGB § 622 Abs. 2 Satz 2

Unmittelbare Wirkung der Antidiskriminierungs-RL im Kündigungsschutzprozess („Kücükdeveci“)

Schlussanträge:

1. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, die allgemein bestimmt, dass Beschäftigungszeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs liegen, bei der Berechnung der Kündigungsfristen unberücksichtigt bleiben.

2. Das vorlegende Gericht hat diese nationale Rechtsvorschrift unangewendet zu lassen, und zwar auch im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Einzelnen.

<instanz></instanz><gericht></gericht>EuGH GA (Generalanwalt Yves Bot)</gericht><//gericht><typ></typ>Schlussanträge</typ><//typ><datum></datum>7.7.2009</datum><//datum><az></az>Rs C-555/07</az><//az><eannex></eannex>(Verfahrenssprache: Französisch)</eannex><//eannex></instanz><//instanz>

Einleitung

[1]  Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof erneut aufgefordert, die Regelung und die Tragweite des Verbots der Altersdiskriminierung nach dem Gemeinschaftsrecht zu erläutern. Er erhält damit Gelegenheit, zu verdeutlichen, welche Tragweite dem Urteil vom 22. November 2005, Mangold,2 beizumessen ist.

[2]  Die vorliegende Rechtssache wird dem Gerichtshof Veranlassung geben, die rechtliche Regelung des allgemeinen Verbots der Altersdiskriminierung sowie die Funktion zu erläutern, die dieses Verbot hat, wenn die Frist für die Umsetzung der RL 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf3 abgelaufen ist. Es wird insbesondere darüber zu entscheiden sein, welche Aufgabe und welche Befugnisse das nationale Gericht angesichts einer nationalen Regelung hat, die eine Diskriminierung wegen des Alters enthält, wenn die Tatsachen, die zum Ausgangsverfahren führten, nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der RL 2000/78/EG eingetreten sind, und sich in dem Rechtsstreit zwei Einzelne gegenüberstehen.

[3]  Das Ersuchen wurde im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Kücükdeveci und ihrem ehemaligen Arbeitgeber, der Swedex GmbH & Co. KG (im Folgenden: Swedex), wegen Berechnung und Dauer der für die Kündigung von Frau Kücükdeveci geltenden Kündigungsfrist vorgelegt.

<zwtitel></zwtitel>II. Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</zwtitel><//zwtitel>

[15]  Frau Kücükdeveci wurde am 12. Februar 1978 geboren. Sie war seit dem 4. Juni 1996, somit seit ihrem vollendeten 18. Lebensjahr, bei Swedex beschäftigt.

[16]  Mit Schreiben vom 19. Dezember 2006 kündigte Swedex ihr unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 31. Januar 2007.

[17]  Am 9. Januar 2007 reichte die Klägerin beim ArbG Mönchengladbach Kündigungsschutzklage ein. Zur Begründung ihrer Klage machte sie u.a. geltend, dass die Kündigung erst zum 30. April 2007 wirke, weil § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BGB die Kündigungsfrist nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit auf vier Monate zum Monatsende verlängere.

[18]  § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, der bestimme, dass vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegende Betriebszugehörigkeitszeiten bei der Berechnung der Kündigungsfrist unberücksichtigt bleiben, stelle eine gemeinschaftsrechtswidrige Altersdiskriminierung dar. Folglich dürfe diese innerstaatliche Vorschrift nicht angewandt werden.

[19]  Nachdem das ArbG Mönchengladbach der Klage von Frau Kücükdeveci stattgegeben hatte, legte Swedex gegen diese Entscheidung Berufung beim LAG Düsseldorf ein.

[20]  In seinem Vorlagebeschluss (ZIP 2008, 1786) führt das LAG aus, dass die Gestaltung des Bestandsschutzes das Einstellungsverhalten der Arbeitgeber zwar mittelbar beeinflussen möge, dass aber nicht belegt sei, dass die Altersschwelle von 25 Jahren Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt konkret verfolge und verwirkliche. (Wird ausgeführt.)

[22]  Das vorlegende Gericht ist nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB überzeugt. Es hat jedoch Zweifel, ob die Bestimmung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

III. Untersuchung

<zwtitel></zwtitel>A. Zur ersten Frage</zwtitel><//zwtitel>

[28]  Die erste Frage geht im Wesentlichen dahin, ob das Gemeinschaftsrecht so auszulegen ist, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegenden Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Kündigungsfristen unberücksichtigt bleiben. Bevor diese Frage beantwortet wird, ist, wie vom vorlegenden Gericht angeregt, klarzustellen, welches im vorliegenden Fall die einschlägige Gemeinschaftsnorm ist: das Verbot der Altersdiskriminierung, das nach Auffassung des Gerichtshofs ein allgemeines Prinzip des Gemeinschaftsrechts ist,8 oder die RL 2000/78/EG.

1. Welches ist die einschlägige Gemeinschaftsnorm?

[29]  Meines Erachtens ist in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens für die Feststellung, ob eine vom Gemeinschaftsrecht verbotene Altersdiskriminierung vorliegt, die einschlägige Gemeinschaftsnorm die RL 2000/78/EG.

[30]  Es sei zunächst daran erinnert, dass sich sowohl aus dem Titel der RL 2000/78/EG und ihren Erwägungsgründen als auch aus ihren Bestimmungen und ihrem Zweck ergibt, dass sie einen allgemeinen Rahmen schaffen soll, der gewährleistet, dass jeder in Beschäftigung und Beruf gleichbehandelt wird, indem sie dem Betroffenen einen wirksamen Schutz vor Diskriminierungen aus einem der in ihrem Art. 1 genannten Gründe – darunter auch das Alter – bietet.9

[31]  Ich weise darauf hin, dass die Tatsachen, die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegen, nach Ablauf der Frist eingetreten sind, die der Bundesrepublik Deutschland für die Um-ZIP Heft 31/2009, Seite 1484setzung der Richtlinie gesetzt worden war, d.h. nach dem 2. Dezember 2006.

[32]  Es besteht meines Erachtens zudem kein Zweifel, dass die betreffende nationale Regelung in den Geltungsbereich der genannten Richtlinie fällt. Ich erinnere insoweit daran, dass nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG diese Richtlinie „für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen ... in Bezug auf ... die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts [gilt]“. Da es sich um eine Bestimmung handelt, die eine der Bedingungen regelt, unter denen eine Entlassung erfolgen kann, ist davon auszugehen, dass § 622 BGB in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt.

[33]  Meine Untersuchung der Frage, ob § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters verstößt, stützt sich somit hauptsächlich auf die Bestimmungen der RL 2000/78/EG, die festlegen, was unter einer gemeinschaftsrechtswidrigen Ungleichbehandlung wegen des Alters zu verstehen ist. Die Richtlinie bildet somit den Rahmen, anhand dessen ermittelt werden kann, ob eine Diskriminierung wegen des Alters in Beschäftigung und Beruf vorliegt.

[34]  Es besteht somit kein Grund, dem allgemeinen Verbot der Altersdiskriminierung eine selbstständige Bedeutung dadurch zu geben, dass ich nur dieses Verbot auslege, denn eine solche Haltung hat den großen Nachteil, dass der RL 2000/78/EG die praktische Wirksamkeit genommen wird. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der allgemeine Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, um den es sich bei dem Verbot der Altersdiskriminierung handelt, in meiner Untersuchung des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens keinerlei Rolle spielen wird. Da dieser allgemeine Grundsatz untrennbar mit der RL 2000/78/EG verbunden ist, die hauptsächlich die Anwendung des Grundsatzes erleichtern soll, wird er, wie ich bei der Beantwortung der zweiten Frage ausführen werde, bei der Frage zu berücksichtigen sein, ob und unter welchen Voraussetzungen in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen die Berufung auf die RL 2000/78/EG möglich ist.

[35]  Es ist nunmehr zu prüfen, ob die RL 2000/78/EG, insbesondere ihr Art. 6 Abs. 1, dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung wie § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB entgegensteht.

2. Steht die RL 2000/78/EG § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB entgegen?

[36]  Ich stelle zunächst fest, dass § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, soweit er die Beschäftigungszeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer, aufgrund deren die bei einer Entlassung geltenden Kündigungsfristen ermittelt werden können, eine unmittelbare Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters i.S.d. Art. 2 Abs. 1, 2 Buchst. a RL 2000/78/EG einführt. Für die gekündigten Arbeitnehmer, die vor der Vollendung ihres 25. Lebensjahrs ein Arbeitsverhältnis eingegangen sind, schreibt § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nämlich unmittelbar eine im Vergleich zu den gekündigten Arbeitnehmern, die das Arbeitsverhältnis nach der Vollendung des 25. Lebensjahrs eingegangen sind, weniger günstige Behandlung vor. Diese Maßnahme benachteiligt überdies junge Arbeitnehmer gegenüber älteren Arbeitnehmern, da Erstere, wie dies das Beispiel von Frau Kücükdeveci zeigt, von dem Schutzmechanismus, um den es sich bei der stufenweisen Verlängerung der Kündigungsfristen entsprechend der Beschäftigungsdauer handelt, potenziell ausgeschlossen werden können.

[37]  Aus Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG ergibt sich jedoch, dass derartige Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine nach Art. 2 verbotene Diskriminierung darstellen, „sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind“. Diese legitimen Ziele, die sozialpolitische Ziele sind,10 können somit Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters rechtfertigen, für die Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG mehrere Beispiele nennt.

[38]  Der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland hat in der mündlichen Verhandlung dargestellt, in welchem allgemeinen Kontext die Altersschwelle von 25 Jahren eingeführt wurde. Danach ergibt sich, dass der deutsche Gesetzgeber 1926 ein System der schrittweisen Verlängerung der Kündigungsfristen entsprechend der Dauer des Arbeitsverhältnisses einrichtete. Die Einführung einer Altersschwelle von 25 Jahren, ab der die Beschäftigungsdauer berücksichtigt wird, sollte die Arbeitgeber von dieser schrittweisen Verlängerung der Kündigungsfristen teilweise entlasten. Es handelt sich um eine Vorschrift, die den politischen Kompromiss erleichterte, um das Hauptanliegen, nämlich die genannte Verlängerung, zu verwirklichen. Das Ziel der Vorschrift scheint überdies darin zu bestehen, den Arbeitgebern bei der Entscheidung über die Entlassung junger Arbeitnehmer größere Flexibilität einzuräumen, wobei diese im Hinblick auf die jüngeren Arbeitnehmer bestehende Flexibilität in gewisser Weise die Belastung ausglich, denen die Arbeitgeber durch die schrittweise Verlängerung der Kündigungsfristen entsprechend der Dauer des Arbeitsverhältnisses ausgesetzt waren. Mit anderen Worten, der deutsche Gesetzgeber wollte erreichen, dass sich der verstärkte Arbeitnehmerschutz, der sich nach der Dauer der Unternehmenszugehörigkeit richtete, und das Interesse des Arbeitgebers an personalwirtschaftlicher Flexibilität gleichgewichtig gegenüberstehen.

