BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2019 - XII ZB 129/19

28.01.2020

BUNDESGERICHTSHOF

vom

11. Dezember 2019

in der Betreuungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


VBVG § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 aF; FamFG § 168 Abs. 1 Satz 1, § 292 Abs. 1


a) Die tatrichterliche Feststellung, dass die Erlaubnis zur Ausübung des Berufs des Heilpraktikers nicht mit einer abgeschlossenen Lehre im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG aF (jetzt: § 4 Abs. 3 Nr. 1 VBVG) vergleichbar ist, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

b) Einer Rückforderung überzahlter Betreuervergütung kann der Vertrauensgrundsatz entgegenstehen, wenn eine Abwägung ergibt, dass dem Vertrauen des Berufsbetreuers auf die Beständigkeit der eingetretenen Vermögenslage gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung einer dem Gesetz entsprechenden Vermögenslage der Vorrang einzuräumen ist (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 13. November 2019 ­ XII ZB 106/19 ­ zur Veröffentlichung bestimmt und vom 6. November 2013 ­ XII ZB 86/13 ­ FamRZ 2014, 113).


BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2019 - XII ZB 129/19 - LG Lüneburg, AG Celle


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Dezember 2019 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Nedden-Boeger, Dr. Botur und Guhling

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerden des weiteren Beteiligten zu 1 und der weiteren Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 11. März 2019 werden zurückgewiesen.

Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.

Wert: 117 €

Gründe:

[1] I. Die Beteiligte zu 2 wurde vom Amtsgericht im Februar 2018 zur Berufsbetreuerin für die mittellose Betroffene bestellt. Die Betreuerin verfügt über eine Erlaubnis zur Berufsausübung nach § 1 HeilprG verbunden mit der Erlaubnis, die Berufsbezeichnung Heilpraktiker zu führen.

[2] Ihren Anträgen auf "Festsetzung einer pauschalen Vergütung" für die Zeit vom 24. Februar bis 23. August 2018 unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 33,50 € entsprach das Amtsgericht jeweils im vereinfachten Verfahren und brachte aus der Staatskasse insgesamt 402 € zur Auszahlung. Ihrem am 23. November 2018 gestellten Vergütungsantrag für die Zeit vom 24. August bis 23. November 2018 entsprach das Amtsgericht durch förmliche Festsetzung der Vergütung im Beschlusswege, jedoch lediglich unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von nur 27 €, weil bei der Betreuerin nicht die Voraussetzungen für einen erhöhten Stundensatz vorlägen. Durch weiteren Beschluss vom 20. Dezember 2018 setzte das Amtsgericht die Vergütung für die Zeit vom 24. Februar 2018 bis 23. August 2018 im Hinblick auf einen insoweit entstandenen Vertrauensschutz endgültig auf 402 € fest.

[3] Das Landgericht hat die Beschwerde des Bezirksrevisors (Beteiligter zu 1) gegen die Festsetzung der Vergütung für die Zeit vom 24. Februar bis 23. August 2018 und diejenige der Betreuerin gegen die Festsetzung der Vergütung für die Zeit vom 24. August bis 23. November 2018 zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die jeweils zugelassenen Rechtsbeschwerden des Bezirksrevisors und der Betreuerin.

[4] II. Die Rechtsbeschwerden sind nicht begründet.

[5] 1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Betreuerin verfüge über keine besonderen Kenntnisse, die durch eine abgeschlossene Lehre oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben und für die Führung der Betreuung nutzbar seien. Die Zulassung zur Ausübung des Berufs als Heilpraktiker werde nicht aufgrund einer abgeschlossenen Lehre oder einer vergleichbaren Ausbildung erworben. Denn eine staatlich geregelte oder anerkannte oder jedenfalls überprüfbar geregelte Ausbildung gebe es für den Beruf des Heilpraktikers nicht. Die Erlaubnis zur Ausübung des Berufs werde aufgrund einer Kenntnisprüfung erworben, die lediglich den Charakter einer Unbedenklichkeitsprüfung habe, ohne an eine konkrete Ausbildung anzuknüpfen.

[6] Allerdings könne sich die Betreuerin in Bezug auf den zurückliegenden Vergütungszeitraum vom 24. Februar bis 23. August 2018 auf Vertrauensschutz berufen. Denn sie habe nicht lediglich einen formlosen Antrag auf Vergütung gestellt, sondern deren förmliche Festsetzung beantragt. Wenn dann das Betreuungsgericht dennoch die Auszahlung im vereinfachten Verwaltungsverfahren vornehme, könne die den Gerichtsaufwand minimierende Verfahrensweise nicht zu Lasten der Betreuerin gehen. Es wäre in einem solchen Fall treuwidrig, wenn sich das Gericht auf diese Weise die Tür zur Rückforderung der Vergütung offenlasse.

[7] 2. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.

[8] a) Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Betreuerin für ihre mit Antrag 23. November 2018 abgerechneten Tätigkeiten vom 24. August bis zum 23. November 2018 nur eine Vergütung in Höhe von 162 € unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 27 € verlangen kann.

[9] aa) Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG in der bis zum 26. Juli 2019 geltenden Fassung (vgl. Art. 1 § 12 des Gesetzes zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung vom 22. Juni 2019, BGBl. I S. 866) kann der Betreuer die erhöhte Vergütung von 33,50 € pro Stunde nur beanspruchen, wenn er über besondere Kenntnisse verfügt, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind, und wenn er diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Lehre oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben hat.

[10] Die Frage, unter welchen Umständen ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG aF die Bewilligung einer erhöhten Vergütung rechtfertigen, obliegt einer wertenden Betrachtung des Tatrichters. Dessen Würdigung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob er die maßgebenden Tatsachen vollständig und rechtsfehlerfrei festgestellt und gewürdigt, Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt und die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (Senatsbeschluss vom 18. Februar 2015 - XII ZB 563/14 - FamRZ 2015, 845 Rn. 12 mwN).

[11] bb) Dass das Beschwerdegericht die von der Betreuerin erlangte Erlaubnis zur Ausübung des Berufs der Heilpraktikerin nicht mit einer abgeschlossenen Lehre im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG aF als vergleichbar erachtet hat, hält sich im Rahmen einer zulässigen tatrichterlichen Würdigung (vgl. auch Senatsbeschluss vom 18. Februar 2015 - XII ZB 563/14 - FamRZ 2015, 845 Rn. 13 mwN).

[12] Die Erlaubnis zur Ausübung des Berufs des Heilpraktikers wird nämlich gemäß § 2 Abs. 1 lit. i der ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz (BGBl. III, Gliederungsnummer 2122-2-1, zuletzt geändert durch Artikel 17f iVm Artikel 18 Absatz 4 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3191) auf der Grundlage lediglich einer eingeschränkten Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers erteilt, die ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden keine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung oder für die ihn aufsuchenden Patientinnen und Patienten bedeuten würde.

[13] Eine eigene staatliche Ausbildungs- und Prüfungsordnung besteht nicht. Der Heilpraktiker muss nur gewisse persönliche und sachliche Anforderungen erfüllen. Durch eine vom Gesundheitsamt vorzunehmende Überprüfung, die keine Fachprüfung ist, soll lediglich ausgeschlossen werden, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellt (BVerwG NJW 1973, 579, 580). Der Gutachterausschuss (vgl. insoweit § 4 Abs. 1 der ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz iVm Ziff. 5 der Niedersächsischen Richtlinie zur Durchführung des Verfahrens zur Erteilung einer Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz (RdErl. d. MS vom 25. Februar 2015 - 405-41022/15, Nds. MBl. Nr. 11/2015 S. 294, geändert durch RdErl. vom 11. Juli 2016, Nds. MBl. Nr. 29/2016 S. 806, jetzt in der Fassung des RdErl. d. MS vom 1. September 2018 ­ 405-41022/15, Nds. MBl. 2018 Nr. 31 S. 874) prüft danach nur, ob der Antragsteller über gewisse medizinische Grundkenntnisse verfügt, nicht aber, ob er bestimmte Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Naturheilkunde besitzt (vgl. BGH Urteil vom 22. April 1999 - I ZR 108/97 - NJW 2000, 870, 871 mwN). Die Heilpraktikerprüfung entspricht demnach lediglich einer Unbedenklichkeitsprüfung im Sinne der Gefahrenabwehr und keiner Fachprüfung im Sinne der Feststellung eines konkreten Ausbildungs- oder Befähigungsstandes.

