LAG Bremen: Kein Ausschluss des Arbeitnehmers von Sozialplanleistungen wegen Ablehnung des Wechsels in eine Transfergesellschaft

22.07.2009

BetrVG § 112 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 Satz 2 Nr. 2, § 75

Kein Ausschluss des Arbeitnehmers von Sozialplanleistungen wegen Ablehnung des Wechsels in eine Transfergesellschaft

LAG Bremen, Urt. v. 22. 1. 2009 – 3 Sa 153/08

Leitsätze des Gerichts:

1. Die Betriebsparteien haben bei der Gestaltung von Sozialplänen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Die Herausnahme einzelner Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern aus Sozialplanleistungen ist nur zulässig, wenn hierfür unter Beachtung des Zwecks eines Sozialplans gem. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ein sachlicher Grund besteht.

2. Wird ein Teil der Belegschaft bis zu einer Betriebsschließung in der Insolvenz tatsächlich weiterbeschäftigt und haben diese Arbeitnehmer Anspruch auf eine Sozialplanabfindung, so darf ein Arbeitnehmer, der vom Insolvenzverwalter unter Fortzahlung der Vergütung einseitig freigestellt wird, nicht deswegen von Sozialplanleistungen ausgenommen werden. Die Vergütung kann nicht als Leistung zum Ausgleich oder zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintreten, angesehen werden.

3. Auch die Ablehnung eines Angebots zum Übertritt in eine sog. Transfergesellschaft stellt jedenfalls in dieser Fallkonstellation keinen sachlichen Grund für die vollständige Herausnahme aus den Sozialplanleistungen dar; es handelt sich nicht um ein zumutbares Arbeitsplatzangebot i.S.d. § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Sozialplan in der Insolvenz. Der verheiratete und einem Kind unterhaltspflichtige Kläger war seit 1.1.1989 als Automobilverkäufer bei der Firma A. KG beschäftigt. Er hat eine monatliche Bruttogrundvergütung von zuletzt 1.277,50 € bezogen, hinzu kamen Provisionen. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.

Am 1.3.2007 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt waren 38 Arbeitnehmer und vier Auszubildende an den Standorten B. und R. beschäftigt. Der Kläger war in R. tätig.

Unter dem 23.3.2007 haben der Beklagte und der bei der Schuldnerin bestehende Betriebsrat nach Verhandlungen unter Beteiligung der IG Metall einen Interessenausgleich und einen Sozialplan geschlossen.

Im Sozialplan heißt es u.a.:

„Teil A

§ 2 Transfergesellschaft

Allen Arbeitnehmer/innen, welche im Rahmen des „Auslaufbetriebes“ nicht weiterbeschäftigt werden können, wird zur Milderung der sozialen Nachteile, die aus dem Verlust des Arbeitsplatzes entstehen, die Möglichkeit eröffnet, ab dem 1. April 2007 in eine Transfergesellschaft gem. §§ 216a und 216b SGB III zu wechseln, die von der G. GmbH organisiert wird.

Die Laufzeit der Transfergesellschaft beträgt mindestens 4 Monate. Der Insolvenzverwalter zahlt den zur Finanzierung der Transfergesellschaft notwendigen Betrag i.H. v. 148.600 €, berechnet auf 21 Mitarbeiter, auf ein separates Sondertreuhandkonto ein und gewährleistet damit die Finanzierung der Transfergesellschaft im vereinbarten Umfang und mit der vereinbarten Laufzeit. Für den Fall, dass eine geringere Zahl von Mitarbeitern in die Transfergesellschaft wechselt, wird dieser Betrag entsprechend angepasst.

Bei der Transfergesellschaft handelt es sich um eine betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (beE) i.S.v. § 216b SGB III. In der Transfergesellschaft erhält der/die Arbeitnehmer/in Transferkurzarbeitergeld nach den geltenden gesetzlichen Vorschriften über Transferleistungen. Der Insolvenzverwalter stockt das individuelle Transferkurzarbeitergeld um 5 Prozentpunkte auf. Der Insolvenzverwalter trägt weiterhin die Remanenzkosten der Transfergesellschaft einschließlich weiterer Kosten wie Overheadkosten, anteilige Kosten der arbeitsmarktpolitischen Unterstützung (Qualifizierung), zu übernehmender weiterer Kosten für Feiertagsentlohnung, Urlaub usw. ...

