LG Düsseldorf: Kein Erlöschen der Nachzahlungsansprüche von Vorzugsaktionären durch Erfüllung eines Insolvenzplans

16.07.2009

InsO §§ 227, 243 ff.; AktG § 141 Abs. 1

LG Düsseldorf, Urt. v. 10. 10. 2008 – 39 O 99/08

Leitsatz der Redaktion:

Die Restschuldbefreiung durch Erfüllung eines Insolvenzplans nach § 227 Abs. 1 InsO erstreckt sich nur auf die Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber den Insolvenzgläubigern. Das Recht der Vorzugsaktionäre der Schuldnerin auf Nachzahlung rückständiger Vorzugsbeträge und deren Stimmrecht erlischt dadurch nicht.

Tatbestand:

Die Kläger sind Inhaber von Vorzugsaktien der beklagten AG. Die Beklagte ist eine börsennotierte AG. Sie entstand 1986 durch Umwandlung und ist seit November 1986 im Handelsregister eingetragen. Derzeit gilt die Satzung vom 31.7.2001 mit letzten Änderungen durch die Hauptversammlung vom 19.12.2007. Gegenstand der Beklagten ist u.a. die wirtschaftliche Förderung und Betreuung der angeschlossenen selbstständigen Schuh-Facheinzelhandelsunternehmen. Das aktuelle Grundkapital der Beklagten beträgt 15.095.516,13 €, eingeteilt in 1.413.551 auf den Namen lautende Stammaktien und 154.000 auf den Inhaber lautende Vorzugsaktien ohne Stimmrecht. Nach § 2 Nr. 3 der Satzung erhalten die Vorzugsaktien aus dem jährlichen Bilanzgewinn vorab eine nachzuzahlende Dividende von 1,41 € und zusätzlich eine Mehrdividende gegenüber Stammaktionären von 1,41 € je Aktie. Die letzte Gewinnausschüttung auf Vorzugsaktien erfolgte für das Geschäftsjahr 2002.

Auf Antrag der Beklagten vom 7.9.2004 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 1.12.2004 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Ab 11.2.2005 beschloss die Gläubigerversammlung, die Beklagte im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens zu sanieren. Kernpunkte des Sanierungskonzepts waren die Beseitigung der Überschuldung der Beklagten und die Wiederherstellung ihres Eigenkapitals.

Die außerordentliche Hauptversammlung der Beklagten vom 8.3.2007 beschloss eine Kapitalherabsetzung und eine anschließende Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Aktien, zugleich wurde der Vorstand angewiesen, die Kapitalmaßnahmen erst zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, nachdem das Insolvenzgericht einen Insolvenzplan rechtskräftig bestätigt hat. Der daraufhin erstellte Insolvenzplan wurde von der Gläubigerversammlung am 4.9.2007 angenommen. Danach sollten die Gläubiger 14,7 % als Barquote sowie eine weitere Quote von 23,7 % erhalten. Von den verbleibenden 61,6 % der Forderungen sollte die Beklagte zur Beseitigung ihrer Überschuldung befreit werden. Das Amtsgericht bestätigte den Insolvenzplan mit Beschluss vom 14.11.2007. Rechtsmittel hiergegen wurden nicht eingelegt. Der Insolvenzplan stand u.a. unter der Bedingung, dass die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten über die Kapitalmaßnahmen bestandkräftig waren und die neuen Aktien durch die Erwerbergesellschaft gezeichnet worden waren. Nachdem die von Aktionären der Beklagten erhobenen Anfechtungsklagen gegen die Kapitalmaßnahmen durch Vergleich beigelegt worden waren, wurden die Beschlüsse über die Kapitalmaßnahmen und deren Durchführung am 7.12.2007 ins Handelsregister eingetragen. Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss vom 31.12.2007 mit Wirkung zum 31.12.2007 24.00 Uhr aufgehoben.

Am 2.1.2008 veröffentlichte die Beklagte eine Mitteilung, in der sie die Auffassung vertrat, dass durch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens die bis dahin entstandenen Rechte der Inhaber von Vorzugsaktien der Gesellschaft auf Nachzahlung rückständiger Vorzugsbeträge und deren Stimmrecht erloschen seien.

Die Kläger beantragen, festzustellen, dass ihnen für die in ihrem Eigentum befindlichen Vorzugsaktien der Beklagten ein Stimmrecht gem. § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG sowie Nachzahlungsrechte für die seit dem Geschäftsjahr 2003 nicht geleisteten Vorzugsdividenden i.H. v. derzeit 7,05 € pro Vorzugsaktie zustehen, da sowohl das wegen des Ausbleibens der Zahlung einer Vorzugsdividende aufgelebte Stimmrecht als auch die entsprechenden Nachzahlungsrechte nicht durch die Rechtskraft der mit gerichtlicher Bestätigung des Insolvenzplans vom 14. November 2007 eingetretenen Restschuldbefreiung betroffen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Feststellungsklage ist zulässig und begründet.

I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Die Kläger haben ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Fortbestands ihres Stimmrechts und Rechts auf Nachzahlung der Vorzugsdividende, weil zwischen den Parteien Streit über den Bestand dieser Rechte besteht und zur Klärung dieser Frage keine bessere Rechtsschutzmöglichkeit besteht. Die Anfechtungsklage gegen Hauptversammlungsbeschlüsse mit der Begründung, die Kläger seien zu Unrecht vom Stimmrecht ausgeschlossen worden, stellt keine bessere Rechtsschutzmöglichkeit dar. Mit einer Anfechtungsklage würde die Frage des Stimmrechts nicht rechtskräftig geklärt, weil dies nur eine nicht in Rechtskraft erwachsende Vorfrage der Entscheidung über die Anfechtungsklage ist.

II. Die Klage ist begründet. Die Kläger haben bis zur Nachzahlung der seit 2003 aufgelaufenen Vorzugsbeträge (7,05 € je Aktie bis einschließlich Geschäftsjahr 2007) gem. § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG ein Stimmrecht. Unstreitig ist die Vorzugsdividende mehr als zwei Jahre nicht ausgezahlt worden. Der Anspruch auf Nachzahlung dieser Beträge und mit ihm das Stimmrecht ist nicht nach § 227 Abs. 1 InsO in Folge des Insolvenzplans erloschen. Nach § 227 Abs. 1 InsO wird der Schuldner mit der im Insolvenzplan vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit. Das Nachzahlungsrecht der Kläger und der anderen Vorzugsaktionäre wird nicht von der Restschuldbefreiung erfasst.

Nach dem Wortlaut des § 227 Abs. 1 InsO betrifft die Restschuldbefreiung (nur) die Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin gegenüber den Insolvenzgläubigern. Die Kläger und die anderen Vorzugsaktionäre waren aber keine Insolvenzgläubiger. Das Nachzahlungsrecht stellt nämlich keine Insolvenzforderung dar, weil zur Zeit der Insolvenzeröffnung noch kein Zahlungsanspruch bestand, der Gegenstand des Insolvenzverfahrens hätte werden können. Insolvenzgläubiger ist gem. § 38 InsO nur der Gläubiger, der einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat. Ein solcher Vermögensanspruch fehlt, wenn ein forderungs- oder haftungsbegründendes Rechtsgeschäft bei Verfahrenseröffnung erst in Aussicht genommen oder versprochen worden ist, aber nicht schon bedingt oder befristet vorgenommen wurde (MünchKomm-Ehricke, InsO, § 38 Rz. 17). Das Nachzahlungsrecht ist kein bedingter oder befristeter Anspruch. Mangels abweichender Regelung in der Satzung entsteht ein Zahlungsanspruch erst durch den Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung (MünchKomm-Volhard, AktG, § 140 Rz. 14). Ein solcher Beschluss ist für die Vorzugsbeträge ab dem Geschäftsjahr 2003 (noch) nicht gefasst worden.

§ 227 Abs. 1 InsO ist nicht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung dahin auszuweiten, dass die Insolvenzschuldnerin nicht nur von ihren Restverbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit wird, sondern auch von den Nachzahlungsverbindlichkeiten hinsichtlich der Vorzugsdividende. Es mag zwar sein, dass der Fortbestand der Nachzahlungsrechte der Vorzugsaktionäre ein Sanierungshindernis darstellt und die Sanierungsmöglichkeiten, insbesondere die Bereitschaft potenzieller Investoren, Gelder zur Verfügung zu stellen, bei einem Erlöschen dieser Rechte günstiger sind. Diese ggf. de lege ferenda zu berücksichtigenden Erwägungen rechtfertigen jedoch de lege lata nicht, den Vorzugsaktionären die Rechte durch einen Insolvenzplan zu entziehen. Nach dem geltenden Recht ist ein Zwangseingriff in Gesellschafterrechte durch den Insolvenzplan nicht vorgesehen und nicht möglich (MünchKomm-Eidenmüller, InsO, § 217 Rz. 74 ff.). Dementsprechend kann eine Sanierung durch Kapitalherabsetzung und anschließende Kapitalerhöhung nur durch einen Hauptversammlungsbeschluss erfolgen, wie es im vorliegenden Fall auch in der Hauptversammlung vom 8.3.2007 umgesetzt wurde. Nichts anderes gilt für den Entzug der Vorzugsrechte. Diese können gem. § 141 Abs. 1 AktG mit Zustimmung der Vorzugsaktionäre beschränkt werden.

Die für eine richterliche Rechtsfortbildung notwendige Regelungslücke liegt nicht vor. Die erwünschte Rechtsfolge – Erlöschen von Nachzahlungsrechten der Vorzugsaktionäre – kann nämlich auch ohne Ausweitung des § 227 Abs. 1 InsO und ohne Begründung eines Zwangseingriffs der Gläubiger erzielt werden. Bei einer juristischen Person wie der beklagten AG kann eine Restschuldbefreiung nur gem. § 227 Abs. 1 InsO durch einen entsprechenden Insolvenzplan erzielt werden. Der Insolvenzplan ist Ausdruck der Gläubigerautonomie. Die Gläubiger können die Wirksamkeit des Insolvenzplans gem. § 249 InsO von Leistungen Dritter, z.B. der Gesellschafter, abhängig machen. Im vorliegenden Fall hätte die Beteiligung der Vorzugsaktionäre erreicht werden können, indem die Wirksamkeit des Insolvenzplans an die Bedingung geknüpft wurde, dass die Nachzahlungsrechte der Vorzugsaktionäre erlöschen. Die Möglichkeit einer Bedingung gem. § 249 InsO dient nämlich gerade dazu, Dritte in den Plan einzubeziehen, in deren Rechte die Gläubiger nicht eingreifen dürfen (MünchKomm-Sinz, InsO, § 249 Rz. 2). Damit besteht kein Bedürfnis für eine richterliche Rechtsfortbildung.

Dem steht nicht entgegen, dass das Verfahren nicht praktikabel ist. Die Notwendigkeit der Beteiligung der Aktionäre und der Vorzugsaktionäre mag zwar zu Unwägbarkeiten beim Zustandekommen des entsprechenden Beschlusses sowie zu Anfechtungsklagen gegen den Beschluss führen. Diese Probleme treten jedoch auch bei der unzweifelhaft den Aktionären vorbehaltenen Kapitalherabsetzung und Erhöhung des Grundkapitals auf und sind als Folge der gesetzlichen Regelung hinzunehmen.

Zudem ist die von der Beklagten vorgeschlagene Rechtsfortbildung nicht mit dem System des Aktien- und Insolvenzrechts vereinbar. Nach beiden Rechtsordnungen sind diejenigen, in deren Recht eingegriffen wird, an dem Verfahren zu beteiligen, im Aktienrecht durch die Beteiligung der Aktionäre gem. § 141 Abs. 1 AktG, im Insolvenzrecht durch Zustimmung der Gläubiger zum Insolvenzplan gem. §§ 243 ff. InsO. Die von der Beklagten vorgeschlagene Ausweitung des § 227 Abs. 1 InsO würde in vorliegendem Fall dazu führen, dass die Vorzugsaktionäre ihr Nachzahlungsrecht ohne Beteiligung am Verfahren verlieren, mangels Beteiligung am Insolvenzplanverfahren hiervon nicht einmal Kenntnis erlangen und somit auch keinen Anlass zur Anfechtung des Beschlusses haben. Ein derartiges Verfahren ist weder rechtsstaatlich noch durch die InsO gedeckt.

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Anmerkung der Redaktion:

Die Berufung ist anhängig beim OLG Düsseldorf unter dem Az. 6 U 166/08.

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