FG Berlin-Brandenburg: Zur Rückzahlungsverpflichtung aufgrund Vorsteuerberichtigung als Masseverbindlichkeit

16.02.2009

UStG § 15a; InsO §§ 38, 55

Zur Rückzahlungsverpflichtung aufgrund Vorsteuerberichtigung als Masseverbindlichkeit

FG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19. 6. 2008 – 7 V 7032/08

Leitsatz der Redaktion:

Es bestehen ernstliche Zweifel daran, dass eine aufgrund einer Vorsteuerberichtigung entstandene Rückzahlungsverpflichtung des Insolvenzschuldners, der vor Verfahrenseröffnung einen Steuervorteil erhalten hat, als Masseverbindlichkeit gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Umsatzsteuerfestsetzung geltend gemacht werden darf.

Gründe:

I. Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter im Verfahren betreffend der G. GmbH, deren Geschäftszweck die Produktion und Lieferung von Flachglas war. Aufgrund eines Vertrags vom 4. August 2000 erwarb die G. GmbH das Erbbaurecht an dem Grundstück M. Im Zusammenhang mit diesem Kauf machte die GmbH erfolgreich Vorsteuer i.H. v. 759.115 € geltend. Am 1. April 2004 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. GmbH eröffnet und der Antragsteller zum Insolvenzverwalter bestellt. Er veräußerte mit Vertrag vom 23. Dezember 2004 das oben genannte Erbbaurecht umsatzsteuerfrei.

Am 10. November 2005 reichte ein Steuerberater für die G. GmbH eine Umsatzsteuervoranmeldung Oktober 2005 unter der Steuernummer der G. GmbH (also nicht unter der parallel dazu bestehenden Steuernummer für das Massekonto des Antragstellers) beim Antragsgegner ein. Darin war eine Vorsteuerberichtigung gem. § 15a UStG zu Lasten der G. GmbH i.H. v. 367.065 € berücksichtigt. Am 15. September 2006 reichte der Antragsteller seine Umsatzsteuererklärung für das Massekonto ein, die als Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung wirkte. Eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG war darin nicht berücksichtigt.

Am 21. November 2006 führte der Antragsgegner, das Finanzamt, beim Antragsteller eine Umsatzsteuersonderprüfung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis 1. November 2005 durch. Der Prüfer gelangte zu der Auffassung, dass der Antragsteller im Rahmen seines Massekontos eine Vorsteuerberichtigung gem. § 15a UStG i.H. v. 366.905,58 € berücksichtigen müsse. Dem folgend erging am 17. Januar 2007 ein geänderter Umsatzsteuerbescheid 2005 gegenüber dem Antragsteller für das Massekonto, mit dem die Umsatzsteuer auf 411.574,79 € festgesetzt wurde, was zu einer Nachzahlung von 366.905,54 € führte. Der Antragsgegner vertrat die Auffassung, die Umsatzsteuer aus der Vorsteuerberichtigung stelle eine Masseverbindlichkeit dar.

Den dagegen am 16. Februar 2007 eingelegten Einspruch wies der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom 6. Dezember 2007 als unbegründet zurück. Daraufhin hat der Antragsteller am 4. Januar 2008 Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen 7 K 7008/08 bei dem erkennenden Senat anhängig ist. Am 25. Januar 2008 lehnte der Antragsgegner einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Am 30. Januar 2008 hat der Antragsteller bei Gericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt.

II. Der Antrag ist zulässig. Der Antragssteller hat ein Rechtschutzbedürfnis für dieses Verfahren (FG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.7.2003 – 7 B 7184/03, EFG 2003, 1520).

Der Antrag ist begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel i.S.d. § 69 Abs. 2 und 3 FGO an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ernstliche Zweifel bestehen danach u.a. dann, wenn die streitige Rechtsfrage von verschiedenen Senaten des BFH unterschiedlich beantwortet wird (vgl. BFH, Beschl. v. 5.2.1986 – I B 39/85, BFHE 146, 105 = BStBl II 1986, 490). So liegen die Verhältnisse im Streitfall.

Es erscheint ernstlich zweifelhaft, ob die Umsatzsteuerverbindlichkeit aus § 15a UStG i.H. v. 366.905,54 €, die der Sache nach ausgehend von der Auffassung der Beteiligten unzweifelhaft entstanden ist, als Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegenüber dem Antragsteller durch Umsatzsteuerfestsetzung geltend gemacht werden durfte.

Zwar dürfte der Antragsgegner Umsatzsteuer, die als Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO entsteht, durch Steuerbescheid gegenüber dem Antragsteller geltend machen (BFH, Urt. v. 15.3.1994 – XI R 45/93, BFHE 174, 290, 293 = BStBl II 1994, 600 = ZIP 1994, 1371, dazu EWiR 1994, 945 (Onusseit); BFH, Beschl. v. 8.7.1997 – VII B 89/97, BFH/NV 1998, 86; FG Berlin, Urt. v. 8.3.2005 – 7 K 7085/04, EFG 2005, 1326), jedoch ist ernstlich zweifelhaft, ob es sich bei dem streitigen Vorsteuerberichtigungsanspruch um eine Masseverbindlichkeit handelt.

Denn Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind solche, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Es ist davon auszugehen, dass der Begriff der „Begründung“ mit dem gleichlautenden Begriff in § 38 InsO identisch ist, so dass die Begründung im insolvenzrechtlichen Sinne darüber entscheidet, ob eine Verbindlichkeit zu den Insolvenzverbindlichkeiten i.S.d. § 38 InsO oder zu den Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gehört. Ungeachtet der Tatsache, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Unternehmereigenschaft der G. GmbH nicht berührt und der Antragsteller lediglich das Verwaltungs- und Verfügungsrecht an Stelle der G. GmbH ausübt (BFH, Urt. v. 28.6.2000 – V R 45/99, BFHE 192, 129 = BStBl II 2000, 703 = ZIP 2000, 2120, dazu EWiR 2001, 37 (Drescher)), ist der Antragsgegner bei Bestehen einer Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO darauf verwiesen, seine Ansprüche im Wege der Anmeldung zur Tabelle gem. § 174 Abs. 1 Satz 1 InsO geltend zu machen. Abgesehen von der Möglichkeit, bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen einen Feststellungsbescheid i.S.d. § 251 Abs. 3 AO zu erlassen, ist ihm insoweit die Geltendmachung durch Steuerbescheide versagt.

Für die Frage, in welchem Zeitpunkt eine Verbindlichkeit im insolvenzrechtlichen Sinne begründet ist, geht der VII. Senat des BFH davon aus, dass eine Rückzahlungsverpflichtung des Steuerpflichtigen, der vor Insolvenzeröffnung einen Steuervorteil erhalten hat, auch dann vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist, wenn die Rückzahlungsverpflichtung auf einem nach Eröffnung des Verfahrens eintretenden Ereignis beruht. Dabei benennt er in einem obiter dictum ausdrücklich die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a UStG (BFH, Urt. v. 17.4.2007 – VII R 27/06, BFHE 217, 8 = ZIP 2007, 1166 = ZVI 2007, 369 = HFR 2007, 729, dazu EWiR 2007, 501 (Vortmann); gleicher Auffassung Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl., 2005, S. 196 f.; Rüsken, ZIP 2007, 2053, 2055). In die gleiche Richtung weist, dass Berichtigungsansprüche nach § 16 GrEStG aufgrund von nach Insolvenzeröffnung ausgesprochenen Rücktritten (BFHE 217, 8 = ZIP 2007, 1166 = ZVI 2007, 369 = HFR 2007, 729) und Ansprüche aus der sog. zweiten Vorsteuerkorrektur gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG, die darauf beruhen, dass der Insolvenzverwalter aus der Masse vorsteuerbelastete Insolvenzforderungen teilweise beglichen hat (FG Berlin-Brandenburg, ZIP 2009, Seite 285Urt. v. 14.11.2007 – 7 K 5362/05 B, EFG 2008, 518), als vor Insolvenzeröffnung begründet angesehen werden.

Unter diesen Umständen bleibt abzuwarten, ob sich die vom V. Senat des BFH (BFHE 165, 113 = BStBl II 1991, 817 = ZIP 1991, 1080; BFH, Beschl. v. 29.11.1993 – V B 93/93, BFH/NV 1995, 351) vertretene Auffassung, der Berichtigungsanspruch nach § 15a UStG gehöre zu den Masseverbindlichkeiten, weiterhin behaupten wird.

Dem Antragsgegner ist einzuräumen, dass auch Argumente für die von ihm vertretene Auffassung streiten. Im vom BFH entschiedenen Fall zum Erstattungsanspruch gem. § 16 GrEStG (BFHE 217, 8 = ZIP 2007, 1166 = ZVI 2007, 369 = HFR 2007, 729) ging der Anspruch nicht auf eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters zurück, und die Äußerung zu § 15a UStG war lediglich ein obiter dictum. Die der Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg (EFG 2008, 518) zugrunde liegende zweite Vorsteuerkorrektur stellte eher einen Reflex der Verwertungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters dar. In Konstellationen, in denen Abgabenansprüche auf die Nutzung nach Insolvenzeröffnung abstellten, hat der BFH die daraus fließenden Ansprüche der Insolvenzmasse zugewiesen (BFH, Beschl. v. 30.4.2007 – VII B 252/06, BFHE 217, 212 = HFR 2007, 824 = ZIP 2007, 1277 = ZVI 2007, 420 zu Erstattungszinsen; BFH, Urt. v. 17.4.2007 – VII R 34/06, BFHE 217, 14 = BStBl II 2008, 215 = ZIP 2007, 1225 = ZVI 2007, 422 zur Eigenheimzulage). Dies könnte dafür sprechen, den auf die vorsteuerschädliche Nutzung durch den Antragsteller gestützten Berichtigungsanspruch gem. § 15a UStG den Masseverbindlichkeiten zuzuweisen. Die Würdigung dieser Gesichtspunkte bleibt jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (vgl. BFH, Beschl. v. 13.7.2006 – V B 70/06, BFHE 214, 467 = BStBl II 2007, 415 = ZIP 2006, 1779, dazu EWiR 2007, 283 (Mitlehner)). Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen (Gräber/Koch, FGO, 6. Aufl., 2006, § 69 Rz. 86 m.w.N.).

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