OLG Düsseldorf: BGH-Vorlage zum dreimonatigen Referenzzeitraum für den Durchschnittsbörsenkurs bei Berechnung der Abfindung nach Squeeze out

04.11.2009

AktG §§ 327a, 327b, 327f; FGG § 28

BGH-Vorlage zum dreimonatigen Referenzzeitraum für den Durchschnittsbörsenkurs bei Berechnung der Abfindung nach Squeeze out

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. 9. 2009 – I-26 W 13/06 AktE (LG Köln)

Leitsatz des Gerichts:

Für den Börsenwert als Mindestwert einer Abfindung, die Aktionäre für ihr Ausscheiden im Rahmen eines Squeeze out erhalten, ist ein nach Umsätzen gewichteter Durchschnittskurs in einem Referenzzeitraum von drei Monaten vor Bekanntgabe der Maßnahme zugrunde zu legen.

Gründe:

A. Die Antragsgegnerin war Hauptaktionärin, die Antragsteller Minderheitsaktionäre der Y. Am 30.4.2003 beschloss die außerordentliche Hauptversammlung der Y. die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Antragsgegnerin gegen Gewährung einer Barabfindung i.H. v. 295 € pro Stückaktie. Der Übertragungsbeschluss wurde am 6.4.2005 in das Handelsregister eingetragen. Die Bekanntmachung der HR-Eintragung erfolgte am 16.4.2005 im Bundesanzeiger und in verschiedenen Tageszeitungen, zuletzt am 2.5.2005 im „Handelsblatt“.

Das Grundkapital der Y. betrug 20.500.000 € und war in 800.000 Inhaber-Stückaktien aufgeteilt. Am 30.4.2003 hielt die Antragsgegnerin 98,656 % der Aktien, die übrigen 10.754 Aktien befanden sich im Streubesitz. Die Aktien waren zum Handel mit amtlicher Notierung an den Wertpapierbörsen in D. und F. zugelassen.

Die Mehrheit der Y.-Aktien (96,1 %) wurde bis zum 26.4.2002 von der I. (528.789 Aktien) und der gemeinnützigen S. (239.999 Aktien) gehalten. Diese beiden Hauptaktionäre hatten sich mit Vertrag vom 26.4.2002 verpflichtet, die Aktien auf die Antragsgegnerin zu übertragen, was dann am 5.8.2002 erfolgte. Den verbliebenen Aktionären unterbreitete die Antragsgegnerin am 17.9.2002 gem. § 35 Abs. 2 Satz 2 WpÜG das öffentliche Pflichtangebot auf Übernahme ihrer Aktien gegen Zahlung von 295 € je Aktie. Dieses Angebot wurde von einem Teil der Aktionäre angenommen. Bis zum Ablauf der Annahmefrist am 17.10.2002 erhöhte sich so der Anteil der Antragsgegnerin am Grundkapital auf 98,656 %.

Ebenfalls am 17.9.2002 gab die Antragsgegnerin öffentlich bekannt, dass sie eine Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf sich beabsichtige. Mit der Ermittlung des Unternehmenswerts der Y. beauftragte sie die E. Mit Beschluss vom 18.9.2002 hat das LG Köln die P. zum sachverständigen Prüfer über die Angemessenheit der Barabfindung für den beabsichtigten Ausschluss der Minderheitsaktionäre der Y. bestellt (§ 327c Abs. 2, § 293c Abs. 1 Satz 3 – 5, § 293d AktG).

In dem Bericht der Antragsgegnerin vom 21.3.2003 war auf Basis des Bewertungsgutachtens der E. vom 13.3.2003 ein Ertragswert je Aktie von 93,65 € ermittelt worden. Ungeachtet dieses Wertes legte die Antragsgegnerin im Übertragungsbericht die Barabfindung gem. § 327b AktG auf 295 € fest, um „die Position der Minderheitsaktionäre gegenüber dem Pflichtangebot gem. § 35 WpÜG vom 17.9.2002 nicht zu verschlechtern und durch ein großzügiges Angebot Diskussionen über die Angemessenheit der Barabfindung zu vermeiden“.

Der sachverständige Prüfer war in seinem Prüfbericht vom 21.3.2003 zu dem Ergebnis gekommen, dass die von der Antragsgegnerin festgelegte Barabfindung i.H. v. 295 € je Aktie angemessen sei. Auch der Ertragswert je Aktie i.H. v. 93,65 € sei nicht zu beanstanden, wenn er auch – da deutlich unter dem Börsenkurs – möglicherweise nicht allein wertbestimmend sein könne.

