LG Duisburg: Fortsetzung des Insolvenzeröffnungsverfahrens bei rechtsmissbräuchlicher Erledigungserklärung des antragstellenden Gläubigers

27.02.2009

ZPO §§ 91a, 303; InsO §§ 4, 6, 13, 21, 24; BGB § 242

Fortsetzung des Insolvenzeröffnungsverfahrens bei rechtsmissbräuchlicher Erledigungserklärung des antragstellenden Gläubigers

LG Duisburg, Beschl. v. 28. 11. 2008 – 7 T 231/08

Leitsätze des Gerichts:

1. Das Insolvenzgericht kann durch eine Zwischenentscheidung (§ 303 ZPO, § 4 InsO) die Unwirksamkeit einer Erledigungserklärung des antragstellenden Gläubigers feststellen. Gegen die Entscheidung steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.

2. Die Erledigungserklärung eines antragstellenden Gläubigers, der trotz einer vom Insolvenzgericht angeordneten Verfügungsbeschränkung eine Zahlung des Schuldners angenommen hat, ohne dass er hinreichenden Grund zu der Annahme hat, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners sei entfallen, ist wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam und damit prozessual unbeachtlich.

3. Der Gläubiger darf in dieser Situation eine später als inkongruente Deckung anfechtbare Leistung zurückweisen.

Gründe:

I. Mit einem am 28.7.2008 beim AG eingegangenen Antrag beantragte die Gläubigerin (ein Sozialversicherungsträger) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Zur Begründung führte sie aus, dass sie aus dem Zeitraum vom 1.8.2006 bis zum 31.8.2007 eine Forderung i.H. v. 2.040,92 € gegenüber der Schuldnerin habe. Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Schuldnerin seien erfolglos geblieben, so dass davon auszugehen sei, dass die Forderung durch die Schuldnerin nicht beglichen werden könne.

Mit Beschluss vom 30.7.2008 bestellte das AG einen vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete zur Sicherung der Masse einen Zustimmungsvorbehalt gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO an. Mit der Übersendung dieses Beschlusses an die Gläubigerin wies das AG zusätzlich darauf hin, dass die Antragstellerin verpflichtet sei, Zahlungen aus dem schuldnerischen Vermögen einschließlich zuzurechnender Kreditmittel und Einlagen Dritter, die ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters geleistet würden, an den Insolvenzverwalter weiterzuleiten.

Nachdem die Schuldnerin am 20.8.2008 die rückständigen Beträge an die Gläubigerin zahlte, erklärte diese mit Schreiben vom 21.8.2008 den Insolvenzantrag für erledigt.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 17.9.2008 stellte das AG fest, dass die Erledigungserklärung der Gläubigerin unwirksam und das Eröffnungsverfahren fortzusetzen sei. Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde der Schuldnerin vom 2.10.2008, mit der sie geltend macht, dass aufgrund der Rücknahme des Antrags durch die Gläubigerin das Verfahren beendet sei.

II. Die zulässige Beschwerde der Schuldnerin hat in der Sache keinen Erfolg und ist deshalb zurückzuweisen. Das AG hat zu Recht festgestellt, dass die Erledigungserklärung der Gläubigerin vom 21.8.2008 unwirksam ist.

1. Die Beschwerde ist gem. § 4 InsO, §§ 303, 280 Abs. 2 ZPO analog statthaft und im Übrigen zulässig.

Die angefochtene Entscheidung stellt eine nach § 4 InsO, § 303 ZPO analog zulässige Zwischenentscheidung im Eröff-ZIP 2009, Seite 343nungsverfahren dar. Nach zutreffender Auffassung findet § 303 ZPO entsprechende Anwendung auch in Beschlussverfahren, insbesondere soweit dort über die Zulässigkeit einer Beschwerde gestritten wird (vgl. OLG Düsseldorf OLGZ 1979, 454). Aber auch für den Fall, dass sich im Beschwerdeverfahren ein Zwischenstreit über die Erledigung des Verfahrens ergibt und die Erledigung nicht festgestellt werden kann, ist durch Beschluss über diesen Zwischenstreit in entsprechender Anwendung des § 303 ZPO zu entscheiden (vgl. BGH NJW 1967, 2116, 2117 im Verfahren nach dem PatG). Dabei ist allerdings für den Fall, dass eine Erledigung festzustellen ist, eine Endentscheidung zu treffen, weil hier für eine Zwischenentscheidung nach § 303 ZPO kein Raum verbleibt (so BGH NJW 1996, 3345, 3346, dazu EWiR 1996, 1003 (Schuschke)). § 303 ZPO ist dabei insbesondere auch in Verfahren anwendbar, in denen keine obligatorische mündliche Verhandlung vorgesehen und nur durch Beschluss zu entscheiden ist. Denn auch in diesen Verfahren kann sich wie im Falle des § 303 ZPO ein echter Zwischenstreit ergeben, von dessen Entscheidung der weitere Verlauf des Verfahrens bis zur „Endentscheidung“ abhängt. Über einen solchen Zwischenstreit ist dann in entsprechender Anwendung des § 303 ZPO nicht durch Zwischenurteil, sondern durch Zwischenbeschluss zu entscheiden, der für die Instanz die gleiche bindende Wirkung hat wie das Zwischenurteil nach §§ 303, 318 ZPO (vgl. BGH NJW 1967, 2116, 2117).

Dies entspricht der Lage im vorliegenden Verfahren, weil auch hier ein Zwischenstreit über die Erledigung des Verfahrens besteht (so auch AG Hamburg ZIP 2002, 2270 = ZVI 2002, 413 = NZI 2003, 104, dazu EWiR 2003, 605 (Ferslev)). Gegen diese Entscheidung ist in entsprechender Anwendung des § 280 Abs. 2 ZPO nach § 4 InsO die Beschwerde statthaft. Zwar ist nach allgemeiner Auffassung ein Zwischenurteil nach § 303 ZPO nicht selbstständig anfechtbar, weil eine Überprüfung nur durch das Rechtsmittel gegen das Endurteil erreicht werden kann (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., 2007, § 303 Rz. 11 m.w.N.). Etwas anderes gilt jedoch gem. § 280 Abs. 2 Satz 1 ZPO für ein Zwischenurteil über die Zulässigkeit der Klage, das hinsichtlich der Rechtsmittel wie ein Endurteil anzusehen ist. Da aber die Frage einer Nichterledigung des Verfahrens und damit der Anhängigkeit des Antrags als Prozessvoraussetzung zu entscheiden ist, ist eine entsprechende Entscheidung wie bei sonstigen Entscheidungen über die Zulässigkeit nach § 280 Abs. 2 ZPO anfechtbar (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 303 Rz. 11 m.w.N.). Dies muss entsprechend im Zwischenstreit im Beschwerdeverfahren gelten, wenn hier über Zulässigkeitsfragen und damit auch über eine etwaige Erledigung des Verfahrens vorab zu entscheiden ist.

Auch § 6 InsO steht der Statthaftigkeit einer solchen Beschwerde nicht entgegen, denn diese Vorschrift ist dahin zu verstehen, dass damit eine sich aus anderen Gesetzen ergebende Beschwerdemöglichkeit nicht ausgeschlossen werden soll (vgl. MünchKomm-Ganter, InsO, 2. Aufl., 2007, § 6 Rz. 6 m.w.N.).

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das AG festgestellt, dass die Erledigungserklärung der Gläubigerin rechtmissbräuchlich und damit prozessual unbeachtlich ist. Die Erledigungserklärung ist wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam, weil sie erkennbar dazu dient, trotz fortbestehender Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrunds der Antragstellerin einen Vorteil zu sichern, der offenkundig und schwerwiegend gegen das Gebot der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren verstößt.

Ebenso wie in anderen Rechtsgebieten steht auch die Dispositionsfreiheit des Gläubigers, über einen einmal gestellten Insolvenzeröffnungsantrag zu verfügen, unter dem Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung aus § 242 BGB. Dieser Rechtsgrundsatz untersagt den Verfahrensbeteiligten, prozessuale Rechte zu verfahrensfremden und nicht schutzwürdigen Zwecken einzusetzen. Dies ist aber dann der Fall, wenn sich der Schuldner beharrlich der Feststellung seiner Finanz- und Vermögenslage entzieht und der Gläubiger trotz Anordnung einer Verfügungsbeschränkung noch eine Leistung aus dem schuldnerischen Vermögen annimmt, ohne hinreichende Anhaltspunkte für den nachträglichen Wegfall des von ihm glaubhaft gemachten Insolvenzgrunds zu haben. Diese Leistung bewirkt eine anfechtbare inkongruente Deckung (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO), weshalb sie der Gläubiger grundsätzlich zurückweisen kann. Unterstützt der Gläubiger dieses Verhalten des Schuldners, das eine Benachteiligung der Gläubigergesamtheit darstellt, zumindest bedingt durch Annahme der Zahlung und Abgabe der Erledigungserklärung, kann er sich nach Treu und Glauben nicht mehr auf die verfahrensrechtliche Dispositionsfreiheit berufen. Nur dann, wenn er die Beseitigung des Eröffnungsgrunds glaubhaft macht, kann der Gläubiger den gegen ihn sprechenden Verdacht des Missbrauchs entkräften (vgl. AG Hamburg ZIP 2002, 2270 = ZVI 2002, 413 = NZI 2003, 104; AG Duisburg NZI 2005, 129; MünchKomm-Schmahl, InsO, 2. Aufl., 2007, § 13 Rz. 145, 146).

Dass die Dispositionsfreiheit des Gläubigers bezüglich des gestellten Insolvenzantrags aufgrund des Zwecks des Insolvenzverfahrens nach Treu und Glauben eingeschränkt sein kann, erkennt im Ergebnis auch der BGH an (vgl. zur Antragsrücknahme BGH ZIP 2008, 1596 = NZI 2008, 550, 551, dazu EWiR 2008, 753 (Vosberg)).

Danach ist hier von einer rechtsmissbräuchlichen Erklärung der Gläubigerin auszugehen. Die Gläubigerin hat in Kenntnis der von ihr selbst beigebrachten Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin die Zahlung der Gesellschafterin angenommen und als die Forderung erfüllend behandelt, obwohl ihr die Anfechtbarkeit der Zahlung zusätzlich durch ausdrücklichen Hinweis des AG bekannt war. Nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür, warum aufgrund der einmaligen Zahlung der Schuldnerin von einem Wegfall der Zahlungsunfähigkeit insgesamt auszugehen sein soll, haben weder die Gläubigerin noch die Schuldnerin in ihrer Beschwerde vorgetragen. Aus den Ermittlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters ergibt sich auch, dass die Zahlung von einem Konto der Alleingesellschafterin der Schuldnerin erfolgt ist und damit als Zahlung der Schuldnerin zu behandeln ist.

Die Unwirksamkeit der Erledigungserklärung der Gläubigerin führt dazu, dass das Verfahren auf ihren Antrag hin weiter fortzuführen ist.

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