OLG Stuttgart: Pflicht zur Veröffentlichung der Rücktrittsabsicht des Vorstandsvorsitzenden als Insiderinformation mit Vorabstimmung im Aufsichtsrat („Daimler“)

02.06.2009

WpHG a.F. § 13 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 3, § 37b; KapMuG § 1 Abs. 1; AktG § 84

Pflicht zur Veröffentlichung der Rücktrittsabsicht des Vorstandsvorsitzenden als Insiderinformation mit Vorabstimmung im Aufsichtsrat („Daimler“)

OLG Stuttgart, Beschl. v. 22. 4. 2009 – 20 Kap 1/08

Leitsätze des Gerichts:

1. Ein Umstand ist dann i.S.d. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG hinreichend wahrscheinlich, wenn ein verständiger, nicht spekulativ handelnder Anleger ihn auf verlässlicher Informationsgrundlage ihm Rahmen seiner Investitionsentscheidung berücksichtigt hätte.

2. Die Beschlussfassung des Aufsichtrats in einer Angelegenheit, die in seine originäre Zuständigkeit fällt, ist in diesem Sinne schon vor der Beschlussfassung hinreichend wahrscheinlich, wenn die Entscheidung definitiv vorabgestimmt ist (Anschluss BGH, Beschl. v. 25.2.2008 – II ZB 9/07, ZIP 2008, 639).

3. Für den Aufschub der Veröffentlichung einer Insiderinformation nach § 15 Abs. 3 WpHG bedarf es keiner bewussten Entscheidung des Emittenten.

4. Selbst wenn eine bewusste Entscheidung erforderlich wäre, der Emittent eine solche aber nicht getroffen hätte, würde bei Vorliegen der Voraussetzungen für diesen Befreiungstatbestand gleichwohl eine Haftung wegen nicht unverzüglicher Veröffentlichung der Insiderinformation entfallen, weil der Emittent auch bei bewusster Entscheidung für die Selbstbefreiung die Information nicht früher veröffentlicht hätte (rechtmäßiges Alternativverhalten).

Gründe:

A. I. Der Musterkläger begehrt aus abgetretenem Recht seines Vaters von der börsennotierten Musterbeklagten Schadensersatz wegen angeblich verspäteter Ad-hoc-Mitteilung im Jahr 2005 über das vorzeitige Ausscheiden ihres damaligen Vorstandsvorsitzenden A. Im Hinblick auf das Musterverfahren sind weitere beim AG Stuttgart und LG Stuttgart anhängige Klagen von Anlegern gegen die Musterbeklagte auf Schadensersatz aus demselben Grund von zusammen ca. 5,5 Mio. € ausgesetzt.

II. 1. Der Aufsichtsrat der Musterbeklagten beschloss in der Sitzung vom 28.7.2005 gegen 9.50 Uhr, dass der damalige Vorstandsvorsitzende A. zum 31.12.2005 aus dem Amt ausscheiden und das Vorstandsmitglied C. neuer Vorstandsvorsitzender werden solle. Eine entsprechende Ad-hoc-Mitteilung versandte die Musterbeklagte den Geschäftsführungen der Börsen und der BaFin vorab um 10.02 Uhr. Um 10.32 Uhr wurde die Ad-hoc-Mitteilung in der Meldungsdatenbank der DGAP (Deutsche Gesellschaft für Ad-hoc-Publizität) veröffentlicht.

Zuvor waren nach Zustimmung des Aufsichtsrats (9.20 Uhr) die Ergebnisse des zweiten Quartals 2005 auf dieselbe Weise den Börsen und der BaFin mitgeteilt (9.30 Uhr) und ad hoc veröffentlicht worden (9.59 Uhr). Bereits nach dieser Veröffentlichung stieg der Kurswert der Aktien der Musterbeklagten. Nach der weiteren Mitteilung über den Wechsel im Amt des Vorstandsvorsitzenden stieg der Aktienkurs noch an demselben Tag auf 40,40 €, in der Folge sogar bis auf 42,95 €.

2. Der Vater des Musterklägers hatte vor Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung Aktien der Musterbeklagten verkauft, nämlich am 16.5.2005 100 Aktien zum Kurswert von 31,85 € und am 28.7.2005 um 9.00 Uhr 800 Aktien zum Kurswert von 36,50 €.

3. Im April 2004 war die Bestellung von A. zum Vorstandsvorsitzenden der Musterbeklagten bis zum Jahresende 2008 verlängert worden.

Nach der Hauptversammlung vom 6.4.2005 trug A. sich zunehmend mit dem Gedanken, vor Ablauf seiner bis in das Jahr 2008 reichenden Bestellung aus dem Vorstand auszuscheiden; seine Ehefrau, die als Führungskraft sein Büro betreute, war in diese Gedanken-ZIP 2009, Seite 963gänge eingeweiht. Am 17.5.2005 erörterte A. seine Überlegungen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden D.; Einzelheiten des Gesprächs sind streitig. Am 1.6.2005 wurden die Aufsichtsratsmitglieder E. und F. über die Pläne von A. informiert. Spätestens am Rande der Vorstandssitzung vom 15.6.2005 setzte A. C. von seinen Überlegungen in Kenntnis.

Ab dem 10.7.2005 arbeiteten der Kommunikationschef Herr G., Frau A. und die seit 6.7.2005 informierte Chefsekretärin Frau H. an einer Pressemitteilung, einem externen Statement und einem Mitarbeiterbrief.

Die Tagesordnung in der Einladung vom 13.7.2005 zur Aufsichtsratssitzung vom 28.7.2005 enthielt keinen Hinweis auf einen möglichen Wechsel in der Führungsspitze, ebenso wenig die zeitgleiche Einberufung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats auf den 27.7.2005.

Am 18.7.2005 verständigten sich A. und der Aufsichtsratsvorsitzende D. in Anwesenheit von Herrn G. darauf, das vorzeitige Ausscheiden sowie die Nachfolge durch C. zum Ende des Jahres in der Aufsichtsratssitzung vom 28.7.2005 vorzuschlagen. Am 25.7.2005 erörterte A. mit dem Aufsichtsratsmitglied und Vorsitzenden des Konzern- und Gesamtbetriebsrates I. diese Personalie; ob Herr I. erst hier oder schon zuvor bei der telefonischen Terminvereinbarung am 11.7.2005 in der Sache informiert wurde, ist streitig.

Im Laufe des 27.7.2005 wurden die zwei weiteren Mitglieder des vom Aufsichtsrat gebildeten Präsidialausschusses informiert, J. um 11.00 Uhr und K. um 16.30 Uhr. Ab 17.00 Uhr fand eine Sitzung des Präsidialausschusses statt, an der neben diesen beiden Mitgliedern der Vorsitzende D. und dessen Stellvertreter I. teilnahmen. Der Präsidialausschuss beschloss, dem Aufsichtsrat am Folgetag eine Beschlussfassung über die Zustimmung zum vorzeitigen Ausscheiden von A. und die Bestellung von C. als seinen Nachfolger zum Jahreswechsel vorzuschlagen.

A. informierte um 18.30 Uhr L., der damals in der Öffentlichkeit ebenfalls als möglicher Nachfolger des Vorstandsvorsitzenden galt, von den beabsichtigten Personalmaßnahmen, um 19.00 Uhr ebenso die weiteren Vorstandsmitglieder M. und N. Ab 19.30 Uhr fand ein Abendessen der Anteilseignervertreter unter den Aufsichtsratsmitgliedern statt, bei dem die Empfehlung des Präsidialausschusses Gesprächsthema war.

III. Das LG Stuttgart hat im Verfahren 21 O 408/05 – unter dem Aktenzeichen wurden zuvor 10 getrennt eingereichte Klagen verbunden – am 3.7.2006 auf die Anträge der 10 Kläger und der Beklagten folgenden Vorlagebeschluss gefasst (s. ZIP 2006, 1731).

Der nach dem Geschäftsverteilungsplan des OLG Stuttgart zuständige 9. Zivilsenat hat mit Beschluss vom 26.7.2006 im Verfahren 901 Kap 1/06 den Musterkläger bestimmt. Der Beigeladene B. ist dem Musterverfahren beigetreten. Mit Beschluss (Musterentscheid) vom 15.2.2007 wurde festgestellt, dass eine Insiderinformation i.S.d. § 37b Abs. 1 WpHG erst am 28.7.2005 um ca. 9.50 Uhr entstanden sei und dass die Musterbeklagte diese unverzüglich veröffentlicht habe; wegen der Einzelheiten wird auf diesen Beschluss Bezug genommen (ZIP 2007, 481 = AG 2007, 250 = BB 2007, 565 = NZG 2007, 352, dazu EWiR 2007, 285 (Möllers/Weichert)).

Auf die Rechtsbeschwerde des Musterklägers hat der BGH den Musterentscheid aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an den 20. Zivilsenat zurückverwiesen. Der Musterentscheid beruhe auf verfahrensfehlerhaften Tatsachenfeststellungen: der Musterkläger habe eine einseitige Amtsniederlegung durch A. behauptet, den entsprechenden Beweisantritten sei nachzugehen. Falls dieser Beweis nicht geführt werde, sei das OLG aus Rechtsgründen nicht gehindert, erneut zu entscheiden wie zuvor (Beschl. v. 25.2.2008 – II ZB 9/07, ZIP 2008, 639 = AG 2008, 380 = BB 2008, 855 = NZG 2008, 300, dazu EWiR 2008, 317 (Wilsing/von der Linden)).

B. I. Zu dem unter Nr. 1 des Vorlagebeschlusses formulierten Feststellungsziel kann nicht die Feststellung getroffen werden, dass eine Insiderinformation des Inhalts entstanden ist, A. habe am 17.5.2005 sein Amt als Vorstandsvorsitzender durch Erklärung gegenüber dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden, dem Zeugen D., einseitig niedergelegt. Es ist aber festzustellen, dass eine Insiderinformation (§ 13 WpHG) am 27.7.2005 nach 17.00 Uhr mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats entstanden ist, dem Gesamtaufsichtsrat am Folgetag die Zustimmung zum einvernehmlichen Ausscheiden von A. und seine Nachfolge durch C. vorzuschlagen.

1. Der Vorlagebeschluss des LG vom 3.7.2006 ist abweichend von seinem Wortlaut so zu verstehen, dass es sich bei den dort unter Nr. 1 bis 11 aufgeführten „Anträgen“ nicht um Streitpunkte, sondern um Feststellungsziele i.S.v. § 1 Abs. 1 KapMuG handelt. Es geht bei diesen Einzelpunkten um die Feststellung von anspruchsbegründenden oder -ausschließenden Voraussetzungen für Grund und Höhe der vom Musterkläger geltend gemachten Haftung der Musterbeklagten nach § 37b WpHG oder um die Klärung von Rechtsfragen in diesem Zusammenhang (Feststellzungsziele i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG) und nicht lediglich um tatsächliche oder rechtliche Umstände (Streitpunkte i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 2 KapMuG) zur Begründung eines vermeintlich übergeordneten Feststellungsziels „Rechtzeitigkeit der Ad-hoc-Mitteilung“, wie es im Eingangssatz des Vorlagebeschlusses formuliert ist.

Insbesondere die unter Nr. 8 bis 11 aufgeworfenen Fragen sind keine Streitpunkte zu dieser Frage der Rechtzeitigkeit der Ad-hoc-Mitteilung, sondern betreffen die haftungsausfüllende Kausalität und die Schadensberechnung. Dass in einem Musterverfahren deshalb nur ein einziges Feststellungsziel geklärt werden kann, weil der Begriff im Gesetz im Singular verwandt wird, und somit die Detailfragen nur Streitpunkte sind, wie das LG im Vorlagebeschluss angenommen hat, trifft so nicht zu (vgl. jetzt auch LG Stuttgart ZIP 2008, 2175).

