VGH München: Keine Gewerbeuntersagung nach modifizierter Freigabe des Geschäftsbetriebs des Insolvenzschuldners

24.11.2009

InsO §§ 35, 80 Abs. 1; GewO §§ 12, 35 Abs. 1

Keine Gewerbeuntersagung nach modifizierter Freigabe des Geschäftsbetriebs des Insolvenzschuldners

VGH München, Urt. v. 5. 5. 2009 – 22 BV 07.2776 (rechtskräftig; VG Bayern)

Leitsatz des Gerichts:

Sinn und Zweck des § 12 GewO gebieten es nicht, diesen entgegen seinem Wortlaut dahin gehend einzuschränken, dass er bei einer nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des § 35 Abs. 2 und 3 InsO (1.7.2007) erfolgten sog. „modifizierten“ Freigabe des Geschäftsbetriebs aus der Insolvenzmasse keine Anwendung findet (entschieden für den Fall, dass der Schuldner eventuelle Betriebsgewinne weiterhin an die Insolzvenzmasse auszukehren hat).

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer gegen den Kläger gerichteten (erweiterten) Gewerbeuntersagungsverfügung.

Das Landratsamt W. untersagte dem Kläger mit Bescheid vom 16. Juli 2004 die Ausübung des Gewerbes „Zeichen- und Planungsbüro“ sowie jegliche anderweitige selbstständige Betätigung im Bereich des stehenden Gewerbes und jegliche Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbebetriebs oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person (Nr. I). Für die Abwicklung des Geschäftsbetriebs wurde eine zweimonatige, stets widerrufliche Frist, von der Bestandskraft des Bescheides an gerechnet, eingeräumt (Nr. II). Die sofortige Vollziehung der Nrn. I und II wurde angeordnet (Nr. III). Für den Fall, dass nach Vollziehung der Nrn. I und II ein untersagtes Gewerbe betrieben wird, wurden Zwangsmaßnahmen angedroht (Nr. IV). Begründet wurde die Entscheidung mit der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers, die sich aus der andauernden Nichterfüllung von (steuerrechtlichen und abgaberechtlichen) Zahlungs- und Erklärungspflichten, verbunden mit hohen Schuldenständen bei Finanzamt und AOK, ergebe sowie aus 45 eingetragenen Haftbefehlen zur Erzwingung der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung.

Während des hiergegen laufenden Widerspruchsverfahrens wurde auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 10. Mai 2005 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Im Berichts- und Prüfungstermin vom 5. August 2005 gab der Insolvenzverwalter mit Zustimmung der Gläubigerversammlung den Geschäftsbetrieb des Klägers frei. In der Niederschrift des AG heißt es hierzu u.a.:

„Der Schuldner ist selbstständig tätig ... Alle Einnahmen unterlägen demnach dem Insolvenzbeschlag, so dass der Schuldner, um Beträge zum Lebensunterhalt zu haben, eigentlich Antrag gem. § 36 InsO i.V.m. § 850i ZPO stellen müsste.

Hierzu erklärt der Insolvenzverwalter: Im Hinblick auf eine persönliche Haftung für eventuelle Masseverbindlichkeiten lehne ich einen Verbleib des Geschäftsbetriebs in der Masse ab ... Ich gebe den Geschäftsbetrieb aus der Insolvenzmasse frei. Ich beantrage hierzu die Zustimmung der Gläubigerversammlung.

Das Gericht konkretisiert die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners gem. § 97 InsO wie folgt: Der Schuldner gibt monatlichen Bericht über seine gesamte selbstständige Tätigkeit durch Vorlage einer Aufstellung aller laufenden Aufträge unter Angabe der ungefähr zu erwartenden Bruttoeinnahmen sowie aller tatsächlich erlangten Einnahmen.

Der Insolvenzverwalter erklärt, dass er dann ... die pfändbaren Beträge entsprechend §§ 850c, 850i ZPO berechnen und zur Masse ziehen werde. Der Schuldner erklärt sich hiermit einverstanden.