[14] b) Ebenfalls frei von Rechtsfehlern ist die Annahme des Landgerichts, dass eine nachträgliche Herabsetzung der Betreuervergütung im gerichtlichen Festsetzungsverfahren zum Zweck der Rückforderung überzahlter Betreuervergütung nach Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ausgeschlossen sei.

[15] aa) Zwar ist die Staatskasse dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verpflichtet, so dass ihr Interesse darauf gerichtet sein muss, eine ohne Rechtsgrund eingetretene Vermögensverschiebung zu beseitigen und den rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen. Nachdem das Gericht in dem Festsetzungsverfahren nach § 168 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht an die vorangegangene Anweisung der Betreuervergütung im Wege des vereinfachten Justizverwaltungsverfahrens gebunden ist, kann die zu viel gezahlte Betreuervergütung grundsätzlich zurückgefordert werden (Senatsbeschluss vom 18. Februar 2015 - XII ZB 563/14 - FamRZ 2015, 845 Rn. 17).

[16] Jedoch kann einer (Neu-)Festsetzung der Betreuervergütung, welche eine Rückforderung überzahlter Beträge zur Folge hätte, im Einzelfall der Vertrauensgrundsatz entgegenstehen, wenn das Vertrauen des Betreuers auf die Beständigkeit einer ihm in der Vergangenheit rechtswidrig gewährten Vergütung schutzwürdig ist. Der Vertrauensschutz ist bereits bei der Festsetzung der Betreuervergütung im gerichtlichen Verfahren nach § 168 Abs. 1 Satz 1 FamFG zu prüfen, denn mit der gerichtlichen Festsetzung der Vergütung wird im Falle bereits zuviel erhaltener Leistungen zugleich der Rechtsgrund für deren Rückforderung geschaffen (Senatsbeschluss vom 18. Februar 2015 - XII ZB 563/14 - FamRZ 2015, 845 Rn. 18 mwN).

[17] Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch auf Rückforderung überzahlter Betreuervergütung kann entfallen, wenn eine Abwägung im Einzelfall ergibt, dass dem Vertrauen des Berufsbetreuers auf die Beständigkeit der eingetretenen Vermögenslage gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung einer dem Gesetz entsprechenden Vermögenslage der Vorrang einzuräumen ist. In diesem Fall ist schon eine abweichende Festsetzung im gerichtlichen Festsetzungsverfahren ausgeschlossen (Senatsbeschlüsse vom 13. November 2019 - XII ZB 106/19 - zur Veröffentlichung bestimmt und vom 18. Februar 2015 - XII ZB 563/14 - FamRZ 2015, 845 Rn. 19 mwN).

[18] bb) Bei der Beurteilung, ob im Rahmen der Herabsetzung der Betreuervergütung das Vertrauen des Betreuers in die Beständigkeit der eingetretenen Vermögenslage schützenswert ist, hat der Senat im Ausgangspunkt daran angeknüpft, dass ein Betreuer grundsätzlich dann mit einer späteren Änderung der im Verwaltungswege erfolgten Auszahlungsanordnung rechnen muss, wenn er die förmliche Festsetzung seiner Vergütung nicht selbst beantragt hatte (Senatsbeschluss vom 6. November 2013 - XII ZB 86/13 - FamRZ 2014, 113 Rn. 29).

[19] Im vorliegenden Fall hat das Landgericht die Vergütungsanträge der Betreuerin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dahin ausgelegt, dass bereits von vornherein eine förmliche Festsetzung der Vergütung durch Beschluss beantragt war (§ 292 Abs. 1 iVm § 168 Abs. 1 Satz 1 FamFG), und anknüpfend daran angenommen, dass eine Rückforderung bereits verbrauchter überzahlter Betreuervergütung nach Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ausgeschlossen sei. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.

Dose Schilling Nedden-Boeger

Botur Guhling

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