OLG Frankfurt/M.: Vorrang des Insolvenzverfahrens vor im Rahmen der Rückgewinnungshilfe ergangenem dinglichen Arrest in das Schuldnervermögen

21.08.2009

InsO §§ 80, 88, 89; StPO §§ 111d, 111g

Vorrang des Insolvenzverfahrens vor im Rahmen der Rückgewinnungshilfe ergangenem dinglichen Arrest in das Schuldnervermögen

OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 3. 6. 2009 – 3 Ws 214/09

Leitsatz des Einsenders:

Das Insolvenzverfahrens hat Vorrang gegenüber einer zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe strafprozessual veranlassten Arretierung von Schuldnervermögen. Die aus einer Straftat Verletzten können ihre Rechte ausschließlich nach den Regeln der InsO verfolgen.

Gründe:

I. Gegen den Angeklagten und einen weiteren Angeklagten wurde vor der Wirtschaftstrafkammer des LG Wiesbaden wegen Untreue in 86 Fällen verhandelt. Das mittlerweile ergangene Urteil ist nicht rechtskräftig.

Mit Beschluss des AG Wiesbaden vom 2.11.2006 ist zur Sicherung der den Verletzten aus den Straftaten erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche als Wertersatz ein Arrest in das Vermögen der O. GmbH i.H. v. 1.212.084 € angeordnet worden. In Vollziehung dieses Arrestes wurden mit Beschluss des AG Wiesbaden vom 2.11.2006 die Forderungen der O. GmbH gegen die B. Bank AG in Wiesbaden bis zu einer Höhe von 1.212.084 € gepfändet.

Über das Vermögen der Firma O. GmbH ist nach Antrag vom 7.2.2007 am 25.6.2007 das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt S. zum Insolvenzverwalter bestellt worden.

Die C. GmbH hat gegen die O. GmbH im Arrestverfahren durch Beschluss des OLG Frankfurt/M. vom 2.2.2007 wegen einer Forderung i.H. v. 300.000 € nebst Zinsen und einer Kostenpauschale von 2.000 € den dinglichen Arrest in das gesamte Vermögen der O. GmbH erwirkt. Der Beschluss wurde der O. GmbH am 9.2.2007 zugestellt. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Titels wurden nicht vorgenommen. Am 13.2.2007 stellte die C. GmbH einen Antrag auf vorrangige Befriedigung nach § 111g StPO, über den nicht mehr entschieden wurde.

Den Antrag des Insolvenzverwalters der Firma O. GmbH auf Aufhebung des dinglichen Arrestes in das Vermögen der Insolvenzschuldnerin sowie die Aufhebung des in Vollzug des Arrestes vorgenommenen Forderungspfändungen in die Gesellschaftskonten bei der B. Bank AG in Wiesbaden hat das LG Wiesbaden durch Beschluss vom 15.12.2008 zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich die vom Beschwerdeführer als Insolvenzverwalter über das Vermögen der O. GmbH eingelegte Beschwerde. Das LG hat am 22.12.2008 der Beschwerde gegen den Kammerbeschluss vom 15.12.2008 nicht abgeholfen.

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Aufhebung der Arrest- und Pfändungsbeschlüsse des AG Wiesbaden vom 2.11.2006.

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist nach § 89 Abs. 1 InsO eine Einzelzwangsvollstreckung durch die Verletzten – also auch durch die C. GmbH – nicht mehr möglich, da weder die C. GmbH noch ein anderer Verletzter ein Absonderungsrecht nach § 50 InsO erlangt hat.

1. Nach § 89 Abs. 1 InsO sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. Es gilt das Verbot der Einzelzwangsvollstreckung nach Verfahrenseröffnung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 111c Rz. 12a; Greier, ZInsO 2007, 956; Malitz, NStZ 2002, 341 f.; MünchKomm-Breuer, InsO, 2. Aufl., § 89 Rz. 1). Das Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckung verdrängt die Einzelvollstreckung und damit auch den dinglichen Arrest zu Gunsten Ansprüche Verletzter einer Straftat (vgl: MünchKomm-Breuer, a.a.O., § 89 Rz. 5, 6, 13; Hess, InsO, 2007, § 89 Rz. 1, 8; KG NStZ-RR 2005, 322).