[39]  Ferner kann der Zusammenhang, in dem § 622 Abs. 2 BGB erlassen wurde, aufgrund der Erläuterungen des vorlegenden Gerichts verdeutlicht werden. Allgemein solle die Vorschrift den Schutz älterer Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit verstärken. Der deutsche Gesetzgeber gehe von dem Postulat aus, dass die Arbeitslosigkeit ältere Arbeitnehmer ungleich härter treffe als jüngere Arbeitnehmer, weil Erstere familiäre und wirtschaftliche Verpflichtungen hätten, die Letztere im Allgemeinen nicht hätten, und im Übrigen ihre berufliche Mobilität geringer sei. Bei Erlass der streitigen Vorschrift, also zu Beginn des 20. Jahrhunderts, hätten die Arbeitnehmer, überwiegend männlichen Geschlechts, üblicherweise im Durch-ZIP Heft 31/2009, Seite 1485schnittsalter von ungefähr dreißig Jahren eine Familie gegründet. Da jüngere Arbeitnehmer im Allgemeinen vor diesem Alter keine Unterhaltsverpflichtungen gehabt hätten, seien sie durch die Grundkündigungsfrist ausreichend geschützt. Auch falle es jüngeren Arbeitnehmern leichter und gelinge es ihnen schneller, auf den Verlust ihres Arbeitsplatzes zu reagieren.

[40]  Auch ist vorgebracht worden, es lasse sich die Auffassung vertreten, dass die Altersschwelle von 25 Jahren ein legitimes arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitisches Ziel verfolge, weil sie die höhere Arbeitslosenquote der jüngeren Arbeitnehmer dadurch senke, dass sie günstigere Einstellungsbedingungen für diese Altersgruppe schaffe. Mit anderen Worten, dadurch, dass die Arbeitgeber lediglich die Grundkündigungsfrist einhalten müssten, werde ihnen ein Anreiz gegeben, mehr junge Arbeitnehmer einzustellen.

[41]  Kann angesichts dieser Erläuterungen davon ausgegangen werden, dass § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, der vorsieht, dass die vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegenden Beschäftigungszeiten unberücksichtigt bleiben, ein legitimes Ziel i.S.d. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78, d.h. ein sozialpolitisches Ziel, verfolgt?

[42]  Meines Erachtens muss unterschieden werden zwischen der Maßnahme, die in der schrittweisen Verlängerung der Kündigungsfrist entsprechend der Beschäftigungsdauer besteht, und der Maßnahme, mit der, um in den Genuss dieser Verlängerung zu kommen, ein Mindestalter von 25 Jahren festgesetzt wird.

[43]  Der Zweck der verlängerten Kündigungsfrist besteht eindeutig im Schutz der Arbeitnehmer, bei denen nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers die Anpassungselastizität und die Vermittelbarkeit geringer wird, wenn sie lange in einem Unternehmen beschäftigt gewesen sind. Beschließt ein Arbeitgeber, einen seit Langem in seinem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer zu entlassen, erleichtert eine verlängerte Kündigungsfrist diesem sicherlich den Übergang in eine neue Berufssituation, insbesondere die Suche nach einer neuen Beschäftigung. Bei diesem verstärkten Schutz des entlassenen Arbeitnehmers entsprechend der in einem Unternehmen zurückgelegten Beschäftigungszeit kann meines Erachtens davon ausgegangen werden, dass damit ein beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitisches Ziel i.S.d. Art. 6 Abs. 1 d RL 2000/78/EG verfolgt wird.

[44]  Dagegen ist es schwieriger, ein legitimes Ziel im Sinne der genannten Bestimmung festzustellen, soweit die Beschäftigungszeiten, die vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegen, unberücksichtigt bleiben.

[45]  Was zunächst die Behauptung angeht, eine solche Maßnahme wirke sich positiv auf die Einstellung von jungen Arbeitnehmern aus, so ist diese meines Erachtens, gelinde gesagt, theoretischer Natur. Fest steht vielmehr, dass sich kurze Kündigungsfristen auf die Suche der Arbeitnehmer nach einer neuen Beschäftigung zwangsläufig negativ auswirken. Die Einführung einer Altersschwelle von 25 Jahren, ab der das System der Verlängerung der Kündigungsfristen Anwendung finden kann, fördert meines Erachtens daher nicht die berufliche Eingliederung von jungen Arbeitnehmern i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG.

[46]  Das Hauptziel dieser Maßnahme, wie es sich aus ihrem allgemeinen Kontext ergibt, besteht darin, den Arbeitgebern größere Flexibilität bei der Verwaltung der Gruppe von Beschäftigten zu ermöglichen, die von den jungen Arbeitnehmern gestellt wird, wobei der deutsche Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass der Schutzbedarf junger Arbeitnehmer bei der Entlassung geringer ist als der älterer Arbeitnehmer. Das Problem liegt also darin, festzustellen, ob dieses Interesse der Arbeitgeber an der flexibleren Verwaltung einer Personalgruppe zu den sozialpolitischen Zielen i.S.d. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG wie denen aus den Bereichen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik gehören kann.

[47]  Im Urteil Age Concern England hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass diese Ziele sich dadurch, dass sie im Allgemeininteresse stehen, von rein individuellen Beweggründen unterscheiden, die der Situation des Arbeitgebers eigen sind, wie Kostenreduzierung oder Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, ohne dass allerdings ausgeschlossen werden kann, dass eine nationale Rechtsvorschrift bei der Verfolgung der genannten rechtmäßigen Ziele den Arbeitgebern einen gewissen Grad an Flexibilität einräumt.11 Demzufolge hat der Gerichtshof nicht ausgeschlossen, dass eine nationale Maßnahme der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik dazu führen kann, dass den Arbeitgebern ein „gewisse[r] Grad an Flexibilität“ eingeräumt wird. Es kann jedoch schwerlich angenommen werden, dass diese den Arbeitgebern eingeräumte Flexibilität ein legitimes Ziel an sich darstellen kann. Der Gerichtshof hat nämlich klar ausgeführt, dass die „legitimen“ Ziele i.S.d. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG solche sind, die im „Allgemeininteresse“ stehen. Dieser Aspekt des Allgemeininteresses fehlt offensichtlich der Maßnahme, die vorsieht, dass die vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegende Beschäftigungszeit unberücksichtigt bleibt, was letztlich darauf hinausläuft, dass eine Gruppe von Arbeitnehmern, im vorliegenden Fall die der jüngsten Arbeitnehmer, von einer Kündigungsschutzregelung ausgeschlossen wird.

[48]  Außerdem habe ich Zweifel, ob eines der Postulate, auf denen § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB beruht – dass es jüngeren Arbeitnehmern leichter fällt und schneller gelingt, auf den Verlust ihres Arbeitsplatzes zu reagieren als den anderen Arbeitnehmern –, zutreffend ist. Der bedeutende Anteil arbeitsloser junger Menschen in unseren Gesellschaften widerspricht diesem Postulat, das vielleicht 1926 zutraf, heute aber nicht mehr gilt.

[49]  Ich bin daher der Ansicht, dass die Maßnahme, nach der die Beschäftigungszeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs liegen, bei der Berechnung der Kündigungsfristen unberücksichtigt bleiben, kein legitimes Ziel i.S.d. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG verfolgt.

[50]  Selbst wenn der Gerichtshof die Auffassung vertreten sollte, dass die genannte Maßnahme ein legitimes sozialpolitisches Ziel wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarktpolitik verfolgt, so ginge diese Maßnahme jedenfalls über das für die Erreichung dieses Ziels Angemessene und Erforderliche hinaus.

ZIP Heft 31/2009, Seite 1486

[51]  Zwar verfügen die Mitgliedstaaten nicht nur bei der Entscheidung, welches konkrete Ziel von mehreren im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik sie verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der Maßnahmen zu seiner Erreichung über einen weiten Ermessensspielraum.12 Der Gerichtshof hat aber auch festgestellt, dass allgemeine Behauptungen, dass eine bestimmte Maßnahme geeignet sei, der Beschäftigungspolitik, dem Arbeitsmarkt und der beruflichen Bildung zu dienen, nicht genügen, um darzutun, dass das Ziel dieser Maßnahme eine Ausnahme von dem Verbot der Altersdiskriminierung rechtfertigen kann, und nicht den Schluss zulassen, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels geeignet sind.13 Selbst wenn man daher davon ausginge, dass § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB das Ziel verfolgt, die Einstellung junger Arbeitnehmer und damit die berufliche Eingliederung dieser Arbeitnehmergruppe zu erleichtern, gibt es doch nichts Greifbares, das diese Behauptung stützen und die Eignung dieser Maßnahme zur Erreichung eines derartigen Ziels belegen könnte. Die Angemessenheit und Erforderlichkeit der genannten Maßnahme ist somit nicht belegt.

[52]  Außerdem führt die Anwendung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB zu einer Situation, in der alle Arbeitnehmer, die vor Vollendung des 25. Lebensjahrs ein Arbeitsverhältnis eingegangen sind und die, wie Frau Kücükdeveci, kurz nach Erreichung dieses Alters entlassen werden, unabhängig von ihrer persönlichen und familiären Lage und ihrem Ausbildungsniveau allgemein von einem wichtigen Teil des Kündigungsschutzes für Arbeitnehmer ausgeschlossen sind. Zudem wurde dieser im Jahr 1926 beschlossene allgemeine Ausschluss aufrechterhalten, ohne dass nachgewiesen wäre, dass die Festsetzung einer solchen Altersschwelle stets der jeweiligen wirtschaftlichen und sozialen Lage dieser Arbeitnehmergruppe angepasst ist.

[53]  Ich schlage daher dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, die allgemein bestimmt, dass Beschäftigungszeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs liegen, bei der Berechnung der Kündigungsfristen unberücksichtigt bleiben.

<zwtitel></zwtitel>B. Zur zweiten Frage</zwtitel><//zwtitel>

[54]  Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, welche Konsequenzen sich aus der Unvereinbarkeit von § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB mit der RL 2000/78/EG ergeben. Ist das vorlegende Gericht insbesondere gehalten, in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen diese nationale Vorschrift unangewendet zu lassen? Ist es ferner verpflichtet, die Sache dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen, bevor es eine dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende nationale Bestimmung unangewendet lassen kann?

