VG Frankfurt/M.: Zur Sanktionsgewalt des Sanktionsausschusses der FWB gegenüber einem skontroführenden Unternehmen und seinem Börsenhändler

13.01.2009

BörsG a.F. §§ 20, 24, 57
Zur Sanktionsgewalt des Sanktionsausschusses der FWB gegenüber einem skontroführenden Unternehmen und seinem Börsenhändler

VG Frankfurt/M., Urt. vom 19.6.2008 – 1 E 2583/07

Leitsätze des Gerichts:
1. Ein Handelsteilnehmer (hier: Skontroführer) kann nur für eigenes fehlerhaftes Verhalten mit einer Sanktion nach § 20 Abs. 2 BörsG belegt werden und nicht für das eigenverantwortliche Verhalten des Börsenhändlers, der für ihn tätig ist.

2. Die Verletzung der Handelsrichtlinien für den Freiverkehr i.S.d. § 57 BörsG stellt keinen Verstoß gegen börsenrechtliche Vorschriften i.S.d. § 20 Abs. 2 Nr. 1 BörsG 2004 dar.

3. Allein durch die Unterlassung der Veröffentlichung einer Taxe kann ein Anspruch auf kaufmännisches Vertrauen i.S.d. § 20 Abs. 2 Nr. 2 BörsG 2004 nicht verletzt werden.


Tatbestand:
Die Klägerin zu 1) betreut als Skontroführerin in dem von der Deutschen Börse AG betriebenen Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse u.a. die Aktie der Gondwana Energy Ud. (Börsenkürzel GFD). Der Kläger zu 2) ist Vorstandsmitglied der Klägerin zu 1) und außerdem für diese als skontroführende Person tätig. Am 10.8.2007 erließ der Sanktionsausschuss der beklagten Frankfurter Wertpapierbörse einen Beschluss, mit dem die Klägerin zu 1) mit einem Ordnungsgeld i.H. v. 6.000 € und der Kläger zu 2) mit einem Ordnungsgeld i.H. v. 3.000 € belegt wurden sowie beiden je zur Hälfte die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden.
Der Sanktionsausschuss macht dem Kläger zu 2) den Vorwurf, er habe am 26.10.2006 ausführbare Order zur Aktie GFD nicht ausgeführt und die veröffentlichte Taxe der tatsächlichen Orderlage nicht angepasst. Damit habe er gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 BörsG sowie gegen Bestimmungen der Börsenordnung und gegen Vorschriften für die Preisfeststellung im Präsenzhandel der Frankfurter Wertpapierbörse verstoßen. Diese Regeln seien auch auf den von der Deutschen Börse AG betriebenen Börsenhandel im Freiverkehr anwendbar, wie sich aus § 57 Abs. 2 BörsG und § 19 der AGB für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse ergäbe.
Gegen den Beschluss des Sanktionsausschusses haben die Kläger am 10.10.2007 Klage erhoben.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Insbesondere handelt es sich bei den Sanktionsbeschlüssen eines Sanktionsausschusses i.S.d. § 20 Abs. 1 BörsG (in der Fassung v. 21.6.2002 – BGBI I 2010) um Verwaltungsakte, die mit der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO angefochten werden können. Eines Vorverfahrens bedarf es insoweit nicht (§ 20 Abs. 3 Satz 2 BörsG).
Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Beschluss des Sanktionsausschusses der Frankfurter Wertpapierbörse ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.

1. Zuständigkeit des Sanktionsausschusses für den Freiverkehr
Allerdings erstreckt sich die Zuständigkeit des Sanktionsausschusses grundsätzlich auch auf das Verhalten der Handelsteilnehmer einschließlich der Skontroführer und Börsenhändler im Freiverkehr. Aus § 57 Abs. 2 Satz 2 BörsG, der die im Freiverkehr festgestellten Börsenpreise betrifft und in diesem Zusammenhang nur auf § 24 Abs. 2 BörsG verweist, lässt sich entgegen der Auffassung der Kläger nicht schließen, dass alle anderen Vorschriften des BörsG, insbesondere die über den Sanktionsausschuss (§ 20 BörsG), auf den Freiverkehr nicht anwendbar wären. Aus dem Wortlaut des § 57 BörsG lässt sich das nicht entnehmen. Aus der Verweisung auf § 24 Abs. 2 BörsG folgt auch nicht im Umkehrschluss, dass alle anderen Vorschriften des BörsG auf den Freiverkehr nicht anwendbar sind. Die Verweisung auf § 24 Abs. 2 BörsG war nur deshalb notwendig, um auch die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 2 BörsG im Freiverkehr sicherzustellen. § 24 BörsG bezieht sich nämlich seinem eigenen Wortlaut nach nur auf die Preisfeststellung im amtlichen und geregelten Markt, was ohne die Verweisung in § 57 Abs. 2 BörsG seine Anwendbarkeit im Freiverkehr ausgeschlossen hätte. Soweit Vorschriften des BörsG nicht in dieser Weise eingeschränkt sind, ergibt sich kein Grund zu der Annahme, dass sie für den Handel im Freiverkehr nicht anwendbar wären.