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners führt zwar dann nicht zur Aufhebung des Arrestes, wenn der Gläubiger bereits vor Beginn des in § 88 InsO bezeichneten Monatszeitraums durch dessen Vollzug Sicherheiten erlangt hat, für die ihm ein Absonderungsrecht nach § 50 InsO zusteht (vgl. OLG Köln ZIP 2004, 2013 = ZVI 2004, 675, dazu EWiR 2005, 357 (Schmerbach); Hess, a.a.O., § 89 Rz. 17, 29; Wimmer/App, InsO, 5. Aufl., § 89 Rz. 12; KG NStZ-RR 2005, 322). Dafür müssten jedoch alle Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt gewesen sein.

Im vorliegenden Fall haben weder die C. GmbH noch ein anderer Verletzter die (zivilprozessuale) Zwangsvollstreckung in das Vermögen der O. GmbH vor Eröffnung der Insolvenz betrieben mit der Folge, dass zu ihren Gunsten keine absonderungsfähigen Pfandrechte entstanden sind.

Das Insolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen der O. GmbH wurde am 25.6.2007 eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt hatte die C. GmbH als Gläubigerin durch den Beschluss des OLG Frankfurt/M. vom 2.2.2007 einen vorläufig vollstreckbaren Titel erwirkt, indes keine zivilprozessualen Zwangsvollstreckungsmaßnahme ergriffen, obwohl dies schon vor der richterlichen Zulassung nach § 111g StPO möglich gewesen wäre (vgl. dazu: Kiethe/Groeschke/Hohmann, ZIP 2003, 186 m.w.N.). Demnach ist kein zur Absonderung berechtigendes Pfandrecht zu Gunsten der C. GmbH entstanden, weil der dingliche Arrest nach den zivilprozessualen Regeln nicht vollzogen wurde.

2. Entgegen der Auffassung der C. GmbH kommt es auch nicht darauf an, dass sie noch vor Insolvenzeröffnung einen Zulassungsantrag nach § 111g StPO gestellt hat. Denn § 111g Abs. 3 Satz 6 StPO bestimmt nur, dass das Pfandrecht des Verletzten ab dem Zeitpunkt der staatlichen Arrestvollziehung wirksam ist. Das ändert aber nichts daran, dass es erst mit der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung in den betreffen-ZIP Heft 33/2009, Seite 1583den Gegenstand durch den Verletzten entsteht (Hervorhebung des Gerichts). Die Zulassung durch das Strafgericht ist von der Entstehung unabhängig (Nack, in: Karlsruher Komm. z. StPO, 6. Aufl., § 111g Rz. 2, 3; Meyer-Goßner, a.a.O., § 111g Rz. 5; von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151).

3. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass zu Gunsten des Landes Hessen zur Sicherung der den Verletzten aus den Straftaten erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche schon am 2.11.2006 – also vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens – der (strafprozessuale) dingliche Arrest in das Vermögen der O. GmbH angeordnet und die Forderungen gegen die Bank in Vollziehung des Arrestes gepfändet wurden.

Der dingliche Arrest im Rahmen der Zurückgewinnungshilfe stellt nach §§ 111d, 111g Abs. 3 Satz 6 und 5 StPO nämlich nur ein relatives Veräußerungsverbot (Hervorhebung des Gerichts) i.S.v. § 136 BGB dar. Dieses relative Veräußerungsverbot, das gegen den Schuldner zum Schutz bestimmter Personen erfolgt, ist gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirkungslos mit der Folge, dass es zu Gunsten der Verletzten keine Rückwirkung mehr entfalten kann (vgl. dazu: BGH ZIP 2007, 1338 = NJW 2007, 3350-3352, dazu EWiR 2007, 693 (Malitz); Meyer-Goßner, a.a.O., § 111c Rz. 10; Nack, a.a.O., § 111g Rz. 10; MünchKomm-Ott/Vuia, InsO, 2. Aufl., § 80 Rz. 154; OLG Köln ZIP 2004, 2013; LG Köln ZIP 2006, 1059; KG NStZ-RR 2005, 322; LG Neubrandenburg ZInsO 2000, 676; LG Saarbrücken, Beschl. v. 19.5.2003 – 8 Qs 86/03, zit. nach juris; LG Berlin, Beschl. v. 11.12.2007 – 534 Qs 224/07, zit. nach juris; dazu tendiert auch: OLG Köln, Beschl. v. 21.11.2003 – 2 Ws 593, 617/03, zit. nach juris = ZIP 2004, 2016 (LS)).

