OLG Brandenburg: Antrag eines Arbeitnehmers auf Zahlung von Insolvenzgeld als anfechtbare Rechtshandlung
InsO §§ 96, 103, 130; SGB III §§ 37c, 187; AÜG § 3
Antrag eines Arbeitnehmers auf Zahlung von Insolvenzgeld als anfechtbare Rechtshandlung
OLG Brandenburg, Urt. v. 1. 7. 2009 – 4 U 142/08
Leitsätze der Redaktion:
1. Die Antragstellung eines Arbeitnehmers auf Zahlung von Insolvenzgeld stellt eine insolvenzrechtlich anfechtbare Rechtshandlung dar. Die in der Krise der Insolvenzschuldnerin aufgrund des gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 187 SGB III auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Lohnansprüche unterfallen daher dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO.
2. Die von der Bundesagentur für Arbeit an Personal-Service-Agenturen gezahlten sog. Fallpauschalen haben Sub-ZIP Heft 31/2009, Seite 1479ventionscharakter. Durch die Pauschalen soll ein Anreiz geschaffen werden, zugewiesene Arbeitslose einzustellen.
3. Die Pflicht der Bundesagentur für Arbeit, die Fallpauschalen zu zahlen, steht in einem Synallagma zu der Lohnzahlungspflicht der Personal-Service-Agentur.
Gründe:
I. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der M. Gesellschaft für Arbeitsvermittlung GmbH (Insolvenzschuldnerin). Diese war bundesweit auf Grundlage zahlreicher mit der Beklagten (Bundesagentur für Arbeit) geschlossener Verträge als sog. Personal-Service-Agentur (PSA) tätig. Für in diesem Rahmen erbrachte Tätigkeiten der Insolvenzschuldnerin begehrt der Kläger Zahlung von sog. Fallpauschalen und Vermittlungsprämien.
Die Beklagte erteilte der Insolvenzschuldnerin am 5.2.2003 eine für die Dauer eines Jahres befristete Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Im Juni 2003 schlossen sodann die Beklagte und die Insolvenzschuldnerin insgesamt sechs gleichlautende Verträge „über die Einrichtung und den Betrieb einer PSA auf der Grundlage des § 37c SGB III“. Aufgabe der Insolvenzschuldnerin war es, ausschließlich von der Beklagten vorgeschlagene Arbeitslose in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse einzustellen und für diese eine vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung an andere Arbeitgeber durchzuführen. Dazu sollten die bei der Insolvenzschuldnerin angestellten Arbeitnehmer an andere Arbeitgeber mit dem Ziel überlassen werden, dass die Arbeitnehmer von diesen Arbeitgebern möglichst rasch in ein neues sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis übernommen werden.
Für diese Tätigkeit sollte die Insolvenzschuldnerin von der Beklagten ein Honorar erhalten, das aus einer monatlichen Fallpauschale und einer erfolgsbezogenen Integrations-/Vermittlungsprämie bestand. Die monatliche Fallpauschale sollte über einen Zeitraum von insgesamt neun Monaten für jeden seitens der Insolvenzschuldnerin übernommenen Arbeitnehmer gezahlt werden und war degressiv gestaltet.
Diese Leistungen bot die Insolvenzschuldnerin der Beklagten im gesamten Bundesgebiet aufgrund von Vergabeverfahren an. Im Rahmen eines Vergabeverfahrens in B. fand am 24.3.2003 zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten, vertreten durch das Arbeitsamt B., ein Vergabegespräch statt, dessen Inhalt protokolliert wurde. In diesem Protokoll heißt es u.a., dass es dem Bieter bekannt sei, dass die Fallpauschale nicht gewährt werden könne für volle Kalendermonate ohne Zahlung von Arbeitsentgelt.
Am 23.1.2004 verlängerte die Beklagte die Erlaubnis für die Insolvenzschuldnerin zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Diese Erlaubnis widerrief die Beklagte mit unangefochtenem Bescheid vom 16.2.2004 und begründete dies u.a. damit, dass am gleichen Tage das vorläufige Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet worden sei und die Insolvenzschuldnerin daher nicht mehr die erforderliche Zuverlässigkeit für die Ausübung der zuvor erlaubten Tätigkeit besitze.