Der Handel mit Wertpapieren im Freiverkehr ist Börsenhandel an einer Wertpapierbörse (§ 1 Abs. 7 BörsG). WertpapierWertpapierbörsenbörsen und der Handel an ihnen unterliegen den Allgemeinen Bestimmungen über die Börsen und deren Organe nach dem 1. Abschnitt des BörsG. In diesem Abschnitt findet sich auch die Regelung über den Sanktionsausschuss (§ 20 BörsG). Der Freihandel unterscheidet sich vom Handel im amtlichen Markt und im geregelten Markt dadurch, dass die gehandelten Papiere weder den Zulassungsbedingungen nach § 30 Abs. 2 BörsG unterliegen, noch den Zulassungsvoraussetzungen, die in einer Rechtsverordnung nach § 32 BörsG geregelt sind. Vielmehr unterliegen sie nur den in § 57 Abs. 1 BörsG genannten Handelsrichtlinien, die privatrechtlicher Natur sind. Dies bedeutet aber nur, dass die Vorschriften des 2. und 3. Abschnitts des BörsG sowie die Vorschriften der §§ 49 bis 56 aus dem 4. Abschnitt auf den Freiverkehr nicht anwendbar sind, nicht jedoch, dass das gesamte BörsG und insbesondere die Vorschriften aus dem 1. Abschnitt nicht anwendbar wären.

Diese Deutung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Die Regelung über den Freiverkehr (§ 57 BörsG) wurde aus der Fassung des BörsG in der Fassung des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes übernommen (dort: § 78). In dem BörsG, das dieser Novellierung vorausging, war der Freihandel in die öffentlich-rechtliche Selbstverwaltung der Börse integriert. Aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben führte das dazu, dass Emittenten, deren Wertpapiere im Freihandel gehandelt wurden, einer Ad-hoc-Berichtspflicht unterworfen waren, von der sie nur dadurch befreit werden konnten, dass der Freihandel privatrechtlich organisiert wurde und damit nicht mehr dem Regime des Gemeinschaftsrechts unterlag. In diesem Zusammenhang führt die amtliche Begründung im Regierungsentwurf Folgendes aus: “Soweit die Regelung im BörsG (Hervorhebung des Gerichts) [ ... ] nicht greifen, kann der Handel im Freiverkehr an der Börse auf privatrechtlicher Basis geregelt werden.” (BT-Drucks. 12/6679, S. 75). Dies bestätigt, dass der Freihandel nicht gänzlich aus dem öffentlich-rechtlichen Regime des BörsG entlassen werden sollte, sondern nur insoweit, als dies erforderlich war, um die Ad-hoc-Berichtspflicht zu vermeiden, also im Hinblick auf die Vorschriften über den Handel und die Geschäftsabwicklung. Von den Vorschriften über das Sanktionsverfahren sollte der Freihandel jedoch nicht freigestellt werden (ebenso VG Frankfurt/M., Urt. v. 28.10.2002 – 9 E 551/02, ZIP 2003, 528).

Auch aus dem am 1.11.2007 in Kraft getretenen neuen BörsG (BGBI 2007 I, 1330 – im Folgenden: BörsG 2007) ergeben sich keine überzeugenden Gründe dafür, dass nach früherer Rechtslage der Handel im Freiverkehr nicht dem Sanktionsverfahren unterliegen sollte. Allerdings findet sich in der Regelung über den Freiverkehr (§ 48 Abs. 3 BörsG 2007) jetzt erstmals eine ausdrückliche Verweisung auf das gesamte BörsG (mit Ausnahme der Vorschriften über die Skontroführung), die “entsprechend” anzuwenden sind. Diese Verweisung geht auf die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags zurück (BT-Drucks. 16/4883, S. 107). In dem dazu vorgelegten Bericht des Finanzausschusses (BT-Drucks. 16/4899, S. 35) heißt es dazu: “Ferner bestimmt Satz 2, dass das BörsG für den Freiverkehr entsprechend anzuwenden ist. Ausgenommen sind lediglich die Vorschriften über [ ... ] die Verteilung der Skontren, welche im Freiverkehr bereits nach geltender Rechtslage (Hervorhebung des Gerichts) nicht den Beschränkungen des BörsG unterliegt [...].” Der Bezug auf die bisher geltende Rechtslage weist darauf hin, dass der Finanzausschuss in der Tat davon ausging, dass die allgemeinen Vorschriften des BörsG nach früherem Recht nicht auf den Freiverkehr anwendbar waren. Dies wird durch die Empfehlung des Bundesrats bestätigt, auf die die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zurückgeht. Dort heißt es: “Mit der vorgeschlagenen Formulierung werden zudem die für den gewöhnlichen Börsenhandel geltenden Rechtsvorschriften auch für den Freiverkehr anwendbar.” (BR-Drucks. 833/1/06, S. 24). Offenbar ging also auch der Bundesrat davon aus, dass die allgemeinen für den Börsenhandel geltenden Rechtsvorschriften nach der früheren Rechtslage nicht auf den Freiverkehr anwendbar waren und dies jetzt erstmals mittels Verweisung geändert werden sollte.

Diese Rechtsauffassung des Bundesrats und des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags lassen aber nicht den zwingenden Schluss zu, dass die allgemeinen Regelungen des früheren BörsG auf den Freiverkehr nicht anwendbar waren, weil es an einer entsprechenden Verweisung fehlte. Zunächst können die Vorstellungen des 16. Deutschen Bundestags nicht mit dem Willen und den Absichten des 12. Deutschen Bundestags gleichgesetzt werden, der die frühere Rechtslage geschaffen hat. Es handelt sich insoweit nicht um die für die Auslegung des Gesetzes relevante Äußerung des gesetzgeberischen Willens, sondern um eine Interpretation des vorhandenen Gesetzes, der als solcher keine höhere Bedeutung zukommt als jeder anderen Gesetzesinterpretation. Im Übrigen kann der Wille des Gesetzgebers, der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommt, für die Auslegung des Gesetzes nur dann von Bedeutung sein, wenn der Gesetzeswortlaut selbst verschiedene Auslegungen zulässt und der Inhalt des Gesetzes deshalb weder aus seinem Wortlaut noch aus seinem systematischen Zusammenhang erschlossen werden kann. Wie oben dargestellt, ergibt sich aber weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus dem systematischen Zusammenhang und aus den erkennbaren Zwecken der Regelung der geringste Zweifel daran, dass auch der Handel im Freiverkehr den allgemeinen Bestimmungen des BörsG unterliegen sollte und damit auch den Vorschriften über den Sanktionsausschuss.

2. Sanktionierung der Klägerin zu 1)
Soweit der angefochtene Beschluss die Klägerin zu 1) mit einer Sanktion belegt, ist er schon deshalb rechtswidrig, weil der Sanktion kein Verhalten zugrunde gelegt wird, das der Klägerin zu 1) zuzurechnen ist. Der Sachverhalt, den der Sanktionsausschuss zum Gegenstand des Vorwurfs und der Sanktionierung macht, bezieht sich ausschließlich auf ein (behauptetes) Verhalten des Klägers zu 2). Die Sanktionierung der Klägerin zu 1) beruht einzig und allein auf der Überlegung, dass das Unternehmen, für welches die tatsächlich handelnde Person bei der Skontroführung tätig wird, für dessen Verhalten und neben diesem auch sanktionsrechtlich einzustehen hat. Diese Überlegung hält jedoch einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

In der Rechtsprechung ist die Frage bisher nicht ausdrücklich behandelt worden. In dem Urteil der Kammer vom 16.2.2006 (1 E 2040/05) und dem darauf ergangenen Berufungsurteil des Hessischen VGH vom 16.4.2008 (6 UE 142/07, ZIP 2008, 1525 (LS)) blieb die Frage ebenso unerörtert wie in einigen früheren Entscheidungen der 9. Kammer (Urt. v. 28.10.2002 – 9 E 551/02, ZIP 2003, 528; Urt. v. 17.6.2002 – 9 E 2028/01). In dem Urteil vom 8.11.2004 (9 E 3418/03) wurde dagegen zwischen dem eigenen Verschulden des Handelsteilnehmers (Organisationsverschulden) und dem seines Börsenhändlers deutlich unterschieden.

Die Verhängung einer Sanktion i.S.d. § 20 BörsG ist ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Sie ist nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zulässig und steht infolgedessen nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG unter Gesetzesvorbehalt (BVerfGE 6, 32, 36 ff. – Elfes). Darüber hinaus handelt es sich bei der Sanktion i.S.d. § 20 BörsG um eine Disziplinarstrafe (zum Begriff vgl. BVerfGE 21, 378, 384). Als solche handelt es sich zwar nicht um eine Bestrafung nach den allgemeinen Strafgesetzen, für die das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 103 Abs. 3 GG gilt. Wohl aber handelt es sich um eine Strafe i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG, für die neben dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts und dem Bestimmtheitsgebot insbesondere auch das Analogieverbot gilt (BVerfGE 26, 186, 204).

Es gibt kein Gesetz, das dazu ermächtigt, den Skontroführer für Verfehlungen des für ihn tätigen Börsenhändlers zu sanktionieren. Insbesondere lässt sich § 20 Abs. 2 BörsG ein solcher Inhalt nicht entnehmen. Der Sanktionsgewalt des Sanktionsausschusses unterliegen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 BörsG alle Handelsteilnehmer. Handelsteilnehmer sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BörsG die zum Börsenhandel zugelassenen Unternehmen, die Skontroführer und die Börsenhändler. Zum Börsenhandel zugelassene Unternehmen sind solche, die sich mit der Anschaffung und Veräußerung börsenmäßig handelbarer Gegenstände befassen und dafür nach § 16 Abs. 2 BörsG zugelassen sind. Skontroführer sind Kreditinstitute oder Finanzdienstleistungsinstitute, die die Vermittlung und den Abschluss von Börsengeschäften im Parketthandel betreiben (§ 27 Abs. 1 BörsG) und dafür eine Zulassung nach § 26 BörsG besitzen. Börsenhändler sind Personen, die für ein nach § 16 Abs. 2 BörsG an der Börse zugelassenes Unternehmen handeln und dafür nach § 16 Abs. 5 BörsG zugelassen sind. Der Skontroführer betreibt als solcher die Vermittlung von Verträgen über die Anschaffung und Veräußerung börsenmäßig gehandelter Gegenstände sowie auch die Anschaffung und Veräußerung für eigene Rechnung. Dazu bedarf er der Zulassung nach § 16 Abs. 2 BörsG. Es handelt sich also beim Skontroführer um eine spezifische Untergruppe der zur Teilnahme am Börsenhandel zugelassenen Unternehmen.

Die natürlichen Personen, die an einem bestimmten Handelstag für dieses Unternehmen tatsächlich die skontroführende Tätigkeit ausüben, sind folglich Börsenhändler i.S.d. § 16 Abs. 5 BörsG. Sie unterliegen deshalb ebenso wie das zur Skontroführung zugelassene Unternehmen der Sanktionsgewalt des Sanktionsausschusses.

Aus dem Umstand, dass sowohl das skontroführende Unternehmen als auch der für dieses Unternehmen tätige Börsenhändler der Sanktionsgewalt des Sanktionsausschusses unterliegen, folgt jedoch nicht, dass der Skontroführer für das Verhalten seines Börsenhändlers sanktioniert werden darf. Dazu bedürfte es einer diesbezüglich eindeutigen Regelung, wie sie etwa in § 30 OWiG getroffen worden ist, für das börsenrechtliche Sanktionsverfahren aber fehlt. In § 20 Abs. 2 BörsG ist im Gegenteil nur geregelt, dass ein Handelsteilnehmer dann mit einer Sanktion belegt werden kann, “wenn der Handelsteilnehmer ... verstößt ... oder ... verletzt”. Eine Sanktionierung des zur Skontroführung zugelassenen Unternehmens kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn ein eigenes schuldhaftes Verhalten des Unternehmens sanktioniert werden soll. Zwar kann eine juristische Person als solche nicht schuldhaft handeln. Sie muss sich aber das schuldhafte Verhalten ihrer Organe zurechnen lassen.