Es wird erörtert, dass der Schuldner im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit auch ein Konto frei führen kann. Dem Insolvenzverwalter stehen jedoch auch insoweit unbeschränkt Einsichtsrechte in die Konto-Unterlagen zu.“

Mit Bescheid vom 3. Juli 2006 wies die Regierung von M. den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 16. Juli 2004 zurück. Die Beschränkung des § 12 GewO sei durch die Freigabe des Geschäftsbetriebs aus der Insolvenzmasse aufgehoben worden. Zur weiteren Begründung wurde auf die weiter angewachsenen Schuldenstände des Klägers verwiesen.

Die Klage auf (teilweise) Aufhebung der o.g. Bescheide blieb vor dem VG Ansbach ohne Erfolg (Urt. v. 4.9.2007). Der Kläger hat die vom VG zugelassene Berufung eingelegt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Bescheid des Landratsamts W. vom 16. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von M. vom 3. Juli 2006 ist in dem vom Kläger angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Urteil des VG ist demzufolge abzuändern; die Gewerbeuntersagung ist im angefochtenen Umfang (§ 88 VwGO) aufzuheben.

Entgegen der Ansicht des VG steht § 12 GewO dem Erlass der (angefochtenen) Gewerbeuntersagung in Bezug auf das ausgeübte Gewerbe „Zeichen- und Planungsbüro“ sowie die weiteren untersagten Tätigkeiten entgegen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 3. Juni 2006 lagen dessen Voraussetzungen vor (1). Die „Freigabe des Geschäftsbetriebs“ aus der Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter im Berichts- und Prüfungstermin vom 5. August 2005 schließt die Anwendbarkeit des § 12 GewO vorliegend nicht aus (2).

1. Sämtliche Voraussetzungen, wie sie § 12 GewO seinem Wortlaut nach für seine Anwendbarkeit mit der Folge der Rechtswidrigkeit der (erweiterten) Gewerbeuntersagung verlangt, sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Nach § 12 GewO finden Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder den Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, während eines Insolvenzverfahrens, während der Zeit, in der Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO angeordnet sind, und während der Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplans keine Anwendung in Bezug auf das Gewerbe, das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde.

a) Zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung, des Widerspruchsbescheids vom 3. Juli 2006 (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.2.1982, BVerwGE 65, 1), war gegen den Kläger ein Insolvenzverfahren eröffnet und noch nicht abgeschlossen (Eröffnungsbeschluss v. 10.5.2005). Die Unzuverlässigkeit des Klägers, die zum Erlass der streitgegenständlichen Gewerbeuntersagung führte, wird von den Behörden auf dessen ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückgeführt, nämlich insbesondere die bei ihm bestehenden Schulden und die damit in engem Zusammenhang stehenden Pflichtverletzungen bei der Abgabe von steu-ZIP Heft 45/2009, Seite 2163erlichen Erklärungen bzw. eidesstattlichen Versicherungen. Das Gewerbe „Zeichen- und Planungsbüro“ wurde vom Kläger zum Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (ca. Februar 2005) ausgeübt, und zwar rechtmäßig, da trotz des angeordneten Sofortvollzugs die Frist für die Abwicklung des Geschäftsbetriebs (und damit für das Betreiben des Gewerbes) laut Nr. II des Bescheids vom 16. Juni 2004 erst zwei Monate nach Bestandskraft der (erweiterten) Gewerbeuntersagung endete (zum Fall einer nicht rechtmäßigen, weil sofort vollziehbar untersagten gewerblichen Betätigung vgl. OVG Niedersachsen, Beschl. v. 8.12.2008, GewArch 2009, 162).

b) Eine dennoch für das ausgeübte Gewerbe gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ausgesprochene Gewerbeuntersagung ist rechtswidrig. Dies gilt auch für eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO, weil diese zur Untersagung des ausgeübten Gewerbes nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO akzessorisch ist (Hahn, GewArch 2000, 361, 363; BVerwG, Urt. v. 2.2.1982, BVerwGE 65, 9).