Zwar ist das Feststellungsziel unter Nr. 1 auf die Frage der Entstehung einer Insiderinformation „nach § 37b Abs. 1 WpHG“ und außerdem auf die Frage der unverzüglichen Veröffentlichung einer solchen Information gerichtet. Gleichwohl ist damit offensichtlich nicht bereits die Klärung des gesamten objektiven Tatbestands der Haftungsnorm des § 37b Abs. 1 WpHG einschließlich der Frage nach einem tatbestandsausschließenden Aufschub der Veröffentlichung gem. § 15 Abs. 3 WpHG gemeint, denn diese Frage ist Gegenstand der gesonderten Feststellungsziele nach Nr. 2 bis 4. Tatsächlich enthält Nr. 1 zwei Feststellungsziele. Der Begriff der Insiderinformation ist nicht in § 37b Abs. 1 WpHG definiert. Vielmehr knüpft die Haftungsnorm insoweit an die Vorschrift über die Veröffentlichung und Mitteilung von Insiderinformationen (§ 15 WpHG) und diese wiederum an die Begriffsdefinition in § 13 WpHG an. Deshalb ist mit Nr. 1 zum einen die Klärung des Vorliegens einer Insiderinformation nach § 13 WpHG in dem im Beschluss genannten Zeitraum gemeint, die i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 WpHG den Emittenten unmittelbar betrifft. Zum anderen geht es um die Feststellung, ob ggf. die Veröffentlichung unverzüglich erfolgt ist. Falls eine Insiderinformation vor der Beschlussfassung des Aufsichtsrats festzustellen wäre, kann diese Frage allerdings erst nach Beantwor-ZIP 2009, Seite 964tung der sich nach Nr. 2 bis 4 stellenden Fragen zum berechtigten Aufschub der unverzüglichen Veröffentlichung beantwortet werden. Dass diese nach der Formulierung des Vorlagebeschlusses nur hilfsweise gestellt sind, hindert den Senat nicht, die Feststellungen nach der logischen Reihenfolge zu treffen, die sich aus den anzuwendenden Rechtsnormen ergibt.

2. Es kann nicht festgestellt werden, dass eine Insiderinformation dadurch bereits am 17.5.2005 oder später entstanden ist, dass der Zeuge A. gegenüber dem Zeugen D. erklärt hat, er lege sein Amt einseitig zum Jahresende 2005 nieder.

In einer solchen Erklärung wäre eine bereits eingetretene Tatsache zu sehen, die angesichts ihrer unzweifelhaften Kursrelevanz eine Insiderinformation i.S.v. § 13 Abs. 1 WpHG wäre (vgl. BGH ZIP 2008, 639 = NZG 2008, 300, 302, Rz. 15).

Dieser Beendigungstatbestand, den der Musterkläger nach der für den Senat bindenden Beurteilung des Klägervortrags durch den BGH vorgetragen hat, ist nicht bewiesen. Die Zeugen A. und D. haben eine solche Erklärung in Abrede gestellt und stattdessen ausgesagt, dass A. eine einvernehmliche Aufhebung seiner Bestellung unter Klärung der Nachfolgefrage anstrebte, wobei er besonderen Wert darauf legte, dass dies in vollem Konsens mit allen Aufsichtsratsmitgliedern entschieden würde. Der Senat ist von der Richtigkeit dieser Aussagen überzeugt, nicht nur, weil ihm – wie auch dem Musterkläger – die Aussage des Zeugen A. insgesamt konsistent und glaubhaft erscheint, sondern weil das Bestreben nach einer einvernehmlichen Aufhebung der Bestellung unter den gegebenen, im Wesentlichen unstreitigen Umständen die einzig realistische Variante einer vorzeitigen Beendigung des Amts von A. war. Die Behauptung einer Amtsniederlegung war unabhängig von den Zeugenaussagen bereits mit dem übrigen, im Kern unstreitigen Geschehensablauf seit Mitte Mai 2005 unvereinbar.

Das folgt auch aus dem Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 28.7.2005. Danach hat der Aufsichtsrat durch Beschluss dem vom Zeugen D. vorgeschlagenen vorzeitigen Ausscheiden des Zeugen A. zum Jahresende zugestimmt. Diese Beschlussfassung wäre entbehrlich und unverständlich gewesen, wenn bereits der Beendigungstatbestand der einseitigen Amtsniederlegung seit drei Monaten vorgelegen hätte.

Nicht bewiesen ist die Behauptung der Musterklägers, die beiden Zeugen seien noch im Mai 2005 in die USA zu C. gereist. Eine Reise in diesem Zeitraum, bei der mit C. die fragliche Personalie besprochen worden wäre, hat es nach der Aussage beider Zeugen, die der Senat ebenfalls für glaubhaft hält, nicht gegeben. Inwieweit der Umstand einer solchen Reise in Zusammenhang mit einer einseitigen Amtsniederlegung überhaupt entscheidungsrelevant gewesen wäre, kann deshalb dahingestellt bleiben.

3. Es ist aber festzustellen, dass mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses am 27.7.2005 nach 17.00 Uhr eine Insiderinformation des Inhalts entstanden ist, dass der Aufsichtsrat auf seiner Sitzung am folgenden Tag über den Vorschlag des Präsidialausschusses entscheiden wird, die Bestellung von A. zum Jahresende aufzuheben und C. zu seinem Nachfolger zu bestellen.

a) Aufgrund der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass die Zeugen A. und D. am 17.5.2005 ausschließlich eine einvernehmliche Regelung des vorzeitigen Ausscheidens unter gleichzeitiger Bestellung eines Nachfolgers erörtert und in der Folgezeit auch nichts anderes geplant und vorbereitet haben (siehe schon oben 2). (Wird ausgeführt.)

b) Die Absicht oder Überlegung eines Vorstandsvorsitzenden, vorzeitig, aber im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat aus dem Amt auszuscheiden, kann kursrelevant sein (BGH ZIP 2008, 639 = NZG 2008, 300, 303, Rz. 21) und damit unter den weiteren Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 WpHG eine Insiderinderinformation ergeben. Solange das Einvernehmen des Gesamtaufsichtsrats noch nicht erteilt worden ist, setzt dies allerdings voraus, dass diese Erteilung des Einvernehmens hinreichend wahrscheinlich ist.

aa) Absichten, Pläne oder Vorhaben einer Person können zu einer veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation i.S.v. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG führen. Sie beziehen sich inhaltlich auf künftige Ereignisse oder Umstände, deren Realisierung erwogen oder prognostiziert und möglicherweise auch vorbereitet wird, aber grundsätzlich (noch) nicht gewiss ist. Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG kommt es für die Qualifizierung solcher zukunftsbezogenen Umstände als Insiderinformation darauf an, ob der Umstand hinreichend präzise und die Verwirklichung der Absicht oder des Vorhabens hinreichend wahrscheinlich ist (BGH ZIP 2008, 639 = NZG 2008, 300, 303, Rz. 20 m.w.N.); dies ist aus der Sicht des verständigen Anlegers zu beurteilen (BGH ZIP 2008, 639 = NZG 2008, 300, 303, Rz. 26, 31).

Zwischen dem Entstehen einer solchen Absicht einerseits und ihrer erfolgreichen Umsetzung oder aber ihrem endgültigen Scheitern andererseits besteht immer ein zeitlicher Abstand und in der Regel werden in dieser Zeit unterschiedliche Schritte zur Konkretisierung des Vorhabens und zur Vorbereitung seiner Umsetzung unternommen. Soweit Absichten geäußert oder einzelne Stufen der Umsetzung des Vorhabens verwirklicht sind, liegt darin zwar ein konkreter Umstand. Gleichwohl ist es überflüssig, diese Pläne oder Zwischenstufen je für sich als veröffentlichungspflichtige Insiderinformation anzusehen. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG ist zu entnehmen, dass es für die Frage, wann bei einem solchen gestreckten, auf ein künftiges Ereignis zielenden Geschehensablauf eine Insiderinformation vorliegt, auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts des künftigen angestrebten Ereignisses ankommt. Deshalb ist entscheidend auf dieses und nicht auf die vorgelagerten Einzelstufen des Entscheidungs- und Vorbereitungsprozesses abzustellen (Gunßer, Ad-hoc-Publizität bei Unternehmenskäufen und -übernahmen, 2008, S. 53 ff.; Kümpel/Veil, WpHG, 2. Aufl., 3. Teil, Rz. 25). Auch die Gegenansicht, die jeden einzelnen eingetretenen Zwischenschritt im Falle seiner Kursrelevanz als Insiderinformation begreifen will (Pawlik, in: Kölner Komm. z. WpHG, § 13 Rz. 15 u. 94; Möllers, WM 2005, 1393, 1394 f.; Simons, Der Konzern 2005, 13, 15 f.; Ziemons, NZG 2004, 537, 541; BaFin, Emittentenleitfaden, S. 19 f.), führt nicht zu anderen Ergebnissen, weil solche Umstände aus der auch hier maßgeblichen Sicht des verständigen Anlegers (§ 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG) nur kursrelevant sein ZIP 2009, Seite 965können, wenn das künftige Ereignis, auf das sie inhaltlich gerichtet sind, hinreichend wahrscheinlich eintreten wird (vgl. Fleischer, NZG 2007, 401, 402; Cahn, Der Konzern 2005, 5, 6; Harbarth, ZIP 2005, 1898, 1902; Leuering, DStR 2008, 1287, 1290; Frowein, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, § 10 Rz. 15; Gunßer, a.a.O., S. 54; Monheim, Ad-hoc-Publizität nach dem AnSVG, 2007, S. 132 ff.; wohl auch Assmann, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 15 Rz. 60). Die vorgelagerten Umstände behalten auch beim Abstellen auf das Endziel ihre Bedeutung sowohl für die Frage, ob und wann im Hinblick auf ihre Verwirklichung eine hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit für das beabsichtigte Ergebnis vorliegt (vgl. auch Schäfer, in: Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, § 13 WpHG Rz. 24), als auch für die richtige Formulierung einer ggf. erforderlichen Veröffentlichung, die für die zutreffende Information des Kapitalmarkts den Stand der Überlegungen oder Vorbereitungen und damit einen etwaigen Vorbehalt hinsichtlich der endgültigen Umsetzung wiedergeben muss.

bb) Dieser künftige Umstand, dem ggf. Kursrelevanz zukommt, ist im vorliegenden Fall nicht erst in dem etwaigen Ausscheiden von A. zum Jahresende 2005 zu sehen, sondern in dem diesem zugrunde liegenden Beendigungstatbestand, also dem Aufsichtsratsbeschluss, mit dem das Ausscheiden feststeht.

Das einvernehmliche Ausscheiden ist die Umkehrung der Bestellung nach § 84 Abs. 1 AktG, hat also wie diese rechtsgeschäftlichen Charakter (Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 84 Rz. 5), so dass es auf der einen Seite der Erklärung des betroffenen Vorstandsmitglieds, auf der anderen Seite der Zustimmung durch den Gesamtaufsichtsrat in Form eines Beschlusses nach § 108 AktG bedarf (BGHZ 79, 38, 43 f. = ZIP 1981, 45; Fleischer, a.a.O., § 84 Rz. 142). Mit dem so durch den Aufsichtsratsbeschluss hergestellten Einvernehmen steht jedenfalls fest, dass das Vorstandsmitglied zum vereinbarten Zeitpunkt aus dem Amt scheiden wird; der Beendigungstatbestand ist geschaffen. Sofern dieser Personalie nach den Umständen des Einzelfalls – wie hier unstreitig – Kursrelevanz zukommt, verarbeitet der Kapitalmarkt bei der Preisbildung bereits die Information über den Aufsichtsratsbeschluss zum Zeitpunkt seines Bekanntwerdens und nicht erst zu dem vereinbarten späteren Zeitpunkt das Ausscheiden als solches.

Es ist deshalb darauf abzustellen, ob der am 28.7.2005 um ca. 9.50 Uhr gefasste Aufsichtsratsbeschluss über das Ausscheiden von A. unter Berücksichtigung des jeweiligen Stadiums der Planung und Vorbereitung dieses Beschlusses schon zuvor hinreichend wahrscheinlich war (vgl. auch BGH ZIP 2008, 639 = NZG 2008, 300, 303 Rz. 20 ff).

cc) Dagegen führt die im Schriftsatz vom 17.10.2008 vertretene Ansicht des Musterklägers nicht weiter, am 17.5.2005 habe eine erste Insiderinformation bereits in der vom Zeugen A. geäußerten Absicht des vorzeitigen Abgangs gelegen und die Überzeugung des Zeugen D. von der Ernsthaftigkeit dieser Absicht sei eine zweite Insiderinformation gewesen. Wie ausgeführt, ist es nicht erforderlich, solche vorgelagerten Umstände zur Planung und Vorbereitung des Aufsichtsratsbeschlusses isoliert auf ihre Eigenschaft als Insiderinformation zu überprüfen, weil dies nicht ohne Rücksicht auf die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschluss gefasst wird, geschehen könnte. Es ist deshalb allein sinnvoll, diese Umstände als Gesichtspunkte bei der Frage zu berücksichtigen, wann der Aufsichtsratsbeschluss hinreichend wahrscheinlich war.

dd) Entgegen der von der Musterbeklagten vertretenen Ansicht verbietet sich diese Frage nicht schon deshalb, weil ein Aufsichtsratsbeschluss nicht „prognosefähig“ wäre. Dass der Aufsichtsrat ein unabhängiges Gremium ist, das sich aus mehreren Mitgliedern zusammensetzt und durch Beschlussfassung in freier Abstimmung entscheidet, bedeutet nur, dass die Entscheidung in der Regel nicht mit Sicherheit vorhergesehen werden kann, nicht aber, dass sie grundsätzlich nicht prognostiziert werden könnte.

