OLG München: Klagebefugnis des Minderheitsaktionärs nach Verlust seiner Aktionärseigenschaft durch Squeeze out auch für Feststellungsklage

15.12.2009

AktG §§ 327a, 327e; ZPO §§ 256, 265 Abs. 2

Klagebefugnis des Minderheitsaktionärs nach Verlust seiner Aktionärseigenschaft durch Squeeze out auch für Feststellungsklage

OLG München, Urt. v. 8. 7. 2009 – 7 U 1777/08 (nicht rechtskräftig; LG München I)

Leitsätze des Gerichts:

1. Die für die Anfechtungsklage entwickelte Rechtsprechung, wonach die Klagebefugnis eines Minderheitsaktionärs nach Verlust seiner Aktionärsstellung durch Squeeze out gem. § 265 Abs. 2 ZPO analog fortbestehen kann, findet auch auf Feststellungsklagen Anwendung.

2. Die Klage eines Minderheitsaktionärs nach Verlust seiner Aktionärsstellung auf Feststellung der Nichtigkeit eines Jahresabschlusses ist als allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 ZPO zulässig. Für das danach erforderliche Feststellungsinteresse genügt die Möglichkeit, dass der angegriffene Akt Auswirkungen auf den Barabfindungsanspruch nach § 327a AktG haben kann.

3. Die Feststellung des berechtigten Fortführungsinteresses ist Gegenstand der Begründetheit der Klage. Ein solches Interesse besteht nur dann, wenn sich die gerügten Mängel des Jahresabschlusses bei dessen Nichtigkeit auf den materiellen Wert der Barabfindung auswirken können.

Gründe:

I. Der Kläger war jedenfalls ab 5.2.2009 nicht mehr Minderheitsaktionär der beklagten AG. Diese wurde nach Vertrag vom 26.2.2009 und Beschluss ihrer Hauptversammlung vom 27.2.2009 sowie Gesellschafterversammlung der übernehmenden Gesellschaft vom 27.2.2009 mit der O.T. GmbH verschmolzen. Die Verschmelzung wurde am 19.3.2009 in das Handelsregister des AG Hamburg eingetragen.

Am 24.1.2008 beschloss die Hauptversammlung der Beklagten die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär, die O. Inc. mit Sitz in Waterloo/Kananda (§ 327a AktG); der Squeeze-out-Beschluss wurde am 5.2.2009 endgültig in das Handelsregister des AG München eingetragen.

Der Kläger beantragt 1. Das Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des LG München vom 20.12.2007 – 5 HK O 11783/07 wird abgeändert. 2. Es wird festgestellt, dass der Jahresabschluss der Beklagten per 30.6.2006, ausweisend eine Bilanzsumme von 106.343.182,34 € sowie einen Bilanzverlust i.H. v. 12.033.826,16 €, nichtig ist.

II. Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Klage ist als allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 ZPO, nicht als besondere Feststellungsklage gem. § 249 AktG, § 256 ZPO zulässig. Denn für die besondere Feststellungsklage fehlt dem Kläger das dafür erforderliche Feststellungsinteresse. In der Regel folgt dieses Feststellungsinteresse für den Aktionär zwar bereits aus seiner Mitgliedschaft (vgl. Hüffer, AktG, 8. Aufl., § 249 Rz. 4), diese Rechtstellung hat der Kläger spätestens durch die Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister am 5.2.2009 aber verloren, §§ 327a, 327e Abs. 3 AktG. Einer solchen Eintragung kommt konstitutive ZIP 48/2009, 2315Wirkung zu, weil sie den Übergang kraft Gesetzes vollzieht (vgl. Hüffer, a.a.O. § 327e Rz. 4). Es ist strittig, wie sich der nachträgliche Verlust der Aktionärseigenschaft auf das Nichtigkeitsfeststellungsverfahren auswirkt. Für die Anfechtungsklage wird angenommen, dass die Veräußerung der Aktien entsprechend § 265 ZPO zu behandeln sei mit der Folge, dass der frühere Aktionär als gesetzlicher Prozessstandschafter weiter prozessführungsbefugt bleibe (vgl. Hüffer, a.a.O., § 245 Rz. 8 m.w.N.). Ob für die Nichtigkeitsklage dasselbe zu gelten hat (so Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 249 Rz. 4) oder nur die Fortführung als gewöhnliche Feststellungsklage übrig bleibt (so Hüffer, a.a.O., § 249 Rz. 6), ist umstritten und höchstrichterlich nicht entschieden. Da jedoch mit der Eintragung des Squeeze out eine von § 249 AktG vorausgesetzte besondere Verfahrensvoraussetzung entfällt, spricht dies für den Weg der Fortführung als gewöhnliche Feststellungsklage (vgl. Hüffer, a.a.O., § 249 Rz. 6).

