LAG Mainz: Inkongruenz von Zahlungen auf Vorpfändung

24.11.2009

InsO § 131

Inkongruenz von Zahlungen auf Vorpfändung

LAG Mainz, Urt. v. 17. 7. 2009 – 6 Sa 146/09 (nicht rechtskräftig; ArbG Koblenz)

Leitsatz der Redaktion:

Ein vorläufiges Zahlungsverbot gem. §§ 845, 930 ZPO übt als ernsthafte Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen einen hinreichenden Druck auf den Schuldner in der Krisensituation aus; daraufhin geleistete Zahlungen sind deshalb inkongruent.

ZIP Heft 45/2009, Seite 2160

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Frage, ob der Insolvenzverwalter die Rückzahlung von in einem Kündigungsschutzverfahren vereinbarten Abfindungsbeträgen zur Masse verlangen kann.

Kläger ist der mit Beschluss des AG Mayen vom 30.5.2008 bestellte Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin. Der Eröffnung des Insolvenzverfahrens lag der Eigenantrag der Schuldnerin vom 29.4.2008 zugrunde.

Der Beklagte selbst war bis zum 30.6.2007 als Arbeitnehmer im Druckereiunternehmen der Schuldnerin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete nach ordentlicher Kündigung der Schuldnerin mit einem vor dem ArbG Koblenz geschlossenen Vergleich, in welchem sich die Schuldnerin u.a. verpflichtete, jeweils 2.500 € brutto am 15. 2., 15. 3., 15. 4. und 15.5.2008 als Abfindung zu zahlen. Der Vergleich datiert vom 9.1.2008.

Wegen der ersten beiden Raten auf Zahlung der Nettoabfindungsbeträge erwirkte der Beklagte jeweils zuletzt – mit am 31 3. 2008 beim AG Koblenz eingegangenem Antrag – ein vorläufiges Zahlungsverbot. Im entsprechenden Antrag wird ausgeführt, der beantragte Pfändungs- und Überweisungsbeschluss werde dem Drittschuldner in Kürze zugestellt. Zur Beseitigung der Kontensperre und zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erhielt der Beklagte im vorletzten Monat vor dem Insolvenzantrag der Schuldnerin Zahlungen i.H. v. 2.007,65 €, sowie am 3.4.2008 i.H. v. weiteren 2.005,57 €. Die letzte Zahlung erfolgte von einem Konto der T.-Verlag GmbH.

Die Gläubigertabelle vom 15.9.2008 verzeichnet zahlreiche Verbindlichkeiten mit zugleich geltend gemachten und vom Kläger festgestellten Zinsansprüchen aus der Zeit bis zur Insolvenzeröffnung mit einer Gesamtsumme von 5.444.907,61 €. Der Beklagte beruft sich wegen des Verbrauchs der erhaltenen Abfindungen auf den Einwand der Entreicherung.

Der Kläger hat erstinstanzlich u.a. vorgetragen, seit Frühjahr 2007 habe sich die Schuldnerin in einer tiefen wirtschaftlichen Krise befunden. Seit Februar 2007 seien die Sozialversicherungsbeiträge für ca. 75 Arbeitnehmer der Schuldnerin im Wege der Zwangsvollstreckung eingezogen worden. Auch das Finanzamt Koblenz habe seit Mai 2007 Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet. Seit dem 29.1.2008 sei die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen, wie sich aus den beim Gerichtsvollzieher seither eingegangenen Vollstreckungsaufträgen ergebe.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 4.013,22 € zzgl. Zinsen zu zahlen.

Das ArbG hat dem Klagebegehren nebst Zinsen entsprochen, weil der Beklagte mit dem von ihm im März und April 2008 entgegengenommenen Zahlungen in Höhe der Klageforderungen inkongruente Deckungen i.S.v. § 131 Abs. 1 InsO erfahren habe. Der Beklagte habe vorläufige Zahlungsverbote erwirkt und mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 20.8.2008 auch eingeräumt, dass beide Zahlungen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet worden seien. Die erst im April 2008 gewährte Leistung erfülle als im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Handlung auch die Voraussetzungen von § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Der Anfechtbarkeit stünde nicht entgegen, dass die Zahlung nicht von einem Konto der Schuldnerin erfolgt sei. Der Beklagte habe nicht rechtlich erheblich bestritten, dass der Geschäftsführer der Schuldnerin zugleich auch Geschäftsführer und Gesellschafter der T.-Verlag GmbH sei. Dem Beklagten sei die Zahlung auf Anweisung der Schuldnerin und auch als deren Leistung gewährt worden. Die Anfechtbarkeit für die im März vorgenommene Rechtshandlung ergebe sich aus der zur selben Zeit bereits bestehenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin.

Entscheidungsgründe:

I. Das Rechtsmittel der Berufung des Beklagten ist gem. § 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Es ist auch gem. § 64 Abs. 6, § 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden.

II. Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das ArbG Koblenz hat in seinem Urteil vom 22.1.2009 – 10 Ca 2086/08 zu Recht zu dem Ergebnis gefunden, dass der Beklagte zur (Rück-)Zahlung von 4.013,22 € nebst Zinsen aufgrund des insolvenzrechtlichen Rückgewährungsanspruchs gem. § 143 InsO verpflichtet ist.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt die Berufungskammer gem. § 64 Abs. 1, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 540 Abs. 1 ZPO auf den diesbezüglich begründenden Teil des angefochtenen Urteils Bezug, stellt dies ausdrücklich fest und sieht hier unter Berücksichtigung nachfolgender Ergänzungen von einer wiederholenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

1. Wegen der Angriffe der Berufung sind folgende Hinzufügungen veranlasst:

Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, die Zahlung im April sei nicht inkongruent gewesen, weil der Anspruch nicht mit staatlichen Mitteln durchgesetzt worden sei, und des Weiteren, bei dem erwirkten Zahlungsverbot habe es sich um eine private Zwangsvollstreckungsmaßnahme gehandelt, da ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss weder beantragt noch erlassen worden sei, kann dem nicht gefolgt werden. Nach der in § 131 InsO u.a. geforderten Tatbestandsvoraussetzungen „nicht in der Art“ ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. Urt. v. 15.5.2003 – IX ZR 194/02, ZIP 2003, 1304 = NJW 2004, 1112, dazu EWiR 2003, 831 (Eckardt)), die wegen des Normzweckes des § 131 InsO – Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger – für zutreffend gehalten wird (vgl. hierzu HambKomm-InsO/Schmidt/Rogge, 2. Aufl., § 131 Rz. 1; Nerlich/Römermann, InsO, Stand: 1/2009, § 131 Rz. 5), eine Leistung des Schuldners inkongruent, die dieser zur Abwendung einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung erbringt (BGH ZIP 2003, 1304 = NJW 2004, 1112 m.w.N. der Rechtsprechung seit 1997 zur Beibehaltung der anfechtungsrechtlichen Missbilligung von Deckungen für Titelgläubiger in der „kritischen“ Zeit nach § 30 Nr. 2 KO mit Mitteln der Zwangsvollstreckung und zur Entstehungsgeschichte). Es wird sogar als ausreichend angesehen, wenn sich die Motivation des Schuldners durch den Vollstreckungsdruck bei der Zahlung aus den Umständen ergibt, ohne dass eine Pfändung unmittelbar vor der Leistung ausdrücklich angedroht worden sein muss (vgl. HambKomm-InsO/Schmidt/Rogge, a.a.O., § 131 Rz. 14 m.w.N.; OLG Jena, Urt. v. 23.8.2000 – 2 U 92/00, ZIP 2000, 1734, dazu EWiR 2001, 83 (Eckardt)). Ob der Schuldner aufgrund eines unmittelbaren Vollstreckungsdrucks geleistet hat, beurteilt sich aus der objektivierten Sicht des Schuldners (vgl. BGH ZIP 2003, 1304 = NJW 2004, 1112). Eine Vollstreckungsankündigung genügt.

Im vorliegenden Fall enthält das über das AG Koblenz erwirkte vorläufige Zahlungsverbot den Hinweis, dass der beantragte Pfändungs- und Überweisungsbeschluss „dem Drittschuldner in Kürze zugestellt wird“ und die Benachrichtigung „die Wirkung eines Arrestes“ (§§ 845, 930 ZPO) hat. Damit wird, auch wenn man das vorläufige Zahlungsverbot als private Zwangsvollstreckungsmaßnahme mit befristeter Wirkung ZIP Heft 45/2009, Seite 2161zum Schutz des Gläubigers vor den Folgen einer Verzögerung des Vollstreckungsaktes bei einer Zwangsvollstreckung in Forderungen sieht (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 845 ZPO Rz. 1), ein hinreichender Druck auf den Schuldner in der Krisensituation ausgeübt. Es ist eine ernsthafte Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen (vgl. auch BGH, Urt. v. 8.12.2005 – IX ZR 182/01, ZIP 2006, 290 = ZVI 2006, 121 – zum Druck durch Kontenpfändung). Darauf, ob die Schuldnerin sonst noch u.a. wegen einer 2007 erfolgten vollstreckungsrechtlichen Vorgehensweise des Beklagten gewusst habe, dass der Beklagte die Zwangsvollstreckung unnachsichtig durchführen würde – so die Berufungsbeantwortung –, kommt es damit nicht maßgeblich an.

2. Soweit die Berufung im Zusammenhang mit der im April 2008 erfolgten Abfindungszahlung bestreitet, dass die T.-Verlag GmbH der Schuldnerin ein entsprechendes Darlehen zur Verfügung gestellt und der Geschäftsführer der Schuldnerin auch alleiniger Geschäftsführer dieser Gesellschaft sei, führt auch dies zu keiner anderen Beurteilung der Inkongruenz der Befriedigung. Die Inkongruenz kann sich nämlich nach dem Stand der ebenfalls für zutreffend gehaltenen Rechtsprechung (vgl. BGH ZIP 2006, 290 = ZVI 2006, 121) aus der Mittelbarkeit der Zahlung ergeben. Nicht erforderlich ist, dass die zur Deckung führende und die ermöglichende Handlung gerade vom Schuldner vorgenommen wurde; sie muss von ihm nicht einmal veranlasst sein. Eine mittelbare Benachteiligung der weiteren Insolvenzgläubiger genügt. Im Übrigen ist der Geschäftsführer der Schuldnerin ausweislich des Handelsregisterauszuges B. des AG Koblenz auch Geschäftsführer der T.-Verlag GmbH, so dass eine Anweisung zur Zahlung der Abfindungsrate an den Beklagten zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolgen konnte. Damit kommt es nicht darauf an, ob die Zahlung der Abfindungsrate mit Mitteln aus einem Darlehen erfolgt ist.

