OLG Brandenburg: Zur Haftung des fakultativen Aufsichtsrats einer GmbH für Zahlungen des Geschäftsführers nach Insolvenzreife
GmbHG § 52 Abs. 1; AktG § 93 Abs. 2, 3, § 116
Zur Haftung des fakultativen Aufsichtsrats einer GmbH für Zahlungen des Geschäftsführers nach Insolvenzreife
OLG Brandenburg, Urt. v. 17. 2. 2009 – 6 U 102/07
Leitsatz der Redaktion:
Die Mitglieder eines fakultativen GmbH-Aufsichtsrats haften nach § 52 Abs. 1 GmbHG, § 116 i.V.m. § 93 Abs. 2, 3 Nr. 6 AktG für Zahlungen der Geschäftsführung aus dem Gesellschaftsvermögen nach Eintritt der Insolvenzreife, wenn sie es trotz Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit unterlassen haben, die Geschäftsführung darauf hinzuweisen, dass ein Insolvenzantrag gestellt werden muss. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Aufsichtsrat eine starke Stellung gegenüber der Geschäftsleitung hat und die Einsicht des Geschäftsführers in die Notwendigkeit, einen Insolvenzantrag zu stellen, zu vermuten ist.
Tatbestand:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Stadtwerke D. GmbH i.L. (im Folgenden Schuldnerin). In dieser Eigenschaft macht er Haftungsansprüche der Schuldnerin gegen die Beklagten als Mitglieder des Aufsichtsrates der Schuldnerin geltend.
Alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin ist die Stadt D.
Im Gesellschaftsvertrag der Schuldnerin ist die Errichtung eines Aufsichtsrates vorgesehen. Im Einzelnen heißt es in der Satzung:
„§ 8 Aufsichtsrat
1. Der Aufsichtsrat besteht aus mindestens sieben Mitgliedern. Der Aufsichtsrat wählt einen Vorsitzenden und einen stellvertretenden Vorsitzenden.
2. Die Aufsichtsratsmitglieder werden von der Gesellschafterversammlung für die Dauer der jeweiligen Wahlperiode der Stadtverordnetenversammlung der Stadt D. bestellt und abberufen. Soweit die Stadt D. berechtigt ist, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, erfolgt die Bestellung und Abberufung entsprechend den Vorschlägen der Stadtverordnetenversammlung der Stadt D. § 104 der Gemeindeordnung für das Land Brandenburg (GO Brandenburg) ist zu beachten. ...
4. Bei einem Aufsichtsratsmitglied, das aufgrund eines kommunalen Amtes, Mandates oder einer bestimmten Funktion in den Aufsichtsrat berufen wurde, endet die Mitgliedschaft zu dem Zeitpunkt, an dem ein Nachfolger berufen ist.
§ 10 Aufgaben des Aufsichtsrates
1. Der Aufsichtsrat überwacht gem. § 90 Abs. 3, 4, 5 Satz 1 und 2 und § 111 AktG die Tätigkeit der Geschäftsführung: Er prüft den Prüfungsbericht des Abschlussprüfers unter Berücksichtigung des Jahresabschlusses und des Lageberichtes.“
Im Jahr 2000 waren u.a. die Beklagten zu 1) bis 4) als Aufsichtsratsmitglieder tätig, der Beklagte zu 1) war Aufsichtsratsvorsitzender, der Beklagte zu 2) stellvertretender Vorsitzender. Jedenfalls seit Mitte 2001 war auch die Beklagte zu 5) Aufsichtsratsmitglied. In der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 7.3.2002 wurde beschlossen, dass neben den Beklagten zu 1) bis 5) auch der Beklagte zu 6) als Aufsichtsratsmitglied entsandt wird. Der Beklagte zu 7) wird erstmals im Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 22.8.2002 als Mitglied des Aufsichtsrates genannt.