[55]  Die letzte Frage bedarf meines Erachtens keiner längeren Ausführungen. Seit dem Urteil vom 9. März 1978, Simmenthal,14 steht nämlich fest, dass das nationale Gericht als ordentliches Gemeinschaftsgericht verpflichtet ist, das Gemeinschaftsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es den Einzelnen verleiht, zu schützen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt. Diese dem nationalen Gericht obliegende Verpflichtung, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften außer Anwendung zu lassen, die ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Gemeinschaftsnormen bilden, ist nicht davon abhängig, dass es zuvor den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht, da andernfalls in den meisten Fällen aus dem Vorlagerecht, das den nationalen Gerichten nach Art. 234 Abs. 2 EG zusteht, eine allgemeine Vorlagepflicht würde.

[56]  Der erste Teil der Vorlagefrage des vorlegenden Gerichts ist dagegen schwieriger und findet in der Rechtsprechung des Gerichtshofs keine offenkundige Antwort.

[57]  Die Frage, ob in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen die Berufung auf eine Richtlinie möglich ist, die ein Mitgliedstaat fehlerhaft oder gar nicht umgesetzt hat, ist vom Gerichtshof dennoch mehrfach klar beantwortet worden. So hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist. Daraus folgt nach Auffassung des Gerichtshofs, dass sogar eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Einzelne gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden kann.15 Der Gerichtshof weigert sich somit, den Schritt zu tun, der zu einer Angleichung der Richtlinien an die Verordnung führen würde, indem der Gemeinschaft die Befugnis zuerkannt würde, mit unmittelbarer Wirkung zu Lasten der Bürger Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist.16 Diese Auffassung trägt der besonderen Natur der Richtlinie Rechnung, die unmittelbar Verpflichtungen nur zu Lasten der Mitgliedstaaten begründet, an die sie gerichtet ist, und dem Einzelnen Verpflichtungen nur über die nationalen Umsetzungsmaßnahmen auferlegen kann.17

[58]  Der Gerichtshof hat die entschiedene Ablehnung einer horizontalen unmittelbaren Wirkung der Richtlinien ausgeglichen, indem er auf alternative Lösungen verwiesen hat, die dem Einzelnen, der sich durch das Fehlen oder die fehlerhafte Umsetzung einer Richtlinie beschwert fühlt, Befriedigung verschaffen kann.

[59]  Das erste Korrektiv für das Fehlen einer horizontalen unmittelbaren Wirkung der Richtlinien besteht in der Verpflichtung des nationalen Gerichts, das innerstaatliche Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks dieserμZIP Heft 31/2009, Seite 1487Richtlinie auszulegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen.18 Der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung verlangt, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung ihrer Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt.19

[60]  Im Urteil Pfeiffer u.a. hat der Gerichtshof erläutert, wie das nationale Gericht in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen vorzugehen hat, und er hat die Trennung zwischen der Möglichkeit der Berufung auf eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung einerseits und der Möglichkeit der Berufung auf eine Richtlinie andererseits mit dem Ziel, die Anwendung des entgegenstehenden nationalen Rechts auszuschließen, noch etwas verringert. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass, wenn es das nationale Recht durch die Anwendung seiner Auslegungsmethoden ermöglicht, eine innerstaatliche Bestimmung unter bestimmten Umständen so auszulegen, dass eine Kollision mit einer anderen Norm innerstaatlichen Rechts vermieden wird, oder die Reichweite dieser Bestimmung zu diesem Zweck einzuschränken und sie nur insoweit anzuwenden, als sie mit dieser Norm vereinbar ist, das nationale Gericht verpflichtet ist, die gleichen Methoden anzuwenden, um das von der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen.20

[61]  Unstreitig findet allerdings die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit und im Rückwirkungsverbot, ihre Schranken und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem (Hervorhebung des Gerichts) des nationalen Rechts dienen.21

[62]  Das zweite Korrektiv für das Fehlen einer horizontalen unmittelbaren Wirkung der Richtlinien kann eben dann zum Einsatz kommen, wenn das von einer Richtlinie vorgeschriebene Ziel nicht im Wege der Auslegung erreicht werden kann. Das Gemeinschaftsrecht verpflichtet die Mitgliedstaaten zum Ersatz der den Einzelnen durch die Nichtumsetzung dieser Richtlinie verursachten Schäden, sofern drei Voraussetzungen vorliegen. Zunächst muss Ziel der Richtlinie die Verleihung von Rechten an Einzelne sein. Sodann muss der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können. Schließlich muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Mitgliedstaat auferlegte Verpflichtung und dem entstandenen Schaden bestehen.22

[63]  Das dritte Korrektiv schließlich liegt in der „Abkoppelung“ der Möglichkeit der Berufung auf die Richtlinie von der horizontalen unmittelbaren Wirkung der Richtlinien, um das entgegenstehende nationale Recht auszuschließen, und zwar auch in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen. Diese Lösung läuft darauf hinaus, dass die Richtlinien zwar nicht an die Stelle des fehlenden oder säumigen nationalen Rechts treten können, um unmittelbar Verpflichtungen für einen Einzelnen zu begründen, dass aber wenigstens die Berufung auf sie möglich ist, um das entgegenstehende nationale Recht auszuschließen, so dass das nationale Gericht nur das von den richtlinienwidrigen Bestimmungen befreite nationale Recht für seine Entscheidung in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen anwendet.

[64]  Diese Abkopplung der Möglichkeit der Berufung auf die Ausschlusswirkung der Richtlinien von der „ersetzenden“ unmittelbaren Wirkung der Richtlinien ist vom Gerichtshof jedoch niemals allgemein und ausdrücklich bestätigt worden.23 Die Bedeutung dieses dritten Korrektivs ist somit bisher sehr beschränkt geblieben.24

[65]  Zusammengefasst ist die aktuelle Rechtsprechung zur Wirkung der Richtlinien im Rechtsstreit zwischen Einzelnen folgende: Der Gerichtshof bleibt dabei, dass er eine horizontale unmittelbare Wirkung der Richtlinien nicht anerkennt. Er ist offenbar der Auffassung, dass die beiden hauptsächlichen Korrektive, die in der Verpflichtung zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung und in der Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht bestehen, in den meisten Fällen ausreichen, um sowohl die volle Wirksamkeit der Richtlinie zu gewährleisten als auch den Einzelnen, die sich durch das Fehlverhalten der Mitgliedstaaten beschwert fühlen, Befriedigung zu verschaffen.

[66]  Die dem vorlegenden Gericht zu gebende Antwort könnte somit in klassischer Weise darin bestehen, an die von mir oben dargelegte Rechtsprechung zu erinnern und das nationale Gericht auf seine Pflicht hinzuweisen, alle ihm zur ZIP Heft 31/2009, Seite 1488Verfügung stehenden Hilfsmittel einzusetzen, um dem nationalen Recht eine Auslegung zu geben, die mit dem von der RL 2000/78/EG verfolgten Zweck konform ist, und, falls eine solche Auslegung unmöglich ist, Frau Kücükdeveci aufzufordern, gegen die Bundesrepublik Deutschland Schadensersatzklage wegen unvollständiger Umsetzung der genannten Richtlinie zu erheben.

[67]  Ich werde dem Gerichtshof jedoch ein solches Vorgehen nicht vorschlagen, und zwar aus folgenden Gründen:

[68]  Erstens gilt, worauf das LAG Düsseldorf (ZIP 2008, 1786) zu Recht hinweist, die Verpflichtung zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nur, soweit die betreffende nationale Rechtsvorschrift auslegungsfähig ist. Das LAG ist jedoch der Auffassung, dass dies bei § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht der Fall sei. Der Gerichtshof wird somit von einem Gericht befragt, das darauf hinweist, dass der Wortlaut dieser Bestimmung unmissverständlich ist und dass es dem Gericht selbst dann, wenn es alles tut, was in seiner Zuständigkeit liegt, um das mit der RL 2000/78/EG verfolgte Ziel zu erreichen, nicht möglich ist, der genannten Bestimmung eine mit dem Ziel der Richtlinie konforme Auslegung zu geben. Unter diesen Umständen halte ich es für wenig sinnvoll, das vorlegende Gericht zu einem Vorgehen aufzufordern, zu dem es sich angesichts des Stands des nationalen Rechts nicht in der Lage sieht.

[69]  Zweitens hätte eine Antwort, die Frau Kücükdeveci veranlassen würde, Haftungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland zu erheben, den Hauptnachteil, dass sie dadurch ihren Prozess mit allen sich daraus ergebenden finanziellen Folgen verlieren würde, obwohl feststeht, dass eine gegen die RL 2000/78/EG verstoßende Diskriminierung aus Gründen des Alters vorliegt, und dass sie erneut klagen müsste. Eine solche Lösung widerspräche meines Erachtens dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das nach Art. 9 RL 2000/78/EG den Personen zustehen muss, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten verletzt sehen. Unter diesem Blickwinkel bedeutet eine wirksame Bekämpfung der gemeinschaftsrechtswidrigen Diskriminierung, dass das zuständige nationale Gericht die Vergünstigungen, die die Mitglieder der begünstigten Gruppe erhalten, unmittelbar und ohne die Opfer zur Erhebung einer Haftungsklage gegen den Staat auffordern zu müssen, auf die Angehörigen der benachteiligten Gruppe erstrecken kann.25 Ich bin daher der Ansicht, dass sich der Gerichtshof nicht mit einer Antwort begnügen sollte, die darauf aufbaut, dass ein Staatshaftungsanspruch wegen unvollständiger Umsetzung der Richtlinie besteht.

[70]  Ich schlage dem Gerichtshof vor, zur Bekämpfung der gemeinschaftsrechtswidrigen Diskriminierungen einem ehrgeizigeren Ansatz zu folgen, der zudem nicht in einem frontalen Gegensatz zu seiner bisherigen Rechtsprechung zum Fehlen einer unmittelbaren horizontalen Wirkung der Richtlinien stünde. Diese Auffassung, die größtenteils auf der Besonderheit der Antidiskriminierungsrichtlinien und auf der Normenhierarchie innerhalb der Rechtsordnung der Gemeinschaft beruht, geht davon aus, dass eine Richtlinie, die erlassen wurde, um die Anwendung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes und des allgemeinen Diskriminierungsverbots zu erleichtern, nicht deren Reichweite schmälern darf. Der Gerichtshof sollte daher, wie er es bereits im Hinblick auf den allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts selbst getan hat, anerkennen, dass eine Richtlinie, deren Ziel die Bekämpfung von Diskriminierungen ist, im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Einzelnen geltend gemacht werden kann, um die Anwendung einer ihr entgegenstehenden nationalen Regelung auszuschließen.

