LG Kiel: Anfechtbarkeit von Zahlungen der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung in der Insolvenz des Arbeitgebers

14.04.2009

SGB IV § 28e Abs. 1 Satz 2; InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1

Anfechtbarkeit von Zahlungen der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung in der Insolvenz des Arbeitgebers

LG Kiel, Urt. v. 28. 12. 2008 – 4 O 97/08

Leitsätze der Redaktion:

1. Die Regelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SBG IV entzieht die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht dem Massebeschlag und steht der Anfechtbarkeit der Zahlungen nach §§ 129, 131 InsO damit nicht entgegen.

2. Ein Aussonderungsrecht im insolvenzrechtlichen Sinne entsteht noch nicht allein durch eine per Gesetz fingierte Zuweisung von Zahlungen in das Vermögen eines Dritten. Eine solche Zuweisung ist zunächst eine rein schuldrechtliche Gestaltung der Zwangsverpflichtungen zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Sozialversicherungsträger.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Rückzahlungsansprüche im Rahmen einer Insolvenzanfechtung.

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde auf deren Antrag vom 9. Januar 2008 wegen drohender Zahlungsunfähigkeit am 1. Februar 2008 durch Beschluss des AG Schwerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Die Schuldnerin geriet Anfang des Jahres 2007 in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die fortschreitend negative Liquiditätsentwicklung führte dazu, dass die Gesellschaft spätestens Anfang Oktober 2007 nicht mehr dazu imstande war, ihren Zahlungsverpflichtungen vollumfänglich nachzukommen, und jedenfalls seit dem 12. Oktober 2007 zahlungsunfähig war. Bereits seit Januar 2007 war es der Schuldnerin nicht mehr möglich, die jeweils am drittletzten Bankarbeitstag eines Kalendermonats fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge bei Fälligkeit zu zahlen. So zahlte sie die Sozialversicherungsbeiträge für die Monate Januar bis Juni, teilweise erheblich, verspätet an die Beklagte. Die Beitragszahlung für den Monat Juli 2007 zahlte sie am 16. August 2007 an die Beklagte; die Beiträge für den Monat August beglich die Gesellschaft am 4. Oktober 2007. Die fälligen Sozialversicherungsbeiträge für den Monat September zahlte sie am 17. Oktober 2007, die Beiträge für den Monat Oktober 2007 am 18. Dezember 2007, die Beiträge für den Monat November 2007 am 2. Januar 2008 und die Beiträge für den Monat Dezember am 4. Januar 2008.

Die Beklagte forderte die Schuldnerin daher mit Mahnungen vom 4. Oktober 2007, 5. November 2007 und 4. Dezember 2007 zur Begleichung der ausstehenden Beiträge innerhalb einer Frist von sieben Tagen auf. Für den Fall der Nichtzahlung drohte sie Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an. Auf die Mahnungen der Beklagten leistete die Schuldnerin im Vorfeld der Stellung des Insolvenzantrages Zahlungen i.H. v. insgesamt 21.090,73 & an die Beklagte, im Einzelnen: am 17. Oktober 2007 5.120,69 & am 18. Dezember 2007 4.522,05 € am 2. Januar 2008 6.307,30 € am4. Januar 2008 5.140,69 €.

Die Zahlungen erfolgten dabei jeweils aus einem Kontoguthaben der Gesellschaft auf dem Geschäftskonto bei der K. Bank AG im Rahmen von Sammelüberweisungsaufträgen. Der Geschäftsführer der Schuldnerin nahm die Überweisungen vor, um Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und die damit verbundene Gefahr der Pfändung von Geschäftskonten mit entsprechender Verschlechterung der bereits kritischen Liquiditätssituation zu verhindern. Im Zeitpunkt der Zahlungen an die Beklagte sah sich die Schuldnerin Forderungen zahlreicher weiterer Gläubiger ausgesetzt, die fällig waren, jedoch nicht bedient werden konnten und daher Gegenstand von Forderungsanmeldungen im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft sind. Durch die gezielten Überweisungen der Schuldnerin an die Beklagte wurde das Aktivvermögen der Schuldnerin erheblich verringert. Damit fehlten diese Mittel als Haftungsmasse im Insolvenzverfahren. Der Zugriff der übrigen Insolvenzgläubiger auf das haftende Vermögen der Schuldnerin wurde dadurch verkürzt.

