VG Oldenburg: Keine Vollstreckung einer Gewerbeuntersagung während eines Insolvenzverfahrens

26.02.2009

InsO § 35 Abs. 2; GewO § 12

Keine Vollstreckung einer Gewerbeuntersagung während eines Insolvenzverfahrens

VG Oldenburg, Beschl. v. 14. 7. 2008 – 12 B 1781/08

Leitsätze des Gerichts:

1. § 12 GewO steht auch den Maßnahmen der Vollstreckung einer vollziehbaren Gewerbeuntersagungsverfügung während eines laufenden Insolvenzverfahrens entgegen.

2. Die Freigabe des Vermögens aus der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners durch den Insolvenzverwalter gem. § 35 Abs. 2 InsO gliedert dieses aus der Insolvenzmasse aus, die Tätigkeit bleibt aber Teil des Insolvenzverfahrens. Die gem. § 35 Abs. 2 InsO freigegebene selbstständige Tätigkeit des Schuldners wird daher von der Sperrwirkung des § 12 GewO erfasst.

Gründe:

I. Im September 2004 leitete die Antragsgegnerin gegen den Antragsteller ein Gewerbeuntersagungsverfahren ein. Dieser war zu dem Zeitpunkt mit einer „gewerblichen Unternehmensberatung“ selbstständig tätig. Unter dem 24. Juni 2005 meldete er dieses Gewerbe ab und als ab dem 1. Juli 2005 neu ausgeübtes Gewerbe die „Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen“ an. Die Antragsgegnerin untersagte dem Antragsteller nach Anhörung mit Bescheid vom 13. Dezember 2005 die Ausübung seines Gewerbes „Gewerbliche Unternehmensberatung“, die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragten Person sowie die Ausübung aller weiteren Gewerbe, die dem Anwendungsbereich des § 35 GewO unterliegen. Gegen den Bescheid hatte der Antragsteller am 13. Februar 2006 vor dem VG Oldenburg Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung von PKH gestellt. Den Antrag wies das Gericht durch Beschluss vom 16. April 2007 zurück; der Beschluss wurde vom Nds. OVG durch Beschluss vom 26. November 2007 bestätigt. Gegenstand der rechtlichen Erörterung in der mündlichen Verhandlung dieses Verfahrens am 11. März 2008 waren u.a. die fortdauernde gewerbliche Betätigung des Klägers und die Auswirkungen der Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers durch Beschluss des AG Delmenhorst vom 8. November 2007 – 12 IK 365/07, welche der Antragsteller am 30. Oktober 2007 beantragt hatte. In dem Termin nahm der Antragsteller nach Erörterung der Sach- und Rechtslage seine Klage zurück.

Am 13. März 2008 erhielt die Antragsgegnerin vom AG Delmenhorst die Nachricht, dass der Insolvenzverwalter im Verfahren 12 IK 365/07 am 9. Januar 2008 erklärt habe, dass das Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners als Versicherungsmakler für die A. Versicherungs-AG nicht zur Insolvenzmasse gehöre und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten. Mit Schreiben vom 31. März 2008 forderte sie den Antragsteller zur Einstellung seines Gewerbes auf und drohte ihm für den Fall, dass er dieser Aufforderung nicht nachkomme, erneut die Festsetzung eines Zwangsgelds i.H. v. 500 € an. Der Antragsteller erklärte hierzu mit Schreiben vom 1. April 2008, dass er seine Gewerbeausübung nicht einstellen werde. Die Antragsgegnerin setzte daraufhin mit Bescheid vom 19. Mai 2008 ein Zwangsgeld i.H. v. 500 € fest und drohte für den Fall der weiteren Ausübung seiner selbstständigen Tätigkeit die Festsetzung eines weiteren Zwangsgelds i.H. v. 1.000 € an.

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 18. Juni 2008 Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.

II. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Zwangsmittel im Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Mai 2008 ist gem. § 80 Abs. 5 VwGO zulässig und begründet.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid, mit dem ein Zwangsgeld festgesetzt und ein weiteres angedroht wurde, entfaltet gem. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 70 Nds. VwVfG, § 64 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG keine aufschiebende Wirkung, so dass der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage statthaft ist.

Der Antrag ist auch begründet, weil den Vollstreckungsmaßnahmen ein Vollstreckungshindernis entgegensteht.