Daran ändert es auch nichts, dass ggf. der für die Einhaltung der kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten zuständige Vorstand eine solche Prognose anstellen muss. Entgegen der Ansicht der Musterbeklagten maßt er sich damit keine dem Aufsichtsrat zustehende Entscheidungskompetenz an. Die Beachtung der Veröffentlichungspflicht nach § 15 WpHG ist ausschließlich (Geschäftsführungs-)Aufgabe des Vorstands, auch wenn die fragliche Information eine Entscheidung des Aufsichtsrats betrifft (Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl., Rz. 401, 591, 655).

ee) Die Frage nach der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Aufsichtsratsbeschlusses erübrigt sich nicht deshalb, weil im Falle der hier gegebenen Alleinzuständigkeit des Aufsichtsrats eine institutionelle Ausnahme von der Veröffentlichungspflicht nach § 15 Abs. 1 WpHG zu machen wäre.

Das auch nach Ansicht des Senats im Grundsatz berechtigte Anliegen, durch eine vorherige Veröffentlichung die Beschlussfassung des Aufsichtsrats nicht zu präjudizieren oder sonst durch Reaktionen und Diskussionen außerhalb und innerhalb des Unternehmens zu belasten, rechtfertigt keine Ausnahme vom Tatbestand der Insiderinformation nach § 13 Abs. 1 WpHG oder der Veröffentlichungspflicht nach § 15 Abs. 1 WpHG.

Eine solche institutionelle Ausnahme vom Tatbestandsmerkmal der Insiderinformation ist schon deshalb nicht angebracht, weil § 13 Abs. 1 WpHG in der durch das AnSVG geänderten Fassung den Begriff der Insiderinformation bewusst einheitlich als Tatbestandsmerkmal für die Insiderhandels- und -weitergabeverbote nach § 14 WpHG und für die Pflicht zur Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG definiert und deshalb auch einheitlich auszulegen ist. Eine Einschränkung schon auf dieser begrifflichen Ebene, die ausschließlich auf die Reduktion der Veröffentlichungspflicht zielt, kann nicht zugleich eine Reduktion des Insiderhandels- und -weitergabeverbots rechtfertigen.

Aber auch eine institutionelle Ausnahme von der Veröffentlichungspflicht nach § 15 Abs. 1 WpHG ist nicht begründbar, weil dem damit verfolgten Anliegen durch die Ausnahmeregelung in § 15 Abs. 3 WpHG ausreichend Rechnung getragen ist. Der Gesetzgeber hat für das Spannungsverhältnis zwischen den kapitalmarktrechtlichen Pflichten und der Organisationsverfassung der AG die Lösung bereitgestellt, dass die AG als ZIP 2009, Seite 966veröffentlichungspflichtiger Emittent die Veröffentlichung nach Maßgabe des § 15 Abs. 3 WpHG aufschieben kann (vgl. etwa Fleischer, NZG 2007, 401, 403; Möllers, WM 2005, 1393, 1395; Diekmann/Sustmann, NZG 2004, 929, 935; Brandi/Süßmann, AG 2004, 642, 649; Gunßer, a.a.O., S. 77; Monheim, a.a.O., S. 149 f.; Lutter, a.a.O., Rz. 659; Assmann, a.a.O., § 15 Rz. 60; vgl. auch Assmann, ZHR 2008, 647 f.). Dagegen spricht nicht die Überlegung, der Gesetzgeber habe bei der Festlegung auf eine früh einsetzende Veröffentlichungspflicht das dualistische System der deutschen AG nicht berücksichtigt. Das dualistische System ist keine exklusive deutsche Besonderheit, sondern in mehreren europäischen Staaten zwingend oder – wie auch bei der SE (Art. 38 ff. SE-VO) – alternativ zum monistischen System vorgesehen (vgl. Gunßer, a.a.O., S. 78 Fußn. 173; MünchKomm-Reichert/Brandes, AktG, 2. Aufl., Art. 38 SE-VO Rz. 9; Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, Art. 38 SE-VO Rz. 15 ff.). Es ist deshalb davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber auf europäischer und deutscher Ebene das Problem eines mehrstufigen Entscheidungsprozesses, an dessen Ende die Zustimmung durch ein Gremium steht, bewusst war. Er hat u.a. im Hinblick darauf als Korrektiv für die zeitliche Vorverlagerung des Entstehens einer Insiderinformation die Möglichkeit eines Aufschubs ihrer Veröffentlichung bei berechtigten Interessen vorgesehen (vgl. auch Möllers, WM 2005, 1393, 1395). Abgesehen davon geht es hier nicht um die für das dualistische Modell typische Zustimmung eines Aufsichtsgremiums zu einer Geschäftsführungsentscheidung eines anderen Organs, sondern um die Herstellung des Einvernehmens über eine Frage der Organbestellung zwischen einem davon betroffenen Mitglied des geschäftsführenden Organs und dem für die Bestellungsfrage zuständigen Organ, wie sie auch in einem monistischen System erforderlich ist.

Nach der von der überwiegenden Literatur und auch der BaFin vertretenen Ansicht ist auch über die Regelbeispiele nach § 6 Satz 2 Nr. 1 und 2 WpAIV hinaus in der Regel anzunehmen, dass zur Wahrung der Entscheidungsautonomie des Aufsichtsrats ein berechtigtes Interesse am Aufschub bis zur Entscheidung des Aufsichtsrats vorliegt (siehe dazu im Einzelnen unten II 1 a). Deshalb besteht kein Anlass, unabhängig von § 15 Abs. 3 WpHG bevorstehende Aufsichtsratsbeschlüsse vom Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 WpHG auszunehmen.

c) Die Zustimmung des Aufsichtsrats war vor der Verabschiedung des Beschlussvorschlags durch den Präsidialausschuss am 27.7.2005 nach 17.00 Uhr nicht hinreichend wahrscheinlich.

aa) Der BGH hat in seinem zurückverweisenden Beschluss offengelassen, ob unter dem Begriff der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ eine nur überwiegende oder eine hohe Wahrscheinlichkeit zu verstehen ist (ZIP 2008, 639 = NZG 2008, 300, 303, Rz. 25). Er hat stattdessen betont, dass es sich um eine in hohem Maße einzelfalldeterminierte Frage handelt (Rz. 22), bei deren Beantwortung aus der Sicht des verständigen Anlegers (Rz. 26, 31) im vorliegenden Fall darauf abzustellen ist, ob eine Vorabstimmung im Aufsichtsrat erfolgt ist (Rz. 28 ff.; vom OLG Frankfurt/M. im Beschluss v. 12.2.2009 – 2 Ss-OWi 514/08, ZIP 2009, 563, dazu EWiR 2009, 287 (Widder), nicht berücksichtigt).

Auch der Senat hält es für richtig, auf die Sicht des verständigen Anlegers abzustellen (ebenso Harbarth, ZIP 2005, 1898, 1901 f.; Fleischer, NZG 2007, 401, 405; Pawlik, a.a.O., § 13 Rz. 93; BaFin, Emittentenleitfaden, S. 52; vgl. auch Gunßer, a.a.O., S. 60 ff.; a.A. Leuering, DStR 2008, 1287), mithin auf die Anlagerelevanz der Information. Der Begriff der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ in § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG ist aus Art. 1 Abs. 1 der deutschen Fassung der Durchführungs-RL 2003/124/EG übernommen. Er findet sich so in anderen Sprachfassungen dieser Richtlinie nicht, nach denen es darauf ankommt, ob künftige Umstände vorliegen, von denen vernünftigerweise (engl.: „reasonably“, frz.: „raisonnablement“, ital.: „ragionevolmente“) erwartet bzw. angenommen werden kann, dass sie eintreten. Diese Fassungen sind bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung angesichts der beabsichtigten Harmonisierung der Rechtsordnungen (Erwägungsgrund 12 der Marktmissbrauchs-RL 2003/6/EG) mit zu berücksichtigen (vgl. auch Fleischer, NZG 2007, 401, 404; Möllers, NZG 2008, 330, 332). Auch nach dem ersten Erwägungsgrund der Durchführungs-RL 2003/124/EG lautet generell die aus ex-ante-Sicht anhand der vorliegenden Informationen zu beantwortende Fragestellung, ob ein „verständiger Investor“ (engl. Fassung: „reasonable investor“, frz.: „investisseur raisonnable“) einen bestimmten Sachverhalt oder ein bestimmtes Ereignis im Rahmen seiner Investitionsentscheidung berücksichtigt hätte. Mithin stellt die Durchführungs-RL bei künftigen Umständen oder Ereignissen auf die Anlagerelevanz aus Sicht des vernünftigen Anlegers ab.

Ein verständiger Anleger handelt rational, er trifft seine Entscheidung auf angemessener, also verlässlicher tatsächlicher Informationsgrundlage (vgl. auch Erwägungsgrund 1 der Durchführungs-RL), aufmerksam und kritisch (Veil, ZBB 2006, 162, 167). Er ist folglich börsenkundig und kennt die verfügbaren Informationen. Ob es sich um einen Kleinanleger oder einen professionellen Anleger handelt, ist nicht wesentlich (Veil, ZBB 2006, 162, 167). Rational handelt der verständige Anleger auf dieser Grundlage, wenn er – im Unterschied zum spekulativen Anleger – seine Anlageentscheidung an der im Hinblick auf die ihm vorliegenden verlässlichen Informationen zu prognostizierenden künftigen Ertragskraft des Emittenten orientiert (Gunßer, a.a.O., S. 65 f. m.w.N.).

Weil aus Anlegersicht die vorzeitige Beendigung des Amts des Vorstandsvorsitzenden maßgebend ist für die Kursrelevanz der darauf bezogenen Informationen und diese Beendigung vor der Entscheidung des hierfür allein zuständigen Aufsichtsrats nicht feststeht, bedarf es der vorgelagerten Prognose, ob es zu einer solchen Entscheidung kommen wird. Die verlässliche Informationsgrundlage für eine solche Prognose besteht dann, wenn angenommen werden kann, dass sich die Mitglieder des Aufsichtsrats bereits vor der Sitzung des Gesamtgremiums auf die vorzeitige Beendigung verständigt haben.

Deshalb hat der BGH darauf abgestellt, ob dem verständigen Anleger eine Zustimmung des Aufsichtsrats als hinreichend wahrscheinlich erschienen ist, weil die Entscheidung im Aufsichtsrat definitiv vorabgestimmt war (ZIP 2008, 639 = NZG ZIP 2009, Seite 9672008, 300, 303, Rz. 28 f.). Dafür ist maßgebend, dass die für die Beschlussfassung nach § 31 Abs. 2 MitbestG erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln der 20 Aufsichtsratsmitglieder der Musterbeklagten (Rz. 31) in die Absichten von A. und die entsprechenden Planungen zur Umbesetzung des Vorstands eingeweiht und damit einverstanden war (Rz. 30). Es darf außerdem kein nennenswertes Risiko mehr bestanden haben, dass wegen der fehlenden Bekanntmachung dieses Tagesordnungspunkts in der Einladung zur Aufsichtsratssitzung ein Mitglied die Vertagung beantragen würde (Rz. 25).

