LG Hannover: Zulässigkeit einer einstweiligen Aussetzung der gerichtlichen Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds („Continental/Schaeffler“)

29.04.2009

AktG § 104; FGG §§ 145, 146, 24 Abs. 3 Halbs. 1

Zulässigkeit einer einstweiligen Aussetzung der gerichtlichen Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds („Continental/Schaeffler“)

LG Hannover, Beschl. v. 5. 3. 2009 – 21 T 2/09

Leitsätze der Redaktion:

1. Die einstweilige Anordnung, mit der die Wirksamkeit der Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds durch das Amtsgericht bis zur Entscheidung über eine hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ausgesetzt wird, ist zulässig.

2. Vor der gerichtlichen Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds muss gem. § 146 Abs. 1 i.V.m. § 145 Abs. 1 FGG ein „Gegner“ des Antragstellers gehört werden, es sei denn, die Anhörung ist untunlich. Die Abwägung zwischen dem Anspruch auf rechtliches Gehör und der Eilbedürftigkeit der Maßnahme führt regelmäßig dazu, dass neben dem Vorstand die amtierenden Aufsichtsratsmitglieder zu hören sind.

Gründe:

An der einstweiligen Anordnung (mit Beschluss v. 26.2.2009 hat das LG Hannover die Wirksamkeit von Beschlüssen des AG Hannover vom 5./6.2.2009 – 81 HRB 3527 betreffend die Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde ausgesetzt) wird festgehalten. Die gegen die einstweilige Anordnung im Schriftsatz vom 4.3.2009 vorgetragenen Einwände greifen nicht durch.

1. Die vom Beteiligten zu 2) vertretene Meinung, dass eine einstweilige Anordnung im vorliegenden Fall „unmöglich“ sei, weil ihr die Rechtsgrundlage fehle, trifft nicht zu.

Die einstweilige Anordnung beruht auf § 24 Abs. 3 Halbs. 1 FGG. Nach dieser Vorschrift kann das Beschwerdegericht vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen. Die einstweilige Anordnung kann zum Inhalt haben, dass eine – wie hier – bereits wirksam gewordene Verfügung außer Kraft gesetzt wird (vgl. Briesemeister, in: Jansen, Großkomm. z. FGG, 3. Aufl., § 24 Rz. 14).

Die vom Beteiligten zu 2) zitierten Kommentarstellen in Bumiller/Winkler, FGG, 8. Aufl., 2006, § 24 Rz. 3 („Die Aussetzung der Vollziehung einer Entscheidung kommt in Betracht bei Entscheidungen, die eines Vollzuges bedürfen, nicht jedoch, wenn die rechtlichen Wirkungen von selbst mit dem Wirksamwerden der Entscheidung eintreten“) und in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., 2003, § 24 Rz. 14 sind nicht einschlägig. Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts wird, wie der Beteiligte zu 2) selbst ausführt, gem. § 16 Abs. 1 FGG mit der Bekanntgabe wirksam. Er bedarf somit keiner Vollziehung. Deshalb hat die Kammer die Aussetzung der Vollziehung auch nicht auf § 24 Abs. 3 Halbs. 2 FGG gestützt. Grundlage der einstweiligen Anordnung ist vielmehr § 24 Abs. 3 Halbs. 1 FGG.

Der Beteiligte zu 2) führt weiter aus, die einstweilige Anordnung habe nicht ergehen dürfen, weil sie auf eine gesetzlich nicht vorgesehene Rechtslage gerichtet sei. Zur Begründung verweist er auf den in NJW-RR 1987, 71 veröffentlichten Beschluss des OLG Köln. Auch damit hat der Beteiligte zu 2) keinen Erfolg. In dem Beschluss des OLG Köln geht es um die Frage, ob das Gericht befugt ist, einem Testamentsvollstrecker durch eine einstweilige Anordnung ein konkretes rechtsgeschäftliches Handeln zu untersagen. Diese Frage hat das OLG Köln verneint, weil der Testamentsvollstrecker nicht durch das Gericht, sondern durch letztwillige Verfügung ernannt worden sei, und weil eine einstweilige Anordnung die Grenzen des Hauptsacheverfahrens überschreite, in dem gem. § 2227 BGB eine Entlassung des Testamentsvollstreckers nur ausgesprochen werden dürfe, wenn ein wichtiger Grund vorliege. Der hier gegebene Sachverhalt liegt anders. Über die Bestellung des Aufsichtsratsmitglieds gem. § 104 AktG hat das Gericht zu entscheiden. Die einstweilige Anordnung, mit der die Wirksamkeit der Bestellung des Beteiligten zu 2) durch das Amtsgericht bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde ausgesetzt worden ist, liegt in den Grenzen des Gegenstands des Hauptsacheverfahrens, soweit der Gegenstand in der Beschwerdeinstanz angefallen ist. Es kann deshalb offenbleiben, ob der Entscheidung des OLG Köln zu folgen ist (vgl. Briesemeister, a.a.O., § 24 Rz. 15, wonach die Ernennung eines Testamentsvollstreckers einstweilen außer Kraft gesetzt werden kann).