Die Alleingesellschafterin der Schuldnerin befand sich in einer finanziellen Notlage. Für ihre Finanzausstattung hatte sie zu hohe Personalkosten. Zur Entlastung des städtischen Haushaltes wurden deshalb im Jahre 1999 zahlreiche Bereiche der öffentlichen Daseinsfürsorge, die bisher vom Amt Stadtwirtschaft wahrgenommen wurden (Straßenreinigung, Straßenwesen, Grünflächenarbeiten, Straßenbeleuchtungsbetrieb etc.), auf die Schuldnerin übertragen. Im Zuge dieser Übertragung hatte die Schuldnerin 35 vorwiegend ältere Arbeitnehmer vom Städtischen Amt für Stadtwirtschaft zu übernehmen. Zum Ausgleich erhielt die Schuldnerin Aufträge von der Stadt, die früher das Amt für Stadtwirtschaft ausgeführt hatte. Die Schuldnerin sollte die Zahl der Mitarbeiter reduzieren und kostendeckend arbeiten. Bei der Personalreduzierung musste die Schuldnerin hohe Abfindungen zahlen, weil die Mitarbeiter teilweise langjährig dem Betrieb angehört hatten. Obwohl die Schuldnerin sich auf dem freien Markt bemühte, weitere Aufträge zu erhalten, gelang dies nicht, weil sie wegen ihrer Personalstruktur nicht konkurrenzfähig war.
Die Schuldnerin war für ihre Gesellschafterin und aufgrund eines Betriebsführungsvertrages seit dem Jahre 1996 für den Zweckverband Trink- und Abwasser D. und Umland (im Folgenden Zweckverband) tätig. Weder die Stadt noch der Zweckverband beglichen zeitnah ihre bei der Schuldnerin bestehenden Verbindlichkeiten. Die Stadt befand sich in finanziellen Schwierigkeiten, der Zweckverband war nicht zahlungswillig.
In den Aufsichtsratssitzungen der Jahre 2000 – 2002 war immer wieder die prekäre Haushaltslage bzw. das Insolvenzrisiko der Schuldnerin Gegenstand der Erörterungen.
Der Aufsichtsrat beschloss in seiner außerordentlichen Sitzung vom 9.9.2002, der Gesellschafterversammlung die Liquidation der Schuldnerin vorzuschlagen. Dem kam die Gesellschafterversammlung nach. Der Geschäftsführer N. wurde zum Liquidator bestellt.
Der Liquidator der Schuldnerin stellte mit Schreiben vom 25.10.2002 Insolvenzantrag. Mit Beschluss des AG Cottbus vom 29.10.2002 wurde der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am 1.1.2003 eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Der Kläger hat mit mehreren Klageerweiterungen die Erstattung verschiedener Abflüsse von den Konten der Schuldnerin in der Zeit vom 1. 9. – 1.11.2002 verlangt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Im Übrigen war sie unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Dem Kläger stehen gegen die Beklagten als Mitglieder eines fakultativen GmbH-Aufsichtsrates Ansprüche gem. § 52 Abs. 1 GmbHG, § 116 i.V.m. § 93 Abs. 2, 3 Nr. 6 AktG zu.
Die Beklagten haben gegen ihre Verpflichtung zur Überwachung der Geschäftsführung verstoßen. Die Schuldnerin war spätestens seit dem 1.1.2002 zahlungsunfähig und damit insolvenzreif. Die Beklagten hätten, sobald sie hiervon Kennt-ZIP 2009, Seite 867nis erlangt hatten, die Geschäftsführung darauf hinweisen müssen, dass ein Insolvenzantrag gestellt werden müsse. Es ist davon auszugehen, dass der Geschäftsführer auf einen solchen Hinweis den Insolvenzantrag auch gestellt hätte, und zwar deutlich vor dem 25.10.2002, an dem es letztlich zum Insolvenzantrag gekommen ist.
1. Der Senat folgt der Auffassung des LG nicht, wonach die Satzung der Schuldnerin die analoge Anwendung des § 93 Abs. 2, 3 AktG mit der Rechtsfolge eines Schadensersatzanspruches der Gesellschaft gegen Aufsichtsratsmitglieder bei einer Pflichtverletzung ausschließe.
Nach § 10 Abs. 1 der Satzung überwacht der Aufsichtsrat der Schuldnerin „gem. § 90 Abs. 3, 4, 5 Satz 1 und 2 und § 111 AktG die Tätigkeit der Geschäftsführung: Er prüft den Prüfungsbericht des Abschlussprüfers unter Berücksichtigung des Jahresabschlusses und des Lageberichtes“.
Zu den Aufgaben des Aufsichtsrats gehört danach die Aufsicht über die Geschäftsführung gem. § 111 AktG. Diese Norm regelt die wichtigste Aufgabe des Aufsichtsrates.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann aus dieser Satzungsbestimmung nicht abgeleitet werden, dass sich die Aufgaben des Aufsichtsrates auf die Prüfung des Prüfungsberichts des Abschlussprüfers unter Berücksichtigung des Jahresabschlusses und des Lageberichtes beschränken. Denn im ersten Halbsatz der Aufgabenbeschreibung des Aufsichtsrates heißt es, dass die Tätigkeit der Geschäftsführung überwacht werden soll. Diese Textpassage wäre überflüssig, wenn der Aufsichtsrat sich allein mit der Tätigkeit des Abschlussprüfers befassen sollte.
Hatte danach der Aufsichtsrat der Schuldnerin die Geschäftsführung zu überwachen, kann der Ausschluss einer Haftung wegen fehlerhafter Ausübung dieser Tätigkeit – sofern dies rechtlich überhaupt möglich sein sollte – nur ausdrücklich erfolgen. Die Satzung enthält jedoch weder einen ausdrücklichen noch einen stillschweigenden Haftungsausschluss.
Zwar wiederholt § 10 Abs. 1 der Satzung die Verweisung des § 52 Abs. 1 GmbHG in das Aktienrecht nicht vollständig. Denn § 52 Abs. 1 GmbHG ordnet eine entsprechende Anwendung von § 90 Abs. 3, 4, 5 Satz 1 und 2, § 95 Satz 1, § 100 Abs. 1 und 2 Nr. 2, § 101 Abs. 1 Satz 1, § 103 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 105, 110 bis 114, 116 i.V.m. § 93 Abs. 1 und 2, §§ 170, 171 AktG an, soweit nicht im Gesellschaftervertrag ein anderes bestimmt ist.
Dass die Satzung nur einige der in § 52 Abs. 1 GmbHG genannten Vorschriften in Bezug nimmt, schränkt die allgemeine Überwachungspflicht des Aufsichtsrates nicht ein. Die in der Satzung nicht in Bezug genommenen Vorschriften des Aktienrechts, auf die § 52 Abs. 1 GmbHG Bezug nimmt, betreffen die Berufung und Abberufung des Aufsichtsrates, die Anzahl seiner Mitglieder sowie die Unvereinbarkeit des Amtes mit einer Vorstandstätigkeit. Hierfür trifft die Satzung der Schuldnerin bzw. § 104 der Gemeindeordnung des Landes Brandenburg (a.F.), auf die § 8 der Satzung Bezug nimmt, eigenständige Regelungen.
Aus dem Umstand, dass § 10 Abs. 1 der Satzung die Vorschrift des § 116 AktG nicht ausdrücklich nennt, die die Sorgfaltspflicht und die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder regelt, können die Beklagten für sich nichts herleiten.
Zum einen ist dies aus der Systematik der Satzung heraus ohne Weiteres nachvollziehbar. In der Satzung werden ausdrücklich nur die Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder geregelt. Die Überschrift des § 10 der Satzung heißt ausdrücklich „Aufgaben des Aufsichtsrates“. Von der Haftung ist dort nicht die Rede.
Zum anderen muss nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der die Erfüllung einer Pflicht übernimmt, bei einer Pflichtverletzung hierfür einstehen. Ausnahmen gelten nur im Gefälligkeitsverhältnis und bei ausdrücklicher Anordnung eines Haftungsausschlusses im Gesetz oder in der Satzung selbst.
Das Gesetz geht davon aus, dass Gemeindevertreter, die in den Aufsichtsrat berufen werden, bei Pflichtverletzungen haftbar gemacht werden können. § 104 Abs. 3 der Gemeindeordnung des Landes Brandenburg, inzwischen abgelöst durch den inhaltlich identischen § 97 Abs. 6 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg, ordnet an, dass die Gemeinde ihren Vertretern den Schaden zu ersetzen haben, wenn sie aus ihrer Tätigkeit als Mitglieder des Aufsichtsrates haftbar gemacht werden.
Die Satzung enthält keinen ausdrücklichen Haftungsausschluss für die Mitglieder des Aufsichtsrates. Sie nimmt vielmehr ohne Einschränkungen auf § 104 der Gemeindeordnung des Landes Brandenburg Bezug.
Der Umstand, dass es sich bei dem Aufsichtsrat der Schuldnerin um einen fakultativen Aufsichtsrat handelt, schränkt die Haftung seiner Mitglieder nicht ein. Dem steht der Umstand entgegen, dass § 52 Abs. 1 GmbHG ausdrücklich auf § 116 AktG verweist.
Eine Einschränkung der Haftung kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass die Beklagten für die Aufsichtsratstätigkeit möglicherweise nicht mehr als eine Aufwandsentschädigung erhalten haben. Zum einen haben sie zur Höhe ihrer Vergütung überhaupt nichts vorgetragen, sondern nur allgemein behauptet, kommunale fakultative Aufsichtsratsmitglieder seien gewissermaßen ehrenamtlich tätig. Im Übrigen hat der Gesetzgeber dem Umstand, dass einer relativ geringen Vergütung ein möglicherweise erhebliches Haftungsrisiko gegenübersteht, in der Kommunalverfassung Rechnung getragen und die Gemeinden gegenüber ihren Vertretern bei Pflichtverletzungen zum Ersatz verpflichtet. Dies ist der Sache nach eine Haftpflichtversicherung.
2. Die Beklagten zu 1) bis 4) waren schon im Jahre 2000 Aufsichtsratsmitglieder der Schuldnerin, die Beklagte zu 5) ist seit dem Jahr 2001 in den Protokollen als Aufsichtsratsmitglied aufgeführt. Der Beklagte zu 6) ist durch Beschluss vom 28.2.2002 in den Aufsichtsrat berufen worden und nahm als Mitglied des Aufsichtsrates erstmalig am 26.6.2002 an der dritten Aufsichtsratssitzung des Jahres 2002 teil. Der Beklagte zu 7) hat ausweislich des vom Kläger vorgelegten Protokolls vom 22.8.2002 bei der an diesem Tag stattfindenden vierten Aufsichtsratssitzung des Jahres 2002 erstmals als Mitglied des Aufsichtsrates teilgenommen, in der zweiten Aufsichtsratssit-ZIP 2009, Seite 868zung des Jahres 2002 vom 5.3.2002 wird er erstmalig aufgeführt, dies jedoch ausdrücklich nur als Gast.
3. Die Schuldnerin war jedenfalls seit dem 1.1.2002 zahlungsunfähig gem. § 17 InsO. Sie hatte ihre Zahlungen zu diesem Zeitpunkt eingestellt, § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. (Wird ausgeführt.)
4. Von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin haben die Beklagten auch vor dem 25.10.2002, an dem der Insolvenzantrag gestellt wurde, Kenntnis erlangt.
Zwar ist den vorgelegten Protokollen der Aufsichtsratssitzungen nicht zu entnehmen, dass der Geschäftsführer der Schuldnerin dem Aufsichtsrat zu irgend einem Zeitpunkt ausdrücklich erklärt hat, die Schuldnerin sei zahlungsunfähig oder überschuldet. In der Aufsichtsratssitzung vom 9.9.2002 hat der Geschäftsführer erklärt, im Dezember 2002 müsse das Stammkapital angegriffen werden. Er hat auch noch auf die ausdrückliche Frage eines Aufsichtsratsmitgliedes in der Sitzung vom 16.10.2002 nach der Gefahr einer Insolvenz dahin gehend geantwortet, dass dies zeitmäßig schlecht einzuschätzen sei, letztendlich sei dies abhängig von der Geduld der Gläubiger. In der Gesellschafterversammlung vom 23.10.2002 – wenige Tage vor dem Insolvenzantrag – waren einige Aufsichtsratsmitglieder anwesend. Einer von ihnen fragte, wie hoch die Gefahr sei, dass aus der Liquidation eine Insolvenz werde. Diese Frage hat der Geschäftsführer nicht klar beantwortet und nur darauf hingewiesen, dass bei Zahlungsunfähigkeit „die Zahlen neu zu überarbeiten“ seien. Danach könne sich herausstellen, dass ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden müsse.
Allerdings bedurften die Aufsichtsratmitglieder eines solchen ausdrücklichen Hinweises des Geschäftsführers nicht, weil sie in der Lage waren, die Zahlungsunfähigkeit selbst zu erkennen.
a) Die Beklagten zu 1) bis 5), die spätestens seit dem Jahr 2001 Aufsichtsratsmitglieder waren, erhielten diese Kenntnis in der Aufsichtsratssitzung vom 5.3.2002. Sie wussten seit dem Herbst 2001, dass Zahlungsunfähigkeit droht, am 5.3.2002 wussten sie, dass sie nunmehr eingetreten war.
Schon aus den Protokollen der Aufsichtsratssitzungen aus dem Jahr 2000 lässt sich entnehmen, dass sich die Schuldnerin in akuten Zahlungsschwierigkeiten befand. So heißt es im Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 9.5.2000, dass der aktuelle Stand der Forderungen und Verbindlichkeiten so aussehe: Forderungen 230.000 DM, Verbindlichkeiten 493.000 DM. Außerdem wird über ein Überbrückungsdarlehen der Stadt i.H. v. 100.000 DM gesprochen. Schon diese Zahlen sprechen für Zahlungsunfähigkeit, weil das liquide Vermögen die offenen Forderungen nicht deckte. Die drohende Insolvenz war dem Aufsichtsrat offensichtlich auch bewusst. So heißt es im Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 25.7.2000, dass der Aufsichtsratsvorsitzende erklärte, die Schuldnerin wäre längst „in Konkurs, wenn der Aufsichtsrat nicht eingegriffen hätte“. Eine Zahlungsunfähigkeit im Jahr 2000 kann der Senat jedoch nicht feststellen, weil der Kläger hierzu nicht ausreichend vorgetragen hat. Es ist nicht näher vorgetragen worden, dass am 25.7.2000 noch ein Insolvenzrisiko bestand.
Der Geschäftsführer N. hat in der vierten Aufsichtsratssitzung des Jahres 2001 vom 26.9.2001 dargelegt, dass im geprüften Jahresabschluss 1998 eine Differenz i.H. v. 374.000 DM im Verrechnungskonto zwischen der Schuldnerin und dem Zweckverband zu Gunsten der Schuldnerin festgestellt wurde. Werde diese Forderung ausgebucht, unterliege es seiner Pflicht als Geschäftsführer, weitere notwendige Schritte einzuleiten, da der Kontokorrentkredit i.H. v. 300.000 DM ständig ausgeschöpft werde. Dies konnten die anwesenden Aufsichtsratsmitglieder nur so verstehen, dass der Geschäftsführer einen Insolvenzantrag stellen muss, wenn die Forderung gegen den Zweckverband als nicht einbringlich ausgebucht werden müsse. In der Aufsichtsratssitzung vom 1.11.2001 wies der Geschäftsführer der Schuldnerin „nochmals“ auf die prekäre Haushaltslage der Schuldnerin hin und bat die Aufsichtsratsmitglieder, alles zu unternehmen, damit der Zahlungsfluss vom Zweckverband und von der Stadt beschleunigt werde und die Forderungen von derzeit 900.000 DM abgetragen werden könnten. Damit war dem Aufsichtsrat bekannt, dass für den Fall der Nichtzahlung durch den Zweckverband Zahlungsunfähigkeit drohte.
In den beiden ersten Aufsichtsratssitzungen im Jahr 2002 hat der Geschäftsführer jeweils tagesaktuell zu bestehenden Forderungen und Verbindlichkeiten der Schuldnerin berichtet.
In der ersten Aufsichtsratssitzung des Jahres 2002 vom 4.2.2002 berichtete der Geschäftsführer N. zur Finanzsituation der Schuldnerin, dass diese am 4.2.2002 Verbindlichkeiten i.H. v. 510.000 € habe, dem zu erwartende Einnahmen i.H. v. 447.000 € gegenüberstünden, darin enthalten war die Forderung gegen den Zweckverband i.H. v. 247.000 €, bei der bis zum 31.3.2002 eine Klärung erfolgen sollte. Die Unterdeckung beträgt nach diesen Zahlen 12,3 %. In der zweiten Aufsichtsratssitzung des Jahres 2002 am 5.3.2002 teilte der Geschäftsführer N. zur Finanzsituation der Schuldnerin am selben Tage mit, dass diese 498.000 € Forderungen und 481.000 € Verbindlichkeiten habe. Außerdem erklärte er, der Zweckverband halte sich nicht an die mit der Schuldnerin getroffene Vereinbarung und zahle die von der Schuldnerin in Rechnung gestellten Beträge nicht. Hartnäckige Kreditoren habe die Schuldnerin auf den 31.3.2002 in der Annahme vertröstet, der Zweckverband werde die Vereinbarung einhalten.
Mit dieser Mitteilung hatte der Aufsichtsrat Kenntnis von allen Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig war. Die Aufsichtsratmitglieder mussten davon ausgehen, dass die Schuldnerin ihre Forderung gegen den Zweckverband, die am 4.2.2002 mit 247.000 € beziffert und am 5.3.2002 als weiterhin nicht bezahlt bezeichnet wurde, nicht kurzfristig würde liquidieren können. Da diese Forderung knapp die Hälfte des Forderungsbestandes der Schuldnerin ausmachte und ihre Verbindlichkeiten nahezu dieselbe Höhe wie die offenen Forderungen erreichten, war für die Aufsichtsratsmitglieder eine Liquiditätslücke von ungefähr 50 % erkennbar.
Außerdem wussten sie vom Geschäftsführer, dass im Hinblick auf die erwartete Zahlung vom Zweckverband zum 31.3.2002 Gläubiger hatten vertröstet werden können, dass diese jedoch danach nicht mehr stillhalten würden.
ZIP 2009, Seite 869
b) Der Beklagte zu 6) hat Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin am 22.8.2002 erhalten.
Er nahm erstmals am 26.6.2002 an einer Aufsichtsratssitzung teil. Dort hat der Geschäftsführer der Schuldnerin, anders als in den vorangegangenen Aufsichtsratssitzungen, nicht die Beträge der zu bedienenden Verbindlichkeiten und offenen Forderungen betragsmäßig genannt, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Beklagte zu 6) mehr wissen musste, als dass sich die Schuldnerin in der Krise befand. Für das Vorliegen einer existenzbedrohenden Krise gab es allerdings einen deutlichen Hinweis, weil der Geschäftsführer um Zustimmung dazu bat, offene Altforderungen einzutreiben, weil anderenfalls die Gefahr der Insolvenz drohe. Deutlich wurde auch in dieser Sitzung, dass diese Forderungen schon jahrelang offen waren.
Am 22.8.2002 hat der Geschäftsführer in der vierten Aufsichtsratssitzung des Jahres 2002 mitgeteilt, es hätten 459.000 € Verbindlichkeiten bestanden, denen – ohne die Forderung wegen der Betriebsführung für die Jahre 1996 bis 1999 – offene Forderungen i.H. v. 350.000 € gegenübergestanden hätten. Hier habe es eine Entwicklung gegeben, dass nunmehr noch Verbindlichkeiten i.H. v. 377.000 € bestünden und offene Forderungen i.H. v. 219.000 €. Bei diesen offenen Forderungen waren die Jahresabrechnungen für die Jahre 2000 und 2001 gegenüber dem Zweckverband i.H. v. 158.000 € enthalten. Hierzu heißt es im Bericht der Geschäftsführung weiter, dass die Jahre 2000 und 2001 erneut abgerechnet worden seien und dass der Zweckverband keine der beiden Rechnungsvarianten akzeptiere.
Aus diesen Daten musste der Beklagte zu 6) den Schluss der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ziehen. Die zu bedienenden Verbindlichkeiten überschritten die offenen Forderungen erheblich. Die größte offene Forderung gegenüber dem Zweckverband für die Jahre 2000 und 2001 war im Übrigen seit mehreren Monaten offen und weiterhin streitig. Die Altforderung, die in der Aufsichtsratssitzung vom 26.6.2002 mit 480.000 DM, d.h. knapp 250.000 € beziffert worden war und ebenfalls seit Jahren offen war, musste ebenfalls als uneinbringlich angesehen werden.
c) Der Beklagte zu 7) hatte die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bereits seit dem 5.3.2002. Er war als – neuer – Bürgermeister bereits bei den Aufsichtsratssitzungen vom 5.3.2002 und vom 26.6.2002 anwesend, wenn auch nur als Gast. Er hat dort jedoch Kenntnis von den maßgebenden Umständen erlangt.
5. Die Beklagten hätten, sobald sie von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin erfahren hatten, den Geschäftsführer darauf hinweisen müssen, dass er verpflichtet ist, umgehend einen Insolvenzantrag zu stellen. Auf einen solchen Hinweis wäre eine Insolvenzantragstellung erfolgt.
a) Der Aufsichtsrat ist zwar das Überwachungs-, nicht aber das Leitungsorgan der Gesellschaft. Grundsätzlich reicht es im Normalfall aus, dass sich der Aufsichtsrat bei seiner Überwachungstätigkeit auf die Prüfung und Erörterung der Berichte der Geschäftsführung sowie des Jahresabschlusses beschränken kann.
Anders ist es nur, wenn sich eine negative Entwicklung der wirtschaftlichen Lage bereits abzeichnet. In einem solchen Fall müssen Kontrolldichte und Beratungsaufwand erhöht werden. Eine nochmalige Erhöhung der Kontrolldichte und des Beratungsaufwandes ist in der Krise erforderlich. Zwar muss auch in Krisenzeiten die Geschäftsleitung weiterhin dem Vorstand bzw. der Geschäftsführung übertragen bleiben. In der Krise ist jedoch der Aufsichtsrat gefordert, die Ursachen der Krise zu erforschen und Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Er muss auch darauf achten, dass die Geschäftsführung einer Insolvenzantragspflicht rechtzeitig nachkommt. Deshalb unterlag die Tätigkeit der Aufsichtsratsmitglieder schon spätestens seit Herbst 2001 erhöhten Anforderungen.
b) Die Beklagten zu 1) bis 5) hätten den Geschäftsführer N. mithin am 5.3.2002, die Beklagten zu 6) und 7) am 22.8.2002 auffordern müssen, unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen. Angesichts der monatelangen Verhandlungen mit dem Zweckverband war zu diesem Zeitpunkt klar, dass die von der Schuldnerin zur Erhaltung ihrer Liquidität dringend benötigte Zahlung des Zweckverbandes in sechsstelliger Höhe nicht, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit erfolgen würde. Angesichts dessen gab es keinen Grund, erneut Chancen einer außergerichtlichen Sanierung zu prüfen. Hierfür gab es keinerlei ernsthafte Erfolgschancen. Solche Chancen sind von den Beklagten auch nicht vorgetragen worden.
c) Die Beklagten können sich nicht darauf berufen, dass eine solche Aufforderung nicht zu einem Insolvenzantrag des Geschäftsführers geführt hätte, weil sie nicht berechtigt gewesen wären, der Geschäftsführung konkrete Weisungen zu erteilen.
Richtig ist zwar, dass der Aufsichtsrat einer AG den Vorstand abberufen kann, § 84 Abs. 3 AktG, der fakultative Aufsichtsrat einer GmbH kann dies demgegenüber nicht. Eine entsprechende Anwendung dieser aktienrechtlichen Vorschrift ist in § 52 GmbHG nicht angeordnet. Rechtlich waren mithin die Beklagten nicht in der Lage, den Geschäftsführer N. anzuweisen, einen Insolvenzantrag zu stellen.
Die Beklagten hätten ihn allerdings darauf hinweisen können und müssen, dass er aus Rechtsgründen verpflichtet ist, einen solchen Antrag zu stellen. Dies haben sie unterlassen. Hätten die Beklagten bei Kenntniserlangung von der Insolvenzreife der Schuldnerin ihre Überwachungspflicht in dieser Weise pflichtgemäß erfüllt, ist zu unterstellen, dass der Geschäftsführer N. ihre Weisung, Insolvenzantrag zu stellen, befolgt hätte. Dem Geschäftsführer N. war, wie sich den Protokollen der Aufsichtsratssitzungen vom Herbst 2001 ergibt, hinreichend klar, dass eine entsprechende strafbewehrte Verpflichtung bei Insolvenzreife besteht.
Wenn die Beklagten sich darauf berufen wollen, dass der Geschäftsführer N. auf einen ausdrücklichen Hinweis, dass eine rechtliche Verpflichtung bestehe, einen Insolvenzantrag zu stellen, sich rechtswidrig verhalten hätte und einem Hinweis ihrerseits nicht nachgekommen wäre, sind sie hierfür darlegungs- und beweispflichtig (RGZ 161, 129, 134).
Die Beklagten berufen sich zunächst ohne Erfolg darauf, dass sie den Geschäftsführer nicht hätten veranlassen können, einen Insolvenzantrag zu stellen.
ZIP 2009, Seite 870
Zwar sieht die Satzung der Schuldnerin – anders als die entsprechende Vorschrift des § 84 Abs. 3 AktG – vor, dass es die Gesellschafterversammlung ist, die den Geschäftsführer bestellt und abberuft, gerade nicht der Aufsichtsrat. Jedoch bedarf die Bestellung und die Abberufung des Geschäftsführers der Zustimmung des Aufsichtsrates, § 10 Nr. 2.5 der Satzung. In der Realität hat der Aufsichtsrat der Schuldnerin auch für sich in Anspruch genommen, über Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers zu entscheiden. Dies wird deutlich aus den Vorgängen bei der Entlassung des Vorgängers des Geschäftsführers N. Wie sich aus dem Protokoll der außerordentlichen Aufsichtsratssitzung am 12.4.2001 ergibt, wurde bei dieser Sitzung dem Geschäftsführer mitgeteilt, der Aufsichtsrat sei zu dem Entschluss gekommen, ihm mit sofortiger Wirkung die Kündigung auszusprechen. Der Geschäftsführer wurde aufgefordert, den Empfang der Kündigung zu bestätigen. Alle Aufsichtsratsmitglieder hatten sich dabei für eine sofortige Aufhebung des Arbeitsverhältnisses entschieden. Das zuständige Gesellschaftsorgan hatten die Aufsichtsratsmitglieder vor ihrer Entscheidung zum Ausspruch der fristlosen Kündigung nicht befragt. Vielmehr sollte ausweislich des Protokolls der Sitzung vom 12.4.2001 für die bereits ausgesprochene Kündigung eine Woche später am 19.4.2001 erst noch die Bestätigung durch die Stadtverordnetenversammlung als Gesellschafterversammlung erfolgen.
Im Übrigen ergibt sich aus den Protokollen der Aufsichtsratssitzungen, dass der Aufsichtsrat erheblich in die Geschäftsführung „hineinregiert hat“. Der Beklagte zu 1) hat beispielsweise, wie sich aus dem Protokoll der dritten Aufsichtsratssitzung des Jahres 2000 vom 9.5.2000 ergibt, sich ins Haus der Schuldnerin begeben und dort in der Buchhaltung Übersichten der Debitoren- und Kreditorenbuchhaltung gefordert. Der Geschäftsführer N. hatte als Fremdgeschäftsführer gegenüber dem Aufsichtsrat, der von der Alleingesellschafterin besetzt worden ist, eine schwache Position.
Im Übrigen ergibt sich aus den Protokollen der Aufsichtsratssitzungen, dass der Geschäftsführer durchaus gesehen hat, dass er möglicherweise einen Insolvenzantrag hätte stellen müssen. Er hat bei den Aufsichtsratssitzungen verschiedentlich auf das Insolvenzrisiko der Schuldnerin wegen mangelnder Liquidität und die mangelnde Werthaltigkeit der größten Forderungen der Schuldnerin gegen den Zweckverband hingewiesen.
Bei derartigen Machtverhältnissen innerhalb der Schuldnerin und bei einer zu vermutenden Einsicht des Geschäftsführers in die Notwendigkeit, einen Insolvenzantrag zu stellen, können die Beklagten ohne substanziierten Vortrag nicht geltend machen, der Geschäftsführer hätte sich einem klaren Hinweis des Aufsichtsrates auf seine Insolvenzantragspflicht verschlossen.
6. Die Beklagten sind der Schuldnerin bzw. nunmehr dem Kläger gegenüber nach den § 52 Abs. 1 GmbHG, § 116 i.V.m. § 93 Abs. 1 und 2 AktG verantwortlich.
Nach § 116 AktG richtet sich die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder entsprechend der für den Vorstand geltenden Regelung des § 93 AktG. Nach § 92 Abs. 2 AktG sind die Mitglieder der Geschäftsführung der Gesellschaft zum Ersatz des aus einer Pflichtverletzung entstandenen Schadens verpflichtet. Nach § 93 Abs. 3 Nr. 3 AktG besteht die Ersatzpflicht namentlich dann, wenn entgegen dem AktG Zahlungen geleistet werden, nachdem die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft eingetreten ist oder sich ihre Überschuldung ergeben hat. Diese Vorschrift entspricht § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG.
Zwar verweist § 52 GmbHG nur auf § 93 Abs. 2 AktG, nicht auf § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG. Bei § 93 Abs. 3 AktG handelt es sich jedoch um Regelbeispiele für die Ersatzpflicht des Vorstands nach § 93 Abs. 2 AktG.
Das Gesetz verbietet nicht nur Zahlungen, sondern alle Leistungen, die das Gesellschaftsvermögen schmälern. Dazu gehört auch der Einzug von Forderungen auf ein debitorisches Bankkonto. Nicht zu erstatten sind dagegen Abflüsse aus einem debitorischen Konto.
a) Dem ursprünglichen Klageantrag kann deshalb nur teilweise entsprochen werden. (Wird ausgeführt.)