Die Insolvenzschuldnerin stellte der Beklagten gleichwohl unter dem 29.2./1.3.2004 Fallpauschalen für den Monat Februar 2004 von insgesamt 244.644 € in Rechnung. Vermittlungsprämien für einen Zeitraum von März 2004 bis Oktober 2005 macht der Kläger i.H. v. insgesamt 31.316 € geltend.
Am 1.5.2004 wurde mit Beschluss des AG Hamburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Weil die Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin seit Januar 2004 kein Arbeitsentgelt mehr erhalten hatten, zahlte die Beklagte an diese Arbeitnehmer Insolvenzgeld i.H. v. insgesamt 500.273,47 €. Mit einem Teilbetrag dieser Forderung hat die Beklagte hilfsweise die Aufrechnung gegen die Klageforderung erklärt und zwar zunächst gegen die Vermittlungsprämien in der Reihenfolge der Spezifizierung in der Klageschrift, danach gegen die Forderung auf Zahlung von Fallpauschalen in der Reihenfolge ihrer Spezifizierung in der Klageschrift.
Das LG hat die Klage des Insolvenzverwalters auf Zahlung der Fallpauschalen und Vermittlungsprämien abgewiesen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.
II. Die Berufung ist zulässig. Sie hat jedoch nur im Hinblick auf die begehrten Vermittlungsprämien Erfolg. Hinsichtlich des Anspruchs auf Zahlung der Fallpauschalen ist die Berufung unbegründet.
1. Der Kläger kann einen Anspruch der Insolvenzschuldnerin auf Zahlung der Fallpauschalen für den Monat Februar 2004 nach § 103 Abs. 1 InsO nicht durchsetzen, weil er nicht Erfüllung des zwischen den Parteien geschlossenen PSA-Vertrages gewählt hat und der Vertrag von beiden Parteien noch nicht erfüllt ist.
Gemäß § 103 Abs. 1 InsO verlieren noch nicht erfüllte, im Gegenseitigkeitsverhältnis zueinanderstehende vertragliche Ansprüche mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens – wegen der beiderseitigen Nichterfüllungseinreden der Vertragspartner nach § 320 BGB – ihre Durchsetzbarkeit (grundlegend dazu BGH, Urt. v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353, 359 = ZIP 2002, 1093, Rz. 24, dazu EWiR 2003, 125 (Tintelnot)).
a) Die Insolvenzschuldnerin und die Beklagte haben unstreitig Verträge geschlossen, aus deren Punkt 9 sich ein Anspruch der Insolvenzschuldnerin gegen die Beklagte auf Zahlung der Fallpauschalen ergibt. Das Bestehen dieses Anspruchs für den Monat Februar 2004 hat der Kläger spätestens mit der Vorlage der Listen der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer hinreichend substanziiert und schlüssig vorgetragen. Die Beklagte, die selbst der Insolvenzschuldnerin die einzustellenden Arbeitnehmer zugewiesen hat, ist durch die tabellarische Aufstellung des Klägers in Verbindung mit den eingereichten Rechnungen in die Lage versetzt worden, die Rechnungen und den damit verbundenen Tatsachenvortrag zu prüfen. Da der Umstand der Zuweisung und Einstellung der Arbeitnehmer bei der Insolvenzschuldnerin überdies eine in ihr Wissen gestellte Tatsache darstellt, darf sie sich zudem nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken (§ 138 Abs. 4 ZPO).
Den Anspruch der Insolvenzschuldnerin auf Zahlung der Fallpauschalen hat die Beklagte nicht erfüllt.
b) Umgekehrt hat die Beklagte aus diesen PSA-Verträgen gegen die Insolvenzschuldnerin einen von dieser bezogen auf den Monat Februar 2004 nicht erfüllten Anspruch auf Zahlung der Arbeitsentgelte an die von der Beklagten zugewiesenen Arbeitnehmer, der im Gegenseitigkeitsverhältnis zu dem Anspruch der Insolvenzschuldnerin auf Zahlung der Fallpauschalen steht.
