OLG Jena: Keine genossenschaftliche Pflichtprüfung in der insolventen Genossenschaft

13.11.2009

GenG §§ 53, 64c, 101; InsO §§ 80, 58, 69, 79

Keine genossenschaftliche Pflichtprüfung in der insolventen Genossenschaft

OLG Jena, Beschl. v. 16. 3. 2009 – 6 W 295/08 (rechtskräftig; LG Gera)

Leitsatz der Redaktion:

Die insolvente Genossenschaft unterliegt nicht der Pflichtprüfung durch den genossenschaftlichen Prüfungsverband; deren Ziele werden vielmehr vom Abwicklungszweck des Insolvenzverfahrens überlagert.

ZIP Heft 44/2009, Seite 2106

Gründe:

I. Über das Vermögen der K.-Genossenschaft e.G. ist mit Beschluss des AG Mühlhausen vom 1.11.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Gleichzeitig ist der Beschwerdegegner zum Insolvenzverwalter der Genossenschaft bestellt worden.

Mit Schreiben vom 18.7.2007 regte der beschwerdeführende Prüfungsverband, dessen Mitglied die K.-Genossenschaft e.G. ist, gegenüber dem AG – Genossenschaftsregister – die Einleitung eines Zwangsgeldverfahrens an, weil der Beschwerdegegner die Durchführung der Pflichtprüfungen nach § 53 GenG durch den Beschwerdeführer abgelehnt habe.

Das AG Jena wies den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 12.11.2007 darauf hin, der Beschwerdegegner könne nicht angehalten werden, eine Prüfung gem. §§ 64c, 53 GenG in Auftrag zu geben und die Prüfungsbescheinigungen bei Gericht einzureichen, weil der Prüfungsverband nicht befugt sei, die Tätigkeit des Insolvenzverwalters zu kontrollieren.

Das LG Gera hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers vom 13.12.2007 durch Beschluss vom 30.5.2008 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit der weiteren Beschwerde.

II. Die weitere Beschwerde des Beschwerdeführers ist statthaft, insbesondere in der vorgeschriebenen Form erhoben (§§ 27, 29 Abs. 1 Satz 3 FGG). Sie bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg, weil das LG Gera in der angefochtenen Entscheidung zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für die Einleitung eines Zwangsgeldverfahrens gem. § 160 Abs. 2 GenG nicht gegeben sind. Der Beschwerdegegner war nicht dazu anzuhalten, dem beschwerdeführenden Prüfungsverband die Durchführung der genossenschaftlichen Pflichtprüfung zu ermöglichen und die Prüfungsberichte zum Genossenschaftsregister einzureichen (§ 57 Abs. 1, § 59 Abs. 1 GenG), weil die insolvenzbedingt aufgelöste Genossenschaft sich keiner Pflichtprüfung i.S.d. § 53 GenG unterziehen muss.

Zwar weist der beschwerdeführende Prüfungsverband zutreffend darauf hin, dass nach dem Wortlaut des § 64c GenG auch aufgelöste Genossenschaften der Prüfungspflicht unterliegen, ohne dass die Bestimmung des § 64c GenG zwischen den möglichen Auflösungsgründen unterscheiden würde. Ob die genossenschaftliche Prüfungspflicht auch dann fortbesteht, wenn die eingetragene Genossenschaft gem. § 101 GenG durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst wurde, ist gleichwohl umstritten.

Von den Befürwortern einer im Stadium des Insolvenzverfahrens andauernden Prüfungspflicht wird neben dem reinen Wortlaut des § 64c GenG angeführt, dass dem genossenschaftlichen Prüfungsverband im Insolvenzverfahren der Genossenschaft nach § 108a Abs. 2, § 116 Nr. 4 GenG eigenständige Aufgaben zugewiesen sind, die dieser ohne aktuelle Kenntnisse aus der Pflichtprüfung nicht erfüllen könne (vgl. Lang/Weidmüller-Korte, GenG, 36. Aufl., 2008, § 64c Rz. 2; Müller, GenG, 2. Aufl., 1998, § 64c Rz. 2; Scheibner, DZWIR 1999, 454; Scheibner, DZWIR 2002, 521; vgl. auch LG Kassel DZWIR 2002, 520).

Demgegenüber wird im Schrifttum teilweise die Ansicht vertreten, der Anwendungsbereich des § 64c GenG sei – soweit er auch die Insolvenz der eingetragenen Genossenschaft erfasse – zu breit und müsse deshalb eine teleologische Reduktion dahin erfahren, dass die Prüfungspflicht mit Beginn der ersten insolvenzrechtlichen Maßnahme entfalle. Die Überwachung der Tätigkeit des Insolvenzverwalters obliege ausschließlich dem Insolvenzgericht (§ 58 Abs. 1 InsO), dem Gläubigerausschuss (§ 69 Satz 1 InsO) bzw. der Gläubigerversammlung (§ 79 S. 2 InsO); daneben könne keine spezifisch genossenschaftsrechtliche Prüfung durch den Prüfungsverband verlangt werden (vgl. Beuthien, GenG, 14. Aufl., 2004, § 64c Rz. 2; Beuthien/Tietze, ZIP 2002, 1116, 1121; Klotz, DZWIR 2000, 273; Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl., 2006, § 93 InsO Rz. 64 ff.; vgl. auch Pöhlmann/Fandrich-Bloehs, GenG, 3. Aufl., 2007, § 64c Rz. 1 für den Fall der endgültigen Abwicklung durch den Insolvenzverwalter).

Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Ansicht an. Zweck und Ziel der genossenschaftlichen Pflichtprüfung ist nach § 53 Abs. 1 Satz 1 GenG die Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse der eingetragenen Genossenschaft und die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung. Die Prüfung betrifft nach übereinstimmender Ansicht nicht nur die formelle und materielle Richtigkeit des Jahresabschlusses und des Lageberichts, sondern die Ordnungsmäßigkeit der gesamten Unternehmensorganisation einschließlich der Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung, welche unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des genossenschaftlichen Förderzwecks zu bewerten ist. Der Prüfung kommt neben einer vergangenheitsbezogenen Kontrollfunktion eine zukunftsbezogene Beratungsfunktion zu. Sie dient sowohl dem Schutz der Genossenschaftsmitglieder als auch dem Schutz der Gläubiger der Genossenschaft (vgl. nur Pöhlmann/Fandrich-Bloehs, a.a.O., § 53 Rz. 2). Diese Prüfungsziele können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Genossenschaft in der Regel nicht mehr erreicht werden.

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis betreffend das Vermögen der Genossenschaft auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Dieser ist im Rahmen seiner Zuständigkeit allein den Interessen der Insolvenzgläubiger verpflichtet. Der genossenschaftliche Förderzweck wird in dem Verfahren der Genossenschaftsinsolvenz von dem Abwicklungszweck des Insolvenzverfahrens überlagert. Die Aufgabe des Insolvenzverwalters besteht wie in jedem anderen Insolvenzverfahren darin, das vorhandene Vermögen der Genossenschaft im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger zu verwerten und den Erlös zu verteilen (vgl. § 1 Satz 1 Alt. 1 InsO). Für eine Überprüfung der Ordnungsgemäßheit und Zweckmäßigkeit der „Geschäftsführung“ des Insolvenzverwalters unter genossenschaftlichen Gesichtpunkten durch den Prüfungsverband besteht angesichts der speziellen Ausrichtung der Tätigkeit des Insolvenzverwalters kein Raum. Der Prüfverband ist weder berechtigt, die Tätigkeit des Insolvenzverwalters vergangenheitsbezogen zu kontrollieren noch diesem gegenüber für die Zukunft beratend tätig zu werden. Das Handeln des Insolvenzverwalters ist ausschließlich unter insolvenzrechtlichen Aspekten vom Insolvenzgericht (§ 58 Abs. 1 Satz 1 InsO), dem Gläubigerausschuss (§ 69 Abs. 1 Satz 1 InsO) bzw. der Gläubigerversammlung (§ 79 Abs. 1 Satz 2 InsO) zu prüfen.

ZIP Heft 44/2009, Seite 2107

Soweit gem. § 1 Satz 1 Alt. 2 InsO neben der Abwicklung des Vermögens der Erhalt des Unternehmens Ziel des Insolvenzverfahrens ist, wird den dann auch vom Insolvenzverwalter zu beachtenden förderwirtschaftlichen Interessen der Genossen durch die Anhörungsrechte des Prüfverbandes gem. § 108a Abs. 2, § 116 Nr. 4 GenG Genüge getan, die aber keine Fortdauer der Prüfungsduldungspflicht der insolventen Genossenschaft bedingen. Die genannten Vorschriften belegen gerade nicht, dass der Gesetzgeber eine Kontrolle des Insolvenzverfahrens durch den Prüfungsverband für notwendig hielt. Die sehr eingeschränkten Anhörungsrechte des Prüfungsverbandes zeigen im Gegenteil, dass der Gesetzgeber die vom Insolvenzgericht, dem Gläubigerausschuss bzw. der Gläubigerversammlung in geeigneter Weise überwachten Interessen der Insolvenzgläubiger höher als die der Genossenschaftsmitglieder einstuft und deshalb im Insolvenzverfahren der Genossenschaft nur bedingt genossenschaftsrechtliche Einschränkungen bzw. Besonderheiten gewollt hat (vgl. Klotz, DZWIR 2000, 273, 276).

Nach Sinn und Zweck der genossenschaftlichen Pflichtprüfung kann sich diese nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur noch auf den insolvenzfreien Aufgabenbereich beziehen, der den Organen der Genossenschaft nach der Insolvenzeröffnung verbleibt (so ausdrücklich Gottwald/Haas, a.a.O., § 93 InsO Rz. 66).

Eine geltungseinschränkende Auslegung des § 64c GenG in Bezug auf die insolvenzbedingte Auflösung der eingetragenen Genossenschaft ist nach allem gerechtfertigt.

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