LG Köln: Keine Anfechtbarkeit der Zahlung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung in der Insolvenz des Arbeitgebers (gegen BGH ZIP 2009, 2301)
InsO § 129 Abs. 1; SGB IV § 28e Abs. 1 Satz 2
Keine Anfechtbarkeit der Zahlung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung in der Insolvenz des Arbeitgebers (gegen BGH ZIP 2009, 2301)
LG Köln, Urt. v. 9. 12. 2009 – 13 S 230/09 (nicht rechtskräftig; AG Brühl)
Leitsatz der Redaktion:
Die gesetzliche Fiktion des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV, wonach die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht gilt, schließt de lege lata eine Anfechtung der gezahlten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in der Insolvenz des Arbeitgebers mangels Gläubigerbenachteiligung aus (gegen BGH ZIP 2009, 2301).
Gründe:
I. Die Parteien streiten um die Insolvenzanfechtung von Zahlungen der Arbeitnehmeranteile zu den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners. Dieser zahlte nach Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags Sozialversicherungsbeiträge an die beklagte gesetzliche Krankenversicherung. Der Kläger focht die Zahlung insgesamt an und begehrt mit der Klage die Rückzahlung auch der gezahlten Arbeitnehmeranteile. Das AG hat die Klage mit Urteil vom 30.6.2009 abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers.
II. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben und begründet worden, aber in der Sache nicht begründet. Das AG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen; die tatbestandlichen Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden § 143 Abs. 1, §§ 129, 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO liegen nicht vor. Die fraglichen Zahlungen sind nicht anfechtbar, weil es auch nach Auffassung der Kammer an der hierfür erforderlichen Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO fehlt.
Im Einzelnen: Die Parteien streiten einzig um die Rechtsfrage, ob § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV in der seit dem 1.1.2008 geltenden Fassung, wonach „(d)ie Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ... als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht (gilt)“, im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers die Anfechtung der Zahlung der Arbeitnehmeranteile gegenüber dem Sozialversicherungsträger ausschließt oder nicht.
Diese für die Entscheidung des Rechtsstreits erhebliche Frage war in Instanzrechtsprechung und Schrifttum bislang umstritten. Nach einer Rechtsansicht sollte die Neuregelung in § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Anfechtung des Arbeitnehmeranteils mangels Gläubigerbenachteiligung ausschließen (z.B. LG Stendal ZIP 2009, 1291 = NZI 2009, 437; LG Berlin ZInsO 2009, 1918; Plagemann/Radtke-Schwenzer, ZIP 2009, 899). Die wohl überwiegend vertretene Gegenauffassung hielt eine Anfechtung trotz der Neuregelung mit unterschiedlichen Begründungen weiterhin für möglich (z.B. LG Kiel ZIP 2009, 632 = NZI 2009, 320; AG Tempelhof-Kreuzberg ZIP 2009, 1920 = NZI 2009, 439; AG Hamburg-Altona NZI 2009, 730; Brinkmann/Luttmann, ZIP 2008, 901; v. d. Heydt, ZInsO 2008, 178; Leithaus/Krings, NZI 2008, 393). Der BGH hat zu dieser Rechtsfrage nunmehr mit Urteil vom 5.11.2009 (ZIP 2009, 2301 = ZInsO 2009, 2293, für BGHZ bestimmt) Stellung genommen und die Auffassung vertreten, die Zahlung des Arbeitnehmeranteils könne – als mittelbare Zuwendung – auch weiterhin angefochten werden.
ZIP 2010, 42
Die Kammer vermag dieser Rechtsansicht des BGH nicht beizutreten: Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 20, 283, 293; BVerfGE 79, 106, 121); zu seiner Ermittlung hat sich der Rechtsanwender der anerkannten Auslegungsmethoden zu bedienen.
Nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV, die den Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet, wird eine Zahlung der dort näher bezeichneten Art als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht fingiert. Hieraus folgt unmittelbar, dass die Insolvenzgläubiger des Arbeitgebers durch eine solche, dem Arbeitgebervermögen von Rechts wegen nicht zuzuordnende Zahlung auch nicht beeinträchtigt werden. Rechtshandlungen, die lediglich schuldnerfremdes Vermögen betreffen, können sich auf die Masse nicht auswirken und ihr somit auch nichts entziehen. Dieses grammatische Verständnis der Vorschrift wird durch einen Vergleich mit der bisherigen, eine Anfechtung zulassenden Rechtsprechung bestätigt, die zur Begründung ausdrücklich darauf abstellte, dass die Beiträge „aus dem Vermögen des Arbeitgebers“ geleistet würden (vgl. BGHZ 149, 100, 104 f. = ZIP 2001, 2235, dazu EWiR 2002, 207 (Malitz); BGH NJW 2006, 1348, 1349).
Eine (anfechtbare) zusätzliche Entnahme- oder Separierungshandlung der Arbeitnehmeranteile aus dem Vermögen des Arbeitgebers lässt sich dem Wortsinn der Norm entgegen anderer Rechtsmeinungen nicht entnehmen (Bruhn, NZI 2009, 628, 629; Looff, DZWIR 2008, 270, 273; Plagemann/Radtke-Schwenzer, ZIP 2009, 899, 900). Es trifft deshalb – abgesehen davon, dass vorliegend auch nur die Anfechtung der Zahlung selbst und nicht etwa einer zusätzlichen Treuhandbegründung streitgegenständlich ist (§ 308 Abs. 1 ZPO) – nicht zu, dass die Norm ein gesetzliches Treuhandverhältnis anordne und deshalb, wenn auch nicht die Zahlung selbst, so doch die vorherige Überführung der Mittel in ein treuhänderisch verwaltetes Sondervermögen anfechtbar sei (so aber Kreft, in: Festschrift Samwer, 2008, S. 261, 269 ff.; Dahl/Schmitz, NZI 2009, 101; vgl. hierzu auch AG Hamburg-Altona NZI 2009, 730; Bräuer/Otto, ZInsO 2009, 1894, 1897; v. d. Heydt, ZInsO 2008, 178, 183). Denn das Gesetz fingiert – anknüpfend an den realen Vorgang der Zahlung – nur den Ursprung dieser Zahlung; dass das insoweit fingierte Arbeitnehmervermögen zuvor – zumindest für eine juristische Sekunde – vom Arbeitgeber gespeist wurde, ist ihm nicht zu entnehmen. Die Vorschrift ordnet ihrem Wortlaut nach lediglich an, dass die tatsächlich unmittelbar aus dem Vermögen des Arbeitgebers erfolgende Zahlung von Rechts wegen nicht als aus diesem Vermögen erfolgende und es somit verkürzende Zahlung anzusehen ist; auf diese Anordnung beschränkt sich die Fiktion (so – im Ansatz zutreffend – auch v.d. Heydt, ZInsO 2008, 178, 179: „nur und ausschließlich der tatsächlich erbrachte Beitrag wird in Teilen ex post so behandelt, als sei er separiert aus dem Geldbeutel des Arbeitnehmers geflossen“).
Dem Wortsinn nach gilt diese Fiktion schlechthin und ist nicht auf bestimmte Rechtsgebiete und insbesondere nicht lediglich auf den Bereich des Sozialversicherungsrechts beschränkt, was zwar ohne Weiteres möglich wäre, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung jedoch einen Ausnahmefall darstellen würde. Anhaltspunkte für einen solchen eingeschränkten Anwendungsbereich ergeben sich aus dem Wortlaut der Norm nicht. Es trifft insbesondere in dieser Allgemeinheit nicht zu, dass im Insolvenzrecht „eine fingierte Vermögenszuschreibung unerheblich“ wäre (so aber AG Tempelhof-Kreuzberg ZIP 2009, 1920 = NZI 2009, 439, 440; ebenso v. d. Heydt, ZInsO 2008, 178, 179). Den Anwendungsbereich einer gesetzlichen Fiktion bestimmt allein der Gesetzgeber; er steht nicht