Dass es sich bei der Lohnzahlungspflicht an die Arbeitnehmer der PSA um eine im Synallagma zu der Vergütungspflicht der Beklagten stehende Pflicht handelt, folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der PSA-Verträge. Jedoch ergibt die Auslegung dieser Verträge gem. §§ 133, 157 BGB, dass die Pflicht der Beklagten, die Fallpauschalen zu zahlen, davon abhängen sollte, dass die Insolvenzschuldnerin auch die Löhne an ihre Arbeitnehmer zahlt.
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aa) Nach dem Wortlaut der PSA-Verträge war die Insolvenzschuldnerin gegenüber der Beklagten lediglich verpflichtet, mit den zugewiesenen Arbeitslosen sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse einzugehen. Soweit die Beklagte meint, schon aus dem Umstand, dass diese Arbeitsverhältnisse den Bestimmungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes unterliegen sollten, folge, dass auch ihr gegenüber die Lohnzahlungspflicht der Insolvenzschuldnerin bestanden habe, vermag der Senat dem nicht zu folgen.
Die von der Beklagten zitierten Normen des AÜG (§§ 3 und 5) enthalten lediglich Bestimmungen über die Versagung und den Widerruf der Erlaubnis nach diesem Gesetz. Aus diesen Regelungen kann aber nicht geschlossen werden, dass es sich bei der Lohnzahlung an die Arbeitnehmer um eine Pflicht gerade gegenüber der Beklagten handelt. Diese hat vielmehr die Möglichkeit – bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen – die Erlaubnis nach dem AÜG zu widerrufen. Der Widerruf der Erlaubnis nach dem AÜG zieht zudem nach den Bestimmungen in Nr. 14 der PSA-Verträge automatisch die Beendigung der Verträge nach sich. Mit dem Verweis auf das AÜG geht es mithin in erster Linie darum, die dortigen Anforderungen an die Zuverlässigkeit der PSA zum Vertragsinhalt zu machen und Voraussetzungen für die Wirksamkeit des jeweiligen PSA-Vertrages zu begründen.
bb) Hierbei kann die Auslegung der PSA-Verträge jedoch nicht stehenbleiben. Diese ergibt vielmehr, dass es der Beklagten, entgegen der Meinung des Klägers, der insbesondere das OLG Naumburg (so in den Urt. v. 17.9.2008 – 5 U 72/08 und 5 U 90/08) gefolgt ist, nicht an einem eigenen rechtlichen Interesse fehlt, einen eigenen Anspruch auf Lohnzahlung an die Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin zu erwerben.
aaa) Für die Annahme solch eines eigenen Interesses kann freilich nicht allein darauf abgestellt werden, dass die Beklagte von eigenen Pflichten zu Entgeltersatzleistungen befreit werden wollte. Abgesehen davon, dass dieser Zweck bereits mit der Einstellung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse erreicht worden ist, muss es sich nämlich bei den zugewiesenen Arbeitslosen nicht einmal um solche gehandelt haben, die Anspruch auf Lohnersatzleistungen haben, da das Gesetz den Begriff des Arbeitslosen nicht an den Bezug von Lohnersatzleistungen knüpft (Gagel/Peters-Lange, SGB II/SGB III, 34. Erg.-Lfg., 2009, § 37c SGB III Rz. 20, zit. nach beck-online, str.).
bbb) Die Beklagte ist allerdings nach § 37c SGB III nicht nur im eigenen Interesse tätig geworden, sondern hatte einen gesetzlichen Auftrag auch im öffentlichen Interesse zu erfüllen. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die Einrichtung einer PSA nach § 37c Abs. 1 Satz 1 SGB III in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung durch die Beklagte sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund ist entscheidend, dass sich das Interesse der Beklagten an einem eigenen Anspruch auf Lohnzahlung an die der Insolvenzschuldnerin zugewiesenen Arbeitnehmer aus dem mit den geschlossenen PSA-Verträgen verfolgten Sinn und Zweck ergibt.
Die Fallpauschalen haben Subventionscharakter. Mit den Fallpauschalen beteiligt sich die Beklagte an den Lohnkosten der PSA und schafft dadurch einen Anreiz, Arbeitslose einzustellen (so ausdrücklich Gagel/Peters-Lange, a.a.O., § 37c SGB III Rz. 16 m.N., zit. nach beck-online). Damit ist auch klar, dass nicht die PSA als solche, sondern die Beschäftigung der Arbeitnehmer in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen gefördert und die mit der Verpflichtung der Insolvenzschuldnerin zu den Lohnzahlungen verbundenen Folgen abgemildert werden sollten. Die Fallpauschalen sollten mithin in einem nicht unerheblichen Maße dazu beitragen, der PSA gerade die Lohnzahlungen an die Arbeitnehmer zu ermöglichen.