Zwar sind die Grundvoraussetzungen insbesondere für die Festsetzung des Zwangsgelds gem. §§ 64 ff. Nds. SOG erfüllt. (Wird ausgeführt.) Der Festsetzung und Androhung eines weiteren Zwangsgelds steht aber die Regelung des § 12 GewO entgegen.

Gem. § 12 GewO finden Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder den Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen sind, ermöglichen, während eines Insolvenzverfahrens, während der Zeit, in der Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO angeordnet sind, und während der Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplans (§ 260 InsO) keine Anwendung in Bezug auf das Gewerbe, das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde.

§ 12 GewO erfasst neben dem Regelinsolvenzverfahren auch das hier vorliegende Verbraucherinsolvenzverfahren mit der Folge, dass das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insol-ZIP 2009, Seite 335venzverfahrens ausgeübte Gewerbe nicht untersagt und eine vollziehbare Untersagungsverfügung nicht zwangsweise durchgesetzt werden darf.

§ 12 GewO schließt zunächst die Anwendung von gewerberechtlichen Untersagungsvorschriften aus in Verfahren, die eingeleitet, aber noch nicht durch einen bestands- bzw. rechtskräftigen Untersagungsbescheid abgeschlossen sind. Aus Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich weiter, dass sie darüber hinaus auch Wirkungen für die Zeit nach Eintritt der Bestands- oder Rechtskraft der zugrunde liegenden Gewerbeuntersagung entfaltet, also auch auf Fälle wie den vorliegenden anwendbar ist, in denen eine rechtskräftig gewordene Gewerbeuntersagung mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden soll (vgl. Marcks, in: Landmann-Rohmer, GewO, Bd. 1, Stand: November 2007, § 12 Rz. 16; Hahn: GewArch 2000, 361; VGH Hessen, Urt. v. 21.11.2002 – 8 UE 3195/01, ZVI 2003, 128 = GewArch 2004, 162, dazu EWiR 2003, 1033 (Blank)). § 12 GewO weist dem Insolvenzverfahren im Verhältnis zum gewerberechtlichen Untersagungsverfahren ohne Interessenabwägung nämlich die absolute Priorität zu und stellt damit sicher, dass keine dem Insolvenzrecht bzw. Insolvenzverfahren zuwiderlaufenden Entscheidungen über den Fortbestand des Gewerbebetriebs getroffen werden können (vgl. Marcks, a.a.O., § 12 Rz. 1, 15). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Schuldner im Insolvenzverfahren trotz finanzieller Unzuverlässigkeit seine Gewerbetätigkeit fortsetzt und dass die Gewerbebehörde ihn davon trotz Vorliegens der Voraussetzungen einer Gewerbeuntersagungsvorschrift nicht hindern darf. Diese Vorschriften der Untersagung wegen Unzuverlässigkeit dienen dem Schutz von Gewerbetreibenden vor der Konkurrenz durch unzuverlässige Gewerbetreibende, die sich durch wettbewerbswidriges Verhalten, insbesondere durch Nichtzahlung von Steuern, einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Diese Konkurrenzsituation hat der Gesetzgeber in § 12 GewO, abgeschwächt durch die Publizitätswirkung der Insolvenz, zu Lasten des redlichen Gewerbetreibenden gelöst. Das Ziel des § 12 GewO würde verfehlt, wenn man die Sperrwirkung zum Zeitpunkt des Eintritts der Bestands- bzw. Rechtskraft enden lassen würde, ohne dass eine entscheidungserhebliche Änderung in der Sach- und Rechtslage eingetreten ist, insbesondere – wie hier – das Insolvenzverfahren weiterläuft. Auch die Anwendung von Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung des vorangegangenen Untersagungsbescheids ist daher als Heranziehung der genannten Vorschriften, die nach § 12 GewO nicht angewandt werden dürfen, zu verstehen. Das Untersagungsverfahren kann erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens bzw. der von § 12 GewO begünstigten Zeitabschnitte fortgesetzt werden. Erst dann lebt der Untersagungsgrund der Unzuverlässigkeit wegen ungeordneter Vermögensverhältnisse wieder auf. Dabei sind die im Insolvenzverfahren getroffenen Vereinbarungen eines Insolvenzplans oder einer Restschuldbefreiung zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall sind auch die Voraussetzungen des § 12 GewO im Einzelnen erfüllt. Die Antragsgegnerin betreibt die Vollstreckung aus dem Gewerbeuntersagungsbescheid hinsichtlich des vom Antragsteller seit dem 1. Juli 2005 und zum Zeitpunkt seines Antrags zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 30. Oktober 2007 betriebenen Gewerbes „Vermittlungen von Versicherungen und Bausparverträgen“ während des am 8. November 2007 eröffneten und noch laufenden Insolvenzverfahrens. Dass die Antragsgegnerin von dieser Tätigkeit des Antragstellers erst – wie sie vorträgt – viel später erfuhr, steht dem nicht entgegen, denn es kommt insoweit auf die objektiven Umstände an (vgl. Hahn, GewArch 2000, 361, 363). Die zugrunde liegende Gewerbeuntersagung erging wegen der Unzuverlässigkeit des Antragstellers aufgrund ungeordneter Vermögensverhältnisse, nämlich aufgrund ganz erheblicher Steuerrückstände. Dass die Antragsgegnerin die Untersagung gleichermaßen tragend, also alternativ auch auf das strafbare Verhalten des Antragstellers gestützt hat, ist dem Untersagungsbescheid dagegen nicht zu entnehmen. Zwar sind dort drei Verurteilungen des Antragstellers wegen Untreue genannt. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin eine Auseinandersetzung mit den jeweils zugrunde liegenden Sachverhalten sowie eine Prüfung, ob die Taten gewerbebezogen sind, vorgenommen und eine darauf fußende Entscheidung, ob diese ebenfalls eine entsprechende Unzuverlässigkeitsprognose tragen, getroffen hat, ist jedoch weder der Begründung des Bescheids noch dem Verwaltungsvorgang zu entnehmen. In Letzterem befinden sich lediglich (unvollständige) Auszüge aus den Strafakten. Die Verurteilungen waren darüber hinaus auch nicht Gegenstand der rechtlichen Prüfung in den gerichtlichen Verfahren die Gewerbeuntersagung betreffend. Die Prüfung ist auch in diesem gerichtlichen Verfahren nicht nachzuholen.