§ 3 Wirksamkeit des Sozialplans

Sofern nicht mindestens 16 Mitarbeiter der in der Anlage 3 benannten Arbeitnehmer/innen dem Abschluss des Aufhebungsvertrages und dem Wechsel in die Transfergesellschaft zustimmen, wird der Sozialplan Teil A gegenstandslos und der Sozialplan Teil B tritt in Kraft. Der Insolvenzverwalter behält sich für den Fall des Unterschreitens des Wechsels von mindestens 16 Mitarbeitern in die Transfergesellschaft vor, zu prüfen, ob der jeweilige Mitarbeiter/die jeweilige Mitarbeitern im Rahmen des Auslaufbetriebes beschäftigt werden kann und der Sozialplan Teil A somit wirksam bleiben kann. ...

§ 4 Sozialplanansprüche für gekündigte und bis 30. Juni 2007 weiterbeschäftigte Mitarbeiter

Die Betriebsparteien vereinbaren für die in der Auslaufproduktion bis zum 30. Juni 2007 beschäftigten Mitarbeiter folgenden Sozialplan:

Die Betriebsparteien sind sich darüber einig, dass nach Berücksichtigung der in die Kofinanzierung der Transfergesellschaft geflossenen Beträge gem. § 2 Abs. 3 des Sozialplans für die dann noch verbleibenden Sozialplanansprüche der gekündigten Mitarbeiter nur noch ein Betrag i.H. v. 81.345,83 € zur Verfügung steht. Anspruchsberechtigt sind alle gem. Anlage 2 benannten Mitarbeiter, soweit sie bis zum 30. Juni 2007 tätig sind. Dies gilt nicht für die vorzeitige Betriebseinstellung durch den Insolvenzverwalter. ...“

Der Kläger war in der Anlage 2 zu § 4 des Sozialplans nicht genannt. Für den Fall, dass nicht genügend Arbeitnehmer gem. § 3 des Sozialplans in die Transfergesellschaft gewechselt hätten, war in Teil B des Sozialplans vorgesehen, dass ein Abfindungsanspruch für alle dann zu kündigenden Beschäftigten gegeben ist. In einer Gesamtliste aller Arbeitnehmer ist dort ein Abfindungsanspruch für den Kläger von 2.258,01 € bei einem Gesamtvolumen von 229.945,83 € genannt.

Der Beklagte hat außergerichtlich die Auffassung vertreten, dass dem Kläger kein Anspruch auf Sozialplanabfindung aus dem Sozialplan vom 23.3.2007 zustehe. Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 25.2.2008 beim ArbG Bremen-Bremerhaven Klage erhoben.

Das ArbG Bremen-Bremerhaven hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit insgesamt zulässige Berufung ist in vollem Umfang begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf eine Sozialplanabfindung aus dem Sozialplan vom 23.3.2007 nach den dortigen Berechnungen und unter Beachtung der insolvenzrechtlichen Vorschriften unter dem Gesichtpunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu. Die arbeitsgerichtliche Entscheidung war insoweit abzuändern.

I. Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig; insbesondere besteht das gem. § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse trotz des grundsätzlichen Vorrangs der Leistungsklage. (Wird ausgeführt.)

II. Die Klage ist in vollem Umfang begründet. Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf eine Sozialplanabfindung nach den Bestimmungen des Sozialplans vom 23.3.2007 als Masseforderung unter Berücksichtigung der insolvenzrechtlichen Vorschriften.