Der Zusammenhang zwischen den im PSA-Vertrag übernommenen Rechten und Pflichten mit diesem Subventionsgedanken kommt in verschiedenen Regelungen des Vertrages zum Ausdruck. So heißt es in Nr. 14 des PSA-Vertrages, dass zu Unrecht gewährte Förderleistungen des Arbeitsamtes von der PSA zu erstatten sind. Da aber in Nr. 9 des Vertrages des Weiteren geregelt ist, dass die Gewährung weiterer (also über das vereinbarte Honorar für die PSA-Tätigkeit hinausgehende) Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförderung (z.B. Lohnkostenzuschüsse) nicht möglich sind, ist zweierlei klargestellt: Zum einen bezieht sich der Erstattungsanspruch nach Nr. 14 des Vertrages auf das an die PSA gezahlte Honorar, mithin gerade auf die Fallpauschalen und nicht auf andere Förderleistungen. Zum anderen ist damit deutlich gemacht, dass beide Parteien auch von dem Subventionscharakter der von der Beklagten geschuldeten Vergütung ausgegangen sind.
Soweit der Kläger meint, dass mit der Subventionierung lediglich die Vermittlung der Arbeitnehmer an andere Arbeitgeber gefördert werden sollte, indem die Insolvenzschuldnerin ihre Arbeitnehmer zu besonders günstigen Konditionen an Entleiher überlassen konnte, handelt es sich dabei nur um eine Reflexwirkung der Beteiligung der Beklagten an den Lohnkosten. Wie bereits dargelegt, soll mit den Fallpauschalen in erster Linie ein Anreiz für die PSA geschaffen werden, überhaupt zugewiesene Arbeitslose einzustellen (Reipen, BB 2003, 787, 788; Gagel/Peters-Lange, a.a.O., § 37c SGB III Rz. 16). Eine Pflicht dazu besteht mangels Kontrahierungszwangs für die PSA nämlich nicht (vgl. u.a. Bolay/Eisenreich/Isele, Die neue Arbeitsförderung, 2. Aufl., 2005, Rz. 99). Aufgrund des bereits mit der Anstellung von Arbeitslosen verbundenen wirtschaftlichen Risikos, Lohn zahlen zu müssen, ohne die Arbeitnehmer an Entleiher vermitteln zu können, wird ein Privatunternehmen nicht bereit sein, ohne Beteiligung an den Lohnkosten als PSA tätig zu werden. Im Ergebnis mag dies auch dazu führen, dass sie für ihre Vermittlung an Entleiher geringere Vermittlungsprovisionen als ihre Konkurrenz verlangen kann. Dies wird aber durch die Beteiligung an den Lohnkosten überhaupt erst möglich.
Das damit aus der Aufgabe der Beklagten im Rahmen des § 37c SGB III und dem Subventionscharakter der an die PSA zu zahlenden Fallpauschalen folgende Ziel konnte die Beklagte aber nur durch die Begründung einer gerade ihr gegenüber bestehenden Verpflichtung der PSA, die als Lohnkostenbeteiligung gedachten Fallpauschalen zweckentsprechend zur Zahlung der Löhne an ihre Arbeitnehmer zu verwenden, erreichen.
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Vor diesem Hintergrund kann der PSA-Vertrag von einem redlichen Vertragspartner auch aus objektiver Sicht nur so verstanden werden, dass die mit der Zahlung der Fallpauschalen gewährten öffentlichen Subventionen gerade von der Erfüllung der Lohnzahlungsverpflichtung an die Arbeitnehmer abhängen sollten.
ccc) Überdies ist die Insolvenzschuldnerin in dem Vergabegespräch in B. vom 24.3.2003 auf den hier dargelegten Subventionszweck hingewiesen worden, in dem die Beklagte klargestellt hat, dass die Fallpauschalen nur bei Lohnzahlungen an die zugewiesenen Arbeitnehmer gewährt werden können. (Wird ausgeführt.)
2. Der Kläger kann aber von der Beklagten die Zahlung der Vermittlungsprämien aufgrund des jeweiligen PSA-Vertrages i.V.m. § 241 Abs. 1, § 311 Abs. 1 BGB i.H. v. 31.316 € verlangen.
a) Der Kläger hat hinreichend substanziiert dargelegt, welche Arbeitnehmer von der Insolvenzschuldnerin zu welchen Zeitpunkten dauerhaft in andere Arbeitsverhältnisse vermittelt worden sind.
b) Dafür, dass auch die Zahlung der Vermittlungsprämien – wie die Fallpauschalen – von den Lohnzahlungen an die Arbeitnehmer durch die Insolvenzschuldnerin abhing, fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt. Bei diesem Entgelt steht nicht der Subventionscharakter im Vordergrund, vielmehr handelt es sich um eine Vergütung für die erfolgreiche Vermittlung von Arbeitnehmern in dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse, mithin um eine Art Provision.
c) Es ist auch unerheblich, dass der zwischen den Parteien geschlossene PSA-Vertrag seit der Bekanntgabe des Bescheides über den Widerruf der Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung vom 16.2.2004 unwirksam ist, denn sämtliche von dem Kläger aufgeführten Vermittlungen stammen aus der Zeit vor dem Widerruf der Erlaubnis nach dem AÜG.
d) Der Anspruch auf Zahlung der Vermittlungsprämien ist schließlich nicht durch die von der Klägerin hilfsweise erklärte Aufrechnung mit den auf sie durch die Zahlung von Insg übergegangenen Ansprüchen der Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin auf ihr Arbeitsentgelt erloschen. Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung ist nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig.
aa) Nach § 94 InsO kann zwar auch noch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Aufrechnung erklärt werden, wenn die Aufrechnungslage vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Dies ist hier der Fall. Die Beklagte hat zu den im Einzelnen angegebenen Zeitpunkten an die namentlich genannten Arbeitnehmer auf die ebenfalls angegebenen Anträge die näher bezeichneten Zahlungen erbracht. Sämtliche Anträge sind unstreitig vor dem 1.5.2004 und damit vor Insolvenzeröffnung gestellt worden. Die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt sind auch nach § 187 Satz 1 SGB III zum Zeitpunkt der Antragsstellung, mithin ebenfalls vor Verfahrenseröffnung, auf die Beklagte übergegangen (vgl. Gagel/Peters-Lange, a.a.O., § 187 SGB III Rz. 5; BAG, Urt. v. 4.6.1977 – 5 AZR 663/75, zit. nach juris).
bb) Die Beklagte hat diese Aufrechnungsmöglichkeit aber durch eine anfechtbare Rechtshandlung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO erlangt, weshalb ihr gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine erfolgreiche Aufrechnung versagt bleibt. Nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, wenn sie einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist, und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
aaa) Die Beklagte ist einfache Insolvenzgläubigerin. Dies folgt aus § 55 Abs. 3 InsO, wonach sie die auf sie nach § 187 Satz 1 SGB III übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche lediglich als Insolvenzgläubigerin geltend machen kann.
bbb) Die Anträge der Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin auf Insg sind jeweils Rechtshandlungen i.S.v. § 130 Abs. 1 InsO.
(1) Der anfechtungsrechtliche Begriff der Rechtshandlung ist nach der Rechtsprechung des BGH im weitesten Sinne zu verstehen und soll jedes Handeln erfassen, das rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann. Erfasst sind mithin rechtsgeschäftsähnliche Handlungen oder Realakte, denen das Gesetz Rechtsfolgen beimisst (BGH ZIP 2007, 191 (m. Bespr. Mitlehner, S. 804) = ZVI 2007, 72 = NZI 2007, 158, dazu EWiR 2007, 185 (Gundlach/Frenzel); BGH ZIP 2004, 620 = ZVI 2004, 252 = WM 2004, 666, dazu EWiR 2004, 1141 (Beutler/Vogel); MünchKomm-Kirchhof, InsO, 2. Aufl., 2008, § 129 Rz. 7, zit. nach beck-online; Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl., 2006, § 46 Rz. 19, zit. nach beck-online). Die Antragstellung der Arbeitnehmer ist solch ein Realakt im Sinne einer willentlichen Handlung, die u.a. die rechtlichen Wirkungen des § 187 Satz 1 SGB III auslöst und die Aufrechnungslage herbeiführt. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Anträge weder von der Beklagten noch von der Insolvenzschuldnerin gestellt wurden, weil es für die Insolvenzanfechtung unerheblich ist, wer die anzufechtende Rechtshandlung vorgenommen hat. Anfechtbar sind auch Rechtshandlungen Dritter (RegE InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 157; MünchKomm-Kirchhof, a.a.O., § 129 Rz. 35, zit. nach beck-online).