[71]  Die genannte Auffassung ist auch die einzige, die sich mit den Feststellungen des Gerichtshofs im Urteil Mangold (ZIP 2005, 2171) verträgt. In diesem Urteil hat der Gerichtshof die Ansicht vertreten, dass eine nationale Regelung, nach der der Abschluss befristeter Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, uneingeschränkt zulässig ist, sofern nicht zu einem vorhergehenden unbefristeten Arbeitsvertrag mit demselben Arbeitgeber ein enger sachlicher Zusammenhang besteht, nicht mit Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt werden kann. Die grundsätzliche Schwierigkeit, mit der der Gerichtshof zu tun hatte, bestand darin, zu entscheiden, welche Folgen sich aus dieser Auslegung für das nationale Gericht ergeben, wenn zum einen im Ausgangsverfahren Einzelne einander gegenüberstehen und zum anderen die Frist für die Umsetzung der Richtlinie im Zeitpunkt des Abschlusses des streitigen Arbeitsvertrags noch nicht abgelaufen ist.

[72]  Der Gerichtshof hat diese Hindernisse überwunden und unter Anwendung der mit dem Urteil Simmenthal begründeten Rechtsprechung festgestellt, dass es dem nationalen Gericht, bei dem ein Rechtsstreit über den Grundsatz der Nichtsdiskriminierung aufgrund des Alters anhängig ist, obliegt, im Rahmen seiner Zuständigkeiten den rechtlichen Schutz, der sich für den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt, zu gewährleisten und die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu garantieren, indem es jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt.26 Der Gerichtshof hat damit anerkannt, dass in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen die Berufung auf diesen Grundsatz möglich ist, um die Anwendung einer diskriminierenden nationalen Rechtsvorschrift auszuschließen.

[73]  Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, ist der Gerichtshof davon ausgegangen, dass der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Frist für die Umsetzung der RL 2000/78/EG noch nicht abgelaufen war, die Feststellung der Unvereinbarkeit zwischen der betreffenden nationalen Rechtsvorschrift und Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG nicht infrage stellen konnte. Er hat sich erstens auf seine mit dem Urteil vom 18. Dezember 1997, Inter-Environnement Wallonie,27 begründete Rechtsprechung gestützt, aus der sich ergibt, dass die Mitgliedstaaten während der Frist für die Umsetzung einer Richtlinie den Erlass von Vorschriften unterlassen müssen, dieμZIP Heft 31/2009, Seite 1489geeignet sind, das in dieser Richtlinie vorgeschriebene Ziel ernstlich infrage zu stellen.28

[74]  Zweitens hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf nicht in der RL 2000/78/EG selbst verankert ist. Gemäß Art. 1 der Richtlinie ist nämlich deren Zweck nur „die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“, während das grundsätzliche Verbot dieser Formen der Diskriminierung, wie sich aus dem ersten und dem vierten Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt, seinen Ursprung in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten hat.29 Der Gerichtshof hat hieraus abgeleitet, dass das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters als ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen ist.30

[75]  Der Gerichtshof ist sodann seiner Rechtsprechung gefolgt, wonach, sobald eine nationale Regelung in den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, der Gerichtshof, wenn er im Vorabentscheidungsverfahren angerufen wird, dem vorlegenden Gericht alle Auslegungshinweise zu geben hat, die es benötigt, um die Vereinbarkeit der Regelung mit diesem Grundsatz beurteilen zu können. Die betreffende nationale Bestimmung fiel als Maßnahme zur Umsetzung der RL 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge31 in den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts. Der Gerichtshof befand daher, dass die Wahrung des allgemeinen Grundsatzes der Gleichbehandlung, insbesondere im Hinblick auf das Alter, als solche nicht vom Ablauf der Frist abhängen kann, die den Mitgliedstaaten zur Umsetzung einer Richtlinie eingeräumt worden ist, die die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen des Alters bezweckt.32

[76]  Bekanntlich fand das Urteil Mangold (ZIP 2005, 2171) zahlreiche Kritiker. Hält man sich an die wichtigste Aussage dieses Urteils – nämlich dass die Wahrung des im Verbot der Altersdiskriminierung bestehenden allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts nicht vom Ablauf der Frist abhängen kann, die den Mitgliedstaaten zur Umsetzung der RL 2000/78/EG eingeräumt wurde, und das nationale Gericht daher die volle Wirksamkeit dieses Grundsatzes zu garantieren hat, indem es jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt, und zwar auch in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen –, so bedürfen die kritischen Kommentare meines Erachtens einer genaueren Betrachtung.

[77]  Was erstens die Existenz des Verbots der Altersdiskriminierung als eines allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts angeht, neige ich zu der Auffassung, dass die Herausstellung dieses Grundsatzes durch den Gerichtshof der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts entspricht, wie sie sich daraus ergibt, dass zum einen das Alter als Verbotskriterium für Diskriminierung in Art. 13 Abs. 1 EG aufgenommen wurde und dass zum anderen das Verbot der Altersdiskriminierung als Grundrecht bestätigt wurde, wie sich aus Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union33 ergibt. Die Erwägungen des Gerichtshofs wären sicher überzeugender gewesen, wenn sie auf diese Gesichtspunkte und nicht nur auf die völkerrechtlichen Verträge und die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten gestützt worden wären, die überwiegend kein besonderes grundsätzliches Verbot der Altersdiskriminierung enthalten. Mir erscheint jedoch der Hinweis wichtig, dass der Gerichtshof mit der Feststellung, dass es einen solchen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts gibt, im Einklang mit dem ausdrücklichen Willen der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaftsorgane steht, die Altersdiskriminierung wirksam zu bekämpfen. So gesehen überrascht es nicht, dass dem Verbot der Altersdiskriminierung als besonderem Ausdruck des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes und des allgemeinen Diskriminierungsverbots sowie als Grundrecht die herausragende Stellung eines allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts zugute kommt.

[78]  Was sodann die Schlussfolgerungen angeht, die der Gerichtshof im Urteil Mangold (ZIP 2005, 2171) aus der Existenz eines solchen Grundsatzes gezogen hat, so decken sich diese mit der Rechtsprechung, die der Gerichtshof nach und nach zum allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und zum allgemeinen Diskriminierungsverbot entwickelt hat.

[79]  So ist der Gerichtshof seit Langem der Auffassung, dass der allgemeine Gleichheitsgrundsatz zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehört.34 Nach diesem Grundsatz dürfen vergleichbare Sachverhalte nur unterschiedlich behandelt werden, wenn eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt ist.35 Er gehört zu den Grundrechten, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat.36

[80]  Als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts erfüllt der genannte Grundsatz mehrere Aufgaben. Er ermöglicht dem Gemeinschaftsrichter, die eventuell vorhandenen Lücken der Bestimmungen des primären oder des abgeleiteten Rechts zu schließen. Er ist ein Instrument der Auslegung, mit dem Sinn und Tragweite der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts bestimmt werden können,37 sowie ein Mittel zur Kontrolle der Gültigkeit der Gemeinschaftshandlungen.38

ZIP Heft 31/2009, Seite 1490

[81]  Auch die Mitgliedstaaten müssen ferner bei der Durchführung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen den allgemeinen Grundsatz der Gleichheit und der Nichtdiskriminierung beachten. Sie müssen diese Regelungen deshalb so weit wie möglich in Übereinstimmung mit den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaftsrechtsordnung anwenden.39 Wie vorstehend ausgeführt, ist der Gerichtshof insoweit der Auffassung, dass er, sobald eine nationale Regelung in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, bei seiner Anrufung im Vorabentscheidungsverfahren dem vorlegenden Gericht alle Auslegungskriterien an die Hand zu geben hat, die es benötigt, um die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Grundrechten beurteilen zu können, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat.40 Stellt sich im Hinblick auf diese Auslegung heraus, dass eine nationale Regelung gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt, hat das nationale Gericht diese gemäß dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts unangewendet zu lassen.

[82]  Die Erwägungen des Gerichtshofs im Urteil Mangold (ZIP 2005, 2171) berücksichtigen diese verschiedenen aus der Rechtsprechung folgenden Kriterien, um die Wirksamkeit des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes unabhängig vom Ablauf der Frist zur Umsetzung der RL 2000/78/EG zu garantieren. Diese Erwägungen stehen meines Erachtens im Einklang mit der Normenhierarchie innerhalb der Rechtsordnung der Gemeinschaft.

[83]  Um zu verdeutlichen, wie der Gerichtshof das Verhältnis zwischen einer Norm des primären Gemeinschaftsrechts und einer Norm des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts sieht, ist ein Vergleich mit der Art und Weise interessant, wie er das Verhältnis zwischen Art. 119 EWG-Vertrag (dann Art. 119 EG-Vertrag [die Art. 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Art. 136 EG bis 143 EG ersetzt worden]), der den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen aufstellt, und der RL 75/117/EWG41 gesehen hat.

[84]  So hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 8. April 1976, Defrenne,42 festgestellt, dass die RL 75/117/EWG die materielle Tragweite von Art. 119 des Vertrags in einigen Punkten präzisiert und verschiedene Bestimmungen vorsieht, die im Wesentlichen den Rechtsschutz für Arbeitnehmer bei Verletzung ihrer Rechte durch Nichtanwendung des in Art. 119 aufgestellten Grundsatzes des gleichen Entgelts verbessern sollen.43 Er befand, dass die Richtlinie durch eine Reihe auf nationaler Ebene zu ergreifender Maßnahmen die sachgerechte Anwendung von Art. 119 des Vertrags fördern soll, aber die Wirksamkeit dieses Artikels nicht ändern konnte.44 In seinem Urteil vom 31. März 1981, Jenkins,45 hat der Gerichtshof in diesem Sinne festgestellt, dass Art. 1 der genannten Richtlinie, der im Wesentlichen die konkrete Anwendung des in Art. 119 des Vertrags genannten Grundsatzes des gleichen Entgelts erleichtern soll, in keiner Weise den Inhalt oder die Tragweite dieses Grundsatzes, wie er in diesem Artikel definiert ist, berührt.46 Unlängst hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 3. Oktober 2006, Cadman,47 auf diese Rechtsprechung hingewiesen.

[85]  Angesichts dieser Rechtsprechung erscheint es mir völlig sachgerecht, dass der Gerichtshof im Urteil Mangold (ZIP 2005, 2171) festgestellt hat, dass die Wirksamkeit des Verbots der Altersdiskriminierung nicht dadurch beeinträchtigt werden kann, dass die Frist für die Umsetzung der RL 2000/78/EG nicht abgelaufen ist, und dass, um diese Wirksamkeit sicherzustellen, das nationale Gericht gehalten ist, die Anwendung der entgegenstehenden Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts auszuschließen. Der Umstand, dass das Ausgangsverfahren zwei Einzelne betraf, konnte zudem kein Hindernis für die Berufung auf die Ausschlusswirkung dieses allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts sein, da der Gerichtshof durch Anerkennung der horizontalen unmittelbaren Wirkung von Vertragsbestimmungen, in denen der allgemeine Grundsatz der Gleichheit und der Nichtdiskriminierung speziell zum Ausdruck kommt, bereits mehrfach einen bedeutenden Schritt in diese Richtung getan hatte.48

[86]  Der Gerichtshof hat nun zu entscheiden, ob er an demselben Ansatz in den Fällen festhalten will, die nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der RL 2000/78/EG eingetreten sind. Meines Erachtens ist die Frage zu bejahen, denn eine Abkehr von dieser Auffassung würde einen Bruch mit der dem Urteil Mangold (ZIP 2005, 2171) zugrunde liegenden Logik darstellen.