Die Entstehungsgeschichte des § 20 Abs. 2 BörsG bestätigt, dass der Gesetzgeber genau ein solches Organisationsverschulden der Organe des Unternehmens zum Gegenstand möglicher Sanktionierung machen und nicht etwa die Möglichkeit schaffen wollte, das Unternehmen für ein Verhalten zu sanktionieren, das allein im Verantwortungsbereich ihres Börsenhändlers liegt. Während das alte BörsG von 1896 (RGBI 1896, 157) vorsah, dass nur natürliche Personen zur Teilnahme am Börsenhandel zugelassen waren, wurde mit dem Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz die Möglichkeit geschaffen, dass auch Unternehmen zum Börsenhandel zugelassen werden konnten. Auch die nach dem alten Recht vorgesehenen Sanktionsmechanismen richteten sich nur gegen natürliche Personen. Mit der Zulassung von Unternehmen zum Börsenhandel ergab sich deshalb die Frage, ob auch Unternehmen einem solchen Sanktionsmechanismus unterworfen werden sollten. Der Gesetzgeber hat dies bejaht (§ 9 BörsG 1995, BGBI 1994 I, 1749). Im damaligen Regierungsentwurf wird zur Begründung hierfür angeführt, dass nicht nur natürliche Personen, sondern auch Unternehmen börsenrechtliche Vorschriften und Anordnungen sowie den Anspruch auf kaufmännisches Vertrauen verletzen könnten (BT-Drucks. 12/6679, S. 68).

Dies zeigt deutlich, dass das zum Börsenhandel zugelassene Unternehmen sanktionsrechtlich für eigene Verfehlungen einstehen sollte und nicht für Verfehlungen der für es handelnden natürlichen Personen, weil diese ohnehin schon unmittelbar dem Sanktionsregime unterworfen waren und bleiben sollten.

Sofern in dem angefochtenen Beschluss unter Berufung auf eine Literaturmeinung (Schwark/Beck, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Aufl., 2004, § 20 BörsG Rz. 21) die Auffassung vertreten wird, dass eine solche Zurechnung auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 278 BGB zulässig sei, ist dies dogmatisch nicht nachvollziehbar. Die Methodik der Gesetzesanalogie besteht darin, eine gesetzliche Rechtsfolge auf einen Tatbestand anzuwenden, den das Gesetz nicht vorsieht, der jedoch dem gesetzlichen Tatbestand in wesentlicher Hinsicht ähnlich ist. Die Rechtsfolge des § 278 BGB ist die Haftung für fremdes Verschulden. Der Gläubiger kann auf der Grundlage dieser Vorschrift nicht den Geschäftsherrn neben dem Erfüllungsgehilfen in Anspruch nehmen, sondern nur statt des Erfüllungsgehilfen. Diese Rechtsfolge kann also in keinem Falle die Sanktionierung des Skontroführers neben seiseinemnem Börsenhändler rechtfertigen, zumal der Tenor des Sanktionsbeschlusses zweifelsfrei auch nicht in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Kläger gleichsam als Gesamtschuldner auf ein und dieselbe Schuld in Anspruch genommen werden.

Auch eine analoge Anwendung des § 30 OWiG kommt nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass diese Norm die Sanktionierung einer juristischen Person nur dann vorsieht, wenn jemand als vertretungsberechtigtes Organ oder als sonstige Leitungsperson handelt, nicht aber, wenn jemand wie der Börsenhändler als (Hervorhebung des Gerichts) untergeordnetes Ausführungsorgan handelt, steht jedenfalls das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG einer solchen Bezugnahme auf § 30 OWiG entgegen.

3. Sanktionierung des Klägers zu 2)
Dem Kläger zu 2) werden zwei verschiedene Vorwürfe gemacht. Zum einen soll er in der fraglichen Zeit börsenrechtliche Vorschriften dadurch verletzt haben, dass er keine Taxen veröffentlicht hat, zum anderen soll er dadurch gegen börsenrechtliche Vorschriften verstoßen haben, dass er keinen Börsenpreis festgestellt hat, obwohl Angebots- und Nachfrageorder vorlagen, die hätten zusammengeführt werden können.

3.1 Unterlassung der Taxenfeststellung
Die Sanktionierung wegen unterlassener Taxenveröffentlichung ist rechtswidrig, weil der Kläger zu 2) insoweit auch dann nicht gegen börsenrechtliche Vorschriften oder Anordnungen i.S.d. § 20 Abs. 2 Nr. 1 BörsG verstoßen hat, wenn er aufgrund der Vorgaben der Handelsrichtlinien für den Freiverkehr und der bestehenden Orderlage gehalten gewesen sein sollte, eine neue Taxe zu veröffentlichen. In einem derartigen Verhalten kann auch nicht die Verletzung des Anspruchs auf kaufmännisches Vertrauen i.S.d. § 20 Abs. 2 Nr. 2 BörsG gesehen werden.