Mithin genügt es für eine Vorabstimmung als ausreichende Entscheidungsgrundlage für den verständigen Anleger in dem vom BGH genannten Sinn nicht, wenn einzelne Aufsichtsratsmitglieder, selbst wenn sie sich zu einer Zweidrittelmehrheit addieren, jeweils ihr Einverständnis zu einer ihnen unterbreiteten Lösung erteilt haben. Ein Aufsichtsratsmitglied, das gesprächsweise sein Einverständnis zu einer Lösung zu erkennen gibt, legt sich damit noch nicht bindend für den Fall fest, dass darüber zu einem späteren Zeitpunkt in einer Aufsichtsratssitzung unter Einbeziehung aller Aufsichtsratsmitglieder verantwortlich abgestimmt werden wird. Es bleibt nicht nur rechtlich in seiner Entscheidung frei, sondern ist auch verpflichtet, erst bei der Behandlung der Sache in der Sitzung anhand der Lage im Entscheidungszeitpunkt und auf der Grundlage der dann erteilten Informationen verantwortlich zu argumentieren und abzustimmen. Dabei kann auch das Verhalten anderer, insbesondere nicht vorinformierter Aufsichtsratsmitglieder bedeutsam werden. Sie hätten nicht nur die Möglichkeit gehabt, durch Nachfragen oder Diskussionsbeiträge einen Meinungswandel herbeizuführen. Vielmehr hätte jedes Mitglied wegen der fehlenden Ankündigung des Tagesordnungspunkts in der Einladung auch eine Verschiebung der Sitzung beantragen können.

Die Ansicht des Musterklägers, dass ein Widerspruch eines Aufsichtsratsmitglieds lediglich zu einer Vertagung ohne Relevanz für die Wahrscheinlichkeit einer Beschlussfassung hätte führen können, trifft nicht zu. Aus Nr. IV.5 der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats der Musterbeklagten folgt lediglich, dass auf der nämlichen Sitzung ein wirksamer Beschluss nicht gefasst werden kann. Ob eine Beschlussfassung auf einer späteren Sitzung nach ordnungsgemäßer Ankündigung nachfolgt, hängt davon ab, ob der Beschlussgegenstand auf deren Tagesordnung gesetzt wird. Das kann auch davon abhängen, dass ein der Beschlussfassung widersprechendes Aufsichtsratsmitglied unter Umständen nicht lediglich wegen des Prozedere, sondern auch wegen inhaltlicher Bedenken widerspricht. Es ist deshalb konsequent, bei fehlender Ankündigung des Beschlussgegenstands für die Frage der Vorabstimmung der konkreten Beschlussfassung mit dem BGH darauf abzustellen, dass auch ein solcher Widerspruch nicht zu erwarten ist.

Die vom Musterkläger vertretene, auch mit der Entscheidung des BGH nicht vereinbare Ansicht, es sei unabhängig von der Wahrscheinlichkeit der Zustimmung des Aufsichtsrats zu berücksichtigen, dass Anleger bei früherem Bekanntwerden einer beabsichtigten Beschlussfassung entschieden hätten, ihre Aktien bis zur Beschlussfassung zu halten, ist nicht tragfähig. Sie vermengt Fragen der haftungsausfüllenden Kausalität mit der Auslegung des Begriffs der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ und unterstellt auch ein unrealistisches Szenario.

bb) Der BGH hat im Beschluss vom 25.2.2008 die Würdigung des OLG im vorausgegangenen Musterentscheid vom 15.2.2007 bestätigt, dass aufgrund des Sachvortrags der Parteien eine definitive Vorabstimmung im o.g. Sinne nicht festgestellt werden kann. Der Senat teilt diese Würdigung und nimmt insoweit auf die Ausführungen in diesen Beschlüssen Bezug.

Auch nach dem weiteren Sachvortrag des Musterklägers nach der Zurückverweisung der Sache an den Senat kann nicht festgestellt werden, dass jedenfalls vor der Entscheidung des am 27.7.2005 ab 17.00 Uhr tagenden Präsidialausschusses eine solche Vorabstimmung definitiv bestand und deshalb oder aus anderen Gründen der zustimmende Aufsichtsratsbeschluss vom nächsten Vormittag hinreichend wahrscheinlich war. Mit dem Beschlussvorschlag des Präsidialausschusses stand aber fest, dass die Personalie Gegenstand der Tagesordnung des Aufsichtsrats am folgenden Tag werden würde, und angesichts der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden weiteren Umstände war ein Antrag auf Vertagung nicht mehr wahrscheinlich, so dass zu dem Zeitpunkt eine Vorabstimmung festzustellen ist.

Der Berücksichtigung des weiteren Tatsachenvortrags der Parteien nach Zurückverweisung der Sache steht nicht § 531 ZPO entgegen, weil das Musterverfahren vor dem OLG kein Berufungsverfahren ist, sondern ein erstinstanzliches Verfahren, für das gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 KapMuG nicht die Vorschriften der ZPO über das Berufungsverfahren, sondern über das erstinstanzliche Verfahren anzuwenden sind (unzutreffend deshalb Möllers, NZG 2008, 330, 331 mit Fußn. 9), hier also die §§ 282 f., 296 f. ZPO. Danach ist das beiderseitige weitere Vorbringen bei der Entscheidung zu berücksichtigen.

(1) Mit der am 17.5.2005 vom Zeugen A. gegenüber dem Zeugen D. offenbarten Absicht oder Überlegung, vorzeitig im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat aus dem Amt zu scheiden, ist entgegen der schon anfänglich im Musterverfahren vertretenen und auch jetzt wiederholt vorgebrachten Ansicht des Musterklägers noch keine Insiderinformation entstanden, weil eine solche Absichtserklärung noch nicht einmal eine präzise Information ist (vgl. Möllers, WM 2005, 1393, 1394) und damit jedenfalls nichts über die Wahrscheinlichkeit der Zustimmung des allein hierfür zuständigen Gesamtaufsichtsrats gesagt ist. Aus demselben Grund ist es auch unerheblich, ob der Zeuge D. zu diesem Zeitpunkt von der Ernsthaftigkeit dieses Ansinnens überzeugt war.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass in der Öffentlichkeit und in den vorausgegangenen Hauptversammlungen 2004 und 2005 das Wirken oder die Person des Zeugen A. kritisch betrachtet und teils Rücktrittsforderungen erhoben worden waren. Dieser Umstand ist im Musterverfahren schon immer vom Musterkläger vorgetragen worden und auch unbestritten geblieben; die dazu im Schriftsatz vom 17.10.2008 umfangreich vorgetragenen Details bringen dazu nichts grundlegend Neues. Er gibt nichts für eine Vorabstimmung im Aufsichtsrat her und begründet auch sonst nicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Zustimmung, weil er nicht ZIP 2009, Seite 968den Schluss erlaubt, dass die öffentliche Meinung von den Aufsichtsratsmitgliedern geteilt wird. Es kommt auch nicht auf den streitigen Vortrag des Musterklägers an, bereits die Wiederbestellung von A. in der Hauptversammlung 2004 bis zum Jahresende 2008 sei in der Absicht erfolgt, dass diese Amtszeit nicht voll erfüllt und nur Zeit gewonnen werden sollte, um die Nachfolge zu regeln. Damit ist über eine Vorabstimmung unter den Aufsichtsratsmitgliedern zu einer konkreten, für einen späteren Zeitpunkt vorgesehenen Beschlussfassung nichts gesagt.

(2) Aus der Einbeziehung verschiedener Aufsichtsratsmitglieder in die weiteren Planungen und die Vorbereitung der Aufsichtsratssitzung in der Zeit zwischen dem 17.5.2005 und dem 27.7.2005 folgt ebenfalls noch keine Vorabstimmung vor der Beschlussempfehlung des Präsidialausschusses. Wie ausgeführt genügt es dafür nicht, dass eine Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern einzeln von dem Vorhaben informiert wurden und gesprächsweise ihr Einverständnis signalisiert haben. Es kommt deshalb nicht darauf an, wie viele Aufsichtsratsmitglieder sukzessive bis zum 27.7.2005 informiert wurden und ob sie sich dabei, wie der Musterkläger behauptet oder teils auch nur aus anderen Umständen schlussfolgern will, zustimmend geäußert bzw. ihr Einverständnis gegenüber dem jeweiligen, vom Musterkläger teils nicht einmal bezeichneten Gesprächspartner erklärt haben.

(3) Eine Vorabstimmung war aber mit der einstimmigen Entscheidung des Präsidialausschusses in seiner Sitzung vom 27.7.2005 nach 17.00 Uhr gegeben, dem Aufsichtsrat am Folgetag die Beschlussfassung über die Zustimmung zur vorzeitigen Aufhebung der Bestellung des Zeugen A. und zur Bestellung von C. als Nachfolger vorzuschlagen. Mit diesem Beschlussvorschlag stand insbesondere fest, dass der Zeuge D. diese Personalie tatsächlich auf die Tagesordnung des Gesamtaufsichtsrats setzen würde. Infolge der einstimmigen Entscheidung des paritätisch besetzten Präsidialausschusses war nicht nur für die übrigen Aufsichtsratsmitglieder erkennbar, dass der Vorschlag gleichermaßen bei Arbeitnehmer- und Anteilseignervertretern Rückhalt fand. Zusätzlich war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden I. auf Veranlassung des Zeugen A. in der vorausgegangenen Zeit unter den Arbeitnehmernehmervertretern diese Personalfrage vorbesprochen, mit dem als Nachfolger ins Auge gefassten Vorstandsmitglied C. Gespräche geführt und schließlich als Ergebnis dieser Sondierungen am 27.7.2005 gegenüber dem Zeugen A. angekündigt worden, dass die Arbeitnehmerbank für den Vorschlag stimmen würde. Auch aus diesem Grund war gerade nicht vor Bekanntwerden dieses Ergebnisses, aber danach und zusammen mit dem einstimmigen Beschlussvorschlag des Präsidialausschusses eine positive Entscheidung des Aufsichtsrats am Folgetag zwar nicht sicher, aber ausreichend vorabgestimmt und damit hinreichend wahrscheinlich.

Sie wurde im Laufe des Abends des 27.7.2005 noch wahrscheinlicher. Nachdem der bislang nicht eingeweihte potenzielle Nachfolger L. von den Zeugen A. (18.30 Uhr) und D. (19.00 Uhr) informiert worden war und dabei – wie der Zeuge D. in der Aufsichtsratssitzung am 28.7.2005 es dargestellt hat – um Auflösung seiner Bestellung ebenfalls zum Jahresende gebeten hatte, war es unwahrscheinlich, dass der Aufsichtsrat gleichwohl die Bestellung von L. zum Nachfolger des Zeugen A. auch nur in Erwägung ziehen würde; es war erst recht hinreichend wahrscheinlich, dass er dem Beschlussvorschlag, C. zum Nachfolger zu bestellen, folgen würde. Die positive Beschlussfassung des Aufsichtsrats war schließlich dadurch noch wahrscheinlicher geworden, dass ab 19.00 Uhr beim Abendessen der Anteilseignervertreter die Personalie diskutiert wurde und damit die restlichen, bislang nicht einbezogenen Aufsichtsratsmitglieder Kenntnis von dem Vorhaben erhielten, ohne dass sich nach der Aussage der Zeugen A. und D. in den Gesprächen daraufhin Widerspruch oder gar Widerstand zeigte.

cc) Die übrigen vom Musterkläger vorgetragenen Tatsachen geben dagegen für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Zustimmung des Aufsichtsrats zu einem früheren Zeitpunkt, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Vorabstimmung dieser Beschlussfassung, nichts her.

(1) Bereits der BGH hat in Übereinstimmung mit der Entscheidung des 9. Zivilsenats des OLG mit Recht ausgeführt, dass eine professionelle Vorbereitung als solche noch nicht für eine Vorabstimmung spreche (BGH ZIP 2008, 639 = NZG 2008, 300, Rz. 28, 29). Das ist schon deshalb richtig, weil die professionelle Vorbereitung letztendlich dazu führen kann, dass es eine Vorabstimmung gibt, was dann im Einzelnen festzustellen ist. Dies erlaubt aber nicht, die einzelnen Vorbereitungsschritte als solche bereits mit der Vorabstimmung gleichzusetzen oder sonst daraus abzuleiten, eine bestimmte Entscheidung des Aufsichtsrats sei hinreichend wahrscheinlich. Das gilt auch für die Behauptung des Musterklägers, Herr G. habe ab 10.7.2005 ausschließlich für das Szenario eines vorzeitigen Ausscheidens von A. und einer Nachfolgeregelung Pressemitteilungen und andere Erklärungen vorbereitet, was die Musterbeklagte bestritten hat. Diese Frage muss nicht geklärt werden. Denn daraus lässt sich in keinem Fall eine Vorabstimmung der Aufsichtsratsentscheidung ableiten. Auch sonst ergibt sich daraus kein zureichender Anhaltspunkt für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dieser Entscheidung, weil es schon fraglich ist, ob für den Fall, dass es nicht zu dieser Entscheidung des Aufsichtsrats gekommen wäre, überhaupt Mitteilungen für die Öffentlichkeit und die Mitarbeiter vorbereitet werden mussten. Wurden entsprechend der Behauptung der Musterbeklagten verschiedene Szenarien vorbereitet, ist dies erst recht ohne Aussagekraft für die Wahrscheinlichkeit des Aufsichtsratsbeschlusses.