[87]  Da nämlich die RL 2000/78/EG ein Instrument ist, das die konkrete Anwendung des Verbots der Altersdiskriminierung erleichtern, insbesondere den Rechtsschutz für Arbeitnehmer bei Verstoß gegen diesen Grundsatz verbessern soll, kann sie die Tragweite dieses Grundsatzes nicht berühren, auch – und vor allem – nicht nach Ablauf der den Mitgliedstaaten für ihre Umsetzung eingeräumten Frist. Es wäre insoweit kaum verständlich, dass die Wirkungen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der RL 2000/78/EG geringer würden. Vor allem aber kann ich nicht der Auffassung beipflichten, dass der Schutz der Bürger vor gemeinschaftsrechtswidrigen Diskriminierungen nach Ablauf einer solchen Frist weniger stark ist, obwohl es sich um eine Norm handelt, deren Zweck darin besteht, den Schutz der Bürger zu verstärken. Es muss daher möglich sein, sich in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen auf die RL 2000/78/EG zu berufen, um die Anwendung einer gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Bestimmung auszuschließen.

[88]  Die Verfolgung eines solchen Ansatzes würde den Gerichtshof hier nicht zu einer Revision seiner Rechtsprechung ZIP Heft 31/2009, Seite 1491zum Fehlen unmittelbarer horizontaler Wirkung der Richtlinien führen. In der vorliegenden Rechtssache geht es einzig und allein um den Ausschluss einer der RL 2000/78/EG entgegenstehenden nationalen Bestimmung, d.h. der Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, damit das nationale Gericht die übrigen Bestimmungen dieser Vorschrift anwenden kann, d.h. die Bestimmungen über die Kündigungsfristen, die nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses berechnet werden. Es geht hier somit nicht darum, die RL 2000/78/EG unmittelbar auf ein autonomes privates Verhalten anzuwenden, das keiner besonderen staatlichen Regelung unterworfen ist, wie z.B. die Entscheidung eines Arbeitgebers, Arbeitnehmer nicht einzustellen, die älter als 45 oder jünger als 35 sind. Nur diese Situation würde Anlass zu der Frage geben, ob es angebracht ist, der genannten Richtlinie eine echte unmittelbare horizontale Wirkung zuzuweisen.49

[89]  Falls im Übrigen der Gerichtshof an seinem Willen festhält, die Möglichkeit der Berufung auf die Ausschlusswirkung nicht allgemein von der „ersetzenden“ unmittelbaren Wirkung abzukoppeln, bietet ihm die Besonderheit der Antidiskriminierungsrichtlinien die Möglichkeit einer Lösung, deren Tragweite weniger weitreichend ist und die zugleich den Vorzug hat, dass sie sich mit der Rechtsprechung deckt, die der Gerichtshof zu dem allgemeinen Grundsatz der Gleichheit und der Nichtdiskriminierung entwickelt hat. Weil die RL 2000/78/EG diesen Grundsatz unter dem Aspekt des Verbots der Altersdiskriminierung anwendet, ist so gesehen die Berufung auf sie in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen in umso stärkerem Maße möglich.

[90]  Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass der Gerichtshof angesichts der zunehmenden Präsenz des Gemeinschaftsrechts in den Beziehungen zwischen Einzelnen zwangsläufig mit weiteren Fällen zu tun haben wird, in denen sich die Frage stellt, ob im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Einzelnen die Berufung auf Richtlinien möglich ist, die zur Gewährleistung der Grundrechte beitragen. Diese Fälle werden wahrscheinlich zunehmen, wenn die Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Zukunft rechtsverbindlich sein wird, weil eine Reihe der in die Charta aufgenommenen Grundrechte in der Form von Richtlinien zum gemeinschaftlichen Besitzstand gehört.50 Im Hinblick darauf muss der Gerichtshof heute überlegen, ob die Feststellung, dass Rechte, die von Richtlinien garantiert werden, Grundrechte darstellen, die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Einzelnen auf diese Richtlinien zu berufen, verstärkt oder nicht. Die vorliegende Rechtssache bietet dem Gerichtshof Gelegenheit, die Antwort, die er auf diese wichtige Frage geben möchte, zu präzisieren.

Anmerkung von Oliver Mörsdorf*

Seit Inkrafttreten der Antidiskriminierungsrichtlinien, spätestens aber seit dem Mangold-Urteil des EuGH aus dem Jahr 2005 (ZIP 2005, 2171 m. Bespr. Thüsing, S. 2149) wurden im deutschen Schrifttum zahlreiche Normen des Arbeits- und sonstigen Privatrechts auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht abgeklopft. Schon von Beginn an galt dies auch für § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach zur Berechnung der nach Betriebszugehörigkeit gestaffelten Frist für die Kündigung von Arbeitsverhältnissen durch den Arbeitgeber Arbeitszeiten vor dem 25. Lebensjahr nicht zu berücksichtigen sind. Im aktuellen Verfahren geht es einmal mehr nicht nur um die Frage der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer deutschen Vorschrift (1. Vorlagefrage), sondern darüber hinaus um die Konsequenzen für den deutschen Richter (2. Vorlagefrage). Während die Ausführungen des Generalanwalts (GA) zur ersten Vorlagefrage in erster Linie für den Fachanwalt interessant sein dürften, bergen die Ausführungen zur 2. Vorlagefrage erhebliche Brisanz für den nicht enden wollenden Streit über die Wirkung von Richtlinien im Bereich des Privatrechts.

<zwtitel ebene="1"></zwtitel>I. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB als Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht?</zwtitel><//zwtitel><zwtitel ebene="1"></zwtitel>1. Richtlinie als Prüfungsgegenstand</zwtitel><//zwtitel>

Beachtenswert, aber vor allem im Hinblick auf die 2. Vorlagefrage bedeutsam (dazu unter II) ist zunächst die Tatsache, dass der GA die Prüfung der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ausschließlich anhand der RL 2000/78/EG und nicht anhand des vom LAG Düsseldorf ebenfalls ins Spiel gebrachten, dem Primärrecht zuzuordnenden allgemeinen Verbots der Altersdiskriminierung vornimmt. Aus letzterem allgemeinen Rechtsgrundsatz (Art. 6 Abs. 2 EG), den der EuGH im Urteil Mangold „entdeckt“ hatte, um noch vor Ablauf der Umsetzungsfrist der auch dort maßgeblichen RL 2000/78/EG in einem Rechtsstreit zwischen Privaten zur Unanwendbarkeit des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. zu gelangen, lassen sich bezüglich der Gemeinschaftsrechtskonformität des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB in der Tat keine über die Richtlinie hinausgehenden Erkenntnisse ziehen. Dies bestätigt wiederum den vielerorts geäußerten Verdacht, dass dem ZIP Heft 31/2009, Seite 1492EuGH im Urteil Mangold als eigentliche Rechtserkenntnisquelle für das Diskriminierungsverbot nicht die von diesem angeführten „verschiedenen völkerrechtlichen Verträge“ und „gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten“ (Finnland?) gedient haben, sondern vielmehr die Richtlinie selbst (Preis, NZA 2006, 401, 406 ff.; allgemein kritisch zur dogmatischen Herleitung des Diskriminierungsverbots Thüsing, ZIP 2005, 2149, 2150 f.).

<zwtitel ebene="1"></zwtitel>2. Vereinbarkeit des § 622 Abs. 2 BGB mit der Richtlinie?</zwtitel><//zwtitel>

Weniger überzeugend geraten die Ausführungen des GA zur Unvereinbarkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB mit der Richtlinie. Zwar befindet sich der GA diesbezüglich im Einklang mit der Mehrheit des deutschen Schrifttums (Löwisch, in: Festschrift Schwerdtner, 2003, S. 771; Preis, NZA 2006, 401, 408; M. Schmidt, in: Schiek, AGG, 2007, § 10 Rz. 42; a.A. MünchKomm-Thüsing, BGB, 5. Aufl., 2007, § 10 AGG Rz. 41). Die Begründung trägt dieses Ergebnis aber nicht.

<zwtitel ebene="1"></zwtitel>2.1 Unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Alters</zwtitel><//zwtitel>

Nicht zu beanstanden ist allerdings die Feststellung, dass die von § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB angeordnete Nichtberücksichtigung von Arbeitszeiten vor dem 25. Lebensjahr eine unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Alters i.S.v. Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie darstellt. Während Arbeitnehmer, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, von der Berücksichtigung ihrer Betriebszugehörigkeit bei der Berechnung der Kündigungsfrist profitieren, wird jüngeren Arbeitnehmern dieses Privileg nicht zuteil.

<zwtitel ebene="1"></zwtitel>2.2 Rechtfertigung</zwtitel><//zwtitel>

Dagegen hält die Feststellung, dass die mit § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB einhergehende Bevorzugung älterer Arbeitnehmer einer Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie nicht zugänglich sein soll, einer Überprüfung nicht stand.

Der GA geht bereits von einem falschen Regelungsziel der Vorschrift aus. Hierbei differenziert er in künstlicher Weise zwischen dem auch von ihm als richtlinienkonform qualifizierten Regelungsziel der Grundregel des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB, der Abfederung des Entlassungsrisikos für ältere Arbeitnehmer durch schrittweise Verlängerung der Kündigungsfrist, von dem vermeintlichen Regelungsziel der Ausnahme des Satzes 2 („Ermöglichung größerer Flexibilität bei der Verwaltung jüngerer Arbeitnehmer“) und spricht letzterem sodann die für eine Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie erforderliche Orientierung am Gemeinwohl ab. Die beiden Teilregelungen des § 622 Abs. 2 BGB lassen sich indes nur im Zusammenhang begründen und rechtfertigen. Die Verknüpfung der nach Betriebszugehörigkeit gestaffelten Kündigungsfristverlängerung mit einem Mindestalter basiert auf der Annahme des Gesetzgebers, dass einerseits ältere Arbeitnehmer wegen ihrer familiären und wirtschaftlichen Verpflichtungen und abnehmender beruflicher Flexibilität von Arbeitslosigkeit stärker betroffen sind und andererseits Angestellte (überwiegend männlichen Geschlechts) im Durchschnittsalter von ca. 30 Jahren eine Familie zu gründen pflegen und vor diesem Zeitpunkt noch keines gesetzgeberischen Schutzes bedürfen. Ungeachtet der mit dieser Einschränkung reflexhaft einhergehenden Erleichterung für die jeweils betroffenen Arbeitgeber bleibt gesetzgeberisches Ziel der Gesamtregelung jedoch der Schutz älterer Arbeitnehmer vor den Folgen einer Entlassung, ein Ziel, welches eigens als Regelbeispiel in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie aufgeführt ist und damit eine Ungleichbehandlung zu legitimieren vermag.