Die Vollstreckungsmaßnahmen sind schließlich nicht aufgrund der Erklärung des Insolvenzverwalters vom 9. Januar 2008 gem. § 35 Abs. 2 InsO zulässig. Gem. § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO hat der Insolvenzverwalter dem Schuldner gegenüber, der eine selbstständige Tätigkeit ausübt oder der beabsichtigt, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Eine entsprechende Erklärung gliedert das benannte Vermögen aus der Insolvenzmasse aus. Damit entgeht der Masse zum einen der Neuerwerb, sie haftet aber zum anderen auch nicht für die im Rahmen dieser Tätigkeit begründeten Neuverbindlichkeiten. Der selbstständig tätige Schuldner erlangt die Verwaltungs- und Verfügungsgewalt in vollem Umfang zurück (vgl. MünchKomm-Lwowski/Peters, InsO, 2. Aufl., 2007, § 35 Rz. 85, 103; W. Sternal, NJW 2007, 1909). Die Vorschrift trifft damit (nur) eine Regelung bezüglich der Massezugehörigkeit eines Vermögens im Zusammenhang mit einer bestimmten Tätigkeit, d.h. eine Regelung im Rahmen des laufenden Insolvenzverfahrens. Sie begrenzt dagegen in keiner Hinsicht das Insolvenzverfahren als solches, indem sie etwa Vermögensteile oder Tätigkeiten aus diesem Verfahren ausgliedert. Dies zeigen schon die Regelungen des § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO i.V.m. § 295 Abs. 2 InsO, wonach der Schuldner des freigegebenen Vermögens seiner selbstständigen Tätigkeit bestimmte Einnahmen trotz der Freigabe an die Masse abzuführen hat, und die Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO, wonach auf Antrag des Gläuberausschusses oder der Gläubigerversammlung vom Insolvenzgericht die Unwirksamkeit der Erklärung des Insol-ZIP 2009, Seite 336venzverwalters angeordnet werden kann. Die vom Antragsteller seit dem 1. Juli 2005 betriebene selbstständige Tätigkeit ist also auch nach bzw. unabhängig von ihrer Freigabe gem. § 35 Abs. 2 InsO durch die Erklärung des Insolvenzverwalters am 9. Januar 2008 als eine solche während eines Insolvenzverfahrens i.S.d. § 12 GewO zu qualifizieren.

Die Vollstreckungsmaßnahmen der Antragsgegnerin ergingen daher nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung aller Voraussicht nach unter Missachtung der Sperrwirkung des § 12 GewO und damit zu Unrecht, so dass die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen sie anzuordnen war.

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