Der Kläger forderte von der Beklagten in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter der Schuldnerin mit Schreiben vom 12. und 26. Februar 2008 die Rückzahlung der von der Schuldnerin am 18. Dezember 2007 sowie am 2. Januar und am 4. Januar 2008 geleisteten Zahlungen (insgesamt 15.970,04 € an die Insolvenzmasse. In der Folgezeit mahnte der Kläger auch die von der Schuldnerin am 17. Oktober 2007 geleistete Zahlung zur Rückzahlung an.

Die Beklagte zahlte daraufhin an die Insolvenzmasse die von der Schuldnerin am 1. Oktober und 18. Dezember 2007 sowie am 2. und 4. Januar 2008 geleisteten Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung zzgl. der bis zum jeweiligen Auszahlungstag angefallenen Zinsen i.H. v. insgesamt 10.055,87 €. Eine Rückzahlung der Arbeitnehmerbeiträge an die Insolvenzmasse verweigerte die Beklagte im Hinblick auf die mit Wirkung zum 1. Januar 2008 eingeführte Neuregelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV (Hervorhebungen des Gerichts).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die verlangte Summe von 11.034,86 € steht dem Kläger aus wirksamer Insolvenzanfechtung zu (§§ 129, 131 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO).

Nach der Vorschrift des § 129 InsO erfordert jeder insolvenzrechtliche Anfechtungstatbestand eine Gläubigerbenachteiligung durch den Insolvenzschuldner. Das ist hier der Fall. Eine Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn sich die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die fragliche Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten (vgl. BGHZ 124, 76, 78 f. = ZIP 1994, 40, dazu EWiR 1994, 169 (Haas)). Das Merkmal der Gläubigerbenachteiligung entfällt nur dann, wenn der weggegebene Vermögenswert nicht dem späteren Massebeschlag unterfällt.

Die Regelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SBG IV entzieht die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht dem Massebeschlag und steht der Anfechtbarkeit der Zahlungen nach §§ 129, 131 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 InsO damit nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift gilt die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrages als aus dem Vermögen des Arbeitnehmers erbracht.

Diese Regelung bedarf jedoch vor dem Hintergrund der realwirtschaftlichen Abläufe und der leitenden Gedanken des Insolvenzrechts einer Einschränkung. Denn die Herausnahme der Sozialkassen aus dem Kreis der Insolvenzgläubiger privilegiert diese einseitig zu Lasten der übrigen Insolvenzgläubiger, indem wirtschaftlich eine Vermögensumverteilung zu deren Nachteil stattfindet, da ihnen die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung als Befriedigungsmasse nicht mehr zur Verfügung stehen.

ZIP 2009, Seite 633

Der Verstoß gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung wird auch nicht dadurch geheilt, dass ein Aussonderungsrecht zu Gunsten der Beklagten besteht. Ein Aussonderungsrecht im insolvenzrechtlichen Sinne entsteht noch nicht allein durch eine fingierte Zuweisung von Zahlungen in das Vermögen eines Dritten. Eine solche Zuweisung ist zunächst eine rein schuldrechtliche Gestaltung der Zwangsverpflichtungen zwischen Arbeitgeber, Beschäftigtem und Sozialversicherungsträger. Auch der Umstand, dass diese schuldrechtliche Gestaltung aus Gesetz und nicht etwa aus Vertrag folgt, macht sie nicht zu einer dinglich zu berücksichtigenden Rechtsposition (Kayser, ZIP 2007, 49, 52; von der Heydt, ZInsO 2008, 179).

Dem Wortlaut nach richtet sich die Fiktion in § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV auf den durch den Zahlungsvorgang vom Arbeitgeber an den Sozialversicherungsträger geflossenen Betrag. Es wird also ausschließlich der tatsächlich erbrachte Beitrag in Teilen ex post so behandelt, als sei er aus dem Vermögen des Arbeitnehmers geflossen. In Anspruch genommen wird jedoch ausschließlich der Arbeitgeber, der auch die zur Erbringung notwendigen Mittel allein erwirtschaftet.