(2) Auf den Vortrag zu den Informationen, die ein Herr Q. in den Tagen vor dem 16.6.2005 erhalten haben soll, kommt es nicht an. (Wird ausgeführt.)

(3) Die vom Musterkläger vorgetragene Äußerung A.s auf einer Veranstaltung am 19.7.2005, er habe demnächst etwas Wichtiges mit Kursrelevanz zu verkünden, ist nicht zwingend auf den Führungswechsel bezogen (BGH ZIP 2008, 639 = NZG 2008, 300, 303, Rz. 33). (Wird ausgeführt.)

(4) Auch wenn man nach dem beiderseitigen Sachvortrag und dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgeht, dass die ZIP 2009, Seite 969Zeugen A. und D. bereits seit 17.5.2005 geplant und dann darauf hin gearbeitet haben, dass C. und nicht L. Nachfolger im Amt des Vorstandsvorsitzenden werden solle, so dass Letzterer zwar durchaus ebenbürtig, aber nicht in die engere Wahl gezogen war, ändert dies nichts daran, dass auch diese Frage nur vom allein zuständigen Gesamtaufsichtsrat entschieden werden konnte und deshalb eine hinreichende Wahrscheinlichkeit sowohl in Bezug auf die Nachfolgefrage als auch das damit gekoppelte vorzeitige Ausscheiden von A. nur bei einer ausreichenden Vorabstimmung angenommen werden kann. Das folgt gerade auch aus der Aussage des Zeugen A., dass der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und Betriebsratsvorsitzende I. nach seiner Einweihung in die Planungen mit den übrigen Arbeitnehmervertretern Gespräche mit dem – nach Einschätzung des Zeugen aus Arbeitnehmersicht nicht selbstverständlichen – Nachfolgekandidaten C. führen sollte. Insoweit gilt auch unter weiterer Zugrundelegung des Sachvortrags des Musterklägers, die jeweils vorab informierten Aufsichtsratsmitglieder hätten sogleich auch ihr Einverständnis mit den beabsichtigten Nachfolgeregelungen erklärt, nichts anderes als für die Entscheidung über dieses Ausscheiden als solches; auf die Ausführungen oben kann Bezug genommen werden.

Etwas anderes gibt auch die Aussage des Zeugen D. nicht her, er habe bereits in den zwei Jahren zuvor mit beiden Vorständen Gespräche geführt. Das erfolgte nach seiner Aussage nicht im Hinblick auf einen konkret beabsichtigten Wechsel im Amt des Vorstandsvorsitzenden, sondern der Zeuge sah es als seine Aufgabe als Aufsichtsratsvorsitzender an, für den Fall der Fälle – also etwa auch ein überraschendes Ausfallen des Vorstandsvorsitzenden – gewappnet zu sein. Für die vorliegende Fragestellung gibt dieser Gesichtspunkt der langfristigen und vorsorgenden Personalplanung (dazu Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 84 Rz. 12) nichts her.

(5) Es ist auch nicht entscheidend, ob C. von den Überlegungen am 15.6.2005 oder schon zuvor informiert wurde. Für die Frage der Vorabstimmung unter den Aufsichtsratsmitgliedern ergibt sich daraus wiederum nichts.

(6) Dasselbe gilt für das am 27.7.2005 zwischen 16 und 17 Uhr geführte unstreitige Telefonat mit Herrn R., bei dem Herr G. einen „Rücktritt“ von A. am Folgetag angekündigt hat. Das besagt nichts darüber, ob eine Vorabstimmung in ausreichendem Umfang unter den Aufsichtsratsmitgliedern hergestellt worden ist.

(7) Schließlich trägt schon aus demselben Grund auch der neueste Vortrag des Musterklägers, die S.-Bank habe bereits Ende April 2005 ihre Kunden über das bevorstehende Ausscheiden von A. informiert und dementsprechende Anlageempfehlungen ausgesprochen oder Depotumschichtungen vorgenommen, nicht die Feststellung, dass eine Insiderinformation entstanden war.

II. Es ist weiter auf die Vorlagefragen 2 bis 5 festzustellen, dass bis zur Entscheidung des Aufsichtsrats am 28.7.2005 um ca. 9.50 Uhr die Voraussetzungen für einen Aufschub der Veröffentlichung nach § 15 Abs. 3 WpHG zwar im Wesentlichen, aber nicht vollständig vorgelegen haben, weil infolge einer unterbliebenen Belehrung des Aufsichtsratsmitglieds U. über insiderrechtliche Pflichten und Sanktionen die formalen Anforderungen an den Emittenten zur Gewährleistung der Vertraulichkeit nicht gewahrt waren. Eine Haftung der Musterbeklagten nach § 37b WpHG scheidet aber deshalb aus, weil sie sich darauf berufen kann, dass der behauptete Schaden auch eingetreten wäre, wenn sie den Zeugen U. ordnungsgemäß belehrt hätte. Denn dieser war bereits informiert und die Musterbeklagte hätte bei nochmaliger Belehrung des Zeugen die Veröffentlichung gleichermaßen aufschieben können (rechtmäßiges Alternativverhalten). Dem steht nicht entgegen, dass es an einer Mitteilung an die BaFin nach § 15 Abs. 3 Satz 4 WpHG und an einer bewussten Entscheidung der Musterbeklagten über die Inanspruchnahme des Aufschubs fehlt, weil die tatbestandsausschließende Wirkung der Selbstbefreiung unabhängig davon greift. Abgesehen davon könnte sich die Musterbeklagte auch im Hinblick auf das Fehlen einer bewussten Entscheidung darauf berufen, dass sie bei rechtmäßigem Alternativverhalten eine solche Entscheidung getroffen hätte und der Schaden auch dann eingetreten wäre.

1. Die materiellen Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG für die Befreiung von der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung einer Insiderinformation haben ab der Beschlussfassung des Präsidialausschusses am Vorabend bis zur Aufsichtsratsentscheidung nur im Wesentlichen, aber nicht vollständig vorgelegen, weil die Musterbeklagte nicht nachgewiesen hat, dass sie die erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung der Vertraulichkeit in Bezug auf das Aufsichtsratsmitglied U. ergriffen hat.

a) Ein berechtigtes Interesse der Musterbeklagten am Aufschub der Veröffentlichung bis zur Entscheidung des Aufsichtsrats hat bestanden; dies wird nach entsprechenden Hinweisen des Senats auch vom Musterkläger nicht grundsätzlich infrage gestellt.

Nach überwiegender Ansicht in der Literatur ist im Regelfall für die sog. mehrstufigen Entscheidungen, bei denen eine Vorstandsentscheidung der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf und diese schon vor der Beschlussfassung hinreichend wahrscheinlich erscheint, ein solches Interesse gegeben. Das einen solchen Fall betreffende, hier nicht unmittelbar passende Regelbeispiel nach § 6 Nr. 2 WpAIV, das sich an Art. 3 Abs. 1 RL 2003/124/EG orientiert, regelt diese Fälle nicht abschließend; die Beispiele dieser Richtlinienbestimmung sind nicht „erschöpfend“ (vgl. auch Assmann, a.a.O., § 15 Rz. 143, 147). Deshalb wird zu Recht angenommen, dass sich ein berechtigtes Interesse generell bereits daraus ergibt, dass eine vorherige Veröffentlichung die Entschließungsfreiheit und Funktionsfähigkeit des Organs Aufsichtsrat gefährden kann (Möllers, WM 2005, 1393, 1396 und 1397 f.; Veith, NZG 2005, 254, 256; Geibel/Schäfer, in: Schäfer/Hamann, a.a.O., § 15 Rz. 66; Assmann, a.a.O., § 15 Rz. 144 f.; Casper, in: Kölner Komm. z. KapMuG, §§ 37b, 37c WpHG Rz. 23; Lutter, a.a.O., Rz. 659; Monheim, a.a.O., S. 150 f.; grundsätzlich auch Gunßer, a.a.O., S. 77 f., einschränkend aber S. 91 ff.; krit. auch Versteegen, in: Kölner Komm. z. WpHG, § 15 Anh. – § 6 WpAIV Rz. 46 ff.; a.A. Staake, BB 2007, 1537). Auch die zuständige Verwaltungsbehörde geht davon aus, dass die gesetzlichen Aufgaben zur Überwachung des Vorstands regelmäßig eine ZIP 2009, Seite 970Befreiung rechtfertigen (BaFin, Emittentenleitfaden, S. 55). Das gilt in besonderem Maße für die Entscheidung über Bestellung und Abberufung eines Vorstands, für die der Aufsichtsrat nicht als bloßes Überwachungs- und Zustimmungsgremium, sondern als Vertreter gegenüber der Gesellschaft originär zuständig ist (Möllers, WM 2005, 1393, 1398 und 1400).

Der Umstand, dass hier am Vorabend der Beschlussfassung aufgrund einer Vorabstimmung von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Zustimmung auszugehen ist, ändert daran nichts, weil eine solche Vorabstimmung keinen rechtsverbindlichen Charakter hat und die Entscheidung des Aufsichtsrats als Organ nicht ersetzt. Eine Veröffentlichung bei entsprechender Vorabstimmung unter einem Teil der Aufsichtsratsmitglieder und der Diskussion mit den übrigen Mitgliedern am Vorabend, die lediglich keinen offenkundigen Widerspruch gegen das Vorhaben aufzeigt, bringt auch das Risiko einer unzutreffenden Information der Aktionäre und des Kapitalmarkts mit sich, weil die Information auf die noch ausstehende Beschlussfassung hinweisen müsste. Diese wäre angesichts einer Vorabstimmung zwar hinreichend wahrscheinlich, aber nicht sicher, weil eine Vorabstimmung, auch wenn sie unter sämtlichen Mitgliedern des Aufsichtsrats vorgenommen wurde, rechtlich unverbindlich ist und die gesetzmäßige Beschlussfassung nicht vorwegnimmt. Damit könnte mit der Information über die ausstehende Beschlussfassung keine präzise Information über Charakter und Ergebnis einer rechtlich unverbindlichen und damit auch nicht sicheren Vorabstimmung vermittelt werden. Der Kapitalmarkt würde unzureichend informiert. Sogar eine Gefährdung der sachgerechten Bewertung durch das Publikum i.S.d. o.g. Regelbeispiels wäre nicht ausgeschlossen. Zudem würde der Aufsichtsrat in der Öffentlichkeit als „Abnickgremium“ erscheinen, was er im Fall einer Vorabstimmung nicht ist (vgl. zu alldem auch Frowein, a.a.O., § 10 Rz. 92).

Schließlich macht die Musterbeklagte jedenfalls im Ergebnis zu Recht auch unter dem Gesichtspunkt einer geordneten Nachfolge ein berechtigtes Interesse geltend. Das gilt auch dann, wenn man davon ausgeht, dass die Zeugen A. und D. seit Mitte Mai Herrn C. als Nachfolger favorisierten und zum maßgeblichen Zeitpunkt der in der Öffentlichkeit ebenso gehandelte Nachfolgekandidat L. keine große Chance auf die Nachfolge mehr hatte. Mit einer geordneten Nachfolgeregelung hing, wie sich aus den Aussagen der beiden Zeugen A. und D. und auch dem o.g. Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 28.7.2005 ergibt, unmittelbar die Klärung zusammen, ob das Vorstandsmitglied L. sein Amt beibehalten oder ebenfalls um vorzeitige Aufhebung seiner Bestellung bitten würde und wie und wann der Aufsichtsrat darauf reagieren sollte. Diese Fragen waren, zumindest was die Haltung des Aufsichtsrats anging, auch am Abend des 27.7.2005 nicht geklärt, sondern sie wurden noch in der Aufsichtsratssitzung am Folgetag vor der Beschlussfassung über den Wechsel von A. zu C. diskutiert. Es liegt auf der Hand, dass der Aufsichtsrat sich in solchen Punkten nicht durch eine Vorab-Veröffentlichung des Vorschlags, C. als Nachfolger zu bestellen, und durch entsprechende Diskussionen in der Öffentlichkeit oder gar unerwünschte Reaktionen der Betroffenen in Zugzwang setzen lassen musste und dass die Musterbeklagte auch keinen Ansehensverlust durch solche Diskussionen in Kauf nehmen musste. Sie hatte deshalb ein berechtigtes Interesse, die gesamten Personalfragen, die mit dem Wechsel im Amt des Vorstandsvorsitzenden naturgemäß zusammenhingen, nicht vor der Entscheidung des Aufsichtsrats auf dem offenen Markt auszutragen (vgl. auch Möllers, WM 2005, 1393, 1397).