Die daran anschließende Frage, ob eine starre Altersgrenze ohne Berücksichtigung der individuellen Situation des betroffenen Arbeitnehmers ein erforderliches und angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Ziels darstellt (vgl. hierzu bereits EuGH ZIP 2005, 2171, Rz. 65) beantwortet der GA dagegen nicht. Sie ist aber wohl schon deshalb zu bejahen, weil jede flexible Lösung für beide Parteien des Arbeitsverhältnisses zur Unklarheit über die bestehende Kündigungsfrist führen würde und damit als milderes Mittel kaum in Betracht kommt.

Soweit der GA schließlich das der deutschen Regelung zugrunde liegende Postulat von der abnehmenden beruflichen Flexibilität älterer Arbeitnehmer an sich in Frage stellt, fällt die hierfür gelieferte Begründung dürftig aus. Hier hätte man sich mehr gewünscht als den bloßen Hinweis auf den „bedeutenden Anteil arbeitsloser jüngerer Arbeitnehmer in unseren Gesellschaften“, über dessen quantitatives Verhältnis zum Anteil älterer Arbeitsloser sich der GA ebenso wenig auslässt wie über die möglichen alternativen Ursachen dieser Art von Arbeitslosigkeit am anderen Ende des Berufslebens. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass dem nationalen Gesetzgeber im Hinblick auf die seinen Entscheidungen zugrunde liegenden tatsächlichen Annahmen eine Einschätzungsprärogative zukommt (zuletzt EuGH ZIP 2005, 2171, Rz. 63 – Mangold), die sich kaum durch die apodiktische Behauptung des Gegenteils hinwegwischen lässt. Viel eher hätte man da schon hinterfragen können, ob die der Altersgrenze von 25 Jahren zugrunde liegenden Annahmen des Gesetzgebers aus dem Jahre 1926 über die Familienplanung männlicher (warum nicht auch weiblicher?) Arbeitnehmer auch heute noch Geltung beanspruchen können.

<zwtitel ebene="1"></zwtitel>II. Rechtsfolgen für den nationalen Richter: Unanwendbarkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB</zwtitel><//zwtitel>

Als wesentlich weit reichender stellen sich die Ausführungen des GA zur zweiten Vorlagefrage dar. Das LAG Düsseldorf fragt nach den Konsequenzen einer eventuellen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB für den deutschen Richter und hier speziell nach einer Verpflichtung, die Vorschrift in einem Rechtsstreit zwischen Privaten unangewendet zu lassen. Auch diese Frage steht unter dem Eindruck des Mangold-Urteils, wo der EuGH eine solche Unanwendbarkeit des dort als gemeinschaftsrechtswidrig gebrandmarkten § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. konstatiert hatte. Im Rahmen der hier zu besprechenden Schlussanträge birgt nicht so sehr das vom GA gefundene Ergebnis – Unanwendbarkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB –, sondern vielmehr dessen dogmatische Herleitung viel Zündstoff und dürfte dem seit langem schwelenden Streit um die Wirkung von Richtlinien im Privatrecht neue Impulse geben.

ZIP Heft 31/2009, Seite 1493<zwtitel ebene="1"></zwtitel>1. Fokus auf unmittelbare Wirkung der Richtlinie</zwtitel><//zwtitel>

Wie bereits bei der Prüfung der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB als solcher fällt auch bei der Frage nach deren Konsequenzen ins Auge, dass der GA den Fokus seiner Betrachtungen nicht etwa auf das primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung sondern nahezu ausschließlich auf die RL 2000/78/EG legt. In deutlicher Abweichung von der weiter gehenden Vorlagefrage des LAG Düsseldorf, welche ausdrücklich das gesamte Gemeinschaftsrecht (einschließlich der Normen des Primärrechts) in die Untersuchung mit einbezogen wissen möchte, beschränkt sich die Untersuchung des GA auf die Streitfrage, ob einer nicht (ausreichend) umgesetzten Richtlinie ausnahmsweise auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten unmittelbare Wirkung zukommen kann.

Die Fokussierung des GA auf die Richtlinie erinnert dabei an die Vorgehensweise des EuGH in der bereits erwähnten Rechtssache Mangold. Auch dort stand die Richtlinie sowohl bei der Frage nach der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. als auch bei der Frage nach den Konsequenzen für den nationalen Richter zunächst im Zentrum der Betrachtungen, während das primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung erst im letzten Moment „aus dem Hut gezaubert“ wurde, um über dieses zur Unanwendbarkeit der deutschen Vorschrift zu gelangen (auf das Hin- und Herpendeln des EuGH zwischen Richtlinie und primärrechtlichem Grundsatz ebenfalls hinweisend Thüsing, ZIP 2005, 2149, 2151). Was sich im Verfahren Mangold indes als Motiv nur vermuten ließ (Mörsdorf, EuR 2009, 219, 234 f.), spricht GA Bot im aktuellen Vorlageverfahren offen aus: Ziel ist die unmittelbare Anwendung der Richtlinie als inhaltlicher Dreh- und Angelpunkt für die Überprüfung der Gemeinschaftsrechtskonformität des nationalen Rechts. Dem dahinter stehenden primärrechtlichen Rechtsgrundsatz kommt daneben nur insoweit eine eigenständige Bedeutung zu, als dieser der Richtlinie quasi wie ein Katalysator zur unmittelbaren Wirkung verhilft. Letzteres soll jedenfalls für solche Richtlinien gelten, die erlassen wurden, um die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes oder eines besonderen Diskriminierungsverbots zu erleichtern.

<zwtitel ebene="1"></zwtitel>2. Bisherige Rechtsprechung des EuGH: keine unmittelbare Wirkung von Richtlinien im Privatrecht</zwtitel><//zwtitel>

Das Plädoyer des GA zugunsten einer bereichsspezifischen unmittelbaren Wirkung von Richtlinien steht auf den ersten Blick im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des EuGH. Zwar soll sich auch danach ein Bürger, dem durch eine Richtlinie Rechte eingeräumt werden, ausnahmsweise auf deren Inhalt berufen können, wenn der Mitgliedstaat die Richtlinie innerhalb der Umsetzungsfrist nicht (ausreichend) in nationales Recht umgesetzt hat und die Richtlinie im Hinblick auf die eingeräumten Rechte hinreichend bestimmt und unbedingt ist (EuGH – Rs 41/74, Slg. 1974, 1337, Rz. 12 – Van Duyn; EuGH – Rs 148/78, Slg. 1979, 1629, Rz. 19 ff. – Ratti; EuGH – Rs 8/81, Slg. 1982, 53, Rz. 20 ff. – Becker). Der EuGH beschränkt diese Möglichkeit aber seit jeher auf das Verhältnis des durch die Richtlinie begünstigten Bürgers gegenüber dem zur Umsetzung verpflichteten Staat (Vertikalverhältnis). Abgelehnt wird dagegen eine unmittelbare Wirkung im Privatrecht (Horizontalverhältnis), wo der Begünstigung des einen Bürgers stets die Belastung eines anderen Bürgers gegenübersteht (vgl. nur EuGH – Rs C-91/92, ZIP 1994, 1187, Rz. 23 f. – Faccini Dori).

Entgegen Kritik aus dem Schrifttum und Forderungen einiger Generalanwälte (so u.a. GA Jacobs, Schlussanträge zu EuGH Rs C-316/93, Slg. 1994, I-763, Rz. 23 – Vaneetfeld) hat es der EuGH bis heute sorgfältig vermieden, offen mit diesem von ihm selbst aufgestellten Dogma zu brechen. Anders als GA Bot meint, gilt dies auch und gerade für die von ihm favorisierte Spielart der unmittelbaren Wirkung, wonach Richtlinien in einem Rechtsstreit zwischen Privaten zwar nicht „ersetzend“ zur Anwendung kommen sollen – positive Wirkung –, wohl aber die Anwendung einer entgegenstehenden Norm des nationalen Rechts ausschließen können – negative Wirkung (vgl. hierzu von Danwitz, JZ 2007, 697, 702 m.w.N.). Die Unterscheidung zwischen negativer und positiver Wirkung findet ihre nationale Parallele in der Unterscheidung zwischen der aus dem Anwendungsvorrang der Grundrechte folgenden Unanwendbarkeit verfassungswidrigen Privatrechts und der darüber hinausgehenden Frage, ob Private gegenüber Privaten unmittelbar aus den Grundrechten Ansprüche herleiten können – Horizontal- oder Drittwirkung (vgl. zu dieser Unterscheidung Herdegen in: Maunz/Dürig, GG, 53. Aufl., 2009, Art. 1 Rz. 59). Von diversen Generalanwälten und im Schrifttum war immer wieder eine zumindest negative Wirkung von Richtlinien propagiert worden (GA Saggio, Schlussanträge zu EuGH – verb. Rs C-240 – 244/98, Slg. 2000, I-4941, Rz. 27 ff. – Océano; GA Colomer, Schlussanträge zu EuGH – verb. Rs C-397 – 403/01, Slg. 2004, I-8835 Rz. 58 – Pfeiffer u.a.; aus dem deutschen Schrifttum vgl. insbesondere Hermann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 2003, S. 58 ff. und Streinz, Europarecht, 8. Aufl., 2008, Rz. 450). Der EuGH hat indes auch dieser Minimalforderung wiederholt eine klare Absage erteilt (zuletzt EuGH ZIP 2004, 2342, Rz. 109 – Pfeiffer u.a.). Stattdessen verweist er die nationalen Gerichte auf das alternative Rechtsinstitut der richtlinienkonformen Auslegung, welches er inzwischen zu einer derart weitgehenden interpretatorischen Vorrangregel ausgebaut hat, dass zunehmend die Grenzen zur unmittelbaren Wirkung verschwimmen (hierzu ausführlich Mörsdorf, EuR 2009, 219, 222 ff.).