a priori fest. Richtig ist zwar, dass das Insolvenzanfechtungsrecht grundsätzlich von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise geprägt ist. Eine diesem Grundsatz verhaftet bleibende Sichtweise wird aber im konkreten Fall dem Gesetz nicht gerecht. Es ist gerade der Sinn einer Fiktion, für Zwecke der Rechtsordnung die normative Wirklichkeit abweichend von der tatsächlichen Sachlage zu gestalten und hierdurch ansonsten nicht eintretende Rechtsfolgen herbeizuführen. Die Fiktion gebietet es, das Normative als real zu behandeln (Bruhn, NZI 2009, 628, 630; ebenso LG Berlin ZInsO 2009, 1918, 1919). Soweit der Gesetzgeber einen entsprechenden Rechtsanwendungsbefehl erteilt, wäre es mit der Bindung des Richters an das Gesetz zudem unvereinbar, diesen unter Verweis auf das reale Geschehen unbeachtet zu lassen (vgl. hierzu auch Bork, ZIP 2008, 1041, 1043). Ob nach „objektiven Maßstäben“ und unter Berücksichtigung der „realwirtschaftlichen Abläufe“ der Arbeitgeber auch den Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung „wirtschaftlich“ aus seinem Vermögen leistet, ist deshalb ohne Belang (hierauf allerdings abstellend LG Kiel ZIP 2009, 632 = NZI 2009, 320; AG Tempelhof-Kreuzberg ZIP 2009, 1920 = NZI 2009, 439, 440). Vor diesem Hintergrund vermag die Kammer auch der Beurteilung des BGH, es handele sich bei der Zahlung der Arbeitnehmeranteile der Gesamtsozialversicherungsbeiträge um eine mittelbare Zuwendung des Arbeitgebers an die Einzugsstelle (ZIP 2009, 2301 = ZInsO 2009, 2293, 2294), nicht zu folgen. Die Figur der mittelbaren Zuwendung dient lediglich dazu, in Mehrpersonenverhältnissen den richtigen Anfechtungsgegner zu bestimmen; zu der vorgelagerten Frage einer Masseschmälerung verhält sie sich nicht. Nach der ständigen, in der vorgenannten Entscheidung auch in Bezug genommenen Rechtsprechung des BGH setzt vielmehr auch eine mittelbare Zuwendung voraus, dass der Insolvenzschuldner Bestandteile seines Vermögens – wenn auch mit Hilfe einer Mittelsperson – an den gewünschten Empfänger verschiebt, ohne mit diesem äußerlich in unmittelbare Rechtsbeziehungen zu treten (vgl. BGH ZIP 2009, 769 = ZVI 2009, 258 = NZI 2009, 381, 382). Wenn das Gesetz nun anordnet, dass die fragliche Zahlung als aus dem Vermögen des Arbeitnehmers erfolgt anzusehen ist, kann dieser Akt nach Auffassung der Kammer normativ keine Verschiebung von Vermögensbestandteilen des Insolvenzschuldners darstellen. Der tatsächliche Mittelabfluss beim Arbeitgeber infolge der Zahlung wird von der gesetzlichen Fiktion, eben jene Zahlung betreffe ein anderes Vermögen, überlagert.
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der Erwägung, dass es sich bei der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge um eine einheitliche, die Gläubiger insgesamt benachteiligende ZIP 2010, 43Erfüllungshandlung handele, welche daher auch insgesamt anfechtbar sei (so LG Kiel ZIP 2009, 632 = NZI 2009, 320, 321). Zwar trifft es zu, dass gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen insgesamt und nicht etwa nur in ihrem benachteiligenden Umfang anfechtbar sind. Diese Ansicht verkennt aber, dass die Norm des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV ihrem Wortlaut nach fingiert, dass es sich bei der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge teilweise nicht um eine Zahlung aus dem Vermögen des Arbeitgebers handelt und es mithin an der von ihr vorausgesetzten Einheitlichkeit des Zahlungsvorgangs gerade fehlt.