Damit fließt der Gesamtsozialversicherungsbeitrag, mithin auch der Arbeitnehmeranteil, aus dem Vermögen des Arbeitgebers als zukünftigem Massebestand (MünchKomm-Kirchhof, InsO, 2. Aufl., 2008, § 129 Rz. 68). Der Arbeitgeber erfüllt mit der Zahlung aus selbst erwirtschafteten und somit in seine pfändbare Habe fallenden Mitteln eine eigene Pflicht und will gerade den Zahlungsempfänger begünstigen. Insolvenzrechtlich bezahlt der Arbeitgeber die gesamten Sozialversicherungsbeiträge ebenso wie den Lohn aus seinem Vermögen. Dafür sorgt gerade der doppelte Sicherungsmechanismus des § 28e Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGB IV (BGH ZIP 2006, 290 = ZVI 2006, 121 = MDR 2006, 935).

Etwas anderes ergibt sich auch dann nicht, wenn man davon ausgeht, dass die Gesetzesfiktion des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV an der eigentlichen Zahlung der Beiträge ansetzt. Dann läge ein Durchgangserwerb vor, der eine mittelbare Zuwendung darstellen würde. Bei solchen mittelbaren Zuwendungen ist darauf abzustellen, wer, wirtschaftlich gesehen, Endempfänger der Leistung sein soll. Dabei sind zwei rechtlich getrennte Geschäfte als Einheit zu werten, wenn der Schuldner von Anfang an auf diesem Weg dem letzten Leistungsempfänger das Zugewandte zukommen lassen wollte. Insolvenzanfechtungsrechtlich kommt es auf die innere Einstellung der Mittelsperson – des Arbeitnehmers – nicht an (Braun, InsO, § 129 Rz. 43; von der Heydt, ZInsO 2008, 180). Die Zuordnungskriterien entsprechen dabei denen des Leistungsbegriffs im bereicherungsrechtlichen Sinne (BGHZ 142, 284 = ZIP 1999, 1764). Insgesamt wurden also die Gesamtsozialbeitragszahlungen aus dem Vermögen der Schuldnerin an die Beklagte erbracht.

Auch liegt kein Treuhandverhältnis vor, infolgedessen eine Separierung des Arbeitnehmeranteils der Sozialversicherungsbeiträge vom Vermögen der Schuldnerin gegeben und somit eine Gläubigerbenachteiligung ausgeschlossen wäre. Eine echte Treuhand, d.h. eine bei entsprechender Fortführung insolvenzrechtlich zu beachtende Übertragungstreuhand, scheitert vorliegend daran, dass der Arbeitnehmer der Schuldnerin kein Treugut übergeben hat (vgl. MünchKomm-Lwowski/Peters, InsO, 2. Aufl., 2008, § 35 Rz. 117).

Eine unechte Treuhand, die eine treuhänderische, aussonderungsberechtigende Bindung zur Folge hätte, scheidet vorliegend ebenfalls aus. Es mangelt vorliegend an der Separierung des Treuguts vom Vermögen der Schuldnerin als Treuhänderin. Voraussetzung für das Vorliegen einer echten Treuhand ist die Abgrenzung des Treuguts vom Vermögen des Treuhänders, um die für das Aussonderungsbegehren erforderliche Bestimmtheit zu gewährleisten. Eine schuldrechtliche Vereinbarung muss auch äußerlich umgesetzt, d.h., das Treugut muss, damit es nicht auch wirtschaftlich im Vermögen des Treuhänders aufgeht, von dessen Vermögen ausgesondert werden (MünchKomm-Ganter, InsO, 2. Aufl., 2008, § 47 Rz. 356c).