Es gibt keine börsenrechtliche Vorschrift oder Anordnung, aufgrund deren der Kläger zu 2) verpflichtet war, vor der Preisfeststellung im Freiverkehr eine Taxe zu veröffentlichen. Unstreitig sind die Regelungen der Börsenordnung über die Taxenfeststellung nur für den öffentlich-rechtlich geregelten Börsenhandel anwendbar, also auf den Handel im amtlichen und geregelten Markt. Für den Freiverkehr bestimmt § 89 BörsO in Übereinstimmung mit § 57 Abs. 1 BörsG, dass die Regelungen über die Durchführung des Handels und der Geschäftsabwicklung im Freiverkehr in den Richtlinien für den Freiverkehr bestimmt werden, welche die Deutsche Börse AG erlässt. Zum Tatzeitpunkt galten insoweit, wie den Veröffentlichungen der Deutschen Börse AG auf ihrer Website (http://deutsche-boerse.com > Regelwerk) zu entnehmen ist, die “Richtlinien für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse”, die aufgrund einer entsprechenden Änderung mit Wirkung ab dem 19.5.2006 die Bezeichnung “Allgemeine Geschäftsbedingungen für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse” (AGB DBAG) tragen und in der Fassung der Änderung vom 29.5.2006 anwendbar waren. In den §§ 26, 27 AGB DBAG waren Regelungen über die Taxeneinstellung geregelt. Der Vorwurf des Sanktionsausschusses geht offenbar dahin, dass der Kläger zu 2) diese Regelungen verletzt hat. Zwar zitiert der Sanktionsausschuss insoweit einen § 19 AGB DBAG, der jedoch offensichtlich nicht einschlägig ist, weil er in den damals geltenden AGB das Verbot von Leerverkäufen regelte. Erst die AGB DBAG vom 15.11.2007 regeln in § 19, dass die Regelungen des regulierten Markts für den Handel und die Geschäftsabwicklung im Freiverkehr (“Open Market”) entsprechend anwendbar sein sollen. Das entspricht im Wesentlichen der Regelung des § 15 der zur Tatzeit geltenden Fassung der AGB, wonach die Vorschriften des amtlichen Markts sinngemäß zu beachten sind, soweit nicht Besonderheiten dieser AGB zu beachten sind, was insbesondere hinsichtlich der Taxenfeststellung, wie ausgeführt, zutrifft.
Die AGB der Deutschen Börse AG für den Freiverkehr sind keine börsenrechtlichen Vorschriften oder Anordnungen i.S.d. § 20 Abs. 2 Nr. 1 BörsG. Eine Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmungen kann deshalb keine öffentlich-rechtliche Sanktion durch Organe der Frankfurter Wertpapierbörse auslösen.

Die Handelsrichtlinien i.S.d. § 57 Abs. 1 BörsG sind privatrechtlicher Natur (vgl. VG Frankfurt/M. ZIP 2003, 528, Rz. 16; Schwark/Schwark, a.a.O., § 57 BörsG Rz. 2). Die Deutsche Börse AG handelt im Hinblick auf die Organisation des Freiverkehrs gerade nicht als Frankfurter Wertpapierbörse, also als Anstalt des öffentlichen Rechts (vgl. § 2 BörsG 2007), sondern als privates Unternehmen, das für die von ihm betriebene Handelsplattform Regelungen in Form von AGB trifft. Seit den Änderungen des Jahres 2006 kommt dies auch in der Bezeichnung dieses Regelwerks deutlich zum Ausdruck.

AGB gelten nicht kraft hoheitlicher Rechtsetzung. Sie werden nicht vorgeschrieben, sondern vereinbart. Wenn in § 20 Abs. 2 Nr. 1 BörsG von börsenrechtlichen Vorschriften die Rede ist, so liegt es folglich eher fern, privatrechtliche AGB unter diesen Begriff subsumieren zu wollen. Das BörsG verwendet den Begriff der Vorschrift auch sonst nur an Stellen, wo auf öffentlich-rechtliche Regelwerke mit Gesetzeswirkung (Gesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen) referiert wird (vgl. Hammen, in: Festschrift Hartmut Schmidt, 2006, S. 327).

Der Hessische VGH hat in seinem Urteil vom 16.4.2008 (6 UE 142/07, ZIP 2008, 1525 (LS)) die Ansicht vertreten, dass darüber hinaus auch Richtlinien und Verwaltungsvorschriften der Geschäftsführung als börsenrechtliche Vorschriften anzusehen sind. Dies hat er wesentlich damit begründet, dass das Börsenorgan Geschäftsführung in der Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse ermächtigt werde, ergänzende Regelungen und Einzelheiten (hier: der Preisfeststellung) zu erlassen. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung können zwar auch öffentlich-rechtliche Verwaltungsvorschriften mit norminterpretierendem Charakter als börsenrechtliche Vorschriften angesehen werden, nicht aber die AGB eines privatrechtlichen Akteurs, bei dem es sich gerade nicht um ein Organ der öffentlich-rechtlichen Anstalt handelt. Die Deutsche Börse AG ist auch nicht durch Gesetze, Rechtsverordnungen oder Satzungen ermächtigt, AGB zu erlassen, sondern tut dies allein im Rahmen ihrer Privatautonomie.

Das Urteil des Hessischen VGH steht der hier zugrunde gelegten Rechtsauffassung auch nicht etwa deshalb entgegen, weil es zur Stützung seiner Auffassung u.a. auch ein Urteil der 9. Kammer des VG Frankfurt/M. zitiert, das ausdrücklich zu den Handelsrichtlinien für den Freiverkehr ergangen ist. Dieses Zitat ändert nichts daran, dass sich der Hessische VGH in diesem Urteil nur mit der Bedeutung öffentlich-rechtlicher Verwaltungsvorschriften für das Sanktionsverfahren befasst hat und gerade nicht mit den Handelsrichtlinien für den Freiverkehr.