(2) Soweit die Beklagte unter Berufung auf eine Entscheidung des LG Neuruppin (Urt. v. 9.1.2009 – 3 O 374/07, ZIP 2009, 729, Rz. 29, zitiert nach juris) meint, dass es an einer willentlichen Rechtshandlung, d.h. an einer willensgesteuerten Rechtshandlung fehle, ist dieser Sichtweise nicht zu folgen. Zwar trifft es zu, dass das Schicksal der Lohnansprüche der Arbeitnehmer in der Insolvenz öffentlich-rechtlich geregelt ist und der Anspruch auf Insg unabhängig von einem hierauf gerichteten Willen und unabhängig von einer Rechtshandlung besteht. Ohne Antragstellung erhält der Arbeitnehmer jedoch kein Insg. Der Anspruch auf Zahlung von Insg setzt daher die Antragstellung als willensgesteuerte Handlung des Berechtigten voraus. Ohne eine solche Antragstellung würde dem Be-ZIP Heft 31/2009, Seite 1482rechtigten kein Insg gezahlt und ohne Antragstellung gäbe es auch keinen Forderungsübergang nach § 187 Satz 1 SGB III, mithin keine Aufrechnungslage zu Gunsten der Bundesanstalt für Arbeit.
(3) Soweit die Beklagte des Weiteren mit dem LG Neuruppin auf den Beschluss des BFH vom 16.10.2008 (VII B 17/08, ZIP 2009, 1016) verweist, wo ausgeführt wird, dass der dort zur Aufrechnung gestellte Anspruch des Finanzamts allein auf der Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen beruhe und deshalb keine anfechtbare Rechtshandlung gegeben sei, ist damit zugleich auch der entscheidende Unterschied zu dem hier zu beurteilenden Fall angesprochen. In dem der Entscheidung des BFH zugrunde liegenden Sachverhalt ist im Insolvenzverfahren eines Steuerpflichtigen eine Umsatzsteuerfestsetzung wegen Uneinbringlichkeit einer vor der Insolvenzeröffnung begründeten Forderung berichtigt worden. Dadurch ist dem steuerpflichtigen Insolvenzschuldner ein Erstattungsanspruch entstanden. Gegen diesen Erstattungsanspruch hat das Finanzamt mit einer Umsatzsteuerforderung aus einem vorangegangenen Veranlagungszeitraum aufgerechnet. Für diese Aufrechnung bedurfte es in der Tat keiner willensgesteuerten Handlung in Gestalt einer Antragstellung, denn die Gegenforderung des Finanzamts – die Umsatzsteuerforderung aus einem vorangegangenen Veranlagungszeitraum – bestand kraft Gesetzes und bedurfte auch keiner Antragstellung. Der Antrag des Insolvenzschuldners bzw. des Insolvenzverwalters auf Umsatzsteuerberichtigung wegen eines erst im Insolvenzverfahren eingetretenen Umstands (Uneinbringlichkeit einer Forderung) ist aber schon deshalb keine anfechtbare Rechtshandlung, weil hierdurch nicht die Masse geschmälert, sondern vergrößert wird. Geschmälert ist die Masse durch die Uneinbringlichkeit der Forderung. Es handelt sich in dem vom BFH entschiedenen Fall mithin um eine gänzlich andere Situation.