Vorliegend hat die Schuldnerin die Gesamtsozialversicherungsbeiträge aus dem Kontoguthaben ihres Geschäftskontos erbracht, etwaige separate Konten für die Ausweisung oder Verwahrung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung existierten nicht.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass durch die Regelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Art „Sozialversicherungstreuhand“ unter Durchbrechung des Unmittelbarkeitsprinzips begründet wird, liegt ein zur Aussonderung berechtigendes Treuhandverhältnis erst dann vor, wenn die auszusondernden Gegenstände bestimmt oder bestimmbar sind. Die Rechtssicherheit gebietet, dass in diesem Fall dieselben Kriterien wie für die die Einzelzwangsvollstreckung hindernde Separierung gelten. Beträge, die nicht eindeutig abgrenzbar sind, können kein Treugut darstellen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann durch eine bloße gedankliche Separierung von Vermögen eine insolvenzfeste Treuhand nicht erreicht werden. Der bloße Anspruch auf Verschaffung begründet kein Recht auf Aussonderung (vgl. BGH ZIP 2003, 1506 = ZVI 2003, 410, dazu EWiR 2003, 1097 (Hölzle); BGH – IX ZR 218/04).

Auch wenn man davon ausgeht, dass die Regelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV wirksam die insolvenzrechtliche Anfechtung der gezahlten Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung ausschließt, hindert ein solches Teilrecht in Bezug auf die gezahlten Gesamtbeiträge zur Sozialversicherung (d.h. die Summe aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag) die Gesamtanfechtung nicht.

Nach § 129 InsO sind gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen grundsätzlich anfechtbar, auch wenn sie die Gläubiger nur in geringerem Umfang benachteiligen. § 129 InsO gestattet damit eine Insolvenzanfechtung nicht etwa nur, „soweit“ eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger eintritt (OLG Hamburg, Urt. v. 19.10.2007 – 1 U 136/06, ZIP 2008, 88). Zum Zeitpunkt der Zahlung an die Sozialversicherung ist die Leistung regelmäßig noch nicht in Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil konkretisiert, sondern stellt eine einheitliche Erfüllungsleistung dar. Sie benachteiligt die Gläubiger insgesamt und kann somit auch nicht im Vorgriff auf die spätere Verrechnung in einen „berechtigten“ und einen unberechtigten Teil aufgespalten werden (vgl. MünchKomm-Kirchhof, a.a.O., § 132 Rz. 11; vgl. auch BGH ZIP 1993, 276 = NJW-RR 1993, 240, dazu EWiR 1993, 161 (Onusseit)). Es fehlt an einer für ZIP 2009, Seite 634eine Teilanfechtung erforderlichen objektiven Bestimmbarkeit der Anteile (MünchKomm-Kirchhof, a.a.O., § 132 Rz. 12). Das Anfechtungsbegehren richtet sich auf die volle Umkehr der benachteiligenden Herausgabe, also auf eine Annullierung der Verkürzung der Haftungsmasse (BGH ZIP 2007, 2084). Somit ist vorliegend durch die streitgegenständlichen Zahlungen der Schuldnerin an die Beklagte jedenfalls eine Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 129 InsO gegeben.