1. Ein Anspruch des Klägers ergibt sich nicht bereits aus den Bestimmungen des Sozialplans vom 23.3.2007 selbst.

Mitarbeiter, die einen Wechsel in die Transfergesellschaft abgelehnt haben, werden nicht ausdrücklich im Sozialplan erwähnt und sie werden auch von einem Abfindungsanspruch nicht ausdrücklich ausgenommen. Solche Mitarbeiter erfüllen aber die Anspruchsvoraussetzungen nicht. Nach dem klaren Wortlaut der Regelungen in Teil A § 4 sind anspruchsberechtigt nur die Mitarbeiter, die in Anlage 2 zum Sozialplan benannt sind und darüber hinaus – abgesehen vom Fall einer vorzeitigen Betriebseinstellung durch den Insolvenzverwalter – auch tatsächlich bis zum 30.6.2007 beschäftigt worden sind. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger unstreitig nicht, da sein Arbeitsverhältnis zum Insolvenzverwalter zwar bis zum 31.8.2007 bestand, aber eine tatsächliche Beschäftigung nach dem 4.4.2007 durch die ausdrückliche Freistellung nicht mehr erfolgt ist. Der Kläger ist auch nicht in Anlage 2 zum Sozialplan als weiterzubeschäftigender Arbeitnehmer benannt.

2. Der Kläger hat einen Anspruch auf Sozialplanabfindung entsprechend den Regelungen des Sozialplans vom 23.3.2007 unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten, da die Betriebsparteien mit der faktischen Herausnahme der Arbeitnehmer, die einem Wechsel in die Transfergesellschaft widersprochen haben und durch den Insolvenzverwalter nicht tatsächlich weiterbeschäftigt worden sind, gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen haben.

a) Die Betriebsparteien haben bei Sozialplänen – wie auch sonst bei Betriebsvereinbarungen – den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beachten, dem wiederum der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde liegt. Dieser zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Maßgeblich für das Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher Gruppen rechtfertigenden Sachgrundes ist dabei vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck (vgl. zuletzt BAG, Urt. v. 6.11.2007 – 1 AZR 960/06, ZIP 2008, 327 = AP Nr. 190 zu § 112 BetrVG 1972, Rz. 12 m.w.N., dazu EWiR 2008, 233 (Bieszk)). Zweck eines Sozialplans ist gem. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, die den Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder abzumildern. Bei deren Einschätzung haben die Betriebsparteien einen erheblichen Beurteilungs- und Ermessensspielraum und können daher in Sozialplänen Differenzierungen im Rahmen des gesetzlichen Zwecks vornehmen (BAG ZIP 2008, 327 = AP Nr. 190 zu § 112 BetrVG 1972, Rz. 14).

b) Geht man von diesen Grundsätzen aus, so liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor. Die Betriebsparteien haben den Kläger von Leistungen aus dem Sozialplan ausgenommen, ohne dass es hierfür einen rechtfertigenden Grund gibt und ohne dass dem Kläger ein Ausgleich oder zumindest eine Milderung der durch die betriebsändernde Maßnahme entstehenden Folgen gewährt wird. Weder die Nichtbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist noch die Ablehnung des Übergangs in die Transfergesellschaft stellen einen solchen rechtfertigenden Grund dar.

aa) Die Betriebsparteien haben für den Fall des Zustandekommens der Transfergesellschaft und damit des Wirksamwerdens des Teils A des Sozialplans vom 23.3.2007 faktisch drei Gruppen gebildet: Zum einen ist dies die Gruppe der Arbeitnehmer, die im Wege des dreiseitigen Vertrages das Arbeitsverhältnis mit dem Insolvenzverwalter beendet hat und in die Transfergesellschaft gewechselt ist. Zu Gunsten dieser Arbeitnehmer hat der Beklagte aufgrund der Regelungen in Interessenausgleich und Sozialplan eine finanzielle Ausstattung der Transfergesellschaft vorgenommen. Damit war sichergestellt, dass diese Arbeitnehmer während der geplanten Laufzeit von mindestens vier Monaten Transferkurzarbeitergeld von der Bundesagentur für Arbeit, Feiertags- und Urlaubsentlohnung und eine Aufstockungsleistung von 5 % erhalten konnten. Darüber hinaus waren für diese Arbeitnehmer Beratungs- und Qualifizierungsangebote durch die Transfergesellschaft vorgesehen. Eine Abfindung steht diesen Mitarbeitern nach den Regelungen des Sozialplans nicht zu.

Die zweite Gruppe bilden diejenigen Arbeitnehmer, die zur Weiterbeschäftigung bis zur endgültigen Betriebsschließung am 30.6.2007 vorgesehen waren und tatsächlich weiterbeschäftigt worden sind. Diese erhalten gem. § 4 des Sozialplans eine dort und in Anlage 4 näher bezifferte Abfindung aus der Insolvenzmasse unter Beachtung der Regelungen der InsO.