Soweit in der Kommentarliteratur und der Lehre die Meinung vertreten wurde, die Vorschrift begründe ein absolutes Veräußerungsverbot (so Schäfer, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 111b Rz. 50d; Kiethe/Groeschke/Hohmann, ZIP 2003, 185), kann diese Auffassung angesichts der eindeutigen Gesetzesbegründung zum Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten (BT-Drucks. 16/700) nicht aufrechterhalten werden.

Danach hat der Gesetzgeber zu § 111g Abs. 1 bis 4 StPO ausgeführt, dass nach der Norm „alle nach dem Zeitpunkt der Arrestvollziehung erfolgenden Verfügungen anderer Gläubiger, insbesondere solche aus Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung gegenüber dem nach (§ 111g) Absatz 2 (StPO) zugelassenen Verletzten relativ unwirksam sind“ (BT-Drucks. 16/700, S. 13).

Der Gesetzgeber hat zudem klar zu erkennen gegeben, dass er die Opferansprüche im Fall der Insolvenz des Täters nicht mit einem umfassenden Schutz versehen wollte. Vielmehr sollten die im Wege der Rückgewinnungshilfe gesicherten Ansprüche Verletzter nicht insolvenzfest sein (BT-Drucks. 16/700, S. 14). Die strafprozessualen Normen der §§ 111b ff. StPO sollen danach den Verletzten einer Straftat nur innerhalb des vom Zivilrecht vorgegebenen Rechtsrahmens bei der Durchsetzung seiner Ansprüche unterstützen. Die Ordnungsfunktion der InsO soll dadurch aber nicht berührt werden (BT-Drucks. 16/700, S. 14).

4. Eine andere Rechtslage ergibt sich hier auch nicht aus § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO. Danach bleiben die Vorschriften über die Wirkung einer Pfändung im Wege der Zwangsvollstreckung unberührt. Diese Folge, die für den nach den Vorschriften der ZPO erlassenen Arrest gilt, findet auch auf den nach § 111d StPO angeordneten Arrest Anwendung, weil über § 111d Abs. 2 StPO im Wesentlichen die Normen der ZPO heranzuziehen sind.

Soweit daher zu Gunsten des Landes Hessen ein dinglicher Arrest gem. § 111d StPO angeordnet wurde, sind Pfandrechte zu dessen Gunsten nach § 111d Abs. 2 StPO i.V.m. § 930 ZPO entstanden. Diese Pfandrechte bleiben nach § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam und begründen Absonderungsrechte nach § 50 InsO.

Dadurch, dass zu Gunsten des Landes Hessen der Arrest jedoch allein als Maßnahme der Rückgewinnungshilfe angeordnet wurde, wurden die Vermögenswerte zur alleinigen Sicherung der Ansprüche der Geschädigten arretiert. Das Land Hessen kann deshalb nach § 73 StGB daraus keine Rechte (für sich) geltend machen; die erworbenen Pfandrechte stellen somit reine „Platzhalter“ dar (vgl. dazu: Greier, ZInsO 2007, 957). Haben die Verletzten im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht vollstreckt, dann können sie gem. § 89 Abs. 1 InsO auch nicht mehr wirksam vollstrecken mit der Folge, dass die Zurückgewinnungshilfe aus Rechtsgründen nicht mehr durchgeführt werden kann.

Dies hat wiederum zur Folge, dass die Arretierung von in die Insolvenzmasse fallenden Vermögenswerten nach § 111d StPO zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr aufrechterhalten bleiben kann (OLG Köln ZIP 2004, 2013; LG Köln ZIP 2006, 1059; KG NStZ-RR 2005, 322; LG Neubrandenburg, ZInsO 2000, 676; LG Saarbrücken NStZ-RR 2004,274; von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151, 1160; dazu tendiert auch: OLG Köln, Beschl. v. 21.11.2003 – 2 Ws 593, 617/03, zit. nach juris = ZIP 2004, 2016 (LS)).

Auf das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin ist der aufgrund des Arrestbeschlusses ergangene Pfändungsbeschluss vom 2.11.2006 ebenfalls aufzuheben.

<einsender></einsender>Mitgeteilt von Rechtsanwalt Martin Sarris, Wiesbaden</einsender><//einsender>

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