Für diese besteht ein allgemeines Feststellungsinteresse des Klägers an der Nichtigkeit des Jahresabschlusses. Denn ausreichend ist die Möglichkeit, dass die Feststellung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses Auswirkungen auf den Anspruch auf Barabfindung haben kann. Da das Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 ZPO eine spezielle Ausgestaltung des bei jeder Rechtsverfolgung erforderlichen Rechtsschutzinteresses ist und deshalb unabhängig von der materiellrechtlichen Begründetheit des Feststellungsbegehrens besteht, muss es für die Frage, ob dieses Interesse bei Minderheitsaktionären besteht, die durch einen Squeeze-out-Beschluss ihre Aktionärsstellung im Laufe des Klageverfahrens verloren haben, genügen, dass der angegriffene Akt möglicherweise Auswirkungen auf den dem Kläger zustehenden Barabfindungsanspruch haben kann. Die Prüfung der vom BGH für die Anfechtungsklage aufgestellten besonderen Voraussetzungen, insbesondere das Bestehen eines besonderen Fortführungsinteresses, muss der Frage nach dem Fortbestehen der Klagebefugnis, mithin der bestehenden Aktivlegitimation, vorbehalten bleiben.

2. Die Berufung ist aber unbegründet. Der Kläger ist nicht mehr aktivlegitimiert.

Nach der Rechtsprechung des BGH besteht die Klagebefugnis nach Verlust der Aktionärsstellung durch Squeeze out für die Anfechtungsklage analog § 265 Abs. 2 ZPO in solchen Fällen fort, in denen der Kläger ein berechtigtes Fortführungsinteresse hat. Ein solches wird jedenfalls dann angenommen, wenn der Ausgang des Verfahrens rechtlich erhebliche Auswirkungen auf die als Vermögensausgleich für den Verlust der Mitgliedsrechte zu gewährende angemessene Barabfindung haben kann. (BGH, Urt. v. 9.10.2006 – II ZR 46/05, ZIP 2006, 2167 (m. Bespr. Waclawik, ZIP 2007, 1), Rz. 19 – Massa). Diese für die Anfechtungsklage entwickelte Rechtsprechung muss auch für die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Jahresabschlusses Anwendung finden, denn das Rechtsschutzziel beider Klagen ist gleich gelagert. Es geht den Klägern in beiden Fällen um die Aufhebung eines Beschlusses der Gesellschaft, jedenfalls um die rechtliche Klärung der Frage, ob der angegriffene Akt gültig ist oder nicht.

Im vorliegenden Fall ist ein solches rechtliches Interesse an der Weiterführung der Klage nicht hinreichend dargelegt.

a) Der Kläger stützt seine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2005/2006 wegen Gliederungsmängel und Bewertungsfehler (§ 256 Abs. 4 und 5 AktG).

