RWS Update zur Verbandsklage: Der neuen Abhilfeklage droht die Abwanderung

14.03.2023

Das BMJ hat am 16. Februar einen Gesetzentwurf zur - verspäteten - Umsetzung der europäischen Vebandsklagenrichtlinie veröffentlicht. RWS-Referent Klaus Rotter ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und vertritt seit 1998 institutionelle und private Anleger. Für uns nimmt der Gründungspartner der Kanzlei Rotter Rechtsanwälte Partnerschaft mbB den Referentenentwurf unter die Lupe.

RWS: Herr Rotter, bislang sind schon rund 50 Stellungnahmen zum Entwurf eingegangen. Ist dies der große Wurf, um die Kollektivinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken?

Rotter: Sicherlich kein großer Wurf. Das Kernproblem des Entwurfs ist, dass er die Klagebefugnis der Verbände nicht an der EU-Verbandsklagenrichtlinie ausrichtet, sondern an der in Deutschland im Zuge des VW-Dieselskandals eingeführten Musterfeststellungsklage. Diese Vorgaben zur Klagebefugnis sind deutlich strenger und haben dazu geführt, dass seit 01.11.2018 nur 33 solcher Musterfeststellungsklagen geführt wurden. Mit diesen hohen Hürden für die Klagebefugnis isoliert sich Deutschland vom Rest der EU, was zu einer Schwächung des Justizstandorts Deutschland führt. So werden entsprechende Abhilfeklagen der Verbände, die diese hohen Voraussetzungen nicht erfüllen, deshalb im angrenzenden Ausland gegen deutsche Unternehmen geführt werden, z.B. in den Niederlanden. Dies kann auch nicht im Interesse der Unternehmen sein, wenn zukünftig solche Schadensfälle in fremden Jurisdiktionen gerichtlich geklärt werden.

RWS: Teilweise lassen die Stellungnahmen vermuten, die Verbandsklage könnte in Konkurrenz zu bestehenden kollektiven Klagerechten treten. Stimmen Sie zu?

Rotter: Das Verhältnis zum Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG) ist, wie schon bei der Musterfeststellungsklage, nicht ausdrücklich geregelt. Hier wäre es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber klar stellen würde, dass beide Instrumente parallel anwendbar sind und das KapMuG dahingehend mit der Verbandsklage gleichzieht, dass zukünftig auch im Rahmen eines Kapitalanlegermusterprozesses Abhilfeentscheidungen möglich sind. Das KapMuG gibt es seit 01.11.2005 und hat sich in seinem Anwendungsbereich, also bei öffentlichen Kapitalmarktinformationen, bereits bewährt.

RWS: Für wie praktikabel halten Sie das vorgeschlagene Verfahren für die neue Abhilfeklage, und welche Belastungen kommen damit auf Gerichte und Unternehmen zu?

Rotter: Es ist wichtig, dass die Verbandsklage, anders als die bisherige Musterfeststellungsklage, nicht nur auf die Feststellung von Rechtsschutzzielen ausgestattet ist, sondern auch Abhilfeentscheidungen, wie Schadenersatz ermöglicht. Sofern die Klagebefugnis sich an der EU-Verbandsklagenrichtlinie und nicht an der Musterfeststellungsklage orientiert, wird die neue Verbandsklage zu einer deutlichen Entlastung der Justiz führen, weil Einzelklagen bei großen Schadensfällen nicht mehr erforderlich sind, sondern diese im Rahmen einer Verbandsklage geklärt werden.
Rechtschaffene Unternehmen haben nichts zu befürchten. Im Gegenteil: Die Verbandsklage führt dazu, dass sich die Wettbewerbsposition von rechtschaffenen Unternehmen verbessert, in dem Wettbewerbsvorteile von Unternehmen, die durch Massentäuschung von Verbrauchern erlangt werden, ausgeglichen werden. Im Bereich des Kapitalmarktes ist bekannt, dass gravierende Defizite im Anlegerschutz letztlich zu höheren Finanzierungskosten von allen Unternehmen führen. Ich darf an dieser Stelle nur auf den Neuen Markt verweisen, an dem zahlreiche Unternehmen durch betrügerisches Verhalten Anleger getäuscht haben. Das gesamt Marktsegment musste eingestellt werden und es fehlte eine wichtige Finanzierungsquelle von rechtschaffenen Unternehmen.

Klaus Rotter, Rotter Rechtsanwälte (München)

RWS: Streit gab es in der Koalition bereits zu Zeitpunkt und Befugnis der Anmeldung zum Klageregister. Was droht Verbrauchern und Unternehmen, die eine Teilnahme an der Klage „verpassen“?

Rotter: Ich halte es für sinnvoll, dass sich betroffene Verbraucher zu einem bestimmten Zeitpunkt dafür entscheiden, ob sie von einer Verbandsklage profitieren wollen oder nicht. Die vorgeschlagene Regelung, dass sich Verbraucher bis zum Tag vor Beginn der mündlichen Verhandlung anmelden können und nur bis Ende des Tages der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz ihre Anmeldung zurücknehmen können, ist deshalb sinnvoll. Allerdings sollte der Gesetzgeber klarstellen, dass es sich um eine mündliche Verhandlung handeln muss, bei der in der Sache und nicht nur abgesondert über die Zulässigkeit der Verbandsklage verhandelt wird.
Verzögert man den Zeitpunkt der Anmeldung etwa bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung, werden Vergleiche kaum mehr möglich sein. Kein Unternehmen wird einen Vergleich schließen, wenn es nicht absehen kann, welches Schadensvolumen geltend gemacht wird. Wer die Anmeldefrist verpasst, muss entweder individuell klagen oder riskiert, dass seine Ansprüche verjähren. Dies ist aber hinzunehmen, um diejenigen Betroffenen nicht zu benachteiligen, die sich um ihre Angelegenheiten kümmern und aktiv durch die Anmeldung zum Ausdruck gebracht haben, dass sie Ansprüche geltend machen.

RWS: Welche entscheidenden Punkte muss der Entwurf Ihrer Ansicht nach noch berücksichtigen?

Rotter: Der Entwurf sieht vor, dass eine Verbandsklage nur zulässig ist, wenn die klageberechtigte Stelle glaubhaft macht, dass Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern betroffen sind. In der Musterfeststellungsklage, deren Voraussetzungen, wie oben bereits ausgeführt, nicht im Einklang mit der EU-Verbandsklagenrichtlinie stehen, genügten noch zehn Verbraucher. Diese zusätzliche Hürde ist deshalb nicht zielführend und schränkt die Anspruchsgeltendmachung ohne ersichtlichen Grund weiter ein.
Schließlich sollte im Gesetz ausdrücklich klargestellt werden, dass die Prozessfinanzierung zulässig und nicht missbräuchlich ist. Die Prozessfinanzierung hat sich in den letzten 25 Jahren bewährt und hat vielen betroffenen Verbrauchern erst den Zugang zu den Gerichten eröffnet.

Klaus Rotter referiert zu den Themen EU-Verbandsklage, Musterfeststellungsklage und KapMuG unter anderem auf dem RWS-Forum Bank- und Kapitalmarktrecht.

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