FG Münster: Nach Insolvenzeröffnung entstandene Vorsteuerberichtigungsansprüche als Masseverbindlichkeit

22.12.2009

InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1; UStG § 15a

Nach Insolvenzeröffnung entstandene Vorsteuerberichtigungsansprüche als Masseverbindlichkeit

FG Münster, Urt. v. 8. 10. 2009 – 5 K 1096/07 U (nicht rechtskräftig)

Leitsatz der Redaktion:

Vorsteuerberichtigungsansprüche, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen, stellen Masseverbindlichkeiten dar (gegen BFH v. 17.4.2007 – VII R 27/06, ZIP 2007, 1166).

Tatbestand:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Grundstücksgemeinschaft (im Folgenden: GbR). Die GbR errichtete im Jahr 1998 eine Einkaufspassage. Die einzelnen Ladenlokale wurden an verschiedene Mieter vermietet. Aus den Herstellungskosten zog die GbR die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer in Höhe der Quote der im Erstjahr 1998 erfolgten steuerpflichtigen Vermietung von 79 % als Vorsteuer ab. Durch Wechsel der Mieter bzw. Änderung der Mietverträge verringerte sich diese Quote im Jahr 2000 auf 75,07 % und im Jahr 2001 auf 75,21 %.

Am 30. April 2002 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GbR eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Aufgrund der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die GbR vorgenommenen Änderungen der Mietverträge betrug die Quote der steuerpflichtigen Vermietungsumsätze in den Streitjahren: 2002 (ab Insolvenzeröffnung): 75,36 %, 2003: 75,65 % und 2004: 75,30 %.

In den Umsatzsteuerjahreserklärungen für 2002 und 2003, denen der Beklagte zunächst zustimmte, gab der Kläger keine Berichtigungsbeträge nach § 15a UStG an. In der Erklärung für das Streitjahr 2004 berechnete der Kläger einen Berichtigungsbetrag nach § 15a UStG, der auf Änderungen der Mietverträge vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfällt, i.H. v. 7.925,91 €, gab aber zugleich an, dass es sich nach seiner Ansicht bei diesem Betrag um eine Insolvenzforderung handele, die zur Tabelle angemeldet werden müsse. Gegen die als Steuerfestsetzung wirkende Steuererklärung für 2004 legte der Kläger am 9. Januar 2006 mit dieser Begründung Einspruch ein.

Mit Bescheiden vom 18. Januar 2006 änderte der Beklagte die Steuerfestsetzungen für die Streitjahre 2002 und 2003 u.a. dahin gehend, dass Berichtigungsbeträge nach § 15a UStG i.H. v. 7.123,53 € für 2002 und 6.556 € für 2003 zu Lasten des Klägers berücksichtigt wurden. Von dem Korrekturbetrag für das Jahr 2003 (6.556 €) entfällt ein Teilbetrag i.H. v. 567,53 € auf Mietvertragsänderungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Kläger vorgenommen wur-ZIP 49/2009, 2355den. Die Höhe der Berichtigungsbeträge ist zwischen den Beteiligten in allen Streitjahren unstreitig.

Hiergegen legte der Kläger am 27. Januar 2006 Einspruch ein, den er damit begründete, dass Korrekturbeträge i.H. v. 7.123,53 € für 2002 und i.H. v. 5.998,47 € für 2003 keine Masseverbindlichkeiten, sondern Insolvenzforderungen darstellten. Die „Änderungen der Verhältnisse“ i.S.v. § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG seien nicht durch Handlungen des Klägers als Insolvenzverwalter, sondern zuvor durch Handlungen der Insolvenzschuldnerin eingetreten.

Mit Einspruchsentscheidung vom 13. Februar 2007 wies der Beklagte die Einsprüche für alle drei Streitjahre als unbegründet zurück. Bei den Berichtigungsbeträgen nach § 15a Abs. 1 UStG handele es sich nicht um Insolvenzforderungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden seien, sondern um Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. § 15a UStG stelle nicht auf den Abschluss der schuldrechtlichen Verträge ab, sondern auf die tatsächliche Verwendung des Mietobjekts. Erst die Monat für Monat erfolgte Vermietung durch den Kläger als Insolvenzverwalter stelle die tatsächliche Verwendung dar.

Der Kläger hat am 14. März 2007 Klage erhoben.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Umsatzsteuerbescheide für 2002 bis 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung und in der Fassung der jeweils letzten Änderungsbescheide sind nicht rechtswidrig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat die Berichtigungsbeträge nach § 15a Abs. 1 UStG zu Recht als Masseverbindlichkeiten in den Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre 2002 bis 2004 gegenüber dem Kläger festgesetzt.

Unstreitig sind Vorsteuerberichtigungsbeträge nach § 15a UStG im vom Beklagten angesetzten Umfang in den Streitjahren entstanden.

Der Beklagte durfte diese Beträge in den Umsatzsteuerbescheiden gegenüber dem Kläger festsetzen, da es sich um Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO handelt. Insolvenzgläubiger können zwar gem. § 87 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Insolvenzforderungen i.S.v. § 38 InsO und damit ihre zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner „begründeten“ Vermögensansprüche nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Dementsprechend sind nach § 251 Abs. 3 AO Insolvenzforderungen während eines Insolvenzverfahrens nicht durch Steuerbescheid festzusetzen, sondern nur erforderlichenfalls durch Verwaltungsakt festzustellen. Diese Einschränkungen gelten aber nicht für Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen sind und die der Insolvenzverwalter nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO aus der Insolvenzmasse zu bezahlen hat (BFH, Urt. v. 29.8.2007 – IX R 4/07, BFHE 218, 435 = ZIP 2007, 2081 = ZVI 2007, 616, dazu EWiR 2007, 723 (von Spiessen); BFH/NV 2007, 2429 und BFH, Urt. v. 30.4.2009 – V R 1/06, ZIP 2009, 1677 (m. Bespr. Onusseit, S. 2180) = ZVI 2009, 378 = DStRE 2009, 1064).

Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Masseverbindlichkeiten Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Die Begründung einer Verbindlichkeit im insolvenzrechtlichen Sinne entscheidet darüber, ob sie zu den Insolvenzverbindlichkeiten oder zu den Masseverbindlichkeiten gehört, denn es ist davon auszugehen, dass der Begriff der „Begründung“ i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO mit dem gleichlautenden Begriff in § 38 InsO identisch ist (FG Berlin-Brandenburg EFG 2008, 1586 = ZIP 2009, 283).

Der Senat ist der Auffassung, dass Berichtigungsansprüche nach § 15a Abs. 1 UStG, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen, Masseverbindlichkeiten darstellen. Für die Frage der insolvenzrechtlichen Begründung ist im Hinblick auf Steueransprüche der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer maßgeblich.

§ 15a Abs. 1 UStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung (UStG a.F.) hat folgenden Wortlaut: „Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Bei Grundstücken [...] tritt an die Stelle des Zeitraums von fünf Jahren ein solcher von zehn Jahren.“

Nach der zum Konkursverfahren ergangenen Rechtsprechung des V. Senats des BFH (BFH, Urt. v. 9.4.1987 – V R 23/80, BStBl II 1987, 527 = ZIP 1987, 723, dazu EWiR 1987, 607 (Onusseit), und BFH BStBl II 1991, 817 = ZIP 1991, 108; BFH, Beschl. v. 29.11.1993 – V B 93/93, BFH/NV 1995, 351) ist der Vorsteuerberichtigungsanspruch nach § 15a UStG keine aufschiebend bedingte Forderung, da der Vorsteuerabzug nach § 15 UStG und die Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG als selbstständige Tatbestände nebeneinander stehen. Der Vorsteuerabzug wird nicht unter der Bedingung gewährt, dass das angeschaffte Wirtschaftsgut fünf oder zehn Jahre im Unternehmen verbleibt. Vielmehr ist er unabhängig von der Verbleibensdauer dann gerechtfertigt, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15a UStG erfüllt sind. Verbleibt das Wirtschaftsgut keine fünf oder zehn Jahre im Unternehmen, begründet § 15a UStG einen eigenen Steuertatbestand, der die Steuer lediglich in der in dieser Vorschrift bestimmten Höhe entstehen lässt und den Vorsteuerabzug nicht schlechthin rückgängig macht (so im Ergebnis auch Wagner, Haufe Index 1704865 unter Bezugnahme auf BFH, Beschl. v. 12.5.2003 – V B 211/02, V B 220/02, BStBl II 2003, 784).

Nach Auffassung des VII. Senats des BFH kommt es dagegen für die Frage, ob ein steuerrechtlicher Anspruch zur Insolvenzmasse gehört oder ob die Forderung des Gläubigers eine Insolvenzforderung ist, nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war (BFH, Beschl. v. 6.10.2005 – VII B 309/04, BFH/NV 2006, 369). Dementsprechend soll die Forderung des Finanzamts aufgrund einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG eine Insolvenzforderung darstellen, da es sich dabei um die Rückzahlung eines vor Erö-ZIP 49/2009, 2356ffnung des Insolvenzverfahrens in Anspruch genommenen Steuervorteils handele (BFH, Urt. v. 17.4.2007 – VII R 27/06, BFHE 217, 8 = BStBl II 2009, 589 = ZIP 2007, 1166 = ZVI 2007, 369, dazu EWiR 2007, 501 (Vortmann)). Der VII. Senat des BFH setzt die Korrektur nach § 15a Abs. 1 UStG mit der Erstattung von Vorauszahlungen und der Berichtigung nach § 16 des Grunderwerbsteuergesetzes gleich.

Dem ist nicht zu folgen, da es sich bei der Korrektur nach § 15a UStG nicht um die Berichtigung einer fehlerhaften Steuerfestsetzung handelt, sondern um einen eigenständigen Steuertatbestand. Anderenfalls wäre die Finanzbehörde als Gläubigerin gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt, die ebenfalls Forderungen gegen die Insolvenzmasse haben, die aufgrund von Handlungen des Insolvenzverwalters entstanden sind.

Für den Streitfall folgt daraus, dass die Umsatzsteueransprüche des Beklagten, soweit sie auf Berichtigungen nach § 15a Abs. 1 UStG beruhen, Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO darstellen. Der Steueranspruch ist durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet, denn er ist durch die teilweise steuerfreie Vermietung des zur Insolvenzmasse gehörenden Einkaufszentrums entstanden. Der Berichtigungsbetrag nach § 15a Abs. 1 UStG entsteht in jedem Kalenderjahr des Zehnjahreszeitraums, in dem sich die tatsächlichen Verhältnisse im Vergleich zur erstmaligen Verwendung ändern. Das Gesetz stellt nicht auf den Abschluss der Mietverträge ab, sondern auf die tatsächliche Verwendung des Wirtschaftsguts. Diese besteht vorliegend aber erst in der Vermietung der Ladenlokale nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

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