<zwtitel ebene="1"></zwtitel>3. Faktische unmittelbare Wirkung von Richtlinien durch kombinierte Anwendung mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen?</zwtitel><//zwtitel>

Angesichts der vermeintlich klaren Haltung des EuGH liegt die Vermutung nahe, dass den Vorschlägen des GA das gleiche Schicksal beschieden sein wird, wie den gescheiterten Versuchen seiner Vorgänger, das Dogma von der fehlenden unmittelbaren Wirkung von Richtlinien im Privatrecht ins Wanken zu bringen. Dies wäre allerdings bedauerlich. Bei genauer Betrachtung nennt der GA nämlich lediglich ein Phänomen beim Namen, welches sich bereits auf dem Boden der aktuellen Rechtsprechung des EuGH als faktische (negative) unmittelbare Wirkung von Richtlinien durch kombinierte Anwen-ZIP Heft 31/2009, Seite 1494dung mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen umschreiben lässt (Mörsdorf, EuR 2009, 219, 235 ff.). Das Zusammenwirken von Richtlinien und allgemeinen Rechtsgrundsätzen ist bisher wissenschaftlich kaum durchdrungen (vgl. aber von Danwitz, JZ 2007, 697. 704 f.). Immerhin ist im Grundsatz anerkannt, dass die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne des Art. 6 Abs. 2 EG – unabhängig von der weitergehenden Frage nach einer Verpflichtung Privater im Sinne einer Horizontal- oder Drittwirkung – nicht nur die Organe der Gemeinschaft, sondern im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts (hierzu nachfolgend unter 4) auch die Mitgliedstaaten binden (vgl. Rengeling/Szekalla, Grundrechte in der Europäischen Union, 2004, Rz. 277 ff. m.w.N.). Der deutsche (Privatrechts-)Gesetzgeber ist insoweit an diese Rechtsgrundsätze ebenso gebunden wie an die nationalen Grundrechte. Entgegenstehende nationale Regelungen sind unanwendbar.

Diese Erkenntnis ist in denjenigen Fallkonstellationen unspektakulär, wo einem allgemeinen Rechtsgrundsatz gegenüber einer Richtlinie ein eigener Anwendungsbereich verbleibt, wie insbesondere dort, wo Richtlinie und Rechtsgrundsatz divergierende Regelungsziele verfolgen. Hier müssen die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres Umsetzungsspielraums selbstverständlich auch den allgemeinen Rechtsgrundsatz beachten. Dasselbe kann aber auch bei einem Gleichlauf des Regelungsziels von Richtlinie und allgemeinem Rechtsgrundsatz der Fall sein, sofern die Richtlinie für den konkret in Frage stehenden Sachverhalt einen Umsetzungsspielraum belässt. Im Rahmen der Ausfüllung dieses Spielraums kommt insoweit dem allgemeinen Rechtsgrundsatz gegenüber der Richtlinie eine eigenständige inhaltliche Bedeutung zu.

Anders verhält es sich dagegen dort, wo eine Richtlinie, die einen allgemeinen Rechtsgrundsatz konkretisiert, für den in Frage stehenden Sachverhalt eine abschließende Regelung trifft. Inhaltlicher Prüfungsmaßstab ist insoweit ausschließlich die Richtlinie selbst. Dem allgemeinen Rechtsgrundsatz kommt daneben, wie der GA richtig bemerkt, in inhaltlicher Hinsicht keine eigenständige Bedeutung zu, da sich aus ihm keine über die Aussage der Richtlinie hinausgehenden Schlüsse ziehen lassen. Die Funktion des allgemeinen Rechtsgrundsatzes erschöpft sich vielmehr in der Partizipation der Richtlinie am Anwendungsvorrang des durch sie konkretisierten Rechtsgrundsatzes und der damit einhergehenden Unanwendbarkeit entgegenstehenden nationalen Rechts. Wegen der inhaltlichen Dominanz der Richtlinie lässt sich in einer derartigen Konstellation mit Fug und Recht von einer faktischen (negativen) Wirkung der Richtlinie und nicht von einer solchen des allgemeinen Rechtsgrundsatzes sprechen.

<zwtitel ebene="1"></zwtitel>4. Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts</zwtitel><//zwtitel>

Eine vom GA nicht erwähnte Einschränkung für die soeben dargelegte faktische unmittelbare Wirkung von Richtlinien durch kombinierte Anwendung mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen könnte sich indes aus einer Bedingung ergeben, an welche der EuGH den Anwendungsvorrang allgemeiner Rechtsgrundsätze, namentlich des Verbots der Altersdiskriminierung knüpft. Anders als die deutschen Grundrechte, die einen universellen Schutz des Bürgers sowohl gegen Maßnahmen des Bundes als auch gegen Maßnahmen der Länder gewährleisten, finden die europäischen Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Art. 6 Abs. 2 EG auf Regelungen des nationalen Rechts nicht abstrakt, sondern nur „im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts“ Anwendung (zuletzt EuGH – Rs C-427/06, NJW 2008, 3417, Rz. 25 – Bartsch). Diesen definiert der EuGH eng. So soll es nicht ausreichen, dass die Regelung einer Rechtsmaterie als solche – dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung genügend – in die Kompetenz der Gemeinschaft fällt. Dementsprechend hat der EuGH jüngst im Urteil Bartsch festgestellt, dass Art. 13 EG, der die Mitgliedstaaten zu Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung u.a wegen des Alters ermächtigt, für sich genommen nicht geeignet ist, den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts zu eröffnen, da es sich hierbei um eine reine Kompetenznorm handelt (EuGH NJW 2008, 3417, Rz. 18).

<zwtitel ebene="1"></zwtitel>4.1 Bisher anerkannte Konstellationen</zwtitel><//zwtitel>

Welche Maßnahmen stattdessen geeignet sind, den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts zu eröffnen, liegt allerdings nach wie vor im Dunkeln. Als geklärt darf immerhin gelten, dass eine nationale Maßnahme jedenfalls dann darunter fällt, wenn sie Gemeinschaftsrecht umsetzt, sich auf eine nach Gemeinschaftsrecht zulässige Ausnahme (etwa der Grundfreiheiten) beruft oder sonst in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, weil eine spezifische materielle Vorschrift des Gemeinschaftsrechts auf den Sachverhalt anwendbar ist (ausführlich Generalanwältin Sharpston zu EuGH – Rs C-427/06, Rz. 69, abrufbar unter www.curia.europa.eu – Bartsch). Im Fall des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ist jedenfalls keines der beiden ersten Kriterien gegeben, da die Vorschrift weder der Umsetzung der wesentlich jüngeren RL 2000/78/EG diente, noch sich auf eine Ausnahme beruft.

<zwtitel ebene="1"></zwtitel>4.2 Eröffnung des Anwendungsbereichs durch die Richtlinie selbst?</zwtitel><//zwtitel>

Es stellt sich aber im Zusammenhang mit dem vage gefassten dritten Kriterium (sonstige materielle Vorschrift des Gemeinschaftsrechts) die Frage, ob eine Richtlinie nicht auch für sich genommen, d.h. ohne Vermittlung über ein nationales Umsetzungsgesetz, geeignet ist, den Gemeinschaftsbezug des in ihren Regelungsbereich fallenden nationalen Rechts herzustellen (so Preis/Temming, NZA 2008, 1209, 1210; a.A. Thüsing, ZESAR 2009, 26, 27; offen lassend Bauer/Arnold, NJW 2008, 3377, 3379). Genau hierauf zielte die Vorlagefrage des BAG in der Rechtssache Bartsch im Hinblick auf die auch dort maßgebliche RL 2000/78/EG. Der EuGH hat jedoch die Gelegenheit zu einer grundsätzlichen Klärung der Frage nicht genutzt und einen durch die Richtlinie vermittelten Gemeinschaftsbezug einzig mit dem Argument abgelehnt, dass die Umsetzungsfrist für die Richtlinie im konkreten Verfahren noch nicht abgelaufen war. Daraus lässt sich immerhin der Schluss ziehen, dass einer Richtlinie jedenfalls vor Ablauf der Umsetzungsfrist keine Türöffnerfunktion im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht zukommt (a.A. Preis/Temming, NZA 2008, 1209, 1212). Der Fall Mangold, wo der Rückgriff auf das Verbot der Alterdiskriminierung zu einer faktischen unmittel-ZIP Heft 31/2009, Seite 1495baren Vorwirkung der Richtlinie geführt hatte, stellt insoweit eine Ausnahme von dieser Regel dar, als dort der Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts bereits durch die in diesem Verfahren ebenfalls maßgebliche RL 1999/70/EG eröffnet worden war, deren Umsetzung § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. diente. Offen gelassen hat der EuGH jedoch die letztlich auch für die Anwendbarkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB relevante Frage, ob eine Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist geeignet ist, den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts zu eröffnen (a.A. Preis/Temming, NZA 2008, 1209, 1210: beredtes Schweigen des EuGH zugunsten einer Türöffnerfunktion von Richtlinien). Dies wird man schon deshalb bejahen müssen, weil andernfalls der effektive Schutz des durch die Richtlinie begünstigten Bürgers davon abhängen würde, ob der Mitgliedstaat zu deren Umsetzung tätig geworden ist oder ob er, etwa in Verkennung der Richtlinienvorgaben, sein bisheriges, von diesen Vorgaben betroffenes nationales Recht für richtlinienkonform hält.

<zwtitel ebene="1"></zwtitel>5. Ausblick</zwtitel><//zwtitel>

Seit dem Urteil Mangold muss der nationale Richter zwischen Richtlinien zweierlei Art unterscheiden, nämlich solchen Richtlinien, die durch den Gleichlauf mit einem primär-rechtlichen Grundsatz eine Verstärkung erfahren und damit faktisch unmittelbare Wirkung entfalten, und solchen Richtlinien, für die dieses Privileg nicht gilt. Der Vorstoß von GA Bot zugunsten der Benennung und ausdrücklichen Anerkennung dieses Phänomens ist vor diesem Hintergrund zu begrüßen. Dass der EuGH seinem GA folgt, steht dagegen eher nicht zu erwarten. Auch dem EuGH dürfte die in Deutschland nicht erst seit dem Lissabon-Urteil des BVerfG (v. 30.6.2009 – 2 BvR 1010/08, 2 BvE 2/08 u.a.) schwelende Debatte um die Grenzen der Integrationsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht verborgen geblieben sein. Die verfassungsrechtliche Dimension der aktuellen Vorlagefrage wird verdeutlicht durch die derzeit beim BVerfG anhängige Verfassungsbeschwerde in Sachen Honeywell (Az. 2 BvR 2661/06; vgl. hierzu das Gutachten von Gerken/Rieble/G. Roth/Stein/Streinz, abrufbar unter www.cep.eu/analysen-zur-eu-politik/sonstige-themen). Das Gericht hat hierbei die Frage zu klären ist, ob die Entwicklung des Verbots der Alterdiskriminierung durch den EuGH im Urteil Mangold als „ausbrechender Rechtsakt“ im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG zu qualifizieren ist. Eine ausdrückliche Ausweitung der Wirkungsweise von Richtlinien durch den EuGH wäre vor diesem Hintergrund wohl Wasser auf die Mühlen all derjenigen, denen bereits der aktuelle Integrationsstand zu weit geht und die deshalb das ganze Projekt der europäischen Einigung in Frage stellen möchten. Für das BVerfG könnte sich eine solche Aussage des EuGH jedenfalls als der „entscheidende Schritt zu viel“ darstellen.


