LG Göttingen: Zum Nachweis der überwiegend wahrscheinlichen Unternehmensfortführung nach Änderung des Überschuldungsbegriffs durch das FMStG
InsO § 19 Abs. 2, § 212
Zum Nachweis der überwiegend wahrscheinlichen Unternehmensfortführung nach Änderung des Überschuldungsbegriffs durch das FMStG
LG Göttingen, Beschl. v. 3. 11. 2008 – 10 T 119/08
Leitsatz der Redaktion:
Auch nach Änderung des Überschuldungsbegriffs in § 19 Abs. 2 InsO durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz ZIP 2009, Seite 383(FMStG) muss die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Fortführung des Unternehmens anhand einer Prognoserechnung dargelegt werden, die eine nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen durchzuführende Ertrags- und Finanzplanung erfordert.
Gründe:
Mit Schreiben vom 8.11.2006 hat die Schuldnerin beantragt, über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Das AG hat daraufhin den Rechtsanwalt I. mit der Erstattung eines Gutachtens über die Frage, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt, beauftragt. In seinem Gutachten vom 16.1.2007 hat der Sachverständige ausgeführt, der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin sei bereits eingestellt, die Schuldnerin beschäftige keine Arbeitnehmer mehr, sie sei nicht Eigentümerin von Grundstücken oder grundstücksgleichen Rechten, ebenso wenig befänden sich Anlagen oder Maschinen im Eigentum der Schuldnerin. Es sei auch keine Betriebs- und Geschäftsausstattung vorhanden, ebenso wenig stünden Kraftfahrzeuge im Eigentum der Schuldnerin. In dem letzten Jahresabschluss zum 30.6.2006 sei für die Schuldnerin keinerlei Anlagevermögen ausgewiesen. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass sich eine Fortführungsprognose erübrige, da der Geschäftsbetrieb zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung bereits eingestellt gewesen sei.
Da der Sachverständige die Einzahlung der Stammeinlagen der Gesellschafter nicht feststellen konnte, ist er in dem Gutachten davon ausgegangen, dass insoweit Ansprüche gegen die Gesellschafter bestünden. Im Hinblick darauf hat er Sondervermögen nach Insolvenzeröffnung i.H. v. 12.783,30 € angenommen. Im Übrigen kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die Schuldnerin im Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens zahlungsunfähig war. Der Sachverständige hat auch das Tatbestandsmerkmal der Überschuldung bejaht und hierzu ausgeführt, der Wert des Aktivvermögens sei mit 0 € zu beziffern. Dem stünden Verbindlichkeiten i.H. v. rund 97.200 € gegenüber.
Mit Beschluss vom 19.1.2007 hat das AG das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und den Rechtsanwalt I. zum Insolvenzverwalter bestellt.
Bis zum 16.4.2008 hatten drei Gläubiger Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet. Hiervon waren zwei Forderungen geprüft. Der Insolvenzverwalter hatte eine angemeldete Forderung der M. i.H. v. 15.000 € in voller Höhe bestritten. Die vom Finanzamt K. angemeldete Forderung i.H. v. 297.913,69 € hatte der Insolvenzverwalter i.H. v. 8.057,79 € festgestellt und i.H. v. 289.855,90 € bestritten.
Mit Schriftsatz vom 23.7.2008 hat die Schuldnerin beantragt, das Insolvenzverfahren nach § 212 InsO einzustellen. Hierzu hat sie ausgeführt, es hätten vier Gläubiger ihre Forderungen zur Tabelle angemeldet und zwar das Finanzamt K. i.H. v. 297.913,69 €, die Gemeinde L. i.H. v. 123.664,00 €, die M. i.H. v. 162,50 € und die N. i.H. v. 657,79 €. Insgesamt hätten sich die Verbindlichkeiten der Schuldnerin auf 422.397,98 € belaufen. Mit den Gläubigern M. und N. sei ein außergerichtlicher Vergleich geschlossen worden. Die Vergleichssumme von 1.500 € sei an den Insolvenzverwalter gezahlt worden. Daneben habe die Schuldnerin mit dem Finanzamt K. und der Gemeinde L. eine Verständigung in Bezug auf die Steuerforderungen herbeigeführt.