2. Die „Freigabe des Geschäftsbetriebs“ aus der Insolvenzmasse schließt die Anwendbarkeit des § 12 GewO entgegen der Ansicht des Beklagten und des VG nicht aus.

Nach seinem klaren Wortlaut bezweckt § 12 GewO den Ausschluss der Anwendung der Vorschriften über die Gewerbeuntersagung für die gesamte Dauer des Insolvenzverfahrens sowie für die Dauer bestimmter Zeiträume davor und danach (vgl. auch BT-Drucks. 12/3803, S. 103). Dies gilt jedenfalls solange, als – wie im vorliegenden Fall – Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit noch ganz oder teilweise zur Insolvenzmasse gehört und die selbstständige Tätigkeit nicht außerhalb des Insolvenzverfahrens stattfindet. Die vorliegende Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters bezüglich des Geschäftsbetriebs bewirkt nicht, dass der wirtschaftliche Wert der weiteren Selbstständigkeit des Klägers dem laufenden Insolvenzverfahren völlig entzogen wird (a). Für den vorliegenden Fall lässt sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift das Erfordernis für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 12 GewO entgegen seinem klaren Wortlaut nicht ableiten (b).

a) Die „Freigabe des Geschäftsbetriebs“ aus der Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter beinhaltet nicht die vollständige Ausgliederung des durch die weitere selbstständige Tätigkeit des Klägers erworbenen Vermögens aus dem laufenden Insolvenzverfahren.

Die „Freigabe des Geschäftsbetriebs“ durch den Insolvenzverwalter im Berichts- und Prüfungstermin vom 5. August 2005 erfolgte vorliegend vor Inkrafttreten der Absätze 2 und 3 des § 35 InsO zum 1. Juli 2007 (vgl. Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens v. 13.4.2007, BGBl I, 509), die die „Freigabe“ des Vermögens, das einer gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse nunmehr ausdrücklich gesetzlich regeln. Es ist allgemein anerkannt, dass auch nach der bereits vor diesem Zeitpunkt bestehenden Rechtslage der Insolvenzverwalter Gegenstände, die zur Masse gehörten, kraft der ihm nach § 80 Abs. 1 InsO zustehenden Verfügungsmacht mit konstitutiver Wirkung zu Gunsten des Schuldners aus der Masse freigeben konnte mit der Folge, dass der Insolvenzbeschlag erlosch und der Schuldner die Verfügungsbefugnis hinsichtlich dieser Gegenstände zurückerhielt (sog. echte Freigabe; vgl. z.B. BGH, Urt. v. 21.4.2005, BGHZ 163, 32 = ZIP 2005, 1034 = ZVI 2005, 492 m.w.N., dazu EWiR 2005, 603 (Flitsch); BAG, Urt. v. 10.4.2008, ZIP 2008, 1346 m.w.N., dazu EWiR 2008, 687 (Henkel); Bäuerle, in: Braun, InsO, 3. Aufl., 2007, § 35 Rz. 9 ff., 84 ff.). Insoweit hat die gesetzliche Neuregelung im Wesentlichen nur klarstellende Funktion (vgl. BT-Drucks. 16/3227, S. 17; Bäuerle, a.a.O., § 35 Rz. 84). Insbesondere zur Prüfung, ob es sich bei einer solchen Freigabeerklärung (nach der früheren Rechtslage) um eine „echte“, „modifizierte“ oder gar „unechte“ Freigabe handelt (vgl. Bäuerle, a.a.O., § 35 Rz. 9 ff.), muss die Erklärung grundsätzlich die freigegebenen Gegenstände mit ausreichender Bestimmtheit bezeichnen und insbesondere klarstellen, inwieweit die Freigabe auch einen etwaigen Neuerwerb (und ggf. die hierdurch begründeten Verbindlichkeiten) erfassen soll (vgl. BAG ZIP 2008, 1346 m.w.N.; FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 6.12.2006, ZInsO 2007, 552; Bäuerle, a.a.O., § 35 Rz. 9 ff.). Eine „echte“ Freigabe liegt dabei nur vor, wenn der Insolvenzverwalter in seiner Erklärung unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass er auf den betreffenden Gegenstand und seinen wirtschaftlichen Wert endgültig verzichtet (BGH, Urt. v. 29.5.1961, BGHZ 35, 180; BFH, Urt. v. 24.9.1987, BFHE 151, 99 = ZIP 1988, 42, dazu EWiR 1988, 291 (Weiß); FG Rheinland-Pfalz ZInsO 2007, 552; Bäuerle, a.a.O., § 35 Rz. 9).