Die erkennende Kammer vermag sich auch nicht den Argumenten der früher zuständigen 9. Kammer dieses Gerichts anschließen, die in dem o.g. Urteil zu dem Ergebnis gekommen ist, dass auch privatrechtliche AGB des Veranstalters des Freiverkehrs als börsenrechtliche Vorschriften i.S.d. § 20 Abs. 2 BörsG anzusehen sind (VG Frankfurt/M. ZIP 2003, 528, Rz. 18 ff.). Die 9. Kammer stützt ihre Auffassung zunächst auf die Überlegung, dass nach § 57 Abs. 1 BörsG der Freiverkehr nur stattfinden darf, wenn er vom öffentlich-rechtlichen Betreiber der Börse zugelassen worden ist. Diese Zulassung sei selbst öffentlich-rechtlicher Natur. Sie dürfte nur erfolgen, wenn durch Handelsrichtlinien die ordnungsgemäße Durchführung des Handels gewährleistet erscheine. Folglich seien die Handelsrichtlinien als börsenrechtliche Vorschriften anzusehen. Die Schlüssigkeit dieser Argumentation hängt von der Validität einer unausgesprochenen Prämisse ab, die sich wie folgt formulieren lässt: Immer dann, wenn privatrechtliche Aktivitäten unter dem Vorbehalt einer öffentlich-rechtlichen Zulassung stehen und die Zulassung davon abhängt, dass die Aktivitäten im Rahmen privatautonomer Regelwerke stattfinden, die öffentlich-rechtlich vorgegebenen Standards entsprechen müssen, begründen diese Regelwerke öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten, deren Verletzung öffentlich-rechtlich geahndet werden können. Diese Prämisse ist offenkundig falsch. Wäre sie richtig, dann müssten beispielsweise die Tarifbestimmungen der Anbieter von Post- oder Telekommunikationsdiensten als öffentlich-rechtliche Vorschriften angesehen werden, nur weil das Betreiben solcher Dienste von einer öffentlich-rechtlichen Zulassung oder Genehmigung abhängt und diese auch von der Gesetzmäßigkeit der Tarife abhängig ist.

Das zweite Argument der 9. Kammer stellt darauf ab, dass börsenrechtliche Sanktionen nicht nur im Fall der Verletzung börsenrechtlicher Vorschriften in Betracht kommen, sondern auch im Falle der Verletzung eines Anspruchs auf kaufmännisches Vertrauen. Dieser Anspruch könne aber auch durch die Verletzung privatrechtlicher Regelungen verletzt werden (VG Frankfurt/M. ZIP 2003, 528, Rz. 20). Dagegen ist festzuhalten, dass es sich bei dem Verstoß gegen börsenrechtliche Vorschriften einerseits und bei der Verletzung des Anspruchs auf kaufmännisches Vertrauen andererseits um zwei verschiedene Sanktionstatbestände handelt, die nicht miteinander vermengt werden dürfen. Daraus, dass der Tatbestand einer Verletzung des Anspruchs auf kaufmännisches Vertrauen vorliegt, folgt nicht, dass auch ein Verstoß gegen börsenrechtliche Vorschriften vorliegt.

Die Annahme, dass die AGB des Betreibers des Freiverkehrs von dem Begriff der börsenrechtlichen Vorschriften in § 20 Abs. 2 BörsG umfasst werden, widerstreitet auch dem Grundsatz der Systemgerechtigkeit, der aus dem Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG folgt. Dieser Grundsatz fordert die Folgerichtigkeit gesetzlicher Wertungen. Zwar liegt allein in der Durchbrechung eines Systems nicht notwendigerweise schon eine Verletzung des Willkürverbots (BVerfGE 81, 156, 207 = ZIP 1990, 250, dazu EWiR 1990, 109 (Hanau)). Der Gesetzgeber ist aber an seine eigene Grundentscheidung in dem Sinne gebunden, dass Durchbrechungen einer folgerichtigen Begründung bedürfen (BVerfGE 84, 239, 271 = ZIP 1991, 1123 (m. Anm. Wenger)). Hinreichende Folgerichtigkeit verlangt plausible Gründe für die Abweichung (BVerfGE 81, 156, 207 = ZIP 1990, 250). Es stellt einen Systembruch dar, wenn die Verletzung privatrechtlicher Verträge mit hoheitlichen Sanktionen geahndet wird. Für einen solchen Systembruch fehlt es an jeglicher plausiblen Begründung. Das adäquate Sanktionsinstrument wäre hier vielmehr die Vertragsstrafe. Die Deutsche Börse AG ist nicht gehindert, eine solche Vertragsstrafe in ihren AGB vorzusehen. In diesem Rahmen könnte auch die Sanktionsgewalt eines Ausschusses vereinbart werden. Dieser würde dabei jedoch stets nur privatrechtlich tätig. Seine Beschlüsse müssen nicht verwaltungsgerichtlich angefochten, sondern zivilrechtlich durchgesetzt werden.

Die Kammer hat schließlich auch erwogen, ob die Unterlassung der Taxenveröffentlichung eine Verletzung der Pflicht zur Preisfeststellung darstellen könnte. Diese Pflicht trifft den Skontroführer und seinen Börsenhändler nicht nur kraft der AGB für den Freiverkehr, sondern unmittelbar durch das Gesetz, nämlich § 24 Abs. 2 BörsG, der gem. § 57 Abs. 2 BörsG auch im Freiverkehr gilt. Danach müssen Börsenpreise ordnungsgemäß zustande kommen. Wer es unterlässt, passende Kauf- und Verkaufsorder zusammenzuführen, und dafür keinen Grund hat, der sich aus dem Regelwerk des Börsenrechts ergibt, der verletzt zweifellos eine börsenrechtliche Vorschrift. Die Kammer hat sich deshalb die Frage gestellt, ob die Taxenausrufung bereits als Bestandteil der Preisfestsetzung anzusehen ist und die unterlassene Taxenausrufung deshalb Teil der unterlassenen Preisfestsetzung ist und als solche geahndet werden kann. Nicht zuletzt auch unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung hat die Kammer diesen Gedankengang jedoch verworfen. Schon § 24 Abs. 2 Satz 7 BörsG macht klar, dass die Bekanntgabe der Taxe ein Vorgang ist, der “vor Feststellung eines Börsenpreises” stattfindet und damit nicht Bestandteil dieser Feststellung ist.