Unter diesen Umständen überwiegt zwangsläufig das Aufschubinteresse das Informationsinteresse des Kapitalmarkts, das jedenfalls partiell gar nicht gegenläufig zu jenem ist. Ob es eines solchen Überwiegens und der von der h.M. geforderten Interessenabwägung für die Feststellung eines berechtigten Interesses überhaupt bedarf, was von Teilen der Literatur mit guten Gründen abgelehnt wird (siehe etwa Versteegen, a.a.O., § 15 Anh. – § 6 WpAIV Rz. 16 ff. m.w.N.), kann deshalb dahingestellt bleiben.

b) Die Irreführung der Öffentlichkeit war nicht zu besorgen. Der Umstand, dass die noch nicht veröffentlichte Information vom Kapitalmarkt bei der Preisbildung nicht berücksichtigt werden kann, muss dabei notwendigerweise außer Betracht bleiben, weil dies eine dem Aufschub der Veröffentlichung immanente Folge ist und ein Aufschub sonst nie in Betracht käme (allg. Meinung, siehe etwa Frowein, a.a.O., § 10 Rz. 110; Assmann, a.a.O., § 15 Rz. 159; BaFin, Emittentenleitfaden S. 55; Harbarth, ZIP 2005, 1898, 1905). Maßgeblich ist, ob im Markt schon konkrete Informationen „gehandelt“ werden, so dass ein weiteres Schweigen des Emittenten dazu in die Irre führt (Frowein, a.a.O., § 10 Rz. 110; Assmann, a.a.O., § 15 Rz. 160; BaFin, Emittentenleitfaden S. 55). Das wird vom Musterkläger nicht behauptet und der beiderseitige Sachvortrag gibt dafür auch sonst keine Anhaltspunkte.

c) Allerdings hat die Musterbeklagte als Emittentin nicht alles für die Gewährleistung der Vertraulichkeit Gebotene getan.

Nach h.M. wird die Voraussetzung für den Aufschub nach § 15 Abs. 3 WpHG, dass der Emittent die Vertraulichkeit der Insiderinformation gewährleisten kann, durch § 7 WpAIV unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 2 der Durchführungs-RL 2004/124/EG durch drei Anforderungen näher konkretisiert. Vorausgesetzt ist demnach die Zugangskontrolle nach § 7 Nr. 1 WpAIV, weiter die Aufklärung und Belehrung der Empfänger der Information über ihre insiderrechtlichen Pflichten und die Sanktionen bei Pflichtverstößen, die in Zusammenhang mit der Aufnahme in ein Insiderverzeichnis nach § 15b Abs. 1 WpHG erfolgen können, sowie schließlich nach § 7 Nr. 2 WpAIV Vorkehrungen zur unmittelbaren Veröffentlichung für den Fall, dass die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist (Geibel/Schäfer, in: Schäfer/Hamann, a.a.O., § 15 WpHG Rz. 136 f.; Harbarth, ZIP 2005, 1898, 1905 f.; Veith, NZG 2005, 254, 257; Ziemons, NZG 2004, 537, 540; Tollkühn, ZIP 2004, 2215, 2219; Kuthe, ZIP 2004, 883, 885; Brandi/Süßmann, AG 2004, 642, 650; vgl. auch Assmann, a.a.O., § 15 Rz. 161 ff.).

Nach anderer Ansicht begründet § 7 WpAIV lediglich Folgepflichten für den Fall eines berechtigten Aufschubs nach § 15 Abs. 3 WpHG, deren Erfüllung aber nicht Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Aufschubs sei (Versteegen, a.a.O., §ZIP 2009, Seite 971 15 Rz. 161 ff.). Ihr ist zuzugeben, dass § 7 WpAIV nach seinem Wortlaut Pflichten aufstellt, die den Emittenten „während der Befreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG“ treffen sollen. Auch aus logischer Sicht können jedenfalls die Vorkehrungen für eine unmittelbare Veröffentlichung nach § 7 Nr. 2 WpAIV im Fall eines „Durchsickerns“ keinen Einfluss darauf haben, dass und wie die Vertraulichkeit gewährleistet ist (Versteegen, a.a.O., § 15 Rz. 164).

Allerdings regelt Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Durchführungs-RL 2004/124/EG, dass für „die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 der RL 2003/6/EG“ – also die Selbstbefreiungsreglung der Marktmissbrauchs-RL – „zwecks Gewährleistung der Vertraulichkeit“ sichergestellt werden müsse, dass die Emittenten den Zugang zu diesen Informationen kontrollieren. Nach Satz 2 haben die Mitgliedstaaten „insbesondere“ sicherzustellen, dass die fraglichen Maßnahmen und Vorkehrungen getroffen werden. Damit werden auch diese Vorkehrungen in Zusammenhang mit der Gewährleistung der Vertraulichkeit und damit der Berechtigung zum Aufschub der Veröffentlichung gesehen. Dasselbe ergibt sich aus anderen Sprachfassungen (die englische Fassung lautet: „in order to be able to ensure the confidentiality of inside information, an issuer controls access to such information and, in particular, that ...“ , die französische Fassung: „... les États membres exigent que l'émetteur, afin d'être en mesure d'assurer la confidentialité d'une information privilégiée, contrôle l'accès à cette information et, en particulier: ...“ – es folgen jeweils die drei genannten Punkte). Bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung (vgl. dazu Möllers, NZG 2008, 330, 332 m.w.N.) von § 15 Abs. 3 WpHG i.V.m. § 7 WpAIV ist deshalb anzunehmen, dass diese Anforderungen, soweit sie der Sache nach keine Voraussetzung für die Gewährleistung der Vertraulichkeit sein können, jedenfalls Voraussetzungen für die berechtigte Inanspruchnahme des Selbstbefreiungs- bzw. Aufschubtatbestands sind.

Diese Voraussetzungen sind nach dem Vortrag der darlegungspflichtigen Musterbeklagten und der Beweisaufnahme zwar im Wesentlichen für den maßgeblichen Zeitraum ab der Beschlussfassung des Präsidialausschusses erfüllt. Die Musterbeklagte hat aber nicht bewiesen, dass sie das danach beim Abendessen informierte Aufsichtsratsmitglied U. entsprechend den gesetzlichen Anforderungen insiderrechtlich belehrt oder sich seiner Kenntnis sonst versichert hat.

aa) Nach § 7 Nr. 1 WpHG hat der Emittent eine Zugangskontrolle dergestalt auszuüben, dass die relevanten Informationen nur an solche Personen weitergegeben werden, die sie für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben benötigen. Der in der Norm verwandte Begriff „unerlässlich“ ist aus Art. 3 Abs. 2 der Durchführungs-RL 2004/124/EG übernommen, die insoweit auf einer ungenauen Übersetzung aus der englischen Sprachfassung beruht; nach den anderen Sprachfassungen kommt es darauf an, dass diese Personen die Informationen zur Aufgabenwahrnehmung benötigen (Assmann, a.a.O., § 15 Rz. 162; ebenso Frowein, a.a.O., § 10 Rz. 114; Veith, NZG 2005, 254, 257). Im Ergebnis entspricht diese Anforderung deshalb dem Gebot nach § 14 Abs. 1 Satz 2 WpHG, die Information nicht unbefugt weiterzugeben; befugt ist eine aufgaben-, tätigkeits- oder berufsbedingte Weitergabe der Information (Assmann, a.a.O., § 14 Rz. 74; vgl. auch Frowein, a.a.O., § 10 Rz. 114). In diesem Rahmen, aber auch darauf beschränkt, darf die Information weitergegeben werden, sofern der Empfänger der Information zur Vertraulichkeit verpflichtet ist (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 3 WpHG; andernfalls erfolgt die Weitergabe allerdings auch nicht befugt). Zu verhindern ist dagegen insbesondere, dass sich auch Personen im Rahmen ihrer Tätigkeit oder Aufgaben regulär Zugang zur Information verschaffen können, ohne mit dem betroffenen Vorgang „befugt“ befasst zu sein (vgl. Assmann, a.a.O., § 14 Rz. 164).

§ 7 Nr. 1 WpAIV stellt ebenso wenig wie die zugrunde liegende Richtlinie konkrete Anforderungen an die insoweit gebotenen Vorkehrungen. Die Schaffung oder Inanspruchnahme organisierter Compliance-Strukturen ist danach aus Rechtsgründen keine unabdingbare Voraussetzung, um den Aufschub in Anspruch nehmen zu können (Assmann, a.a.O., § 14 Rz. 165; Versteegen, a.a.O., § 15 Rz. 164). Dafür mögen praktische Gründe sprechen, insbesondere auch im Hinblick darauf, dass in der Mehrzahl der Sachverhalte bereits Sorgfalt auf die Ermittlung meldepflichtiger Umstände innerhalb des börsennotierten Unternehmens oder Konzerns verwandt werden muss (vgl. etwa Nietsch, BB 2005, 785, 787), so dass ein börsennotiertes Unternehmen ohne solche Strukturen nicht dauerhaft in der Lage sein wird, seinen insiderrechtlichen Pflichten nachzukommen. Eine rechtliche Anforderung für jeden Einzelfall ergibt sich daraus aber nicht. Der Emittent kann gerade in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der fragliche Vorgang seinen Ursprung in der zugleich für die Einhaltung dieser Pflichten verantwortlichen Unternehmensspitze hat, auch in anderer Weise für die Zugangskontrolle sorgen. Hier liefe die Inanspruchnahme solcher Strukturen und das heißt auch zusätzlicher Mitarbeiter der Zielsetzung zuwider, den Kreis der Mitwisser möglichst klein zu halten. Insbesondere setzen diese Normen auch nicht voraus, dass jeder Empfänger der Information in das Insiderverzeichnis nach § 15b WpHG aufgenommen ist. Die Erfüllung dieser eigenständigen Verpflichtung bezweckt vor allem die effektive Kontrolle durch die Aufsichtsbehörde (vgl. nur Heinrich, in: Kölner Komm. z. WpHG, § 15b Rz. 3 ff.). Dass das Verzeichnis und damit die Aufnahme aller Insider in dieses Verzeichnis dem Emittenten auch dazu verhelfen soll, seine Geheimhaltungspflichten in den Griff zu bekommen (so Erwägungsgrund (6) der Durchführungs-RL 2004/72/EG), rechtfertigt nicht die Annahme einer rechtlichen Voraussetzung für den Aufschub nach § 15 Abs. 3 WpHG. Ebenso wenig ergibt sich aus den genannten Normen eine Dokumentationspflicht (zutreffend Assmann, a.a.O., § 14 Rz. 165 m.w.N. zum Meinungsstand).

Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob das der BaFin mit Datum 24.8.2005 vorgelegte Insiderverzeichnis, unstreitig der Ausdruck einer Datei im Excel-Format, mit den Eintragungen zu den hier betroffenen Insidern und insbesondere den Daten ihrer Belehrung schon vor dem 28.7.2005 existiert hat. Allerdings spricht alles für diese Annahme. Die jeweils in der letzten Tabellenspalte aufgeführten Daten zur „Belehrung und Vertraulichkeitsverpflichtung“ korrespondieren mit den Daten ZIP 2009, Seite 972in den im Termin vom 28.11.2008 von der Musterbeklagten als Anlagen zum Protokoll gegebenen, offensichtlich wenige Zeit danach unterschriebenen Bestätigungen verschiedener Insider (Vorstände, Aufsichtsräte, Mitglieder der Task-Force Ad-hoc). Der Vermerk über die Belehrung des Zeugen U. datiert auf 19.8.2005; dieser hat bei seiner Vernehmung ausgesagt, dass er von der Musterbeklagten in etwa im August 2005 insiderrechtliche Informationen erhalten hat. Dies ist für die Vorgänge bis zum 28.7.2005 ohne Bedeutung. Es gibt also keine Anhaltspunkte dafür, dass die Musterbeklagte das Insiderverzeichnis etwa für Zwecke der Ermittlungen der Aufsichts- und Bußgeldbehörde manipuliert haben könnte.