aa) Gliederungsmängel im Jahresabschluss können sich unmittelbar auf die Angemessenheit der Barabfindung nicht auswirken, da sie das Ergebnis des Jahresabschlusses unberührt lassen. Soweit die von dem Kläger gerügte Verbuchung der Veräußerungserträge als gewöhnliche Geschäftstätigkeit mittelbar auf den Wert der Barabfindung Einfluss habe könnte, fehlt es hierfür an dem für das Fortführungsinteresse erforderlichen Vortrag, wie dieser eventuelle Fehler konkret die Angemessenheit der Barabfindung beeinflussen kann. Soweit der Kläger ausführt, die Nichtigkeit des Jahresabschlusses wirke sich auf den entsprechenden Gewinnverwendungsbeschluss aus mit der Folge, dass ein Gewinn an das Mutterunternehmen nicht hätte abgeführt werden dürfen, so dass die Beklagte über ein höheres Finanzvermögen verfügt hätte, erschließt sich dem Senat eine konkrete Auswirkung auf die Barabfindung nicht. Dem Kläger kann insoweit gefolgt werden, als die Nichtigkeit eines Jahresabschlusses gem. § 253 AktG die Nichtigkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses nach sich zieht (vgl. MünchKomm-Hüffer, AktG, 2. Aufl., Bd. 7, § 256 Rz. 80). Vorliegend ist aber wesentlich zu berücksichtigen, dass im Falle einer Nichtigkeit des Jahresabschlusses der Vorstand und Aufsichtsrat des Unternehmens den Jahresabschluss unter Vermeidung der bisherigen Mängel hätten neu feststellen müssen, Entsprechendes ist für den Gewinnverwendungsbeschluss anzunehmen (vgl. MünchKomm-Hüffer, a.a.O., § 256 Rz. 79; Hüffer, AktG, a.a.O., § 256 Rz. 33). Soweit der Kläger vorträgt, dass im Falle der Nichtigkeit eine offene Bilanzsituation vorläge, bestände eine solche jedenfalls angesichts der erforderlichen Neuvornahme nur vorübergehend.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Beschluss über den Squeeze out erst am 24.1.2008, mithin im übernächsten Geschäftsjahr erfolgte. Zum Nachweis, dass sich Fehler eines Jahresabschlusses aus einem dem Squeeze out zeitlich nicht unmittelbar vorausgehenden Geschäftsjahr auf die Barabfindung erheblich auswirken, fehlt es an hinreichend konkreten Anhaltspunkten. Es nicht dargelegt, inwieweit sich zum für die Bemessung der Barabfindung maßgeblichen Bewertungsstichtag die Aktiva bei der Beklagten erhöhen oder die Passiva vermindern und damit zu einer höheren Abfindung führen würden. Hinzu kommt, dass grundsätzlich die Nichtigkeit eines Jahresabschlusses die Gültigkeit künftiger Jahresabschlüsse unberührt lässt (vgl. Hüffer, AktG, a.a.O., § 256 Rz. 34; MünchKomm-Hüffer, a.a.O., § 256 Rz. 81). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der nächste Jahresabschluss an Fehleridentität leidet. Der Kläger greift aber den Jahresabschluss und den Gewinnverwendungsbeschluss des Geschäftsjahres 2006/2007 nicht an. Auch nach dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung vom 17.6.2009 und dem schriftsätzlichem Vorbringen des Klägers ist für den Senat nicht mit der erforderlichen Gewissheit erkennbar, inwieweit eine eventuelle Nichtigkeit des Jahresabschlusses 2005/2006 erhebliche Auswirkungen auf das materielle Ergebnis der Barabfindung im Spruchverfahren haben könnte.

ZIP 48/2009, 2316

bb) Gleiches gilt für die vom Kläger vorgetragenen Bewertungsfehler.

Soweit er rügt, dass Wertberichtigungen unterlassen, keine Pauschalwertberichtigung vorgenommen, dem „Klumpenrisiko“ nicht Rechnung getragen und die Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen zu niedrig angesetzt wurden, würde eine diesbezügliche Klärung im Erfolgsfalle dazu führen, dass sich die Barabfindung des Klägers verringert. Daran kann der Kläger aber kein rechtliches Interesse haben.