Die vom Insolvenzverwalter abgegebene Freigabeerklärung ist demgemäß in Bezug auf ihren genauen Erklärungsgehalt auslegungsbedürftig, insbesondere, da die freigegebenen Vermögensgegenstände nicht genau im Einzelnen bezeichnet sind. Die diesbezügliche Auslegung ergibt, dass es sich nicht um eine sog. „echte“ Freigabe, sondern nur um eine „modifizierte“ Freigabe handelt, da der Insolvenzmasse der wirtschaftliche Wert der weiteren selbstständigen Tätigkeit des Klägers weitgehend erhalten bleiben sollte.

Der Erklärung des Insolvenzverwalters ist zunächst zu entnehmen, dass er die Freigabe zur Begrenzung seiner eigenen persönlichen Haftung (§ 60 InsO) erklärt hat, nämlich um zu vermeiden, dass durch die (weitere) selbstständige Betätigung des Klägers neue Masseverbindlichkeiten für die Insolvenzmasse entstehen (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO). Die danach erfolgte Erklärung der Freigabe des Geschäftsbetriebs bedeutet aber nicht, dass der Insolvenzverwalter aus besagtem Grund den gesamten Neuerwerb des Schuldners (einschließlich der neu begründeten vertraglichen Ansprüche), der grundsätzlich zur Masse gehören würde (vgl. § 35 InsO a.F., § 35 Abs. 1 InsO n.F.), aus der Masse konstitutiv freigegeben hat. Denn der Verwalter hat diese Freigabe des Neuerwerbs durch die weiteren Ausführungen wieder eingeschränkt, er werde die aus der selbstständigen Tätigkeit erzielten Einnahmen mit Ausnahme der gem. §§ 850c, 850i ZPO unpfändbaren Beträge insgesamt wieder zur Masse ziehen, womit sich der Kläger ebenso wie mit den ihm vom Gericht diesbezüglich auferlegten Berichtspflichten einverstanden erklärt hat. Dies beinhaltet, dass der Kläger die über den Pfändungsfreigrenzen liegenden Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit an die Insolvenz-ZIP Heft 45/2009, Seite 2164masse des laufenden Insolvenzverfahrens abzuführen hat, und zwar ggf. auch Betriebsgewinne, die über die Beträge hinausgehen, die nach der seit dem 1. Juli 2007 geltenden gesetzlichen Neuregelung aufgrund des als entsprechend anwendbar erklärten § 295 Abs. 2 InsO (vgl. § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO n.F.) auch bei einer unselbstständigen Tätigkeit an die Masse abzuführen wären. Die Schreiben des Insolvenzverwalters an den Kläger vom 21. September 2005 und 30. Juni 2005 bestätigen dies. Dort ist die Rede davon, dass die über den unpfändbaren Beträgen liegenden Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit in jedem Fall an die Insolvenzmasse auszukehren seien. Dies verdeutlicht, dass der Insolvenzverwalter auf die Abführung betrieblicher Gewinne gerade nicht verzichten wollte, sondern die Insolvenzmasse ggf. an einem wirtschaftlichen Erfolg der selbstständigen Tätigkeit weiter teilhaben sollte, allerdings ohne dass die Masse auch für Verbindlichkeiten aus dieser Tätigkeit haften sollte. Es wird unmissverständlich nur eine Beschränkung der Abführungspflicht auf die unpfändbaren Beträge vorgenommen und die weitere Teilhabe der Masse an allen darüber hinausgehenden Einnahmen festgelegt. Im Ergebnis soll der Kläger seiner selbstständigen Tätigkeit damit weiterhin zu Gunsten der Insolvenzmasse nachgehen und nicht nur in der Hoffnung auf ihm verbleibende Gewinne auf eigene Rechnung. Dies stellt keine „echte“ Freigabe bzw. endgültigen Verzicht auf den wirtschaftlichen Wert der selbstständigen Tätigkeit für das laufende Insolvenzverfahren dar.