Die umsatzgewichteten Durchschnittsbörsenkurse betrugen:

–  Durchschnittsbörsenkurs im 3-Monats-Zeitraum vor dem 6.8.2002 (§ 5 WpÜG-AngVO, Zeitraum vor Übernahme der Anteile der Mehrheitsaktionäre) 294,53 €, gerundet 295 €.

–  Durchschnittskurs 3-Monats-Zeitraum vor dem 17.9.2002 (Bekanntgabe der Squeeze-out-Absicht) 275,09 €, gerundet 275 €.

–  Durchschnittsbörsenkurs im 3-Monats-Zeitraum vor dem Tag der Hauptversammlung am 30.4.2003 308,86 €, gerundet 309 €.

Im Rahmen einer gegen die Y. gerichteten Anfechtungsklage bot die Antragsgegnerin den Aktionären später eine Barabfindung von 395 € je Aktie unter der Bedingung an, dass die annehmenden Aktionäre auf die Durchführung eines Spruchverfahrens verzichteten.

Die Beschwerdeführer haben in erster Instanz beantragt, gem. § 327f AktG i.V.m. § 1 Nr. 3 SpruchG die Barabfindung für die ausgeschiedenen Aktionäre wegen der zwangsweisen Übertragung ihrer Aktien an die Antragsgegnerin zu erhöhen. Das LG hat mit Beschluss vom 10.3.2006 die Nachprüfungsanträge zurückgewiesen. Da die Antragsgegnerin allen Aktionären nachträglich im Anfechtungsverfahren eine Abfindung i.H. v. 395 € angeboten habe, sei auch im Spruchverfahren für die Frage der Angemessenheit der Barabfindung auf den Betrag von 395 € und nicht auf den im Übertragungsbericht angebotenen Wert von 295 € abzustellen. Eine Abfindung von 395 € sei angemessen. Gegen den Beschluss des LG haben die Antragsteller zu 5), 6) und 7) sofortige Beschwerde eingelegt.

B. Die Beschwerdesache ist bzgl. der Frage, auf welchen Referenzzeitraum für die Bestimmung des maßgeblichen Börsenkurses abzustellen ist, dem BGH zur Entscheidung vorzulegen.

I. Die Frage, welcher Referenzzeitraum für die Bestimmung des relevanten Börsenkurses maßgeblich ist, ist entscheidungserheblich. Der Ausgang des Verfahrens hängt hier davon ab, welcher Durchschnittskurs zugrunde gelegt wird.

Stellt man auf einen gewichteten 3-Monats-Kurs vor der Hauptversammlung am 30.4.2003 ab, ergäbe sich ein Abfindungsanspruch i.H. v. mindestens 309 €, der 14 € über der ZIP Heft 43/2009, Seite 2056angebotenen Abfindung läge, und die Beschwerden der Antragsteller wären begründet. Stellt man hingegen auf einen 3-Monats-Durchschnittskurs vor Bekanntgabe der Squeeze-out-Absicht ab, ergäbe sich ein Mindestwert von 275 €, bei einem 3-Monats-Zeitraum vor dem 6.8.2002 von 295 €. Die angebotene Abfindung von 295 € entspräche dann mindestens dem ermittelten Börsenkurs, mit der Folge, dass die Anträge der Antragsteller unbegründet wären.

Diese drei hier in Betracht kommenden Börsenkurse sind auch aussagekräftig und damit relevant (s.u. B I 4 b).

1. Die Beschwerden sind zulässig. Der Umstand, dass die Antragstellerinnen zu 5) und 6) ihre Beschwerden nicht begründet bzw. nur auf Schriftsätze eines anderen Antragstellers verwiesen haben, führt nicht zur Unzulässigkeit der beiden Beschwerden. Es ist im Spruchverfahren nicht erforderlich, Beschwerden zu begründen (vgl. Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 12 SpruchG Rz. 5, 10).

2. Soweit die Antragsteller erst- und zweitinstanzlich geltend gemacht haben, die Ertragswertermittlung sei fehlerhaft, hat der Senat in der Sitzung vom 16.4.2008 den Sachverständigen B. angehört. Nach dessen Anhörung hat der Senat keine Anhaltspunkte, dass die für die Ertragswertberechnung zugrunde gelegten Parameter, etwa der Kapitalisierungszinssatz oder die Bewertungsansätze, unzutreffend oder unangemessen sein könnten. Auch die Antragsteller haben insoweit keine Einwände mehr geltend gemacht. Es ist daher von einem nach dem Ertragswertverfahren berechneten Wert je Stückaktie von 93,65 € auszugehen.