Unabhängig davon ist jedenfalls eine ausreichende Vorkehrung dadurch getroffen worden, dass der Kreis der befugten Mitwisser nur soweit nötig erweitert worden ist. Die nach dem Entstehen der Insiderinformation noch zusätzlich mit der Information versorgten Personen haben die Information befugt erhalten. Das gilt für die Aufsichtsratsmitglieder deshalb, weil diese ohnehin im Grundsatz berechtigt sind, sämtliche das Unternehmen betreffenden Informationen zu erfahren (vgl. nur Lutter, a.a.O., Rz. 108), und sie bereits kraft Gesetzes zur Vertraulichkeit verpflichtet sind (§ 116 Satz 1 AktG; vgl. auch Leuering, NZG 2005, 12, 14). Von dem Vorhaben eines Wechsels des Vorstandsvorsitzenden, über das sie in Wahrnehmung der Alleinkompetenz des Aufsichtsrats mit zu entscheiden hatten, konnten sie in einem beliebigen Stadium der Vorbereitung informiert werden (vgl. Lutter, a.a.O., Rz. 113). Entsprechendes gilt für die – nach Vortrag der Musterbeklagten – vom Zeugen A. erst am Vorabend des 28.7.2005 in Kenntnis gesetzten Vorstandskollegen L., M. und N., die selbstverständlich spätestens zu diesem Zeitpunkt über den beabsichtigten Wechsel an der Spitze des Organs informiert werden durften oder gar mussten; das war deshalb befugt, weil ihre eigene Tätigkeit davon betroffen war und sie ebenfalls zur Geheimhaltung verpflichtet waren, § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG. Schließlich sind auch die Mitglieder der Task-Force Ad-hoc um 7.30 Uhr am 28.7.2005 befugt informiert worden, um die Ad-hoc-Mitteilung nach der Beschlussfassung des Aufsichtsrats vorzubereiten und zu veranlassen.

Auf den umfangreichen und überwiegend streitigen Vortrag des Musterklägers zu angeblichen Vorfällen in der Zeit vor der Beschlussfassung des Präsidialausschusses und vor dem anschließenden Abendessen der Anteilseignervertreter am 27.7.2005, angesichts derer die Vertraulichkeit nicht mehr gewahrt gewesen sei, kommt es aus Rechtsgründen nicht an.

bb) Weiter ist Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Befreiungstatbestands nach § 15 Abs. 3 WpHG, dass alle Personen, die in das Vorhaben eingeweiht worden sind, als Insider ihre diesbezüglichen Pflichten anerkannt haben und über die Sanktionen bei Verstößen belehrt worden sind (im Folgenden kurz: Belehrung).

Der von der Musterbeklagten zuletzt vertretenen Ansicht, dafür bestehe keine Rechtsgrundlage, kann nicht gefolgt werden. Die Belehrungspflicht ist zwar nicht ausdrücklich in § 15 Abs. 3 WpHG geregelt. Sie folgt aber aus der dargelegten richtlinienkonformen Auslegung dieser Vorschrift sowie aus dem Umstand, dass der Verordnungsgeber bei der Umsetzung der einschlägigen Durchführungs-RL 2003/124/EG in § 7 WpAIV die Übernahme dieser Voraussetzung aus der Richtlinie für überflüssig gehalten hat, weil § 15b Abs. 1 Satz 3 WpHG in Umsetzung von Art. 5 Abs. 5 der Durchführungs-RL 2004/72/EG eine entsprechende Anordnung enthält, deren Erfüllung dann auch dem Zwecke des § 15 Abs. 3 WpHG genügt. Dementsprechend ist auch der deutsche Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Emittent in Zusammenhang mit dem Aufschub diese Belehrungs- und Aufklärungspflicht wahrnehmen muss (BT-Drucks. 15/3174 S. 35). Die einschlägigen Richtlinien sollten also im Ergebnis nicht anders als in anderen Mitgliedstaaten umgesetzt werden, die sämtliche drei Punkte zur Gewährleistung der Vertraulichkeit ausdrücklich im Kontext des Aufschubtatbestands aufgenommen haben (vgl. etwa in Österreich § 48d Abs. 2 Nr. 2b Börsegesetz; in Frankreich Art. 223-2 II 2 Règlement Général de l'Autorité des Marchés Financiers, Livre II). Somit ist auch in diesem Zusammenhang zwar nicht die Aufnahme ins Insiderverzeichnis als solche für die Inanspruchnahme des Aufschubs Voraussetzung, wohl aber eine entsprechende Belehrung, die – für diesen Zweck – nicht zwingend, allerdings sinnvollerweise bei Aufnahme ins Insiderverzeichnis erfolgt.

Die Musterbeklagte stützt sich zu Unrecht auf Literaturstimmen, wonach dieser Belehrungspflicht nach der genannten Durchführungs-RL keine eigenständige Bedeutung im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Vertraulichkeit im Rahmen der Selbstbefreiung habe (z.B. Assmann, a.a.O., § 15 Rz. 163). Die von der Musterbeklagten genannten Autoren halten damit nicht die Belehrungen im Kontext Selbstbefreiung für entbehrlich, sondern bringen die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, dass nicht eine gesonderte, aber inhaltsgleiche Belehrung zusätzlich zu der für den Zeitpunkt der Aufnahme ins Insiderverzeichnis nach § 15b Abs. 1 Satz 3 WpHG vorgeschriebenen Belehrung erforderlich ist, sondern eine einheitliche Belehrung ggf. beiden Zwecken dient.

Es gibt auch keine Grundlage für die von der Musterbeklagten geforderte Ausnahme von diesen organisatorischen Pflichten, soweit Organmitglieder als Insider betroffen sind. Für diese Ansicht stützt sich die Musterbeklagte letztlich auf den Umstand, dass die Organmitglieder bereits gesetzlich umfassend zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Diese Überlegung trägt aber nicht. Eine Verschwiegenheitspflicht, sei sie gesetzlich oder vertraglich begründet, ist ohnehin Voraussetzung für eine befugte Weitergabe der Insiderinformation an den (potenziellen) Insider ohne zeitgleiche Veröffentlichung (§ 14 Abs. 1 Nr. 2, § 15 Abs. 1 Satz 2 WpHG). Für die Gewährleistung der Vertraulichkeit im Rahmen des Selbstbefreiungstatbestands tritt die Voraussetzung hinzu, dass sich der Emittent der Anerkennung dieser und weiterer insiderrechtlicher Pflichten durch den Insider versichert und dass er ihn über die vorgesehenen Sanktionen belehrt. Dies wird durch die vorausgesetzte Verschwiegenheitspflicht nicht ersetzt. Dieser Standpunkt steht im Übrigen auch im Widerspruch dazu, dass die Musterbeklagte nach ihrem eigenen Vorbringen in der Zeit nach Inkrafttreten der Änderungen des WpHG gegen Ende 2004 für solche Belehrungen gesorgt und in den von ihr vorgelegten Merkblättern oder auch im Anschreiben an das Vor-ZIP 2009, Seite 973standsmitglied L. – zu Recht – insbesondere und an erster Stelle Organmitglieder für belehrungsbedürftige Insider gehalten hat.

Die fraglichen, nach der Beschlussfassung des Präsidialausschusses informierten Insider – mit Ausnahme des Aufsichtsratsmitglieds U. – sind nach dem unstreitigen oder bewiesenen Vortrag der Musterbeklagten ausreichend belehrt worden. (Wird ausgeführt.)

cc) Erfüllt ist dagegen die weitere Anforderung, dass Vorkehrungen für eine unmittelbare Veröffentlichung einer Ad-hoc-Meldung getroffen werden, falls die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist.

Auch hier ergeben sich aus den Rechtsvorschriften keine konkreten Anforderungen. Diese sind nach den Umständen des Einzelfalls zu stellen (vgl. Versteegen, a.a.O., § 15 Rz. 164; Assmann, a.a.O., § 15 Rz. 165). Ob dazu im Regelfall eine ausformulierte Ad-hoc-Mitteilung vorzuhalten ist, kann offenbleiben. Unstreitig hatte Herr G. bereits ab 10.7.2005 Presseerklärungen vorbereitet, die Entwürfe sind schließlich in die am 28.7.2005 tatsächlich veröffentlichte Pressemitteilung gemündet. Aus den Entwürfen konnte bei Bedarf unschwer eine Ad-hoc-Mitteilung erstellt und ggf. an den aktuellen Stand angepasst werden. Das zeigt die Ad-hoc-Mitteilung vom 28.7.2005, die eine verkürzte, insoweit aber wörtlich übernommene Version der Pressemitteilung vom selben Tag ist.

Da Herr G. unstreitig Mitglied der Task-Force Ad-hoc war – nach seiner Aussage gehörte er dem Gremium bereits seit dessen Gründung im Jahr 2004 an –, war gewährleistet, dass er diese kurzfristig einschalten konnte, um bei Bedarf eine Ad-hoc-Mitteilung zur Veröffentlichung zu bringen. Umgekehrt konnte die Task-Force Ad-hoc bei ihrer regelmäßigen Überwachung durch Auswertung der unstreitig von der Musterbeklagten abonnierten Informationsdienste in dem Fall kurzfristig tätig werden, dass ihr durchgesickerte Informationen aufgefallen wären, die Anlass für eine Veröffentlichung gegeben hätten, weil über ihr Mitglied G. die nötige Koordination mit den handelnden Personen möglich war.

2. Es ist weiter festzustellen, dass die fehlende Mitteilung von Gründen für den Aufschub an die BaFin nach § 15 Abs. 3 Satz 4 WpHG die Musterbeklagte nicht hindert bzw. gehindert hätte, sich auf den Befreiungstatbestand zu berufen (Vorlagefrage 4).

Bei dieser Mitteilungspflicht handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung gegenüber der zuständigen Verwaltungsbehörde, die nach dem Wegfall der materiellen Voraussetzungen für den Aufschub eingreift. Die Verletzung dieser Pflicht kann nicht dazu führen, dass der an sich rechtmäßige Aufschub rückwirkend unwirksam wird (ebenso Nietsch, BB 2005, 785, 786; Harbarth, ZIP 2005, 1898, 1906; Monheim, a.a.O., S. 290). Insbesondere kann davon auch nicht die Schadensersatzhaftung des Emittenten abhängen (Harbarth, ZIP 2005, 1898, 1908). Zweck der Haftungsnorm ist es nicht, dem Anleger wegen der Nichteinhaltung von öffentlich-rechtlichen Pflichten gegenüber der BaFin Schadensersatz zuzusprechen; dies wäre auch nicht kausal für einen wie auch immer berechneten Schaden des Anlegers.

3. Es bedurfte keiner bewussten und dokumentierten Entscheidung der Musterbeklagten über die Inanspruchnahme der Befreiung (Vorlagefrage 3). Zahlreiche Stimmen in der Literatur leiten dies zwar aus dem Umstand ab, dass § 15 Abs. 3 Satz 4 WpHG und damit übereinstimmend § 8 Abs. 5 Nr. 2 lit. a WpAIV vorsehen, dass der Emittent bei der späteren Mitteilung der bevorstehenden Veröffentlichung an die BaFin die Gründe für seine Entscheidung über den Aufschub und nach lit. b der genannten Verordnungsregelung auch Angaben über involvierte Personen mitteilen muss (siehe nur Widder, BB 2008, 1480, 1481 m.w.N.). Diese präzisen Angaben bei der Erfüllung seiner öffentlich-rechtlichen Mitteilungspflicht gegenüber der Verwaltungsbehörde (s.o.) sind in der Tat nur möglich, wenn zuvor eine Entscheidung in dem Bewusstsein getroffen worden ist, dass zwar eine Insiderinformation, aber auch die Voraussetzungen für einen Aufschub ihrer Veröffentlichung vorliegen (Versteegen, a.a.O., § 15 Rz. 167). Daraus folgt aber nicht zwingend, dass eine solche bewusste Entscheidung auch Voraussetzung dafür ist, dass mit dem Aufschub die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung einer Insiderinformation nicht verletzt worden ist. Dagegen sprechen der Wortlaut von § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG, wonach der Emittent unter den genannten Voraussetzungen von dieser Pflicht befreit ist (Versteegen, a.a.O., § 15 Rz. 166 ff.; Möllers/Leisch, ebd., §§ 37b, 37c Rz. 142; Kuthe, ZIP 2004, 883, 885; Veith, NZG 2005, 254; Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 14 Rz. 51; vgl. auch Nietsch, BB 2005, 785, 786), und der Umstand, dass der Emittent bei Vorliegen der Voraussetzungen die Befreiung ohnehin in Anspruch zu nehmen hat (siehe näher Versteegen, a.a.O., § 15 Rz. 166 ff.).