Die Verletzung der Handelsrichtlinien für den Freiverkehr kann auch nicht etwa deshalb zu einem öffentlich-rechtlichen Sanktionsverfahren führen, weil in einer solchen Vertragsverletzung eine Verletzung des Anspruchs auf kaufmännisches Vertrauen zu sehen wäre (so aber: Schwark/Beck, a.a.O., § 20 BörsG Rz. 15).

Dieser Sanktionstatbestand kommt in dem seit 1.11.2007 geltenden neuen BörsG nicht mehr vor, weil der Gesetzgeber Zweifel daran hatte, ob er den rechtsstaatlichen Erfordernissen der hinreichenden Bestimmtheit des Gesetzes entspricht (vgl. BT-Drucks. 16/4899, S. 14). Diese Zweifel wird man teilen müssen, wenn man sich die Fälle vor Augen führt, an die der Gesetzgeber der ursprünglichen Regelung im BörsG 1896 (RGBI 1896, 157) gedacht hat, nämlich Kursmanipulationen durch Beeinflussung der Presse, “Anreizung zur BörsenspekuBörsenspekulationlation” etc. (Hammen, a.a.O., S. 320). Gleichwohl lässt sich der Tatbestand aber auch in einer Weise deuten, der den Erfordernissen hinreichender Bestimmtheit entspricht.

Der Sanktionstatbestand der Verletzung des Anspruchs auf kaufmännisches Vertrauen weist zunächst einige Unklarheiten auf, die allerdings aus dem Sinnzusammenhang heraus aufgelöst werden können. Kaufmännisches Vertrauen i.S.d. § 20 Abs. 2 BörsG ist nicht das Vertrauen eines Kaufmanns, sondern das Vertrauen in einen Kaufmann. Der Anspruch auf kaufmännisches Vertrauen setzt also nicht voraus, dass der Vertrauende selbst die Kaufmannseigenschaft hat, sondern vielmehr, dass er einer Person gerade deshalb vertraut, weil es sich bei dieser um einen Kaufmann handelt. Es geht auch nicht um einen Anspruch auf Vertrauen in dem Sinne, dass der Schuldner fordern darf, dass der Gläubiger ihm vertraut. Es geht vielmehr um einen Anspruch des Gläubigers darauf, in seinem eigenen Vertrauen in den Schuldner nicht enttäuscht zu werden.

Die Enttäuschung eines solchen Vertrauens in einen Kaufmann kann nur dann zu einer Sanktion nach § 20 Abs. 2 BörsG führen, wenn der Betroffene einen Anspruch auf kaufmännisches Vertrauen hatte, d.h. wenn er gegenüber dem jeweiligen Kaufmann ein subjektives Recht darauf hatte, von diesem in seinem Vertrauen nicht enttäuscht zu werden. Das BörsG etabliert einen solchen Anspruch nicht, sondern setzt ihn voraus. Es gibt auch sonst kein Gesetz, das einen solchen Anspruch kodifiziert.

Die Rechtsordnung kennt auch keinen generellen Rechtsanspruch darauf, dass sich ein anderer so verhält, wie man es von ihm erwartet. Insbesondere gibt es keinen generellen Anspruch auf Vertrauen darin, dass sich ein anderer rechtmäßig verhält. Vielmehr gibt es solche Ansprüche auf Vertrauen bzw. auf Vertrauensschutz von Rechts wegen stets nur im Kontext besonderer Rechtsverhältnisse. So kann etwa ein Bürger einen Anspruch auf Vertrauen(sschutz) gegenüber einer Behörde nur dann haben, wenn er im Rahmen eines bestimmten Verwaltungsverfahrens, nach Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts oder aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Vertrags mit diesem in einem besonderen Rechtsverhältnis steht. Entsprechendes gilt auch im Zivilrecht. Ein Anspruch auf Vertrauen wird hier erst begründet, wenn Vertragsverhandlungen aufgenommen worden sind, ein Vertrag geschlossen worden ist oder durch die Zufügung einer unerlaubten Handlung ein besonderes Rechtsverhältnis begründet worden ist. Dagegen gibt es weder im öffentlichen Recht noch im Privatrecht eine Pflicht zu vertrauenswürdigem Verhalten gegenüber dem Publikum. Folglich gibt es auch keinen Anspruch des Publikums auf den Schutz ihres Vertrauens in bestimmte Handlungen eines Akteurs.

Nichts anderes gilt für das spezifische Vertrauen in einen Kaufmann. Gegenstand des spezifischen Vertrauens in einen Kaufmann ist die Erwartung, dass er sich an die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche hält (§ 346 HGB). Aber auch diese Erwartung ist nicht gegenüber dem Publikum zu erfüllen, sondern nur gegenüber denjenigen, mit denen der Kaufmann ein besonderes Rechtsverhältnis eingegangen ist. Ein anderes spezifisch kaufmännisches Vertrauen ist die Erwartung, dass der Kaufmann auf einen Antrag über die Besorgung fremder Geschäfte unverzüglich antwortet bzw. sein Schweigen gegen sich gelten lässt (§ 362 HGB). Auch hier wird ein Anspruch auf dieses Vertrauen aber erst dadurch begründet, dass ein entsprechender Antrag dem Kaufmann zugegangen ist und dadurch ein besonderes Rechtsverhältnis begründet worden ist.

Die Veröffentlichung von Taxen richtet sich nicht an Partner eines besonderen Rechtsverhältnisses, sondern an das Publikum. Die Taxe soll einem Handelsteilnehmer nämlich eine sachgerechte Entscheidung darüber ermöglichen, ob er dem Skontroführer eine Kauf- oder Verkaufsorder in bestimmtem Umfang und mit einem bestimmten Limit erteilt. Ein besonderes Rechtsverhältnis zwischen dem Handelsteilnehmer und dem Skontroführer wird jedoch erst durch die Erteilung der Order begründet und nicht schon zuvor. Eine Verletzung des Anspruchs auf kaufmännisches Vertrauen durch die Unterlassung der Veröffentlichung korrekter und zeitnaher Taxen kommt deshalb nur in Betracht, wenn ein Handelsteilnehmer im Vertrauen auf eine bestimmte Marktlage eine Order erteilt, die er nicht erteilt hätte, wenn rechtzeitig korrekte Taxen veröffentlicht worden wären. Gegenüber Handelsteilnehmern, die keine Order abgegeben haben und zu denen der Skontroführer deshalb auch nicht in einem besonderen Rechtsverhältnis steht, kommt dagegen eine Verletzung des Anspruchs auf kaufmännisches Vertrauen nicht in Betracht.

Der angefochtene Sanktionsbeschluss stützt sich nicht auf einen Sachverhalt, in dem der Anspruch eines Handelsteilnehmers auf kaufmännisches Vertrauen durch die verspätete Veröffentlichung von Taxen verletzt worden ist.

Einen Anspruch gegenüber dem Skontroführer darauf, in seinem Vertrauen nicht enttäuscht zu werden, hat allerdings auch der Börsenträger als Veranstalter des Freiverkehrs. Denn zwischen diesem und dem Skontroführer besteht ein besonderes Rechtsverhältnis vertraglicher Art, aufgrund dessen der Skontroführer verpflichtet ist, gemäß den Freiverkehrsrichtlinien Taxen zu veröffentlichen. Die Deutsche Börse AG genießt insoweit zwar Vertrauensschutz gegenüber dem Skontroführer. Indessen liegt es außerhalb der Reichweite des Sanktionsverfahrens nach § 20 Abs. 2 BörsG, dieses Vertrauen zu schützen.

Zunächst ist schon fraglich, ob es sich dabei um das spezifische Vertrauen in einen Kaufmann handelt oder nicht vielmehr um das gegenüber jedem Vertragspartner bestehende Vertrauen, dass dieser seine vertraglichen Pflichten erfüllt. Dem Grundsatz “pacta sunt servanda” unterliegt jeder Partner eines Vertrags. Eine besondere kaufmännische Pflicht zur Einhaltung von Verträgen gibt es dagegen nicht.

Selbst wenn man jedoch insoweit ein spezifisch kaufmännisches Vertrauen unterstellen will, kommt eine Sanktionierung nach § 20 Abs. 2 BörsG nicht in Betracht. Denn der Sanktionstatbestand referiert seinem Wortlaut nach auf den Anspruch eines Handelsteilnehmers auf kaufmännisches Vertrauen. Der Veranstalter des Freiverkehrs ist aber kein Handelsteilnehmer. Selbst wenn man aber annehmen wollte, dass sich die Worte “eines anderen Handelsteilnehmers” in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BörsG nur auf die Ehre bezieht, deren Verletzung ebenfalls eine Sanktion rechtfertigen soll, und nicht auf den Anspruch auf kaufmännisches Vertrauen, so bleibt doch festzuhalten, dass das öffentlich-rechtliche Sanktionsregime nicht dem Schutz des Börsenträgers oder des Veranstalters des Freiverkehrs vor Vertragsverletzungen zu dienen bestimmt ist, sondern dem Schutz des Vertrauens “der Anleger, Emittenten und unmittelbaren Börsennutzer in die Funktionsfähigkeit der Börse” (BT-Drucks. 12/6679, S. 68).

Die Verletzung der in den Freiverkehrsrichtlinien festgelegten Regelungen über die Taxen durch Unterlassung der Veröffentlichung einer Taxe stellt somit keine Verletzung des Anspruchs auf kaufmännisches Vertrauen i.S.d. § 20 Abs. 2 Nr. 2 BörsG dar und kann deshalb auch nicht unter diesem Gesichtspunkt durch einen Sanktionsbeschluss geahndet werden.

3.2 Unterlassung der Preisfeststellung
Wie oben bereits erwähnt worden ist, bestehen gegen die Ahndung der Unterlassung einer Preisfeststellung im Freiverkehr durch eine öffentlich-rechtliche Sanktion grundsätzlich keine Bedenken, weil es sich dabei um die Verletzung des § 24 Abs. 2 BörsG handelt, der ausweislich des § 57 Abs. 2 Satz 2 BörsG auch für die Preisfeststellung im Freiverkehr gilt.

Gleichwohl muss die Kammer der Frage nicht weiter nachgehen, ob insoweit der vom Sanktionsausschuss und der Beklagten behauptete und von den Klägern bestrittene Sachverhalt vorliegt. Vielmehr muss der Sanktionsbeschluss auch insoweit aufgehoben werden, als er sich auf den Vorwurf unterlassener Preisfeststellung bezieht. Der Sanktionsbeschluss weist nämlich keine separaten Sanktionen zum einen für die unterlassene Taxenveröffentlichung und zum anderen für die unterlassene Preisfeststellung aus, sondern ein einheitliches Ordnungsgeld i.H. v. 3.000 €, das beide Vorwürfe abdeckt. Da diesem Betrag hinsichtlich der Taxe ein Sachverhalt zugrunde liegt, der nicht geahndet werden darf, beruht die Bestimmung des Ordnungsgelds sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach auf fehlerhaften Ermessenserwägungen.

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell