LG Berlin: Keine Haftung der Bundesrepublik wegen fehlerhafter Umsetzung der Anlegerentschädigungs-RL („Phoenix“)

26.05.2009

RL 97/9/EG Art. 1 ff.; EAEG §§ 5, 8 Abs. 2

Keine Haftung der Bundesrepublik wegen fehlerhafter Umsetzung der Anlegerentschädigungs-RL („Phoenix“)

LG Berlin, Urt. v. 11. 2. 2009 – 23 O 44/08

Leitsatz der Redaktion:

Ein Kapitalanleger der insolventen Phoenix Kapitaldienst GmbH hat keinen gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlerhafter Umsetzung der RL 97/9/EG (Anlegerentschädigungsrichtlinie). Es mangelt an einem hinreichend qualifizierten Verstoß gegen die Richtlinie bei deren Umsetzung durch das EAEG.

Tatbestand:

Der Kläger macht einen gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruch wegen der nach seiner Auffassung fehlerhaften Umsetzung der Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger (nachfolgend: „die Richtlinie“) geltend.

Der Kläger investierte – zum Teil zusammen mit seiner Ehefrau – zwischen 1997 und 2004 insgesamt 43.346,90 € zzgl. Agio in die von der Phoenix Kapitaldienst GmbH angebotene Geldanlage „Phoenix Managed Account“. Damit sollten Anleger am Ertrag von Optionshandelsgeschäften beteiligt werden, die die Phoenix Kapitaldienst GmbH treuhänderisch im eigenen Namen auf Rechnung der Anlegergemeinschaft vornehmen sollte.

Die Phoenix Kapitaldienst GmbH wurde seit dem 1. Januar 1998 als Wertpapierhandelsbank qualifiziert und erhielt vom damaligen Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe) die Erlaubnis, Finanzkommissions- und Finanzportfolioverwaltungsleistungen zu erbringen. Sie wurde infolge ihrer Einstufung Mitglied der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW).

Bereits seit 1997 ging die Phoenix Kapitaldienst GmbH dazu über, Anlagegeschäfte zumindest in erheblichem Umfang nur vorzutäuschen und entsprechende Kontoauszüge zu fälschen. Dies wurde Anfang 2005 aufgedeckt. Die BaFin untersagte der Phoenix Kapitaldienst GmbH mit Anordnung vom 11. März 2005 den weiteren Geschäftsbetrieb. Am 15. März 2005 stellte die BaFin den Entschädigungsfall fest. Am 1. Juli 2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Phoenix Kapitaldienst GmbH eröffnet.

Der Kläger meldete noch 2005 seinen Schaden bei der EdW sowie seine Forderung zur Insolvenztabelle an. Insgesamt hat die EdW 29.428 Entschädigungsanträge zu bearbeiten. Seit Frühjahr 2008 werden die Anträge beschieden. Der Kläger erhielt bislang keine Zahlungen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 20.000 € nebst Zinsen zu zahlen, hilfsweise, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz bis zu einer Höhe von 20.000 € nebst Zinsen zu zahlen, der ihm aus der fehlerhaften Umsetzung der Richtlinie entstanden ist.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist wegen des Hauptantrags unbegründet.

1. Da dem nationalen Recht zivilrechtliche Ansprüche des Bürgers wegen gesetzgeberischen Fehlverhaltens unbekannt sind – insbesondere ergeben sich aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG oder aus dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs keine entsprechenden Ansprüche (vgl. BGH ZIP 1996, 2022 = NJW 1997, 123, dazu EWiR 1996, 1123 (Krohn); BGH NVwZ 1993, 601 jew. m.w.N.) –, kommt nur ein gemeinschaftsrechtlicher Schadensersatzanspruch wegen falscher Umsetzung der Richtlinie, der seine Grundlage unmittelbar im Gemeinschaftsrecht selbst findet (vgl. BGH ZIP 1996, 2022 = NJW 1997, 123, 124 f.), in Betracht.

2. Voraussetzungen eines solchen Anspruchs sind, dass das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel die Verleihung von Rechten, deren Inhalt auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden kann, an Einzelne beinhaltet, ein hinreichend qualifizierter Verstoß der Beklagten bei der Umsetzung vorliegt und ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem Schaden des Geschädigten besteht (vgl. EuGH ZIP 1991, 1610 = NJW 1992, 165, 167 – Francovich I, dazu EWiR 1992, 49 (Schaub); EuGH ZIP 1996, 561 = NJW 1996, 1267, 1269 f. – Brasserie du Pêcheur; EuGH ZIP 1996, 1832 = NJW 1996, 3141 – Dillenkofer, dazu EWiR 1996, 1027 (Papier/Dengler); EuGH NJW 2003, 3529, 3541 – Köbler; EuGH Slg. 1996 I, 1631 – British Telecom).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da es bereits an einem hinreichend qualifizierten Verstoß gegen die Richtlinie fehlt.