Weiterhin ist nach den allen Nummern des § 131 Abs. 1 InsO gemeinsamen Voraussetzungen eine Rechtshandlung des Insolvenzschuldners anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt hat, die er nicht in der Art zu beanspruchen hatte. Bei den am 17. Oktober und am 18. Dezember 2007 sowie am 2. und 4. Januar 2008 vorgenommenen Zahlungen der Schuldnerin handelt es sich um Rechtshandlungen i.S.d. § 129 InsO. Die Beklagte erlangte aufgrund der Zahlungen eine (in Bezug auf die Zahlung vom 17. Oktober 2007 teilweise) Befriedigung der gegen die Schuldnerin bestehenden Forderungen, die sie aufgrund von Inkongruenz nicht in dieser Art zu beanspruchen hatte. Inkongruenz liegt vor, wenn die Schuldnerin die Zahlungen zur Abwendung von aus ihrer Sicht unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vornimmt (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. bspw. BGH – IX ZR 211/01, ZIP 2002, 1159; zuletzt BGH ZIP 2006, 290 = ZVI 2006, 121 = ZInsO 2006, 94). Die Geschäftsführung der Schuldnerin nahm die Zahlungen an die Beklagte vor, um Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durch die Beklagte zu verhindern. Ausschlaggebend ist insofern das subjektive Empfinden des Schuldners bzw. ob ein durchschnittlich geschäftserfahrener, unvoreingenommener Schuldner aufgrund der ihm bekannten Tatsachen ohne Zweifel die Zwangsvollstreckung des Gläubigers angenommen hätte (vgl. BGH – IX ZR 169/02, ZIP 2003, 1506 = ZVI 2003, 410, dazu EWiR 2003, 1097 (Hölzle); MünchKomm-Kirchhof, a.a.O., § 131 Rz. 26c). Die Schuldnerin ging aufgrund der Formulierungen in den Mahnschreiben der Beklagten davon aus, dass diese Schreiben der letzte Schritt vor der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sei und die Vollstreckung der ausstehenden Beiträge unmittelbar bevorstehe. Insbesondere mit dem Wissen, dass die Beklagte befähigt war, sich den zur Vollstreckung erforderlichen Titel selbst auszustellen, wäre auch ein sonstiger, durchschnittlich geschäftserfahrener Schuldner unter diesen Umständen davon ausgegangen, dass Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unmittelbar bevorstanden. Die von der Schuldnerin an die Beklagte am 17. Oktober und am 18. Dezember 2007 sowie am 2. und 4. Januar 2008 vorgenommenen Zahlungen wirkten außerdem gläubigerbenachteiligend. Sie verminderten das Aktivvermögen der Schuldnerin und verkürzten den Zugriff der übrigen Insolvenzgläubiger auf das Haftungsvermögen der Schuldnerin.

Nach der Vorschrift des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist zusätzlich erforderlich, dass die Rechtshandlung innerhalb der Frist von einem Monat vor der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte. Dies trifft auf die Zahlungen der Schuldnerin an die Beklagte vom 18. Dezember 2007 und 2. und 4. Januar 2008 zu, die innerhalb der Monatsfrist vor der Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags am 9. Januar 2008 durch die Schuldnerin erfolgten.

Nach der Vorschrift des § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO muss zu den allen Nummern gemeinsamen Voraussetzungen hinzutreten, dass die Rechtshandlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung vorgenommen worden ist und dem Gläubiger zur Zeit der Handlung bekannt war, dass sie die Insolvenzgläubiger benachteiligte. Die Zahlung der Schuldnerin an die Beklagte vom 17. Oktober 2007 fällt in die Frist von drei Monaten vor der Stellung des Antrags auf Insolvenz durch die Schuldnerin am 9. Januar 2008.

Die Beklagte hatte auch Kenntnis von der gläubigerbenachteiligenden Wirkung der Zahlung. Nach § 131 Abs. 2 Satz 1 InsO steht der positiven Kenntnis der gläubigerbenachteiligenden Wirkung die Kenntnis solcher Umstände gleich, die zwingend auf eine solche Benachteiligung schließen lassen. Für die Beklagte ergab sich bei einer Gesamtbetrachtung der Zahlungssituation und -historie der Schuldnerin das typische Bild eines Unternehmens in der Krise. Dass die wirtschaftliche Lage der Schuldnerin schlecht war und Zahlungsunfähigkeit drohte, konnte die Beklagte aus den bereits seit Anfang des Jahres 2007 teilweise erheblich verspäteten Zahlungen der Sozialversicherungsbeiträge entnehmen, deren Verzögerung auch im Laufe des Jahres zunahm. Insbesondere daraus, dass die Schuldnerin selbst zur Begleichung für die Existenz des Betriebes notwendiger Kosten wie Sozialversicherungsbeiträge, die in der Regel nicht gestundet werden können, nicht mehr in der Lage war, war für die Beklagte zweifelsfrei zu schließen, dass Zahlungsunfähigkeit bevorstand. Es lag auf der Hand, dass die Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten als Sozialversicherungsträger nicht die einzigen der gewerblich tätigen Schuldnerin waren.

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