LG München I: Keine Prozesskostensicherheit für Klage einer Ltd mit zustellfähiger Adresse in Großbritannien

27.10.2009

ZPO § 110

Keine Prozesskostensicherheit für Klage einer Ltd mit zustellfähiger Adresse in Großbritannien

LG München I, Urt. v. 20. 5. 2009 – 21 O 12220/08 (nicht rechtskräftig)

Leitsatz des Gerichts:

Hat eine britische Limited mit geringem Haftungskapital als Klägerin eine zustellfähige Adresse in Großbritannien, so dass eine Vollstreckung der Form nach möglich ist, ist keine Prozesskostensicherheit i.S.v. § 110 ZPO zu stellen. Außer Betracht zu bleiben hat dabei sowohl der Umstand, dass Alleingesellschafter und Director der Limited ggf. ihren Wohnsitz in den USA haben, als auch der Umstand, dass ggf. für Verbindlichkeiten der Klägerin die Grundsätze des Haftungsdurchgriffs auf einen Alleingesellschafter Anwendung finden, da Letzteres ausschließlich die Problematik der Forderungsrealisierung betrifft.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen eines behaupteten Wettbewerbsrechtsverstoßes u.a. auf Unterlassung in Anspruch, wobei die Parteien u.a. darüber streiten, ob die Klägerin Prozesskostensicherheit zu leisten hat.

Die Klägerin ist eine am 30.8.2007 gegründete Limited mit Sitz in W., West Yorkshire, Vereinigtes Königreich, deren alleiniger Gesellschafter L. ist; in England übt die Klägerin keine Geschäftstätigkeit aus. Director und damit gesetzlicher Vertreter der Klägerin ist H., die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den USA hat. Die Beklagten sind in Österreich ansässig und haben Anfang 2008 mit einem Kundenanschreiben in Deutschland für die Vermarktung einer Software zur Wandgestaltung „F. 4.0“ geworben, welches von der Klägerin mit der Behauptung, die Software enthalte Bildmotive, an denen L. Urheberrechte besitze, als irreführend i.S.v. §§ 3, 5 UWG angegriffen wird.

ZIP Heft 41/2009, Seite 1980

Die Beklagten beantragen Leistung einer Prozesskostensicherheit durch die Klägerin i.H. v. 18.000 € binnen 14 Tagen nach Erlass eines Zwischenurteils.

Entscheidungsgründe:

I. Der zulässige und rechtzeitig i.S.v. § 282 Abs. 3 ZPO gestellte Antrag der Beklagten auf Leistung einer Prozesskostensicherheit durch die Klägerin ist unbegründet, da die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 ZPO nicht gegeben sind.

1. Die Vorschrift in § 110 ZPO a.F. über die Pflicht zur Leistung einer Prozesskostensicherheit beruht auf der Überlegung, dass die Durchsetzung eines auf den §§ 91 ff. ZPO beruhenden Kostenerstattungsanspruchs dann auf (Vollstreckungs-)Schwierigkeiten stoßen kann, wenn der Kostenschuldner ein Ausländer oder eine ausländische juristische Person ist (vgl. BGH ZIP 1984, 1405 = NJW 1984, 2762; Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl., § 110 Rz. 2; Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/0871, S. 16).

Dies gilt aufgrund der Neufassung des § 110 ZPO nunmehr für ausländische natürliche oder juristische Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben. Gegenüber Klägern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt innerhalb der EU und innerhalb des Gebietes der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, können dagegen Vollstreckungsprobleme jedenfalls im Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens vom 27.9.1968 und des Lugano-Übereinkommens vom 16.9.1988 eine besondere Sicherung des im Inland ansässigen Beklagten nicht mehr rechtfertigen (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/10871, S. 17).

Dagegen will § 110 ZPO nicht vor der Befürchtung schützen, dass ein zukünftiger Kostenerstattungsanspruch aufgrund Vermögenslosigkeit des zukünftigen Schuldners nicht realisierbar ist (vgl. BGH ZIP 1984, 1405 = NJW 1984, 2762).

2. Ist die Klägerin eine Gesellschaft, so gilt als „gewöhnlicher Aufenthalt“ i.S.v. § 110 Abs. 1 ZPO deren Sitz i.S.v. § 17 ZPO (vgl. BGH NJW-RR 2005, 148, 149; Zöller/Herget, a.a.O., § 110 Rz. 2; Musielak/Foerste, ZPO, 6. Aufl., § 110 Rz. 4). Ob es insoweit auf den Gründungssitz der Gesellschaft (welcher gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO maßgebend ist) oder den Verwaltungssitz (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 ZPO) ankommt, hat der BGH (NJW-RR 2005, 148, 149) offengelassen.

Das OLG Karlsruhe (NJW-RR 2008, 944, 945) hat in diesem Zusammenhang auf den tatsächlichen Verwaltungssitz zumindest für den Fall abgestellt, dass eine nach deutschem Recht wirksam gegründete GmbH im Inland und an ihrem satzungsmäßigen Sitz keinerlei Geschäftsräume oder sonst eine zustellfähige Adresse unterhält. Begründet wurde dies mit dem bereits unter I 1 dargelegten Ziel der Regelung in § 110 ZPO, den Beklagten vor den typischen Schwierigkeiten – Anerkennung und Vollstreckung – zu schützen, die dadurch entstehen, dass er seinen Anspruch auf Kostenerstattung im Ausland realisieren muss. Die genannten Schwierigkeiten dürften sich nach Ansicht des OLG Karlsruhe „zwar nicht auf die Frage beschränken, ob der Kl. über ein entsprechendes (inländisches) Vermögen verfügt, das die Kosten des obsiegenden Bekl. abdeckt. Daher kann die Einrede nicht allein darauf gestützt werden, dass eine deutsche GmbH vermögenslos ist (BGH ZIP 1984, 1405 = NJW 1984, 2762). Entscheidend ist vielmehr, ob eine Inlandsvollstreckung der Form nach in Betracht kommt. Das hängt letztlich davon ab, ob – unabhängig vom Rechtsstreit – eine dauerhafte, zustellfähige Inlandsadresse vorhanden ist oder nicht. Daran fehlt es, wenn eine deutsche GmbH ihren Verwaltungssitz faktisch ins Ausland verlegt, weder an ihrem satzungsmäßigen Sitz noch sonstwo im Inland Geschäftsräume unterhält und auch sonst im Inland über keinerlei dauerhaft zustellfähige Anschrift verfügt.“

3. Unter Beachtung der gerade dargestellten Grundsätze und Rechtsprechung kommt die Stellung einer Prozesskostensicherheit durch die Klägerin nicht in Betracht:

a) Die Klägerin hatte ihren Sitz nach ihren Angaben in der Klageschrift ursprünglich in W., West Yorkshire, England, nach Internet-Auskunft des britischen Companies House (http://www.companieshouse.gov.uk), worauf die Beklagten hinweisen, derzeit in B., West Yorkshire, England, und damit in einem Mitgliedstaat der EU. Es ist nicht ersichtlich, dass die angegebene Sitz-Adresse der Klägerin nicht dauerhaft zustellfähig ist. Da somit eine Vollstreckung der Form nach in Betracht kommt, ist es ohne Relevanz, dass die Klägerin in England keine Geschäftstätigkeit ausübt, ihre gesetzliche Vertreterin H. in den USA ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat sowie die Klägerin ggf. ihren tatsächlichen Verwaltungssitz und der Alleingesellschafter L. ggf. seinen gewöhnlichen Aufenthalt in den USA haben.

Im Übrigen dürfte als zustellfähige Adresse der Klägerin zusätzlich – unabhängig von der Frage, ob sie eine entsprechende Niederlassung ordnungsgemäß beim Companies House angemeldet oder sonstige formelle Anforderungen hierfür (auch steuerrechtliche wie etwa das Vorhandensein einer Steuernummer) erfüllt hat – die Adresse in Augsburg, die auf den von der Klägerin auf ihren zum Zwecke des Nachweises ihrer Aktivlegitimation vorgelegten Rechnungen angegeben ist, in Betracht kommen.

b) Dagegen soll durch die Leistung einer Prozesskostensicherheit gerade nicht vor der potenziellen Gefahr einer erfolglosen Vollstreckung bei der Klägerin wegen deren etwaiger Vermögenslosigkeit geschützt werden. Dies gilt auch für den Fall einer britischen Limited mit geringem Haftungskapital: Besteht die Möglichkeit der Gründung solcher Kapitalgesellschaften und ihrer Teilnahme am europäischen Rechtsverkehr, so muss auch hingenommen werden, dass Vollstreckungen mangels Deckung durch das Haftungskapital ins Leere gehen.

Mögen daher vorliegend ggf. für Verbindlichkeiten der Klägerin die Grundsätze des Haftungsdurchgriffs auf den Alleingesellschafter L. in Betracht kommen – hierüber hat die Kammer nicht zu entscheiden –, so betrifft dies ausschließlich die Problematik der Forderungsrealisierung und hat daher für die Frage der Anordnung einer Prozesskostensicherheit außer Betracht zu bleiben.

<einsender></einsender>Mitgeteilt von Richter am LG Dr. Georg Decker, LG München I</einsender><//einsender>

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