Die Schuldnerin sei im Rahmen ihres laufenden Geschäftsbetriebs in der Lage, die vereinbarten Raten zu erfüllen. Sie habe damit ihre fälligen Verbindlichkeiten auf Null reduziert. Weitere Verbindlichkeiten bestünden nicht. Damit lägen keine Eröffnungsgründe mehr vor. Die Insolvenzschuldnerin sei deshalb in ihrer derzeitigen Situation nicht zahlungsunfähig. Sie sei auch nicht überschuldet, da die Vermögenswerte ihre Verbindlichkeiten deckten.
Mit Beschluss vom 17.9.2008 hat das AG den Antrag der Schuldnerin auf Einstellung des Verfahrens gem. § 212 InsO als unzulässig zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Schuldnerin mit der sofortigen Beschwerde. Das AG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer des LG zur Entscheidung vorgelegt.
Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist gem. § 6 Abs. 1, § 216 Abs. 2 InsO zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Das AG hat den Antrag der Schuldnerin, das Verfahren gem. § 212 InsO einzustellen, zutreffend als unzulässig zurückgewiesen.
Nach § 212 InsO ist das Insolvenzverfahren auf Antrag des Schuldners einzustellen, wenn gewährleistet ist, dass nach der Einstellung beim Schuldner weder Zahlungsunfähigkeit noch drohende Zahlungsunfähigkeit noch Überschuldung vorliegt. Darüber hinaus ist der Antrag nur zulässig, wenn das Fehlen der Eröffnungsgründe vom Schuldner glaubhaft gemacht wird. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Zwar hat die Schuldnerin glaubhaft gemacht, dass sie den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beseitigt hat. Insoweit hat sie dargelegt und durch Vorlage entsprechender Steuerbescheide, Überweisungsträger bzw. Schreiben der Gläubiger glaubhaft gemacht, dass die Forderungen der hier im Verfahren bekannten Gläubiger befriedigt sind bzw. durch Vereinbarung von Ratenzahlungen zur Zeit nicht fällig sind. Dieses Vorbringen der Schuldnerin reicht zur Glaubhaftmachung der Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit aus. Bedenken gegen die Wirksamkeit der insoweit getroffenen Stundungsvereinbarungen bzw. die vorgenommenen Zahlungen bestehen auch nicht, denn wie sich aus den Schreiben der Gläubiger M. vom 26.4.2007, N. vom 29.2.2008, M. vom 7.5.2008 und der Samtgemeinde L. vom 28.5.2008 ergibt, sind die jeweiligen Vereinbarungen mit dem Insolvenzverwalter getroffen worden.
Gleichwohl ist der Antrag der Schuldnerin nach § 212 InsO unzulässig. Die Schuldnerin hat in keiner Weise schlüssig dargelegt, dass der Insolvenzgrund der Überschuldung beseitigt ist. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Rechtsanwalt I. vom 16.1.2007 deckte das Vermögen der Schuldnerin die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr, so dass Überschuldung vorlag. Dass auch dieser gesetzliche Eröffnungsgrund beseitigt ist bzw. die Überschuldungssituation in absehbarer Zeit nicht wieder eintritt, folgt indes aus dem Vorbringen der Schuldnerin nicht.