2

Rs C-144/04, Slg. 2005, I-9981 = ZIP 2005, 2171 (m. Bespr. Thüsing, S. 2171), dazu EWiR 2005, 869 (Brock/Windeln).

3

ABl L 303, S. 16.

8

Urteil Mangold, ZIP 2005, 2171, Rz. 75.

9

Urt. v. 16.10.2007 – Rs C-411/05, Slg. 2007, I-8531 = ZIP 2007, 2280, Rz. 42 – Palacios de la Villa, dazu EWiR 2008, 153 (Brock/Windeln).

10

Urt. v. 5.3.2009 – Rs C-388/07, Slg. 2009, I-0000, Rz. 46 – Age Concern England.

11

Rz. 46.

12

Urteil Palacios de la Villa, ZIP 2007, 2280, Rz. 68.

13

Urteil Age Concern England, Rz. 51.

14

Rs 106/77, Slg. 1978, 629.

15

EuGH, Urt. v. 7.6.2007 – Rs C-80/06, Slg. 2007, I-4473, Rz. 20 – Carp und die dort angeführte Rechtsprechung.

16

EuGH, Urt. v. 14.7.1994 – Rs C-91/92, Slg. 1994, I-3325 = ZIP 1994, 1187, Rz. 24 – Faccini Dori.

17

Vgl. Simon, La directive européenne, 1997, S. 73.

18

Vgl. insbesondere Urteile Pfeiffer u.a. (ZIP 2004, 2342, Rz. 113 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie v. 23.4.2009 (Rs C-378-380/07, Slg. 2009, I-0000, Rz. 197 – Angelidaki u.a.).

19

Urteil Angelidaki u.a., Rz. 200.

20

Urteil Pfeiffer u.a. (ZIP 2004, 2342, Rz. 116).

21

Urteil Angelidaki u.a. (Rz. 199 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22

Ebd., Rz. 202 und die dort angeführte Rechtsprechung.

23

Wegen einer allgemeinen Darstellung des Unterschieds zwischen diesen beiden Wirkungen des Gemeinschaftsrechts vgl. insbesondere Rz. 24 bis 90 der Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache Linster (Rs C-287/98, Urt. v. 19.9.2000, Slg. 2000, I-6917 = ZfIR 2000, 889) sowie Simon, „Synthèse générale“, Les principes communs d'une justice des États de l'Union européenne, Actes du colloque des 4 et 5 décembre 2000, La Documentation française, 2001, S. 321, wo es heißt: „[W]enn der Gerichtshof bestimmten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts keine unmittelbare Wirkung beilegt, so ganz einfach deshalb, weil diese Vorschriften von den nationalen Gerichten nicht angewandt werden können, ohne dass damit die nationalen Gerichte gezwungen wären, ihre richterliche Aufgabe hinter sich zu lassen und an die Stelle des nationalen Gesetzgebers zu treten, der in dem Fall über ein Ermessen verfügt, von dem ein Gericht nicht ohne Verstoß gegen die Grundprinzipien der Gewaltenteilung Gebrauch machen kann“ (S. 332). Durch die Möglichkeit der Berufung auf die Ausschlusswirkung wird die Ausübung dieses Ermessens nicht beeinträchtigt. Es geht nur um die Kontrolle, dass der Mitgliedstaat bei der Ausübung seines Ermessens innerhalb der Grenzen des Ermessens geblieben ist.

24

Die Urteile v. 30.4.1996 (Rs C-194/94, Slg. 1996, I-2201 – CIA Security International) sowie v. 26.9.2000 (Rs C-443/98, Slg. 2000, I-7535 = ZIP 2000, 1773 – Unilever, dazu EWiR 2001, 497 (Micklitz)) werden oft angeführt als Anerkennung der Möglichkeit der Berufung auf die Ausschlusswirkung der Richtlinien in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen. Der Gerichtshof hat nämlich die Auffassung vertreten, dass das nationale Gericht eine technische Vorschrift, die nicht gemäß den Anforderungen der RL 83/189/EWG des Rates v. 28.3.1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl L 109, S. 8) mitgeteilt worden ist, was nach Ansicht des Gerichtshofs „einen wesentlichen Verfahrensfehler“ darstellt, unangewendet zu lassen hat, und zwar auch in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen (Urteile CIA Security International, Rz. 48, und Unilever, ZIP 2000, 1773, Rz. 50). Der Gerichtshof rechtfertigte diesen Schwenk im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung damit, dass „die Richtlinie 83/189 ... keineswegs den materiellen Inhalt der Rechtsnorm [festlegt], auf deren Grundlage das nationale Gericht den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden hat. Sie begründet weder Rechte noch Pflichten für Einzelne.“ (Urteil Unilever, ZIP 2000, 1773, Rz. 51).

25

Vgl. insbesondere Urt. v. 17.1.2008 – Rs C-246/06, Slg. 2008, I-105, Rz. 38 – Velasco Navarro).

26

Urteil Mangold, ZIP 2005, 2171, Rz. 77 und 78.

27

Rs C-129/96, Slg. 1997, I-7411.

28

Rz. 45. Vgl. auch Urteil Mangold, ZIP 2005, 2171, Rz. 67.

29

Urteil Mangold, ZIP 2005, 2171, Rz. 74.

30

Ebd., ZIP 2005, 2171, Rz. 75.

31

ABl L 175, S. 43. Vgl. Urteil Mangold, ZIP 2005, 2171, Rz. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung.

32

Urteil Mangold, ZIP 2005, 2171, Rz. 76.

33

Die Charta wurde zum ersten Mal am 7. Dezember 2000 in Nizza feierlich verkündet (ABl C 364, S. 1), später erneut am 12. Dezember 2007 in Straßburg (ABl C 303, S. 1).

34

Urt. v. 19.10.1977 – Rs 117/76 und 16/77, Slg. 1977, 1753, Rz. 7 – Ruckdeschel u.a.

35

Vgl. insbesondere Urt. v. 25.11.1986 (Rs 201, 202/85, Slg. 1986, 3477, Rz. 9 – Klensch u.a.) sowie v. 12.12.2002 (Rs C-442/00, Slg. 2002, I-11915, Rz. 32 – Rodríguez Caballero und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Urteil Rodríguez Caballero (Rz. 32).

37

Vgl. insbesondere den Einfluss, den der Gleichheitsgrundsatz auf die Bestimmung des Geltungsbereichs der RL 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl L 39, S. 40) im Urt. v. 30.4.1996 (Rs C-13/94, Slg. 1996, I-2143, Rz. 18-20 – P./S.) haben konnte.

38

Vgl. insbesondere Urt. v. 10.3.1998 (Rs- C-122/95, Slg. 1998, I-973, Rz. 54-72 – Deutschland/Rat).

39

Urteil Rodríguez Caballero (Rz. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

Ebd., Rz. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung.

41

Richtlinie des Rates v. 10.2.1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl L 45, S. 19).

42

43/75, Slg. 1976, 455.

43

Rz. 54.

44

Rz. 60.

45

96/80, Slg. 1981, 911.

46

Rz. 22.

47

Rs C-17/05, Slg. 2006, I-9583, Rz. 29.

48

Vgl. insbesondere Urt. v. 12.12.1974 – Walrave und Koch (36/74, Slg. 1974, 1405), Defrenne sowie Urt. v. 6.6.2000 – Angonese (Rs C-281/98, Slg. 2000, I-4139). Vgl. außerdem für eine Bestätigung der horizontalen unmittelbaren Wirkung der Vertragsbestimmungen über die Grundfreiheiten wie Art. 43 EG aus jüngerer Zeit Urt. v. 11.12.2007 – International Transport Workers' Federation und Finnish Seamen's Union (Rs C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Rz. 57-59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49

Die Frage wäre dann komplizierter, denn der Gerichtshof hätte es neben dem großen Hindernis im Zusammenhang mit der Natur der Richtlinie mit der allgemeineren Frage zu tun, ob das Diskriminierungsverbot alle Arten von Beziehungen zwischen Privatpersonen bestimmen kann. Ich weise darauf hin, dass der zwingende Charakter des Verbots bestimmter, in Vorschriften des Primärrechts aufgeführter Formen von Diskriminierung den Gerichtshof veranlasst hat, den Vorschriften die größtmögliche Anwendbarkeit zuzuerkennen, insbesondere im Rahmen von Beziehungen zwischen Privatpersonen (vgl. insbesondere Urteile Defrenne, Rz. 39, und Angonese, Rz. 34-36). Art. 3 Abs. 1 RL 2000/78/EG, der bestimmt, dass die Richtlinie „für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen [gilt]“, zeigt zudem, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber das Diskriminierungsverbot dahin versteht, dass es sich auf privatrechtlich geregelte Arbeitsverhältnisse erstreckt. Wegen einer Entscheidung außerhalb des Rahmens der Gemeinschaft vgl. ferner EGMR, Urteil Pla und Puncernau/Andorra v. 13.7.2004, Recueil des arrêts et décisions, 2004-VIII, in dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte offenbar anerkennt, dass das Recht auf Nichtdiskriminierung nach Art. 14 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, unterzeichnet in Rom am 4. November 1950, im Rahmen von Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt, und damit die Möglichkeit eröffnet, die Vereinbarkeit ausschließlich privater Handlungen anhand des genannten Artikels zu kontrollieren (vgl. hierzu Sudre, Droit européen et international des droits de l'homme, PUF, 2008, 9. Aufl., S. 264).

50

Vgl. hierzu De Schutter, „Les droits fondamentaux dans l'Union européenne: une typologie de l'acquis“, Classer les droits de l'homme, 2004, S. 315. Der Verfasser nennt als Beispiele das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Unternehmen (Art. 27), den Arbeitnehmerschutz bei ungerechtfertigter Kündigung (Art. 30), das Recht auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen (Art. 31), das Verbot der Kinderarbeit und Schutz der Jugendlichen am Arbeitsplatz (Art. 32), die Garantie, Familien- und Berufsleben miteinander in Einklang bringen zu können (Art. 33), und das Recht auf soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (Art. 34 Abs. 2) (S. 346 und 347).

*

Dr. iur., akad. Rat und Habilitand am Lehrstuhl Prof. Wulf-Henning Roth, Institut für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Universität Bonn

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