Die dritte – wenn auch nicht ausdrücklich genannte – Gruppe bilden die Arbeitnehmer, die – wie der Kläger – das Angebot zum Wechsel in die Transfergesellschaft ablehnt haben, aber auch nicht weiterbeschäftigt wurden. Wie bereits dargelegt, besteht für diese Arbeitnehmer kein Abfindungsanspruch aus § 4 des Sozialplans und es sind im Sozialplan auch keine anderweitigen Leistungen zur Milderung oder zum Ausgleich der durch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses entstehenden wirtschaftlichen Nachteile vorgesehen. Die Betriebsparteien haben dabei die Möglichkeit, dass eine solche dritte Gruppe von Arbeitnehmern entsteht, bei der Vereinbarung der Regelungen des Teils A des Sozialplans durchaus gesehen: Voraussetzung für die Wirksamkeit des Teil A war gem. § 3 Abs. 1 des Sozialplans, dass (nur) 16 von 19 Arbeitnehmern, denen ein Angebot zum Wechsel in die Transfergesellschaft gemacht wird, dieses Angebot annehmen. Gleichzeitig war durch die Regelung in § 4 Abs. 3 i.V.m. der dort genannten Anlage 2 ebenfalls von vorneherein wahrscheinlich, dass diesen Arbeitnehmern eine tatsächliche Beschäftigung nicht angeboten wird und dass sie dementsprechend auch keine Sozialplanleistung nach dieser Vorschrift erhalten würden. Damit wurde bei der Vereinbarung des Sozialplans in Kauf genommen, dass bis zu drei Arbeitnehmer im Falle der Weigerung zum Übertritt in die Transfergesellschaft ohne Leistungen bleiben würden.

bb) Maßgebliche Vergleichsgruppe sind vorliegend nicht die Arbeitnehmer, die in die Transfergesellschaft gewechselt sind. Diese erhalten ebenfalls keine Sozialplanleistung und auf diese bezieht sich der Kläger auch nicht. Diese sind auch nicht mit dem Kläger vergleichbar, weil sie das Arbeitsverhältnis im Wege des dreiseitigen Vertrages mit dem beklagten Insolvenzverwalter selbst beendet und dem Wechsel zugestimmt haben.

Deshalb spielt es vorliegend auch keine Rolle, ob diese Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitnehmern, die beim Insolvenzverwalter verblieben sind, einen Vorteil hatten. Unerheblich ist auch, ob der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zum Beklagten eigenem Wunsch entsprach – wie beim Kläger – oder deshalb erfolgte, weil wegen Beschäftigungsbedarfs kein Angebot zum Wechsel in die Transfergesellschaft gemacht wurde. Zwar ist der Hinweis des Beklagten durchaus zutreffend, dass die Arbeitnehmer, die sich für einen Wechsel in die Transfergesellschaft entschieden haben, wegen der bereits erfolgten Finanzierung durch den Beklagten und der Leistungen der Bundesagentur für Arbeit jedenfalls für die Laufzeit von mindestens vier Monaten ein gesichertes Einkommen hatten und eine drohende Arbeitslosigkeit mindestens um diesen Zeitraum hinausgeschoben war. In einer solchen Situation befanden sich die Arbeitnehmer, die freiwillig oder unfreiwillig beim Beklagten verblieben sind, nicht, da sie tatsächlich das Risiko trugen, ob die Insolvenzmasse für ihre Vergütung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist und für die Sozialplanansprüche ausreichen würde. Da sich der Kläger aber selbst dafür entschieden hat, das Angebot auf Übertritt in die Transfergesellschaft abzulehnen, hat er dieses Risiko in Kauf genommen und steht damit nicht besser oder schlechter als die anderen Mitarbeiter, die beim Insolvenzverwalter verblieben sind.

cc) Vergleichsgruppe für die Prüfung, ob eine sachwidrige Ungleichbehandlung vorliegt, sind daher die Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse beim Insolvenzverwalter verblieben sind, die durch diesen wegen der Schließung des Betriebes gekündigt wurden und denen ein Abfindungsanspruch nach § 4 des Sozialplans zusteht.