3. Ein hinreichend qualifizierter Verstoß liegt dann vor, wenn ein Mitgliedstaat die Grenzen seiner Rechtsetzungsbefugnis offenkundig und erheblich überschritten hat (vgl. EuGH Slg. ZIP 2009, Seite 9071996 I, 1631, Rz. 42 – British Telecom; EuGH EuZW 2000, 733, 735 – Haim; EuGH ZIP 1996, 561 = NJW 1996, 1267, 1269 – Brasserie du Pêcheur). Bei der Frage, welche Anforderungen an die Tätigkeit des nationalen Gesetzgebers zu stellen sind, kommt es zunächst darauf an, inwieweit ihm bei der Umsetzung einer Richtlinie ein Ermessen zustand (vgl. EuGH Slg. 1996 I, 1631, Rz. 40 – British Telecom; EuGH ZIP 1997, 110 = NJW 1997, 119, 121 – Denkavit, dazu EWiR 1997, 163 (Lausterer); EuGH EuZW 2000, 733, 735 – Haim; EuGH ZIP 1996, 561 = NJW 1996, 1267, 1269 – Brasserie du Pêcheur). Weiter kommt es auf das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift an (vgl. EuGH Slg. 1996 I, 1631, Rz. 42 f. – British Telecom; EuGH ZIP 1997, 110 = NJW 1997, 119, 121 – Denkavit; EuGH EuZW 2000, 733, 735 – Haim; EuGH ZIP 1996, 561 = NJW 1996, 1267; 1270 – Brasserie du Pêcheur), insbesondere darauf, ob die Auslegung im Widerspruch zum Wortlaut der Richtlinie oder offenkundig im Widerspruch zur Zielsetzung der Richtlinie steht.

a) Ein hinreichend qualifizierter Verstoß wegen der Finanzierung der EdW liegt nicht vor, da die bei der Umsetzung der Richtlinie vorgenommene Auslegung weder im Widerspruch zum Wortlaut noch offenkundig im Widerspruch zur Zielsetzung der Richtlinie steht.

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt, dass dafür zu sorgen ist, dass das System für die Entschädigung der Anleger eine Deckung von mindestens 20.000 ECU je Anleger gewährt. Wie das System zu finanzieren ist, gibt die Richtlinie nicht im Einzelnen vor. Das folgt schon aus Erwägungsgrund 23, wo von einer Finanzierung durch die Wertpapierfirmen die Rede ist, aber eine Harmonisierung der Verfahren für die Finanzierung der Systeme nicht als erforderlich angesehen wird. Insbesondere muss nach Erwägungsgrund 23 die Finanzierungskapazität der Systeme einerseits in einem angemessenen Verhältnis zu ihren Verbindlichkeiten stehen, andererseits darf die Stabilität des Finanzsystems in dem betreffenden Mitgliedstaat hierdurch nicht gefährdet werden.

§ 8 Abs. 2 EAEG sieht in Umsetzung dieser Richtlinie eine Finanzierung der EdW durch Jahresbeiträge und – soweit erforderlich – Sonderbeiträge und Kredite vor. Das ist nicht zu beanstanden.

Es kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden, die regelmäßigen Beiträge nicht so bemessen zu haben, dass der EdW eine Entschädigung sämtlicher Anleger ohne zusätzliche Mittel aus vorhandenem Kapital sogleich möglich ist. Im schlimmsten Fall – dem weltweiten Zusammenbruch der Finanzmärkte – müssten sämtliche Anleger aller Institute entschädigt werden. Das könnte das System zur Entschädigung der Anleger (auch bei Einbeziehung der Einlagenkreditinstitute) aus vorhandenem Kapital nur dann leisten, wenn jeweils Beiträge in Höhe des vollen gesicherten Anlagebetrages geleistet worden wären. Dass das unsinnig wäre, liegt auf der Hand. Es wird zudem von der Richtlinie nicht gefordert, würde sogar wegen der darin liegenden Gefährdung der Stabilität des Finanzsystems einen Verstoß gegen Erwägungsgrund 23 der Richtlinie darstellen.