Die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters beinhaltet somit keine Freigabeerklärung, wie sie nunmehr durch § 35 Abs. 2 und 3 InsO n.F. vorgesehen ist. Inwieweit sich bei einer selbstständigen Tätigkeit aufgrund einer Freigabeerklärung gem. § 35 Abs. 2 i.V.m. § 295 Abs. 2 InsO, die laut der Gesetzesbegründung eine selbstständige Tätigkeit außerhalb des Insolvenzverfahrens darstellt (BT-Drucks. 16/3227, S. 17), für den Anwendungsbereich des § 12 GewO etwas anderes ergeben würde, ist vorliegend nicht zu entscheiden.

b) Für den vorliegenden Fall lässt sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift des § 12 GewO das Erfordernis für eine Beschränkung ihres Anwendungsbereichs entgegen dem klaren Wortlaut nicht ableiten. Eine sog. teleologische Reduktion der Vorschrift ist im vorliegenden Fall nicht veranlasst.

Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass Hauptgrund für die Einführung des § 12 GewO war, entsprechend der Zielsetzung in § 1 InsO die Möglichkeit einer Sanierung des insolventen Unternehmens offenzuhalten. Demgegenüber sei ein Bedürfnis dafür, den Geschäftsverkehr zu schützen, während des Insolvenzverfahrens nicht gegeben, da neue Vertragspartner durch die Vorschriften des Insolvenzrechts über die Einsetzung eines Insolvenzverwalters, den Vorrang der Masseverbindlichkeiten und die Aufsicht des Insolvenzgerichts hinreichend gesichert seien (BT-Drucks. 12/3803, S. 103).

Zwar ist dem Beklagten einzuräumen, dass auch im vorliegenden Fall durch die „Freigabe des Geschäftsbetriebs“ durch den Insolvenzverwalter eine Weichenstellung im Insolvenzverfahren erfolgt, die Einfluss- und Überwachungsmöglichkeiten der am Verfahren Beteiligten vermindert bzw. bestimmte vom Gesetz vorgesehene Sanierungsmöglichkeiten, wie z.B. eine vorläufige Fortführung des Unternehmens (durch den Insolvenzverwalter) oder die diesbezügliche Ausarbeitung eines Insolvenzplans, dessen Erfüllung überwacht werden kann (vgl. §§ 157, 260 InsO), abschneidet. Insoweit mag bei einem schlechten Geschäftsverlauf zum Schutz der Neugläubiger tatsächlich ein vermehrtes Bedürfnis bestehen, gegen den insolventen Schuldner ordnungsrechtlich einzuschreiten.