Für dieses Verständnis des Gesetzes sprechen zudem systematische Erwägungen: Objektiv kann die Norm nur als eine auf eine Änderung des Insolvenzanfechtungsrechts abzielende begriffen werden, denn andere als insolvenzrechtliche Konsequenzen vermag sie kaum zu zeitigen und liefe ansonsten ins Leere. Sozialversicherungsrechtlich sind die Arbeitnehmer vor Nachteilen durch eine Nichtzahlung der Sozialversicherungsbeiträge ohnehin sehr weitgehend geschützt; unabhängig von der Zahlung der Beiträge bleiben die Träger der Sozialversicherung ihnen gegenüber nämlich leistungsverpflichtet (vgl. Plagemann/Radtke-Schwenzer, ZIP 2009, 899, 901). Die Auslegung einer neu geschaffenen Norm in einer Weise, wonach ihr objektiv letztlich kein Sinngehalt zukommt (vgl. Bräuer, ZInsO 2009, 2286, 2287: „im Ergebnis ohne Relevanz“), ist allerdings möglichst zu vermeiden, wenn der Wortlaut – wie hier – ein anderes, sinnvolles Verständnis zulässt. Ergänzend ist darauf zu verweisen, dass sich die hier vertretene Auslegung auch durchaus in ein übergeordnetes Regelungskonzept des Gesetzgebers einfügt. Wenn dieser nämlich der Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge durch den Arbeitgeber einen solchen Rang einräumt, dass ihre Nichtzahlung sogar strafrechtlich sanktioniert wird (§ 266a StGB), so erscheint es zumindest nicht unplausibel, auch ihre Anfechtung im Insolvenzverfahren auszuschließen (vgl. hierzu schon BR-Drucks. 618/05, S. 23; BT-Drucks. 16/886, S. 15).
Das aus der grammatischen und systematischen Betrachtung folgende Ergebnis entspricht auch dem vom historischen Gesetzgeber verfolgten Normzweck. Es ist anerkannt, dass zur Auslegung auch die Gesetzesmaterialien heranzuziehen sind, soweit sie auf den objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen. Die Vorgängervorschrift des § 28e Abs. 1 SGB IV (in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung) führte in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte zu unterschiedlichen Wertungen in Bezug auf die Vermögenszuordnung (vgl. etwa BGHZ 149, 100, 104 f. = ZIP 2001, 2235; BGH NJW 2006, 1348, 1349 einerseits; BAG (Großer Senat) ZIP 2001, 1929 = NJW 2001, 3570, 3571 f., dazu EWiR 2002, 143 (Grimm); BFH DStRE 2007, 748, 749 andererseits). Die vor diesem Hintergrund getroffene Neuregelung bezweckte sowohl den Schutz des Arbeitnehmers als auch denjenigen des Versicherungsträgers: Einerseits war es zweifellos die Intention des historischen Gesetzgebers, die Arbeitnehmerbeiträge im Insolvenzfall des Arbeitgebers als „Besitzstand des Arbeitnehmers“ zu sichern (so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6540, S. 18). Ob dieser recht vage bleibenden – das eigentliche Ziel angesichts des Schutzes des Beschäftigten auch nach der bisherigen Rechtslage womöglich mehr verschleiernden als offenlegenden – Aussage überhaupt eine eigenständige Bedeutung zukommt und ob ggf. dieses Ziel durch die Fiktion in § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV auch dann erreicht ist, wenn der Sozialversicherungsträger die eingezogenen Beiträge nicht endgültig behalten, sondern der Insolvenzmasse zur Verfügung stellen muss (hierzu LG Schwerin ZIP 2009, 43, 44, dazu EWiR 2009, 521 (Freudenberg)), mag dahinstehen. Denn das Grundanliegen des historischen Gesetzgebers ging jedenfalls dahin, die Sozialversicherungsträger im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers vor Anfechtungen zu schützen.
Die Gesetzesbegründung selbst ist hierzu – worauf die Berufung mit Recht verweist – zwar nicht ergiebig. Erhellend ist aber die Betrachtung der Gesetzgebungsgeschichte: Die Begründung zum Entwurf der Bundesregierung für ein „Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung“ führte mit kaum zu überbietender Klarheit aus, dass durch die dort vorgesehene Neuregelung „in der Insolvenz des Arbeitgebers der von ihm gezahlte Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach den §§ 129 ff. InsO nicht anfechtbar (ist), soweit es den Anteil des Beschäftigten betrifft“ (BR-Drucks. 618/05, S. 23; BT-Drucks. 16/886, S. 15). Auf die insoweit kritische Stellungnahme des Bundesrates, wonach geprüft werden möge, „ob den Interessen öffentlich-rechtlicher Gläubiger im Insolvenzverfahren in Anbetracht der grundsätzlichen Gleichbehandlung aller Gläubiger in schonenderer Weise Rechnung getragen werden kann“ (BT-Drucks. 16/886, S. 18), entgegnete die Bundesregierung, dass „nach ihrer Einschätzung die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Änderung des SGB IV keine Verletzung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung darstellt, sondern lediglich bestimmte Beträge einer Anfechtung entzieht, bei denen es nicht gerechtfertigt ist, dass sie der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger zugute kommt“ (BT-Drucks. 16/886, S. 20). Dieses Gesetzesvorhaben wurde zwar in dem hier in Rede stehenden Umfang zunächst nicht weiterverfolgt. Die heutige Fassung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV hat darin allerdings zweifellos ihren Ursprung, auch wenn sie letztlich im Rahmen eines eigenständigen Gesetzgebungsvorhabens verwirklicht wurde. Dass sich der gesetzgeberische Wille zwischenzeitlich nicht verändert hatte, was schon der fast identische Wortlaut der nun Gesetz gewordenen Fassung der Norm nahelegt, wird durch die Rede von MdB Anton Schaaf zur 1. Beratung, wonach „in Zukunft bereits gezahlte Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung vor einer nachträglichen Rückforderung durch einen Insolvenzverwalter geschützt“ seien (BT-Plpr. 16/118 v. 11.10.2007, Anlage 11), eindrucksvoll bestätigt. Weiter führte der Abgeordnete darin aus: „Die einschlägigen Interessenverbände warnen davor, eine gesetzliche Änderung vorzunehmen. Sie wollen verfügbare finanzielle Mittel – die Sozialversicherungsbeiträge gehören nach dieser Argumentation dazu – zur Abwendung des Konkurses verwenden. Demnach bedrohen nicht zurückgeforderte Sozialversicherungsbeiträge die Existenz der betroffenen Unternehmen. Belastbare Statistiken, die diesen Zusammenhang bestätigen, konnten bisher allerdings nicht vorgelegt werden. Zumeist jedoch werden die entsprechenden Verfahren ohnehin ZIP 2010, 44mangels Masse eingestellt. Die zurückgeflossenen Sozialversicherungsbeiträge dienen deshalb eher dazu, die Gebühren für die Insolvenzverwaltung zu decken.“ Dieser Beurteilung wurde – soweit ersichtlich – im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens von keiner Seite entgegengetreten. Bei dieser Sachlage kann es nach Auffassung der Kammer keinem ernsthaften Zweifel unterliegen, dass der historische Gesetzgeber mit der getroffenen Neufassung – in Kenntnis der daran geäußerten Kritik – bewusst eine Anfechtung der Zahlungen der Arbeitnehmeranteile gegenüber den Sozialkassen im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers, die nach der Rechtsprechung bisher gegeben war, ausschließen wollte (im Ergebnis wohl fast allgemeine Meinung, vgl. etwa Brinkmann/Luttmann, ZIP 2008, 901, 906; v. d. Heydt, ZInsO 2008, 178, 184; Leithaus/Krings, NZI 2008, 393, 394 ff.; Plagemann/Radtke-Schwenzer, ZIP 2009, 899, 901 f.; so wohl auch noch BGH ZIP 2008, 747 = NJW 2008, 1535, 1536, dazu EWiR 2008, 313 (Koza)). Die vom BGH nunmehr geäußerten Bedenken daran, ob die Zielsetzung der Bundesregierung auch in den maßgeblichen Willen der gesetzgebenden Körperschaften übernommen wurde (ZIP 2009, 2301 = ZInsO 2009, 2293, 2295), teilt die Kammer angesichts der zitierten Äußerungen des Abgeordneten Schaaf nicht; inwieweit das Parlament seine Absichten klarer als durch eindeutige und unwidersprochen gebliebene Reden seiner Abgeordneten zu erkennen geben könnte, ist kaum nachvollziehbar. Dieser Wille des historischen Gesetzgebers, durch die Normsetzung gerade eine Änderung des Insolvenzanfechtungsrechts herbeizuführen, hat im Wortlaut der Norm seinen deutlichen Niederschlag gefunden und sich damit verobjektiviert, indem exakt jener Aspekt, auf den die Rechtsprechung die Anfechtungsmöglichkeit bisher stützte, nämlich dass die Beiträge aus dem Vermögen des Arbeitgebers geleistet würden (s.o.), durch die Fiktion, diese Beträge entstammten teilweise dem Vermögen des Arbeitnehmers, negiert wird.
Soweit angenommen wird, nach dem Vorstellungsbild des Gesetzgebers sei darüber hinaus von einer zuvor fingierten Vermögensverschiebung auszugehen (Kreft, a.a.O., S. 272; Bräuer/Otto, ZInsO 2009, 1894, 1896 f.), so hat sich ein derartiger zusätzlicher Übertragungsakt zum einen im Wortlaut der Norm nicht niedergeschlagen (s.o.). Zum anderen finden sich hierfür auch keine hinreichenden Anhaltspunkte in den Gesetzesmaterialen: Ausführungen zu einer Vermögensverschiebung aus der Vermögenssphäre des Arbeitgebers in die Vermögenssphäre des Arbeitnehmers (vgl. BT-Drucks. 16/886, S. 13) beziehen sich auf die beabsichtige Änderung von § 38 Abs. 3 EStG, die ohnehin lediglich eine Klarstellung bezweckte und zudem gerade nicht verwirklicht wurde, nachdem der Bundesrat zutreffend darauf verwiesen hatte, dass die Rechtslage in EStG und SGB IV nicht vergleichbar sei, und die Bundesregierung dieser Einschätzung nicht entgegentrat (vgl. Bruhn, NZI 2009, 628, 631). Das Grundanliegen des historischen Gesetzgebers bei der Schaffung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV bestand hingegen gerade in einer Änderung der Rechtspraxis, und zwar gerichtet auf das Insolvenzanfechtungsrecht.
Zweifel am bisherigen Auslegungsergebnis werden auch nicht durch die Rechtsmeinung geweckt, ein solches Verständnis der Norm des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV ermögliche nunmehr die Anfechtung gegenüber dem Arbeitnehmer. Eine derartige Schlechterstellung des Arbeitnehmers entspräche zwar offensichtlich nicht dem gesetzgeberischen Willen (s.o.). Das vorstehend dargelegte Verständnis der Vorschrift führt jedoch keineswegs zwangsläufig dazu, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Anfechtung gegenüber dem Arbeitnehmer gegeben wären. Es besteht keine Veranlassung, insoweit von der bisherigen (einhelligen) Rechtsauffassung abzuweichen, wonach dem Arbeitnehmer Bestandteile der zukünftigen Insolvenzmasse nicht in anfechtungsrelevanter Weise zugewendet wurden und er mithin nicht passivlegitimiert wäre (insoweit zutreffend Bräuer/Otto, ZInsO 2009, 1894, 1897 f.). Die auf die Herkunft der erfolgten Zahlung beschränkte Fiktion des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV zwingt diesbezüglich nicht zu Weiterungen; insoweit kann es bei der wirtschaftlichen Betrachtungsweise verbleiben, wonach der Arbeitnehmer selbst nichts erlangt hat.
Das mithin aus Wortsinn, Gesetzessystematik und Gesetzgebungsgeschichte gewonnene Ergebnis steht – wie die Gegenauffassung im Ansatz zu Recht anführt – allerdings in einem gewissen Spannungsverhältnis zu dem das Insolvenzrecht beherrschenden Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger („par conditio creditorum“). Denn im Ergebnis führt der über die fingierte Vermögenszuordnung letztlich bewirkte Anfechtungsausschluss zu einer Privilegierung der Sozialversicherungsträger gegenüber sonstigen Insolvenzgläubigern, obgleich mit der Einführung der InsO die zuvor existierenden Konkursvorrechte nach erkennbar sorgfältiger Prüfung gerade beseitigt worden waren. Indes gilt der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zum einen auch jetzt nicht uneingeschränkt (vgl. §§ 38 ff. InsO) und ergibt sich zum anderen seinerseits erst aus dem Gesetz. In welchem Umfang er Anwendung findet und inwieweit er – etwa zur Verfolgung anderer, vorrangiger Ziele – durchbrochen wird, bestimmt der Gesetzgeber innerhalb der ihm durch die Verfassung vorgegebenen Grenzen nach seinem Ermessen; es ist ihm unbenommen, seine Meinung zu ändern und hinsichtlich einzelner Regelungen extrinsische Zielrichtungen zu verfolgen. Der Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung eines besonderen Schutzes der Sozialversicherungsträger vor Insolvenzanfechtungen nach der Überzeugung der Kammer innerhalb dieser Grenzen gehalten, so dass auch eine verfassungskonforme Auslegung nicht geboten ist (kritisch aber Kreft, a.a.O., S. 272 f.; Brinkmann/Luttmann, ZIP 2008, 901, 905 f.). Das Sozialversicherungssystem, welches seine Grundlage in dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG findet, wird hierdurch in seiner gegenwärtig ohnehin vielfältig beeinträchtigten Funktionsfähigkeit gestärkt. Es ist seit jeher ein zentrales Anliegen sämtlicher Bundesregierungen auf sozial- und wirtschaftpolitischem Gebiet, die langfristige finanzielle Stabilität der sozialen Sicherungssysteme zu gewährleisten (vgl. BT-Drucks. 16/886, S. 8). Darin liegt ein überragend wichtiges Gemeinschaftsinteresse, welches entsprechende Differenzierungen rechtfertigt, die zudem auch in der Vergangenheit – in Form der Konkursvorrechte – verfassungsrechtlich stets unbeanstandet blieben. Die Sozialversicherungsträger unterscheiden sich zudem nicht ZIP 2010, 45nur mit Blick auf ihre herausgehobene Funktion für die gesamte Staatsordnung, sondern darüber hinaus auch tatsächlich und wirtschaftlich gravierend von privaten Insolvenzgläubigern: Sie müssen unter Durchbrechung des zentralen Grundsatzes der Vertragsfreiheit alle Schuldner akzeptieren, können das Sozialversicherungsverhältnis nicht durch eigene Willensentschließung begründen oder beenden und bleiben ihrerseits den Arbeitnehmern unabhängig von der Zahlung der Beiträge leistungsverpflichtet. Der Gesetzgeber behandelt also letztlich Ungleiches lediglich gemäß seinen jeweiligen Eigenarten.
Nach alledem schließt die gesetzliche Fiktion des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV nach Auffassung der Kammer de lege lata eine Anfechtung der gezahlten Arbeitnehmeranteile der Gesamtsozialversicherungsbeiträge mangels Gläubigerbenachteiligung aus. Einen „Rechtsirrtum“ (so BGH ZIP 2009, 2301 = ZInsO 2009, 2293, 2295) des Gesetzgebers vermag die Kammer nicht zu erkennen. Ob diese Regelung gelungen ist oder nicht, ob insbesondere der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kritikwürdig erscheint (vgl. hierzu etwa Kreft, a.a.O., S. 264 ff.), stellt eine ausschließlich rechtspolitische Fragestellung dar, welche das erkennende Gericht nicht zu beantworten hat. Letztlich würden Demokratieprinzip und das Funktionsgefüge des GG nachhaltig Schaden nehmen, könnte sich die Rechtsprechung immer dann über eine eindeutige gesetzgeberische Entscheidung hinwegsetzen, wenn sie die Konsequenzen dieser Entscheidung als „unzweckmäßig“ ansieht (vgl. BVerfGE 122, 248, 285 [abweichende Meinung]).
Mangels Bestehens einer Hauptforderung steht dem Kläger auch der geltend gemachte Zinsanspruch nicht zu.
III. Die Revision ist gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zuzulassen, weil ein Fall der Divergenz vorliegt. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, weicht die Kammer in einer das Urteil tragenden Weise von Entscheidungen anderer Berufungsgerichte und des BGH zu der abstrakt-generellen Rechtsfrage, ob die Regelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV die Gläubigerbenachteiligung i.S.d. des Insolvenzanfechtungsrechts ausschließt oder nicht, ab.
<einsender></einsender>Mitgeteilt von Richter am LG Dr. Ludger T. Traut, Köln</einsender><//einsender>