Im Fall des § 212 InsO ist es bereits zu einer Verfahrenseröffnung gekommen, der die Feststellung eines Insolvenzgrundes durch das Gericht vorausgegangen ist. Diese Vorgeschichte impliziert, dass die Prüfung der Behauptung des Schuldners, Eröffnungsgründe lägen nicht mehr vor, besonders gründlich vorgenommen werden muss. Es muss bei der juristischen Person neben der Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit und der drohenden Zahlungsunfähigkeit ausgeschlossen sein, dass der Einstellungsgrund der Überschuldung noch vorliegt bzw. in absehbarer Zeit wieder eintritt (Kübler/Prütting/Pape, InsO, Stand: 11/00, § 212 Rz. 5, 6). Nach Art. 5 des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes (FMStG) vom 17.10.2008 (BGBl 2008 I, 1982 ff.) ist § 19 Abs. 2 InsO dahin gehend geändert, dass Überschuldung vorliegt, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Um-ZIP 2009, Seite 384ständen überwiegend wahrscheinlich. D.h., wenn hier die Fortführung des Unternehmens der Schuldnerin nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist, liegt keine Überschuldung vor. Die Schuldnerin hat jedoch das Vorliegen dieser Voraussetzung in keiner Weise schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht. Die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Fortführung des Unternehmens muss anhand einer Prognoserechnung dargelegt werden. Dabei herrscht Einigkeit darüber, dass eine Prognoserechnung eine nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen durchzuführende Ertrags- und Finanzplanung erfordert (OLG München GmbHR 1998, 281; OLG Schleswig GmbHR 1998, 536, dazu EWiR 1998, 271 (v. Gerkan); Bork, ZIP 2000, 1709; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 19 Rz. 27; Kübler/Prütting/Pape, a.a.O., Stand: 8/98, § 19 Rz. 16). Die Fortbestehensprognose muss nach sachgerechten Kriterien und für sachverständige Dritte nachvollziehbar erstellt werden. Sie muss ein aussagekräftiges und plausibles Unternehmenskonzept enthalten, auf dessen Grundlage sodann ein Finanzplan aufzustellen ist, in dem die finanzielle Entwicklung des Unternehmens für den Prognosezeitraum dargestellt werden muss (Uhlenbruck, a.a.O., § 19 Rz. 28). Das Vorbringen der Schuldnerin beschränkt sich hingegen darauf, dass sich aus den Steuerbescheiden des Finanzamts für die Jahre 2005 und 2006 ergebe, dass sie im Rahmen ihres laufenden Geschäftsbetriebs in der Lage sei, die mit der Gemeinde L. vereinbarten Raten zukünftig zu erfüllen. Dieses Vorbringen ist schon deshalb ungeeignet, weil der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens unstreitig eingestellt war. Ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen vom 16.1.2007 war eine Betriebs- und Geschäftsausstattung nicht vorhanden, ebenso wenig stand der Schuldnerin Kapital zur Verfügung. Wie die Schuldnerin angesichts dieser Situation ihren Geschäftsbetrieb wieder aufnehmen bzw. fortführen will, ist noch nicht einmal im Ansatz erkennbar.
Auch die Darlegungen der Schuldnerin in Bezug auf die Beseitigung der rechnerischen Überschuldung sind in keiner Weise ausreichend. Es ist nicht erkennbar, dass die Schuldnerin über Aktiva verfügt, die bewertet werden könnten, zumindest hat sie Derartiges nicht dargelegt. Ihr Vorbringen, dass künftige Forderungen zu berücksichtigen seien, ist schon deshalb unerheblich, weil sie nicht darlegt, welche künftigen Forderungen insoweit in Betracht kommen. Unzutreffend ist auch die Annahme der Schuldnerin, dass die Garantieerklärung ihrer Gesellschafterin gegenüber der Gemeinde L. im Rahmen der Aktiva zu berücksichtigen sei. Im Überschuldungsstatus zu aktivieren sind sämtliche Forderungen der Gesellschaft, soweit sie durchsetzbar und vollwertig sind (Uhlenbruck, a.a.O., § 19 Rz. 45). Nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung der Gesellschafterin der Schuldnerin hat sie gegenüber der Gemeinde L. am 22.5.2008 erklärt, dass sie für die Verbindlichkeiten der Schuldnerin persönlich einstehe und deren Rückzahlung garantiere. Daraus ergibt sich ein Anspruch der Gemeinde L. gegen der Gesellschafterin der Schuldnerin. Dass jedoch die Schuldnerin aufgrund dieser Erklärung eine eigene Forderung gegen ihre Gesellschafterin erworben hat, die in der Bilanz zu berücksichtigen wäre, folgt aus dieser Erklärung nicht.