Der Kläger erleidet dieselben Nachteile wie diese Arbeitnehmer, nämlich einen Verlust des Arbeitsplatzes nach nicht unerheblicher Beschäftigungsdauer. Für diesen Nachteil erhält er aber – anders als diese Arbeitnehmer – keinerlei Ausgleich. Hierfür gibt es keinen sachlichen Grund.

(1) Entgegen der Auffassung des Beklagten – und auch des ArbG – kann der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger tatsächlich erst zum 31.8.2007 beendet wurde und nicht, wie bei den anderen Arbeitnehmern, bereits zum 30.6.2007, nicht als sachlicher Differenzierungsgrund herangezogen werden.

Diese Tatsache ist allein der Situation geschuldet, dass der Beklagte vor Ausspruch der ersten Kündigung die gesetzlich notwendige Zustimmung des Integrationsamtes nicht eingeholt hatte und er deswegen im Folgenden aus dieser Kündigung keine Rechte mehr hergeleitet hat. Dieser Umstand hat allein mit der Schwerbehinderung des Klägers und der individuellen Wirksamkeit der Kündigung zu tun und ist nicht in den Regelungen des Interessensausgleichs oder Sozialplans als besondere Maßnahme zum Ausgleich oder zum Hinausschieben wirtschaftlicher Nachteile angelegt. Sie kann daher auch nicht als sachliche Rechtfertigung für einen Ausschluss von Abfindungsleistungen in einer generellen, nicht auf den Kläger bezogenen Regelung herangezogen werden.

Soweit der Beklagte – vom Kläger bestritten – darauf hinweist, dass der Schuldnerin der Umstand der Schwerbehinderung nicht bekannt gewesen sei und dass das Verhalten des Klägers treuwidrig gewesen sei, könnte dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Es erscheint bereits höchst zweifelhaft, ob der Beklagte konkrete Umstände genannt hat, die zur Annahme eines treuwidrigen Verhaltens führen könnten. Auch wenn man dies aber unterstellen würde, so wäre dies allenfalls für die Frage relevant gewesen, ob sich der Kläger im Kündigungsschutzprozess auf die Unwirksamkeit der ersten ausgesprochenen Kündigung wegen des Verstoßes gegen § 85 SGB IX hätte berufen können (vgl. dazu: LAG Hamm, Urt. v. 31.5.2007 – 8 Sa 139/07, und LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 9.10.2003 – 4 Sa 711/03, jew. juris). Diese Fragestellung ist aber nicht mehr relevant, da der Beklagte aus der Kündigung vom 27.3.2007 bereits im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses keine Rechte mehr hergeleitet hat.

(2) Auch die Freistellung und Nichtbeschäftigung bis zum 30.6.2007 stellt keinen sachlichen Grund für die Herausnahme aus dem Kreis der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer dar.

Der Kläger hatte – wie die anderen Arbeitnehmer auch – aus seinem Arbeitsvertrag grundsätzlich einen Beschäftigungs- und Vergütungsanspruch gegen seinen Arbeitgeber. Hierdurch ist durch die Insolvenzeröffnung zunächst keine Veränderung eingetreten. Die Frage, ob eine Beschäftigungsmöglichkeit bestand oder nicht, lag im Risikobereich des Beklagten. Dieser hat den Kläger ab 4.4.2007 freigestellt und – wie in § 615 BGB vorgesehen – vergütet; der Kläger hat sich gegen die Freistellung nicht gewandt. Damit erhielt der Kläger zwar – anders als die tatsächlich Beschäftigten – seine Vergütung, ohne Arbeitsleistung erbringen zu müssen. Dieser Vergütungsanspruch ergab sich aber aus § 615 BGB und ein Vergütungsanspruch hätte auch bestanden, wenn der Kläger zur Arbeitsleistung herangezogen worden wäre. In beiden Fällen stellt der Anspruch auf die reguläre Arbeitsvergütung jedenfalls keinen Ausgleich und keine Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die durch eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintreten (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG), dar.

Soweit der Beklagte darauf hinweist, dass die tatsächlich beschäftigten Arbeitnehmer die Masse, die auch zur Finanzierung der Abfindungen dient, erwirtschafteten, kann dies schon deshalb zu keinem anderen Ergebnis führen, da er dem Kläger durch die erfolgte einseitige Freistellung die Möglichkeit genommen hat, selbst zur Erwirtschaftung weiterer Masse beizutragen.

(3) Auch die Ablehnung des Übergangs in die Transfergesellschaft durch den Kläger stellt jedenfalls deshalb keinen sachlichen Grund für die Nichtgewährung einer Sozialplanleistung dar, weil ein anderer Teil der Belegschaft, der ebenfalls nicht in die Transfergesellschaft gewechselt ist, Leistungen erhält. Zwar können die Betriebsparteien in Sozialplänen bei Abfindungen differenzieren zwischen Arbeitnehmern, denen kein zumutbares Angebot einer Weiterbeschäftigung gemacht wird, und denjenigen, die ein solches Angebot ablehnen. Arbeitnehmern, die einen zumutbaren Arbeitsplatz ablehnen, kann der Abfindungsanspruch ganz entzogen oder entsprechend gemindert werden, da die Betriebsparteien in solchen Fällen zu Recht davon ausgehen dürfen, dass ein Arbeitnehmer, der eine zumutbare Weiterbeschäftigung ausschlägt, keine oder nur geringe wirtschaftliche Nachteile erleiden wird (vgl. BAG ZIP 2008, 327 = AP Nr. 190 zu § 112 BetrVG 1972). Auch können die Betriebsparteien Arbeitnehmer, von denen aufgrund bestimmter Umstände (z.B. vorzeitiges Ausscheiden auf eigenen Wunsch) angenommen werden kann, dass sie einen neuen Arbeitsplatz haben, von Leistungen ganz oder teilweise ausnehmen (vgl. BAG, Beschl. v. 19.2.2008 – 1 AZR 1004/06, ZIP 2008, 1087 = AP Nr. 191 zu § 112 BetrVG, Rz. 26 m.w.N., dazu EWiR 2008, 483 (Oetker)). Eine solche Situation ist vorliegend nicht gegeben: Das Angebot zum Übertritt in eine Transfergesellschaft ist kein zumutbares Arbeitsplatzangebot i.S.d. § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG (DKK-Däubler, BetrVG, 11. Aufl., § 112 Rz. 192). Weder handelt es sich bei der Transfergesellschaft um einen anderen Betrieb des Unternehmens noch um ein anderes konzernabhängiges Unternehmen. Darüber hinaus zielt eine Transfergesellschaft gerade nicht darauf, dem Arbeitnehmer auf Dauer einen Ersatzarbeitsplatz für den verlorenen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Aus einer Ablehnung des Wechsels kann daher nicht generell die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der ablehnende Arbeitnehmer über einen anderen Ersatzarbeitsplatz verfügt. Bei der Transfergesellschaft handelt es sich vielmehr um eine – häufig sinnvolle – arbeitsmarktpolitische Maßnahme, um den Arbeitnehmern unter Einbeziehung von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit einen gewissen Übergangszeitraum zu sichern, die Arbeitslosigkeit um diesen Zeitraum hinauszuschieben und durch Qualifizierungs- und Vermittlungsmaßnahmen den Weg zu einem neuen Arbeitsplatz zu ebnen. Dies wird allerdings regelmäßig durch den Verzicht auf gesetzliche oder tarifvertragliche Kündigungsfristen und eine Verminderung des Einkommens auf das Transferkurzarbeitergeld zzgl. gewisser Aufstockungsleistungen erkauft. Gegebenfalls steht den Leistungen aus der Transfergesellschaft auch noch der Verzicht auf Abfindungszahlungen gegenüber, wie dies auch vorliegend der Fall ist (vgl. beispielhaft auch: BAG, Urt. v. 30.3.2004 – 1 AZR 85/03, AP Nr. 170 zu § 112 BetrVG).

Zwar bestehen keine generellen Bedenken, solche Regelungen in einen Sozialplan aufzunehmen; § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2a BetrVG weist vielmehr ausdrücklich auf die Berücksichtigung entsprechender Förderungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit hin (vgl. dazu Fitting, BetrVG, 23. Aufl., § 112 Rz. 234). Auch individualrechtlich begegnet es keinen grundsätzlichen Bedenken, im Wege des dreiseitigen Vertrages das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber zu beenden und in Transfer- oder Beschäftigungsgesellschaften zu wechseln (vgl. dazu zuletzt: BAG, Urt. v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/06, ZIP 2007, 1875 = AP Nr. 23 zu § 113 InsO oder BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643 = AP Nr. 1 zu § 613a BGB, Wiedereinstellung).

Verbleibt aber eine Arbeitnehmergruppe beim Arbeitgeber und erhält Sozialplanleistungen, ist es wegen eines Verstoßes gegen § 75 BetrVG unzulässig, mittelbaren Zwang zum Übergang in eine Transfergesellschaft dadurch auszuüben, dass bei einer Ablehnung keinerlei Leistungen an den widersprechenden Arbeitnehmer gewährt werden. Zwar mag es gerade bei Sozialplänen in der Insolvenz, bei denen nur eine begrenzte Masse zur Verfügung steht, durchaus denkbar sein, wegen der Notwendigkeit der Aufbringung der Finanzierung der Remanenzkosten, die auch dann anfallen, wenn einzelne Arbeitnehmer nicht übergehen, deren Abfindungsansprüche zu reduzieren und insoweit den Umstand, dass eine Transfergesellschaft errichtet wurde und ein entsprechendes Angebot gemacht wurde, zu berücksichtigen (vgl. zu differenzierten Abfindungsansprüchen bei Übertritt in die Transfergesellschaft: BAG, Urt. v. 18.7.2006 – 1 AZR 521/05, n.v., juris). Der Ausschluss von jeglicher Leistung übersieht jedoch den Zweck des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG und berücksichtigt nicht, dass auch diese Arbeitnehmer wirtschaftliche Nachteile durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erleiden. Die vorrangig zukunftsorientierte Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion von Sozialplänen (vgl. BAG, Urt. v. 13.3.2007 – 1 AZR 262/06, AP Nr. 183 zu § 112 BetrVG, Rz. 18) würde in diesem Fall nicht zur Geltung gebracht werden. Dies gilt insbesondere, wenn die Transfergesellschaft nach den Regelungen in Interessenausgleich und Sozialplan nur zeitlich geringfügig (hier: 1 Monat) länger angelegt ist, als die Kündigungsfristen für die große Mehrzahl der Arbeitnehmer wären.

Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht noch darauf hingewiesen hat, dass dann, wenn die Transfergesellschaft nicht zustande gekommen wäre, für die Belegschaft in ihrer Gesamtheit eine deutlich schlechtere Lösung erzielt worden wäre und jeder einzelne für sich genommen geringere Leistungen erhalten hätte, kann dies kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Zwar mag es zutreffen, dass die gefundene Lösung für die Masse der betroffenen Arbeitnehmer in der konkreten Situation prognostisch die günstigste gewesen ist. Dies lässt aber nicht zu, einzelne Arbeitnehmer ohne sachlich gerechtfertigten Grund völlig von Leistungen auszunehmen.

3. Dem Kläger steht daher ein Abfindungsanspruch nach den Regelungen des Sozialplans vom 23.3.2007 unter Beachtung der insolvenzrechtlichen Vorschriften zu. Es kann dabei dahinstehen, ob dieser Anspruch des Klägers wegen der Begrenzung in § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO überhaupt zu einer Ausweitung des Sozialplanvolumens führen würde. Sollte dies der Fall sein, so wäre eine solche Ausweitung unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nur der Kläger betroffen ist, und angesichts der relativ geringen Höhe der sich rechnerisch ergebenden Abfindung jedenfalls nicht so erheblich, dass sie nicht hinzunehmen wäre (vgl. allg. dazu BAG, Urt. v. 12.11.2002 – 1 AZR 58/02, ZIP 2003, 1463 = AP Nr. 159 zu § 112 BetrVG, IV der Gründe).

III.  Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da die Fragestellung, ob ein Arbeitnehmer, der ein Angebot zum Wechsel in eine Transfergesellschaft ablehnt, völlig von Sozialplanleistungen ausgenommen werden kann, bisher, soweit ersichtlich, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist und über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat.

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