Andererseits aber ist zu beachten, dass auch ohne eine Freigabeerklärung im Insolvenzverfahren von vorneherein nur begrenzte Möglichkeiten bestehen, auf die selbstständige Tätigkeit des Schuldners Einfluss zu nehmen. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters bezieht sich nur auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen und erfasst ggf. nicht einmal die Betriebs- und Geschäftsausstattung, die ein Selbstständiger für die Fortführung seiner gewerblichen Tätigkeit benötigt (vgl. § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO i.V.m. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Die berufliche Betätigung des insolventen Schuldners als solche wird von der Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach § 80 Abs. 1 InsO von vorneherein nicht berührt (vgl. BVerwG v. 18.1.2006, NVwZ 2006, 599; Hahn, GewArch 2000, 361, 363). Die vorläufige Fortführung des Unternehmens durch den Insolvenzverwalter selbst oder aber auch die Stilllegung des Unternehmens zur Verwertung dürfte jedenfalls bei (kleinen) Unternehmen ohne wertvolle Geschäftseinrichtung in der Regel kaum in Betracht kommen. Insoweit ist die Aufsicht über eine fortbestehende selbstständige Tätigkeit des Schuldners durch den Insolvenzverwalter oder das Insolvenzgericht von Haus aus beschränkt (vgl. Hahn, GewArch 2000, 361, 362; Haarmeyer, ZInsO 2007, 696). Sie ist auch bei der vorliegenden Fallgestaltung noch insoweit vorhanden, als dem Schuldner vom Insolvenzgericht gem. § 97 InsO Berichts- und Mitwirkungspflichten hinsichtlich seiner gewerblichen Tätigkeiten auferlegt sind, deren Erfüllung im Allgemeinen im Hinblick auf eine mögliche Restschuldbefreiung im Interesse des Schuldners liegen müsste (vgl. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO).

Zudem kann das vom Gesetzgeber besonders hervorgehobene und die Einführung des § 12 GewO rechtfertigende Bedürfnis, die Möglichkeit einer Sanierung des insolventen Unternehmens offenzuhalten, auch noch fortbestehen, wenn für eine vorläufige Fortführung des Unternehmens nach § 157 InsO bzw. die Erstellung und Überwachung eines Insolvenzplans nach § 260 InsO kein Raum mehr ist. Eine Sanierung des Unternehmens kann nämlich auch über die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung erreicht werden (vgl. § 1 Satz 2 InsO; Hahn, GewArch 2000, 361, 363). Indem der Gesetzgeber in § 12 GewO für die gesamte Dauer des Insolvenzverfahrens (einschließlich Zeiträumen davor und danach) die Anwendung ordnungsrechtlicher Vorschriften ausschließt, räumt er ersichtlich dem Insolvenzverfahren absoluten Vorrang vor den ordnungsrechtlichen Möglichkeiten einer Gewerbeuntersagung ein. Obwohl dem Gesetzgeber bereits bei Erlass der Vorschrift des § 12 GewO bekannt sein musste, dass eine Freigabe eines Geschäftsbetriebs des Schuldners durch den Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren möglich ist, hat er ausschließlich auf die zeitliche Dauer dieses Verfahrens abgestellt und – wohl auch im Interesse der Rechtssicherheit – nicht auf sonstige Umstände, etwa das (endgültige) Scheitern von Sanie-ZIP Heft 45/2009, Seite 2165rungsbemühungen in Bezug auf das Unternehmen oder den Verlust von Kontrollmöglichkeiten gegenüber dem Schuldner im konkreten Fall. Die vom Gesetzgeber gesetzten Prioritäten sind durch das Vereinfachungsgesetz vom 13. April 2007 noch deutlicher hervorgetreten. Eines der Ziele des Gesetzgebers bei der Änderung der InsO im Jahre 2007 war es, durch die gesetzliche Neuregelung in § 35 InsO die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit durch insolvente Schuldner zu fördern (vgl. BT-Drucks. 16/3227, S. 11). Dennoch hat er von einer Einschränkung des § 12 GewO abgesehen und diese Vorschrift unverändert gelassen. Denn seinem erklärten Ziel würde die (Wieder-)Eröffnung der Möglichkeit einer ordnungsrechtlichen Gewerbeuntersagungsverfügung gegen den Schuldner bei einer Freigabe des Geschäftsbetriebs, wie er nunmehr in § 35 Abs. 2 und 3 InsO n.F. ausdrücklich geregelt ist, ersichtlich widersprechen.

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