4. Entscheidend kommt es auf die Frage, ob eine bewusste Entscheidung erforderlich ist (oben 3), für die Ausgangsverfahren nicht an. Selbst wenn diese Frage anders zu beantworten wäre, würde die Musterbeklagte den klagenden Anlegern nicht auf Schadensersatz nach § 37b WpHG haften, weil sie sich jedenfalls darauf berufen kann, dass sie bei rechtmäßigem Alternativverhalten eine solche bewusste Entscheidung getroffen und deshalb die unverzügliche Veröffentlichung nicht pflichtwidrig unterlassen hätte, so dass der von den Anlegern als Schaden geltend gemachte Vermögensverlust ggf. nicht anders eingetreten wäre. Entsprechendes gilt für die fehlende Belehrung des Aufsichtsratsmitglieds U. über die ihm ohnehin bekannten insiderrechtlichen Pflichten und Sanktionen. Dies ist auf die Vorlagefrage 5 festzustellen.

a) Mit dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens macht der Schädiger geltend, dass derselbe Schaden eingetreten wäre, wenn der Schädiger sich in einer Weise verhalten hätte, die rechtmäßig oder entschuldigt gewesen wäre und daher keine Ersatzpflicht begründet hätte (Staudinger/Schiemann, BGB, 2005, § 249 Rz. 102; MünchKomm-Oetker, BGB, 5. Aufl., § 249 Rz. 211). Ob dieser Einwand im Einzelfall durchgreifen kann, bestimmt sich nach dem Schutzzweck der verletzten Haftungsnorm (BGHZ 120, 281, 285 f.; Staudinger/Schiemann, a.a.O., § 249 Rz. 105; MünchKomm-Oetker, a.a.O., § 249 Rz. 215).

Der Musterkläger stellt sich zu Unrecht auf den Standpunkt, die Berücksichtigung dieses Einwands sei schon im Ausgangs-ZIP 2009, Seite 974punkt deshalb ausgeschlossen, weil ein pflichtgemäßes Alternativverhalten der Musterbeklagten nicht in der für den Schaden unerheblichen bewussten Entscheidung zum Aufschub der Veröffentlichung, sondern in der unverzüglichen Veröffentlichung gelegen hätte. Damit übersieht der Musterkläger, dass ein berechtigter Aufschub der Veröffentlichung nach § 15 Abs. 3 WpHG die Verpflichtung zur unverzüglichen Veröffentlichung nach § 15 Abs. 1 WpHG für die Zeit des Aufschubs und mithin bereits eine objektive Pflichtwidrigkeit der Nichtveröffentlichung entfallen lässt. Der berechtigte Aufschub nach § 15 Abs. 3 WpHG schließt deshalb auch für die Haftung nach § 37b Abs. 1 WpHG schon die objektive Tatbestandsmäßigkeit aus, weil der Emittent in dem Fall nicht die unverzügliche Veröffentlichung unterlässt (Möllers/Leisch, a.a.O., §§ 37b, 37c Rz. 104; Sethe, in: Assmann/Schneider, a.a.O., §§ 37b, 37c Rz. 55; Monheim, a.a.O., S. 288 ff.).

Der Schutzzweck der Haftungsnorm des § 37b WpHG steht dem Einwand nicht entgegen. Er liegt infolge der unmittelbaren Anknüpfung an §§ 13, 15 WpHG zunächst im Funktionsschutz: Die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts soll gestärkt werden, indem die Bildung unangemessener Marktpreise durch Informationsdefizite verhindert wird. Außerdem soll der Insiderhandel verhütet werden (Möllers/Leisch, a.a.O., §§ 37b, 37c Rz. 7 und 8). Insoweit hat die Haftungsnorm auch eine generalpräventive Funktion (Möllers/Leisch, a.a.O., §§ 37b, 37c Rz. 4; Casper, a.a.O., §§ 37b, 37c WpHG Rz. 7).

Diese Zwecke stehen dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht entgegen, soweit er nicht darauf gerichtet ist, dass derselbe Schaden auch bei früherer Bekanntgabe entstanden wäre, sondern es wie hier nur darum geht, dass im Falle der gegebenen Aufschubvoraussetzungen des § 15 Abs. 3 WpHG bei einer bewussten Entscheidung für den Aufschub die Bekanntgabe zum selben späteren Zeitpunkt erfolgt und somit eine frühere unverzügliche Bekanntgabe nicht pflichtwidrig unterlassen worden wäre. Denn die genannten allgemeinen Zwecke der Ad-hoc-Publizität, die auch durch die Haftungsnorm gestützt werden sollen, werden nur in den Grenzen des § 15 Abs. 3 WpHG geschützt. Sind die materiellen Voraussetzungen dafür gegeben, werden Kapitalmarkteffizienz und das Anliegen auf Verkürzung des Zeitraums für möglichen Insiderhandel in einem vom Gesetz hingenommenen Umfang tangiert. Es spielt dann keine Rolle, wenn eine etwaige zusätzliche Verpflichtung, diese Voraussetzungen auch bewusst festzustellen und den Aufschub zu dokumentieren, nicht eingehalten wird. Wäre sie eingehalten worden, wären die Zwecke in gleichem Maße – vom Gesetz erlaubt – tangiert. Dieser Schutzzweck der Norm verlangt deshalb nicht nach der Haftung eines Emittenten, der sich selbst hätte befreien können, dies aber nicht erkannt oder entschieden hat (so auch Gunßer, a.a.O., S. 87 f.; der Sache nach auch Monheim, a.a.O., S. 290). Es kommt hinzu, dass der Vorstand einer AG als Emittentin insbesondere im Fall des berechtigten Interesses infolge der ausstehenden Aufsichtsratsentscheidung und bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 WpHG den Aufschub im Regelfall nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensführung in Anspruch nehmen muss (vgl. etwa Lutter, a.a.O., Rz. 659).

Erst recht nicht berührt ist der auch bezweckte Individualschutz, unabhängig davon, ob man ihn – wie für die Schadensermittlung umstritten – in der Wahrung eines Interesses an Transaktionen zu angemessenen Preisen oder darüber hinaus im Schutz vor Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Anlegers sieht (zum Meinungsstand etwa Möllers/Leisch, a.a.O., §§ 37b, 37c Rz. 11, 245). Denn hier gilt erst recht die Überlegung, dass die Preisbildung oder die Willensfreiheit bereits durch die nicht frühzeitige Veröffentlichung tangiert sind, was nach Maßgabe des § 15 Abs. 3 WpHG vom Gesetz erlaubt wird. Diese Schutzzwecke sind nicht davon berührt, ob der Emittent über den Aufschub bewusst entscheidet, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen.

Schließlich steht als weitere Voraussetzung dieses Einwands fest, dass der „Schaden“ bei einer Entscheidung über die Selbstbefreiung genauso eingetreten wäre wie ohne diese Entscheidung. Denn die Entscheidung hätte in gleicher Weise dazu geführt, dass die Information erst mit der Ad-hoc-Mitteilung vom 28.7.2005 an die Öffentlichkeit gelangt wäre. Die Kursentwicklung wäre nicht anders verlaufen, die Anleger (und Kläger) hätten ihre Anlageentscheidung nicht zu einem anderen Zeitpunkt zu anderen Preisen getroffen.

b) Entsprechendes gilt für die von der Musterbeklagten versäumte oder jedenfalls nicht nachgewiesene Belehrung des Aufsichtsratsmitglieds U. Auch hier ist der Schutzzweck weder der o.g. Haftungsnorm noch der Anforderungen an den Emittenten, die erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung der Vertraulichkeit zu sichern, tangiert. Die Belehrung ist zwar eine formale Anforderung an den Emittenten, die dieser beachten muss, um sich auf den Tatbestand der Selbstbefreiung berufen zu können. Sie ist aber kein Selbstzweck. Die Vorschriften über diese Belehrung und die letztlich daran anknüpfende Haftungsnorm wollen es nicht dabei belassen, dass sich ein Normbefehl mit entsprechenden Sanktionen an den einzelnen Insider richtet, sondern sie wollen erreichen, dass der Insider diesen Normbefehl auch wirklich kennt und als Regelung akzeptiert. Dieser Schutzzweck wäre unter Berücksichtigung seiner generellen Präventivfunktion tangiert, wenn ein Emittent im Nachhinein etwa die Selbstbefreiung unter Berufung darauf in Anspruch nehmen könnte, dass ein Insider trotz fehlender Kenntnis der Verpflichtungen und Sanktionen keine Informationen weitergegeben habe. Anders liegt es, wenn zwar der Emittent seiner Verpflichtung zur Vermittlung dieser Kenntnis nicht nachgekommen ist, aber festgestellt werden kann, dass der fragliche Insider gleichwohl diese Kenntnis hatte und die Geltung der Regelungen akzeptiert hatte. Dann ist der Schutzzweck der Norm ungeachtet des formalen Verstoßes durch den Emittenten erfüllt und es kann nicht gesagt werden, dass die Vertraulichkeit deshalb nicht gewahrt sei, weil der Betreffende nicht über die insiderrechtlichen Regelungen informiert war; hätte die fragliche Person trotz ihrer Kenntnis gegen die Regelungen etwa durch unbefugte Weitergabe einer Insiderinformation verstoßen, wäre dies auch nicht mit einer zusätzlichen Belehrung durch den Emittenten verhindert worden. Es besteht unter diesen Umständen auch kein Grund für eine Haftung des Emittenten wegen nicht unverzüglicher Veröffentlichung der Insiderinformation.

ZIP 2009, Seite 975

So liegt es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch hier. (Wird ausgeführt.)

5. Im Ergebnis ist nach alldem festzustellen, dass die Musterbeklagte sich zumindest darauf berufen kann, dass der von den Anlegern geltend gemachte Schaden bei rechtmäßigem Alternativverhalten ebenfalls eingetreten wäre, weil sie eine Veröffentlichung nach § 15 Abs. 3 WpHG bis zur Beschlussfassung des Aufsichtsrats am Folgetag hätte aufschieben dürfen und eine unverzügliche Veröffentlichung nicht pflichtwidrig unterlassen hätte. In dem Fall hätte sie mit der Ad-hoc-Mitteilung vom 28.7.2005 die Information über die Entscheidung des Aufsichtsrats und damit die nunmehr feststehende Aufhebung der Bestellung von A. zum Jahresende 2005 unverzüglich veröffentlicht. Ob es dafür genügt, dass – wie nach § 121 BGB – ohne schuldhaftes Zögern gehandelt wird (so etwa Assmann, a.a.O., § 15 Rz. 248), oder ob bei richtlinienkonformer Auslegung des § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG ein objektiver Maßstab anzulegen ist (Versteegen, a.a.O., § 15 Rz. 115 ff.; Casper, a.a.O., §§ 37b, 37c WpHG Rz. 27; weitere Nachweise zum Meinungsstand bei Mülbert/Steub, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl., § 33 Rz. 178; ausführlich Möllers, in: Festschrift Horn, 2006, S. 473 ff.), ist nicht entscheidungserheblich. Die Veröffentlichung um 10.32 Uhr nach der vorgeschriebenen Vorabinformation der Börsen und der BaFin um 10.02 Uhr ist bezogen auf die Beschlussfassung des Aufsichtsrats um ca. 9.50 Uhr nach beiden Maßstäben unverzüglich geschehen.

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