2. Der Beteiligte zu 2) meint, dass eine Anhörung der Aufsichtsratsmitglieder im vorliegenden Fall nicht tunlich i.S.v. § 146 Abs. 1 i.V.m. § 145 Abs. 1 FGG sei. Eine Anhörung sei nicht erforderlich, nachdem sich der Aufsichtsrat der betroffenen Gesellschaft auf eine Bestellung von Herrn K. verständigt und der Vorstand die Bestellung beantragt habe. Dem folgt die Kammer nicht. Der Vorstand hat mit seinem Antrag nur vorgetragen und belegt, dass die dort aufgeführten Mitglieder und Ersatzmitglieder des Aufsichtsrats ihre Ämter niedergelegt haben, und dass die vorgeschlagenen Personen bereit und geeignet seien, das Amt zu übernehmen. Äußerungen der amtie-ZIP 2009, Seite 761renden Aufsichtsratsmitglieder zur beantragten gerichtlichen Bestellung der neuen Mitglieder sind nicht mitgeteilt worden und liegen bislang nicht vor. Die inzwischen veranlasste Anhörung der Aufsichtsratsmitglieder soll durchgeführt werden. Daran ändert nichts, dass der Beteiligte zu 2) mit Schriftsatz vom 4.3.2009 „Investor News“ der betroffenen Gesellschaft vom 24.1.2009 vorgelegt hat, denen zufolge der Aufsichtsrat mit einer Bestellung des Beteiligten zu 2) zum Aufsichtsratsmitglied und mit seiner Kandidatur zum Aufsichtsratsvorsitzenden einverstanden sei. Die „Investor News“ vom 24.1.2009 vermögen persönliche Äußerungen der Beteiligten nicht zu ersetzen.

3. Der Vorschlag des Vorstands reicht als Grundlage für die gerichtliche Entscheidung nicht aus. Das Gericht darf den Vorschlag des Vorstands nicht ohne Weiteres übernehmen, sondern muss nach eigener Prüfung nach pflichtgemäßem Ermessen über die Auswahl des Aufsichtsratsmitglieds entscheiden (Hüffer, AktG, 7. Aufl., § 104 Rz. 5; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 104 Rz. 16; MünchKomm-Semler, AktG, 2. Aufl., § 104 Rz. 75; Bürgers/Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, § 56 Rz. 6). Dabei kommt zwar dem Vorschlag des Vorstands aufgrund der Sachnähe des Vorstands eine besondere Bedeutung zu. Regelmäßig muss aber auch dem Aufsichtsrat Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Zu berücksichtigen ist, dass das vom Vorstand vorgeschlagene Aufsichtsratsmitglied die Aufgabe hat, die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen (§ 111 AktG).

4. Soweit der Betroffene zu 2) geltend macht, dass die einstweilige Anordnung eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung sei, trifft das nicht zu. Die Hauptsacheentscheidung ist auf eine Bestellung des Beteiligten zu 2) als Aufsichtsratsmitglied bis zur Beendigung der nächsten ordentlichen Hauptversammlung Ende April 2009 gerichtet. Die einstweilige Anordnung gilt nur für den Zeitraum bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde. Die Entscheidung über die sofortige Beschwerde wird ergehen, sobald alle Äußerungen der Beteiligten vorliegen, spätestens nach Ablauf der Frist für die Anhörung der amtierenden Aufsichtsratsmitglieder (10.3.2009).

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