Soweit der Kläger dieses darin sieht, dass allein potenzielle vermögensrechtliche Ansprüche der Minderheitsaktionäre eine Schutzwürdigkeit begründen und aus dem Jahresabschluss ein „prognosefähiges Ergebnis“ zu ermitteln ist, das Grundlage für die Plausibilität der Planung ist, ergibt sich daraus nicht mit der erforderlichen Gewissheit, inwieweit sich dies unmittelbar auf die Barabfindung auswirken kann. Vor dem Hintergrund, dass die Klagebefugnis eines ehemaligen Aktionärs in einem Rechtsstreit außerhalb des Spruchverfahrens nach einem eingetragenen Squeeze out die Ausnahme darstellt, ist das rechtliche Interesse konkret darzulegen. Diese strengen Anforderungen ergeben sich nicht zuletzt aus dem Verhältnis der Feststellungs-/Gestaltungsklagen einerseits zu dem Spruchverfahren andererseits:

Bei der Entscheidung über den Fortbestand der Klagebefugnis ist die Bedeutung des Spruchverfahrens zu berücksichtigen. Mit dem durch Gesetz vom 12.6.2003 neu geregelten Spruchverfahrensrecht wollte der Gesetzgeber ein eigenes Verfahren schaffen, in dem der Rechtsschutz der durch Strukturmaßnahmen betroffenen Anteilsinhaber erheblich verbessert wird (Begründung zum RegE, BT-Drucks.15/371, S. 11). Um diesem Ziel Rechnung zu tragen, weist das Spruchverfahren gegenüber dem Anfechtungs-/Feststellungsverfahren Besonderheiten auf, z.B. bestimmte Verfahrensförderungspflichten der Beteiligten. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist also vorgegeben, dass grundsätzlich der Rechtsstreit über die Angemessenheit der Barabfindung allein im Spruchverfahren zu klären ist. Will man von diesem Grundsatz abweichen, bedarf es besonderer Gründe, die ihrer Zielrichtung nach der Intention des Gesetzgebers, den ausgeschiedenen Aktionären möglichst schnell zu ihrem Recht zu verhelfen, ohne die AG in ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit zu blockieren, entsprechen. Dementsprechend verlangt der BGH für die Beurteilung der fortbestehenden Klagebefugnis der Minderheitsaktionäre im Anfechtungsverfahren nach einem zwischenzeitlich wirksam gewordenen Squeeze out ein besonderes Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit des angegriffenen Beschlusses (BGH ZIP 2006, 2167, Rz. 16 und 17).

Soweit die gerügten Bewertungsfehler nach dem Vortrag des Klägers wegen Nichtigkeit des Jahresabschlusses zu einer offenen Bilanzsituation führen würden, gilt das bereits oben unter 2 aa Ausgeführte. Aufsichtsrat und Vorstand wären gehalten, den Jahresabschluss neu festzustellen.

b) Entgegen der Ansicht des Klägers folgt das besondere Fortführungsinteresse hier auch nicht daraus, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Jahresabschluss um einen der nach § 327c Abs. 3 Nr. 2 AktG zur Vorbereitung der Hauptversammlung auszulegenden Jahresabschlüsse handelt. § 327c Abs. 3 Nr. 2 AktG regelt eine gegenüber den Aktionären zu erfüllende Informationspflicht. Dieser Informationspflicht wurde zweifelsohne entsprochen und die Verfahrensvoraussetzung somit eingehalten. Aber selbst wenn einer der drei Jahresabschlüsse gänzlich nicht ausgelegt worden wäre, würde dies nicht automatisch zu der Annahme eines rechtlich erheblichen Interesses an der Fortführung des Rechtsstreites führen. Ein solcher Verfahrensfehler bedeutet nicht, dass sich dieser auf die Höhe der Barabfindung auswirken würde.

c) Letztendlich hat sich auch nach dem Gutachten nicht ergeben, dass der Jahresabschluss nichtig ist. (Wird ausgeführt.)

<einsender></einsender>Mitgeteilt von Richterin am OLG Beate Ehrt, München</einsender><//einsender><hinweis></hinweis>

Anmerkung der Redaktion:

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist anhängig beim BGH unter dem Az. II ZR 192/09.

</hinweis><//hinweis>

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