3. Auch soweit die Berufung bezogen auf die Bezahlung im März 2008 eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bestreitet und beanstandet, dass das ArbG dies nicht aus der bloß schriftsätzlich in Bezug genommenen Gläubigertabelle hätte schließen dürfen, führt auch dies zu keiner anderen Beurteilung des Rechtsstreits. Für das Merkmal „zahlungsunfähig“ i.S.v. § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO wird im Gegensatz zur Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO nach dem Stand der für zutreffend gehaltenen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613) = ZVI 2006, 577, dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner)) auf das Bestehen einer objektiven Zahlungsunfähigkeit abgestellt (vgl. Hess/Weis/Wienberg, InsO, 2. Aufl., § 131). Offenbleiben kann hierbei, ob entsprechend der Rechtsprechung des BGH von einer bestimmten Größe der Liquiditätslücke auszugehen ist (HambKomm-InsO/Schmidt/Rogge, a.a.O., § 130 Rz. 12 vertreten die Auffassung, dass von einer Zahlungsunfähigkeit auszugehen sei, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten beträgt, es sei denn, es sei bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. Umgekehrt: Zahlungsunfähig ist, wer weniger als 90 % der fälligen Verbindlichkeiten begleichen kann.). Die alsbaldige Stellung des Insolvenzantrags drückt nach Meinung der Berufungskammer die objektiv gegebene Zahlungsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt aus; denn sie ist die Verlautbarung einer Zahlungseinstellung. Sie ist als kundgetane Zahlungsunfähigkeit anzusehen (vgl. Hess/Weis/Wienberg, a.a.O., § 130 Rz. 15). Der Antrag wurde im vorliegenden Fall im Monat nach der Zahlung der ersten Abfindungsrate, nämlich am 29. April 2008, gestellt. Hinzu kommt, dass die Gläubigertabelle zumindest hinsichtlich der Höhe der offenen Forderungen i.H. v. 5.444.907,61 € aussagekräftig ist. Auch sprechen die erheblichen Rückstände gegenüber den Sozialversicherungsträgern für eine Zahlungsunfähigkeit. Schließlich ist auch nicht qualifiziert bestritten, dass Löhne und Gehälter im Nachlauf von drei Monaten und dazu in kleinen Raten zwischen 400 € und 600 € ausweislich der Unterlagen des Obergerichtsvollziehers geleistet wurden.

4. Soweit der Beklagte schließlich einwendet, die gezahlten Abfindungsbeträge für Arbeiten an dem ihm und seiner Ehefrau gehörenden Einfamilienhaus verwendet zu haben, hat das ArbG bereits zutreffend ausgeführt, dass § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO eine Rechtsfolgenverweisung auf § 819 Abs. 1 BGB enthält (vgl. MünchKomm-Kirchhof, InsO, § 143 Rz. 59; HambKomm-InsO/Schmidt/Rogge, a.a.O., § 143 Rz. 47), so dass der Anfechtungsgegner unmittelbar der verschärften Haftung nach dieser Vorschrift unterworfen ist. Der Beklagte wird insoweit einem bösgläubigen Bereicherungsschuldner gleichgestellt. Mit dieser Anknüpfung ist der Rückforderungsanspruch als rechtshängiger Anspruch zu behandeln (vgl. BGH, Urt. v. 1.2.2007 – IX ZR 96/04, ZIP 2007, 488 = ZVI 2007, 185 = ZInsO 2007, 261, dazu EWiR 2007, 313 (Gundlach/Frenzel)). Der Bereicherungsschuldner muss ab dem Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit damit rechnen, ohne Rechtsgrund erworben zu haben (vgl. Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 2. Aufl., § 818 Rz. 36). Damit geht der Entreicherungseinwand, unabhängig von seiner fehlenden Tatsachensubstanz, ins Leere.

5. Die von der Berufung weiter angeführte Haftungsprivilegierung des § 619a BGB bezieht sich auf eine abweichende Beweislastverteilung bei der Arbeitnehmerhaftung (vgl. Prütting/Wegen/Weinreich, a.a.O., § 619a Rz. 1) und hat keinen erkennbaren Bezug zu § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO. Der insolvenzrechtliche Anfechtungsgrund wird im Übrigen nach der neueren Rechtsprechung des BGH zur Vorsatzanfechtung nicht in einem rechtlichen oder unmittelbar wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis gesehen (vgl. BGH, Vorlagebeschl. v. 2.4.2009 – IX ZB 182/08, ZIP 2009, 825 = ZVI 2009, 198, dazu EWiR 2009, 415 (Jacoby) entgegen BAG, Beschl. v. 27.2.2008 – 5 AZB 43/07, ZIP 2008, 1499 = ZVI 2008, 404, dazu EWiR 2008, 641 (Stiller)).

III. Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

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Anmerkung der Redaktion:

Die Revision ist anhängig beim BAG unter dem Az. 6 AZR 583/09.

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