(4) Auch soweit das BSG in einer Hilfsbegründung zu § 55 Nr. 3 KO entschieden hat, dass der Übergang der Lohnforderung auf die Bundesanstalt für Arbeit weder auf einer Rechtsabtretung noch auf einer Befriedigung des Arbeitnehmers durch die Beklagte beruht habe, sondern nach § 141m AFG allein darauf, dass Konkursausfallgeld beantragt worden sei und die Beklagte gesetzlich zur Zahlung des Kaug verpflichtet gewesen sei (BSG, Urt. v. 15.12.1994 – 12 RK 69/93, ZIP 1995, 396, Rz. 25, dazu EWiR 1995, 521 (Irschlinger)), rekurriert es damit ausdrücklich auf die Ausnahmebestimmung des § 55 Nr. 3 Satz 2 KO, wonach die Aufrechnung im Konkurs zulässig war, wenn der Erwerber zur Übernahme der Forderung oder zur Befriedigung des Gläubigers verpflichtet war und zu der Zeit, als er die Verpflichtung einging, weder von der Zahlungseinstellung noch von dem Eröffnungsantrag Kenntnis hatte. Eine dieser Ausnahmebestimmung vergleichbare Bestimmung enthält die InsO aber gerade nicht mehr. Zudem hatte sich das BSG nicht mit der Auslegung des Rechtsbegriffs der (anfechtbaren) Rechtshandlung auseinanderzusetzen.
ccc) Die Herbeiführung der Aufrechnungslage ermöglichte eine die übrigen Gläubiger benachteiligende Befriedigung der Beklagten, denn die Beklagte erlangte durch die Antragstellung eine Gegenforderung zu Lasten der Insolvenzmasse, die ohne Aufrechnungslage die Insolvenzmasse sonst nicht zu schmälern vermocht hätte.
ddd) Die Beklagte wusste zudem zur Zeit der Antragstellungen auf Insg von dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin. Dies ergibt sich bereits aus ihrem Widerruf der Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung vom 16.2.2004, den die Beklagte maßgeblich auch auf diesen Umstand gestützt hat. Sämtliche hier relevanten Insg-Anträge sind nach dem 16.2.2004 gestellt worden.
eee) Dem danach anzunehmenden Aufrechnungsverbot steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte die Forderung ohne eigenes Zutun erworben hat. Dies wird nach dem Wortlaut der § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht vorausgesetzt. Zweck dieser Vorschriften ist es, eine möglichst gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger zu erreichen und ungerechtfertigte Vorteile auszugleichen, die jemand in der Krise des Insolvenzschuldners erlangt. Dies wird durch eine einfache Kontrollüberlegung bestätigt. Die Arbeitnehmer hätten ohne die gesetzliche Möglichkeit der Zahlung von Insg ihre Forderungen auf Arbeitsentgelt nur zur Insolvenztabelle anmelden können. Die Lohnforderungen der Arbeitnehmer sind entgegen der Bestimmung in dem nicht mehr geltenden § 59 Abs. 1 Nr. 3a KO keine Masseschulden mehr, sondern einfache Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO. Es leuchtet nicht ein, warum die übrigen Insolvenzgläubiger nur wegen des Umstandes, dass die Forderungen der Arbeitnehmer auf die Beklagte übergegangen sind, nunmehr benachteiligt werden sollten. Auch die KO sah deshalb bereits eine Rückstufung der übergegangenen Forderungen nach § 59 Abs. 2 Satz 1, § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO vor.
Dass die Beklagte deshalb in Fällen der Zahlung von Insg fast regelmäßig die auf sie übergegangenen Forderungen auf Arbeitsentgelt nicht aufrechnen, sondern nur als einfache Insolvenzgläubigerin zur Tabelle anmelden kann und damit überwiegend mit den auf sie übergangenen Forderungen ausfallen wird, ist letztlich lediglich die Konsequenz des Wegfalls der in der KO noch enthaltenen Privilegierung der Ansprüche der Arbeitnehmer und in gewissem Maße auch der damaligen Bundesanstalt für Arbeit, die wegen der nach Zahlung des Kaug auf sie übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche gem. § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO noch vorrangig befriedigt wurde.
Gerade auch der Wegfall dieser Privilegierungen mit dem Inkrafttreten der InsO sowie das Fehlen einer dem § 55 Nr. 3 Satz 2 KO entsprechenden Vorschrift machen deutlich, dass unter der Geltung der InsO eine Aufrechnung der Bundesagentur für Arbeit mit den auf sie übergegangenen Insg-Ansprüchen in der hier relevanten Fallkonstellation unzulässig ist.