Eine Teilsicherung über regelmäßige Beiträge ist daher richtlinienkonform. In welchem Verhältnis zu den gesicherten Anlagebeträgen die regelmäßigen Beiträge stehen müssen, ist in der Richtlinie nicht geregelt. Wegen des deshalb sehr weiten Ermessens der Beklagten bei der Umsetzung kann ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen die Richtlinie nicht angenommen werden. Die ex-post-Betrachtung („Man sieht doch, dass es nicht gereicht hat.“) genügt dafür nicht.

Dies gilt umso mehr, als § 8 Abs. 2 EAEG nicht nur auf die regelmäßigen Beiträge abstellt, sondern auch Sonderbeiträge und Kredite vorsieht. Dabei kann dahinstehen, ob die Regelungen über die Erhebung von Sonderbeiträgen verfassungsgemäß sind, ob die Regelungen zu wenige Zahlungspflichtige erfassen und ob es Mitgliedsunternehmen zu leicht gemacht wird, sich Sonderbeiträgen zu entziehen. Es kann auch dahinstehen, ob insoweit isoliert ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen die Richtlinie vorliegen kann. Entscheidend ist, dass § 8 Abs. 2 Satz 4 EAEG auch die Möglichkeit der Kreditaufnahme vorsieht und hierüber sonstige Unterfinanzierungen der EdW aufgefangen werden können. Der Bundesgesetzgeber durfte auch bei Erlass des EAEG davon ausgehen, dass die EdW, die als nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes nicht insolvenzfähig ist (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 InsO), grundsätzlich kreditwürdig ist und jedenfalls die Möglichkeit besteht, Kredite von anderen staatlichen Stellen zu erhalten. Etwaige Schwierigkeiten bzw. Verzögerungen bei der Kreditvergabe würden es nicht rechtfertigen, bezogen auf den Zeitpunkt der Richtlinienumsetzung einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.

b) Ein hinreichend qualifizierter Verstoß der Beklagten bei der Richtlinienumsetzung liegt auch nicht darin, dass das EAEG weder Fristen für die Prüfung der angemeldeten Entschädigungsansprüche noch Sanktionen für den Fall der Fristversäumung vorsieht.

Die Richtlinie sieht selbst keine konkreten Fristen für die Prüfung der angemeldeten Ansprüche vor, sondern spricht in Art. 9 Abs. 1 Satz 1 nur davon, dass die Anleger „so rasch wie möglich“ zu entschädigen sind. Dem entspricht die Umsetzung in § 5 Abs. 4 Satz 1 EAEG, wonach die Ansprüche „unverzüglich“ (also ohne schuldhaftes Zögern, § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu prüfen sind. Da die Richtlinie den Mitgliedstaaten bzgl. der Fragen, ob konkrete Fristen zu setzen sind und wie diese ggf. durchgesetzt werden, ein sehr weites Ermessen eröffnet, ist es nicht zu beanstanden, wenn bei der gesetzlichen Umsetzung mit unbestimmten Rechtsbegriffen gearbeitet wird und die geeigneten Maßnahmen darin bestehen, dass ein grundsätzlich funktionsfähiges Entschädigungssystem errichtet wird. Diese Auslegung steht jedenfalls weder im Widerspruch zum Wortlaut noch offenkundig im Widerspruch zur Zielsetzung der Richtlinie. Unerheblich ist es dagegen, ob es im konkreten Fall bei der EdW zu vermeidbaren Verzögerungen gekommen ist oder nicht, da dies kein Problem der Umsetzung der Richtlinie durch den Gesetzgeber, um die es hier nur geht, ist.

II. Die Klage ist wegen des Hilfsantrags zulässig. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung, § 256 Abs. 1 ZPO, da noch nicht feststeht, ob er einen – wie er behauptet – nicht durchsetzbaren Anspruch gegen die EdW hat oder nicht und die Einzelheiten zur Verjährung von gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzansprüchen noch nicht ZIP 2009, Seite 908abschließend geklärt sind, weil eine Entscheidung des EuGH zum Vorlagebeschluss des BGH vom 12. Oktober 2006 zu III ZR 144/05 (NVwZ 2007, 362) noch nicht ergangen ist.

III. Die Klage ist wegen des Hilfsantrags unbegründet, da aus den unter I genannten Gründen keine Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte bestehen.

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