3. Hier ist im Spruchverfahren die angebotene Abfindung von 295 € zu überprüfen und nicht das um 100 € höhere Vergleichsangebot aus dem Anfechtungsverfahren.

Das LG Köln geht unzutreffend davon aus, dass im vorliegenden Spruchverfahren die im Anfechtungsverfahren angebotene Abfindung von 395 € maßgeblich sei. Die Abfindung nach § 327a AktG darf nicht an weitere, über die gesetzlichen Voraussetzungen hinausgehende Bedingungen geknüpft werden. Dies wäre aber der Fall, wenn man auf eine Abfindung von 395 € abstellen würde. So stand die um 100 € höhere Abfindung unter der Bedingung, kein Spruchverfahren durchzuführen. Außerdem hatten die Minderheitsaktionäre bei Annahme des Angebots auf eine in einem Spruchverfahren festgesetzte Barabfindung zu verzichten, soweit diese einen Betrag von 295 € überschreiten sollte. Es handelte sich daher lediglich um ein Vergleichsangebot der Antragsgegnerin. Eine Verpflichtung dieses anzunehmen, bestand nicht. So waren auch die Beschwerdeführer nicht an dem Vergleichsabschluss beteiligt. Die Antragsteller sind daher nicht daran gehindert, ein Spruchverfahren einzuleiten und den angebotenen Abfindungsbetrag von 295 € gerichtlich überprüfen zu lassen (vgl. auch zu einem ähnlichen Sachverhalt OLG Stuttgart AG 2007, 596, 597 f.).

4. Es ist anerkannt, dass die Abfindung nicht ohne Rücksicht auf den Börsenkurs festgesetzt werden darf und einem Minderheitsaktionär im Regelfall mindestens der Börsenwert als Abfindung anzubieten ist.

a) Die ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre haben gem. § 327a Abs. 1 Satz 1, § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG Anspruch auf eine angemessene Barabfindung, die dem ausscheidenden Aktionär eine volle Entschädigung für seine Beteiligung an dem arbeitenden Unternehmen verschafft; die Entschädigung muss dem vollen Wert seiner Beteiligung entsprechen (BVerfG ZIP 1999, 1436 (m. Anm. Wilken) = NJW 1999, 3769, 3770 – DAT/Altana, dazu EWiR 1999, 751 (Neye); BGH ZIP 2001, 734 = NJW 2001, 2080, 2081 – DAT/Altana, dazu EWiR 2001, 605 (Wenger); BGH ZIP 2003, 1745 (m. Bespr. Knoll, S. 2329) = NJW 2003, 3272, 3273, dazu EWiR 2004, 1 (W. Müller); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.7.2009 – I-26 W 1/08 AktE – Exide GmbH; OLG Düsseldorf AG 2008, 498). Als Untergrenze für die Höhe der Barabfindung ist der Börsenwert heranzuziehen; der Aktionär soll nicht weniger erhalten, als er bei einer Veräußerung am Markt erhalten hätte (BVerfG ZIP 2007, 175 = NJW 2007, 828 – Siemens/Nixdorf, dazu EWiR 2007, 235 (M. Winter); BVerfG ZIP 1999, 1436 = NJW 1999, 3769, 3771; BGH ZIP 2001, 734 = NJW 2001, 2080, 2082).

b) Im vorliegenden Fall ist der Börsenkurs für die Bestimmung der Höhe der Abfindung auch relevant. Umstände, etwa eine besondere Marktenge der gehandelten Aktien, die den Börsenkurs verfälschen könnten, liegen nicht vor.

Der Senat teilt die Auffassung des sachverständigen Prüfers B., dass ein Anteil der im Streubesitz befindlichen Aktien von weniger als 5 % allein keine Marktenge begründen kann. Dies würde in Squeeze-out-Verfahren mit Blick auf die 95 %-Grenze dazu führen, dass die Börsenkurs-Rechtsprechung des BVerfG faktisch nicht anwendbar wäre. Auch der BGH hat deutlich gemacht, dass nicht schematisch auf einen bestimmten Prozentsatz noch frei handelbarer Aktien abgestellt werden kann (BGH ZIP 2001, 734 = NJW 2001, 2080, 2083 – DAT/Altana).

Der Sachverständige B. hat in seinem Gutachten vom 17.7.2008 im Übrigen nach Überzeugung des Senats detailliert und zutreffend nachgewiesen, dass hier ein aussagekräftiger Handel mit den Aktien der Y. vorgelegen hat (vgl. zur Marktenge bereits: OLG Düsseldorf AG 2003, 329; OLG Düsseldorf ZIP 2006, 2379 = AG 2007, 325, dazu EWiR 2006, 737 (M. Winter); zu eng insoweit: BVerfG ZIP 1999, 1436 = NJW 1999, 3769, 3772 – DAT/Altana). Auch die Antragsgegnerin macht nach Vorlage des Gutachtens nicht mehr geltend, dass eine Marktenge vorgelegen habe, sondern meint im Wesentlichen, dass der Durchschnittskurs 3 Monate vor der Hauptversammlung durch Abfindungserwartungen beeinflusst worden sei.

II. Der Senat möchte bei der Entscheidung, auf welchen Referenzzeitraum für die Ermittlung des relevanten Börsenkurses abzustellen ist, von der Rechtsauffassung des BGH abweichen.

1. Der Senat hält es nicht für sachgerecht, an einem Referenzzeitraum von drei Monaten vor der Hauptversammlung festzuhalten. Vielmehr ist nach Überzeugung des Senats auf einen gewichteten Durchschnittsbörsenkurs in einem 3-Monats-Zeit-ZIP Heft 43/2009, Seite 2057raum vor der Bekanntgabe der Squeeze-out-Entscheidung abzustellen (so bereits: OLG Düsseldorf AG 2008, 498).

Der Senat schließt sich daher der Rechtsauffassung des OLG Stuttgart zu dieser Frage an (Vorlagebeschl. v. 16.2.2007, ZIP 2007, 530 = NZG 2007, 302, dazu EWiR 2007, 225 (Wilsing/Goslar); ebenso KG ZIP 2007, 75 = NZG 2007, 71, dazu EWiR 2007, 27 (M. Winter)). Das vom OLG Stuttgart eingeleitete Vorlageverfahren ist nicht zu Ende geführt worden, weil die Beschwerden zurückgenommen worden waren. Das OLG Stuttgart hat in dem späteren Beschluss vom 14.2.2008 (ZIP 2008, 883 (LS) = AG 2008, 783) deutlich gemacht, dass es an seiner Rechtsauffassung weiterhin festhalte (OLG Stuttgart AG 2008, 783, Rz. 40 ff. zit. nach Juris; vgl. dazu: Pluskat, NZG 2008, 10). Es hat aber im Februar 2008 von einer erneuten Vorlage an den BGH abgesehen, weil die Rechtsfrage im dort zu entscheidenden Fall nicht entscheidungserheblich gewesen war. Nach Auffassung des OLG Stuttgart sei der Durchschnittskurs vor der Hauptversammlung nicht aussagekräftig gewesen, weil eine Marktenge vorgelegen habe (hohe Volatilität bei marginalem Handel: 0,1 % der ausstehenden Aktien wurden an weniger als einem Drittel aller Handelstage gehandelt). Hilfsweise hat das OLG Stuttgart dann auf den Durchschnittsbörsenkurs vor der Bekanntgabe der Entscheidung abgestellt (OLG Stuttgart AG 2008, 783, Rz. 36 zit. nach Juris).

Bereits das BVerfG hatte in der DAT/Altana-Entscheidung klargestellt, dass nicht zwingend auf den Börsenkurs zum Bewertungsstichtag abzustellen sei (BVerfG ZIP 1999, 1436 = NJW 1999, 3769, 3772). Das BVerfG hatte gesehen, dass im Hinblick auf die Einberufungsfrist zur Hauptversammlung die Gefahr besteht, dass Minderheitsaktionäre den Börsenkurs auf Kosten des Mehrheitsaktionärs in die Höhe treiben könnten (BVerfG ZIP 1999, 1436 = NJW 1999, 3769, 3772). In der Entscheidung vom 29.11.2006 stand dann eine Missbrauchsgefahr durch die Obergesellschaft im Vordergrund, weil der Börsenkurs nach Bekanntgabe der Maßnahme gesunken war (BVerfG ZIP 2007, 175 = NJW 2007, 828, 829).

Das BVerfG hat es daher ausdrücklich für zulässig erachtet, auf einen Durchschnittskurs im Vorfeld der Bekanntgabe abzustellen, um einem Missbrauch beider Seiten zu begegnen (BVerfG ZIP 1999, 1436 = NJW 1999, 3769, 3772). Es hatte nach Prüfung der Gesamtumstände sogar festgestellt, dass „die Börsenkurse jedenfalls bis zur Bekanntmachung des beabsichtigten Unternehmensvertrages den echten Verkehrswert widerspiegelten“ (BVerfG ZIP 1999, 1436 = NJW 1999, 3769, 3772 a.E. – DAT/Altana).

Der BGH hat dann in der Entscheidung vom 12.3.2001 (ZIP 2001, 734 – DAT/Altana) einen auf den Stichtag bezogenen Durchschnittskurs für sinnvoll gehalten, wobei eine größtmögliche Nähe zum Stichtag gewahrt werden müsse. Das Gericht hatte daher auf einen Zeitraum von drei Monaten vor der Hauptversammlung abgestellt. Es könne zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der Börsenkurs durch die Erwartung positiver Synergieeffekte beeinflusst werde. Eine Berücksichtigung derartiger Effekte sei aber nicht ausgeschlossen.

Die Literatur sieht die Rechtsprechung des BGH zum Referenzzeitraum kritisch und befürwortet überwiegend eine Frist von drei Monaten vor Bekanntgabe der Maßnahme (Veil, a.a.O., § 305 Rz. 54; Hüffer, AktG, 8. Aufl., 2008, § 305 Rz. 24e; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl., 2008, § 305 AktG Rz. 47b/c; Koppensteiner, in: Kölner Komm. z. AktG, 3. Aufl., § 305 Rz. 104; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 5. Aufl., S. 316, Rz. 1078 ff.; Just/Lieth, NZG 2007, 444; Kocher/Widder, Der Konzern 2007, 351; M. Winter, EWiR 2007, 235; Wilsing/Goslar, EWiR 2007, 225; Bungert, BB 2001, 1163, 1166; Meilicke/Heidel, DB 2001, 973, 974; Puszkajler, BB 2003, 1692, 1694; E. Vetter, DB 2001, 1347, 1349 ff.; aus ökonomischer Sicht: Weber, ZGR 2004, 280, 284 ff.; vgl. auch die Nachweise in OLG Stuttgart ZIP 2007, 530 = NZG 2007, 302).

Maßgebliche Gründe sprechen dagegen, auf den Durchschnitts-Börsenkurs in einem Zeitraum von drei Monaten vor der Hauptversammlung abzustellen. So kann bei der Erstellung des Übertragungsberichts der relevante Börsenkurs noch nicht sicher ermittelt werden, weil er zum Zeitpunkt der Erstellung des Übertragungsberichts wegen der zu beachtenden Einberufungsfrist (§ 123 Abs. 1 AktG) noch nicht feststehen kann. Im Zeitraum zwischen dem Übertragungsbericht und der Hauptversammlung können die Börsenkurse durch bestimmte Umstände steigen oder sinken, auch wenn ein Sinken die Ausnahme sein dürfte (OLG Stuttgart ZIP 2007, 530 = NZG 2007, 302, 304). Die Festlegung eines korrekten Abfindungsbetrages durch die Hauptversammlung ist so kaum möglich und provoziert gerichtliche Auseinandersetzungen.

Auch hier erfolgte die Bewertung des Unternehmens anhand der Daten, die zum 13.3.2003, also rund eineinhalb Monate vor der Hauptversammlung vorlagen. Mathematisch werden die Daten dann auf den späteren Bewertungsstichtag „hochgerechnet“. Es ist wenig plausibel, warum nicht auch für die Ermittlung des Börsenkurses auf die zum Ende der Bewertungsarbeiten vorhandene Faktenlage zurückgegriffen werden sollte.

Stellt man auf den Zeitraum vor der Hauptversammlung ab, der ganz oder zumindest zu einem erheblichen Teil nach der Bekanntmachung liegt, besteht eine Missbrauchsgefahr, die nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung gerade vermieden werden soll (BVerfG ZIP 1999, 1436 = NJW 1999, 3769, 3772; vgl. auch BGH ZIP 2001, 734 = NJW 2001, 2080, 2082). Beim Squeeze out, der eine Aktienmehrheit des Hauptaktionärs von mindestens 95 % voraussetzt, stehen nur wenige Aktien für den Handel zur Verfügung, weshalb bereits eine vergleichsweise geringe Nachfragemacht und Spekulationen weniger Aktionäre zu starken Kursanstiegen führen können.

Unabhängig von der Gefahr eines Missbrauchs wird der Börsenkurs durch die Bekanntgabe der Maßnahme und insbesondere durch die Bekanntgabe der zu erwartenden Abfindung nachhaltig beeinflusst (dazu insbesondere Weber, ZGR 2004, 280, 284 ff.; KG ZIP 2007, 75, 77; Hüffer, a.a.O., § 305 Rz. 24e; Großfeld, a.a.O., S. 316, Rz. 1079; Bungert, BB 2001, 1163, 1165). Hierbei handelt es sich um auf der Hand liegende Marktmechanismen, die typischerweise nicht mit Synergieeffekten, sondern mit bloßen Abfindungserwartungen zusammenhängen (OLG Stuttgart ZIP 2007, 530 = NZG 2007, 302, 304). So werden nach Bekanntgabe Aktien oftmals nicht nur ZIP Heft 43/2009, Seite 2058mit Blick auf die zu erwartende Barabfindung, sondern auch mit Blick auf eine möglicherweise durch einen Vergleich höhere erzielbare Abfindung erworben. Dies wirkt sich naturgemäß auf die Höhe des Kurses aus, ohne Ausdruck des wirtschaftlichen Potenzials des Unternehmens und damit des ihm innewohnenden Ertragswerts zu sein. So pendelt sich der Kurs nach Bekanntgabe des Abfindungsbetrages – wie vorliegend geschehen und zwangsläufig – auf einen darüber liegenden Börsenkurs ein, weil der sichere Sockel für einen Abfindungsbetrag als Mindestbetrag im Raum steht, verbunden mit der Hoffnung auf einen etwas höheren Betrag im Wege eines Spruchverfahrens (OLG Stuttgart ZIP 2007, 530 = NZG 2007, 302, 304). Stellt man auf einen Aktienkurs nach Bekanntgabe der Maßnahme ab, richtet sich die „angemessene Abfindung“ zirkelschlussartig nach dem Börsenkurs, der sich seinerseits an der angebotenen Abfindung orientiert (Pluskat, NZG 2008, 365, 366).

Dieser Effekt zwingt einen Hauptaktionär, der ein Jahre dauerndes Spruchverfahren vermeiden möchte, zur Bekanntgabe eines deutlich über dem Kurs liegenden Barabfindungsbetrages. Nur dann, wenn der Betrag deutlich über dem Kurs der vergangenen Monate liegt, besteht die Chance, dass die Abfindung trotz des nachfolgenden Hochschnellens des Kurses höher als der Durchschnittskurs der letzten drei Monate vor dem Übertragungsbeschluss ist. Dies im Übrigen aber auch nur dann, wenn der Zeitraum zwischen der Bekanntgabe des Betrages (und möglichst auch der Ankündigung der Maßnahme selbst) und dem Tag der Hauptversammlung kurz bemessen ist. Nur in diesem Fall wird der Durchschnittskurs im Referenzzeitraum noch maßgeblich von dem vor der Bekanntgabe liegenden Zeitabschnitt bestimmt. Ein dem Durchschnittskurs vor Bekanntgabe entsprechendes Abfindungsangebot wird letztendlich nur in Ausnahmefällen Bestand haben, weil der nachfolgend auf einen darüber liegenden Wert steigende Kurs den Durchschnittskurs im Referenzzeitraum gerade zwangsläufig auf ein über dem Angebot liegendes Niveau hebt. Da es sich hierbei um Gesetzmäßigkeiten des Marktes handelt, kann eine Korrektur nicht über den Einwand der Manipulation erfolgen. Auch ist ein entsprechender Nachweis in tatsächlicher Hinsicht kaum zu führen.

Die vom BGH zur Korrektur entwickelten Kriterien können diese auf Abfindungserwartungen zurückzuführenden Kursentwicklungen und damit verbundenen Probleme nicht wirksam beseitigen. Weil es sich nicht um ein außergewöhnliches, sondern um ein dem Kalkül der Marktteilnehmer folgendes Marktgeschehen handelt, ist eine sinnvolle Bereinigung der Börsenkurse sowohl über das Kriterium der außergewöhnlichen Tagesausschläge (Puszkajler, BB 2003, 1692, 1694) als auch über das der Marktenge nicht möglich (OLG Stuttgart ZIP 2007, 530 = NZG 2007, 302, 304). Insbesondere beim Squeeze out können wegen der erforderlichen Kapitalmehrheit von mindestens 95 % (§ 327a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG) und der deswegen kleinen Anzahl handelbarer Aktien keine hohen Anforderungen an den Aktienumsatz gestellt werden. Zudem dürften die Abfindungserwartungen eher zu einer Belebung des Marktes führen.

Stellt man auf den Zeitraum vor der Bekanntmachung der Maßnahme ab, bleibt zwar auch Raum für eine Manipulation des Börsenkurses, in diesem Fall durch den Mehrheitsaktionär, der seinen zu diesem Zeitpunkt bestehenden in der Natur der Sache liegenden Wissensvorsprung ausnutzen könnte, um den Aktienkurs zu drücken. Tatsächlich dürfte diese Gefahr jedoch gering sein, weil der Mehrheitsaktionär 95 % der Aktien halten muss und so der Möglichkeit, den Kurs durch den Verkauf von Aktien zu drücken, enge Grenzen gesetzt sind. Der Markt und die Minderheitsaktionäre können auch kaum über Monate vollständig vom Informationsfluss ausgeschlossen werden. Ein am Markt aktives Unternehmen kann nicht völlig unbeobachtet agieren. Zudem muss eine restriktive Informationspolitik keineswegs ein Absinken des Aktienkurses zur Folge haben. So kann die Vermutung, es werde eine grundlegende Veränderung vorbereitet, den Aktienkurs nach oben treiben. Im Übrigen ist den Minderheitsaktionären nach zutreffender Ansicht der Ertragswert als Abfindung zu gewähren, wenn dieser höher als der Aktienkurs liegt (so schon: BVerfG ZIP 1999, 1436 = NJW 1999, 3769, 3772 – DAT/Altana; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.6.2009 – I-26 W 1/07 AktE – Dahlbusch AG; vgl. auch OLG Stuttgart ZIP 2009, 1059, Rz. 214, 238 zit. nach Juris, dazu EWiR 2009, 353 (Seiler/Wittgens); a.A.: Luttermann, NZG 2007, 611; Müller, in: Festschrift Bezzenberger, 2000, S. 705). Sollte sich im Spruchverfahren herausstellen, dass der Aktienkurs durch den Mehrheitsaktionär bewusst manipuliert worden ist, kann dies ggf. berücksichtigt werden.

Die Auffassung des BGH führte ferner dazu, dass sog. echte Verbundvorteile den Börsenkurs erhöhen. Dies ist nicht unproblematisch, weil sehr umstritten ist, inwieweit echte Verbundvorteile zu berücksichtigen sind. So sollen nach verbreiteter und bisher noch überwiegender Meinung in der Rechtsprechung echte Verbundvorteile nicht werterhöhend auf die Abfindung anzurechnen sein (vgl. die Übersicht bei MünchKomm-Paulsen, AktG, 3. Aufl. (im Erscheinen), § 305 Rz. 135 f.; Hüffer, a.a.O., § 305 Rz. 22; Koppensteiner, a.a.O., § 305 Rz. 65; zum Streitstand: Großfeld, a.a.O., S. 79 ff., Rz. 254 ff.). Es ist jedenfalls nicht nachvollziehbar, dass derartige Vorteile zwar den Börsenkurs und damit den Unternehmenswert werterhöhend beeinflussen dürfen, andererseits aber bei der Unternehmensbewertung nach der Ertragswertmethode diese Effekte unberücksichtigt bleiben sollen. Auch räumt der BGH in seiner Entscheidung ein, dass ein „Herausrechnen“ derartiger Vorteile praktisch kaum möglich sei.

Der Senat erachtet daher einen Referenzzeitraum von drei Monaten vor Bekanntgabe der Maßnahme als insgesamt besser geeignet, den Börsenwert realistisch abzubilden. Der Zeitraum entspricht auch der vergleichbaren Sachlage in § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO. Dies rechtfertigt einen etwas größeren Abstand, aber andererseits noch hinreichende Nähe zum Bewertungsstichtag. Das Erfordernis der Stichtagsbezogenheit ist im Sinne einer Ermittlung des realistischen Werts des Unternehmens zum Stichtag, nicht im Sinne einer höchstmöglichen Nähe des Referenzzeitraums zu verstehen (vgl. auch Müller, a.a.O., S. 705, 718, der einen Zeitraum von bis zu einem Jahr vor dem Stichtag als relevant ansieht). Die Zielsetzung einer ZIP Heft 43/2009, Seite 2059realistischen Bewertung zum Stichtag gebietet gerade einen größeren Abstand, eine hinreichende Nähe bleibt gewahrt. Das BVerfG hat deutlich gemacht, dass verfassungsrechtliche Gründe dem nicht entgegenstehen, sondern ein vorgezogener Referenzzeitraum vielmehr sinnvoll sei (BVerfG ZIP 2007, 175 = NJW 2007, 828; BVerfG ZIP 1999, 1436 = NJW 1999, 3769).

2. Der Senat hält es ferner für überlegenswert, auf den nach § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO ermittelten Wert abzustellen, wenn dieser – wie hier – in zeitlich engem Zusammenhang mit der Squeeze-out-Maßnahme ermittelt worden ist. Für einen 3-Monats-Zeitraum vor dem 6.8.2002 wurde hier ein Durchschnittsbörsenkurs von 295 € ermittelt.

Stellt man auf den nach § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO ermittelten Wert ab, kann dies in bestimmten Fällen zu mehr Rechtssicherheit führen (vgl. Vetter, AG 2002, 176; Krieger, BB 2002, 53; kritisch: Just/Lieth, NZG 2007, 444). Die von der BaFin ermittelten Durchschnittssätze liegen bereits vor, so dass eine erneute Ermittlung der Durchschnittssätze ggf. entfallen kann.

Auch im vorliegenden Fall war der von der BaFin ermittelte Durchschnittskurs „Vorlage“ für die angebotene Entschädigung. Gut nachvollziehbar hat die Antragsgegnerin die Abfindung auf diesen Wert festgesetzt, um die Position der Minderheitsaktionäre gegenüber dem Pflichtangebot gem. § 35 WpÜG vom 17.9.2002 nicht zu verschlechtern und Diskussionen über die Angemessenheit der Barabfindung zu vermeiden. Ferner war es im vorliegenden Fall nach Bekanntgabe der Übernahme der Mehrheitsbeteiligungen durch die Antragsgegnerin nahe liegend, dass binnen kurzer Zeit dann auch die verbleibenden Minderheitsaktionäre aus dem Unternehmen gedrängt werden sollten, um das Unternehmen vollständig zu übernehmen. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise handelte es sich um „eine Strukturmaßnahme“, die lediglich aus Rechtsgründen in verschiedene Teilabschnitte aufgeteilt worden war (Übernahme Mehrheitsbeteiligung und Squeeze out, vgl. auch Veil, a.a.O., § 327a Rz. 10). Dies würde hier bedeuten, dass der 3-Monats-Zeitraum zwar gut einen Monat vor der Bekanntgabe der Squeeze-out-Absicht, aber – bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise – unmittelbar vor Bekanntgabe der geplanten „Gesamtmaßnahme“ endete.

Ob hier auf den Wert nach § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO oder auf den Durchschnittskurs vor dem Zeitpunkt der Bekanntgabe abzustellen ist, bedarf keiner Entscheidung. Beide Durchschnittskurse lägen im vorliegenden Fall nicht über der angebotenen Barabfindung.

3. Der Senat hält es ferner für sinnvoll, einen nach Umsätzen gewichteten Durchschnittskurs zugrunde zu legen. So können Kurschwankungen und außergewöhnliche Tagesausschläge angemessen korrigiert werden. Auch die Parallele zu § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO, der den Bieter verpflichtet, den Aktionären der Zielgesellschaft eine Gegenleistung anzubieten, die mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs dieser Aktien während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 oder § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG entspricht, legt einen nach Umsätzen gewichteten Durchschnittskurs nahe (vgl. OLG Stuttgart ZIP 2007, 530 = NZG 2007, 302, 305 m.w.N.; Hüffer, a.a.O., § 305 Rz. 24d ff. m.w.N.).

III. Die Auffassung des Senats weicht von der bisherigen Rechtsprechung des BGH und der ihm folgenden OLG ab, so dass eine Vorlage gem. § 12 Abs. 2 Satz 2 SpruchG, § 28 Abs. 2 und 3 FGG geboten ist.

<einsender></einsender>Mitgeteilt von Richterin am OLG Katrin van Rossum, Düsseldorf</einsender><//einsender>

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell