BGH, Beschluss vom 11. März 2020 - XII ZB 446/19

28.04.2020

BUNDESGERICHTSHOF

vom

11. März 2020

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 233 Fd


Überträgt ein Rechtsanwalt die Notierung von Fristen einer Kanzleikraft, muss er durch geeignete organisatorische Maßnahmen oder durch konkrete Einzelanweisung sicherstellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Bei notwendiger Korrektur einer Rechtsmittelfrist muss eine mündliche Einzelanweisung klar und präzise beinhalten, dass die Frist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender zu korrigieren ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 - XII ZB 458/19 - zur Veröffentlichung bestimmt).


BGH, Beschluss vom 11. März 2020 - XII ZB 446/19 - OLG Oldenburg, LG Osnabrück


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. März 2020 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 15. August 2019 wird auf Kosten der Beklagten verworfen.

Wert: bis 16.000 €

Gründe:

[1] I. Die Beklagte wendet sich gegen die Versagung der Wiedereinsetzung und die Verwerfung ihrer Berufung wegen Versäumung der Begründungsfrist.

[2] Mit Urteil vom 30. April 2019 hat das Landgericht die Beklagte zur Räumung und Herausgabe von Gebäuden nebst Landwirtschaftsflächen sowie zur Zahlung von rückständiger Miete in Höhe von 6.860 € verurteilt. Gegen das am 2. Mai 2019 zugestellte Urteil hat sie mit Schriftsatz ihres neuen Prozessbevollmächtigten am 28. Mai 2019 Berufung eingelegt. Mit am 3. Juli 2019 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag hat der Prozessbevollmächtigte beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um drei Wochen zu verlängern. Nachdem das Oberlandesgericht mit Verfügung vom 8. Juli 2019 auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen hatte, hat der Prozessbevollmächtigte am 10. Juli 2019 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Berufungsbegründungsfrist beantragt; die Berufungsbegründung ist am 23. Juli 2019 beim Oberlandesgericht eingegangen.

[3] Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags hat die Beklagte vorgetragen: Das Urteil sei ihren erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 2. Mai 2019 zugestellt worden. Diese hätten ihr mitgeteilt, dass Berufung "innerhalb eines Monats, d. h. bis zum 3. Juni 2019 eingelegt werden" müsse. Der 3. Juni 2019 war ein Montag. Die Mitteilung der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten habe sie an ihren neuen Prozessbevollmächtigten weitergeleitet. Dieser habe die Anweisung erteilt, die Frist nach Akteneinsicht nochmals zu kontrollieren. Nach Eingang der Akten in der Anwaltskanzlei hätten der Prozessbevollmächtigte und seine langjährige, stets zuverlässige und gewissenhafte Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte gemeinsam festgestellt, dass die Zustellung des Urteils am 2. Mai 2019 erfolgt sei. Der Prozessbevollmächtigte habe seine Angestellte daher angewiesen, das Datum zur Berufungsbegründung im Fristenkalender entsprechend zu korrigieren. Er selbst habe die Eintragung der Frist auf dem Handaktenbogen kontrolliert und sodann das Büro verlassen, um Mandantengespräche zu führen. Warum die entsprechende Korrektur im Fristenkalender nicht mehr erfolgt sei, könne sich die Angestellte nicht erklären. Diesen Vortrag hat die Beklagte durch eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten glaubhaft gemacht.

[4] Das Oberlandesgericht hat den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Hiergegen wendet sie sich mit der Rechtsbeschwerde.

[5] II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

[6] Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Sache hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung, weil die maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt sind. Die Beklagte vermag auch nicht aufzuzeigen, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre.

[7] 1. Das Berufungsgericht hat der Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt, weil ihren Prozessbevollmächtigten ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist treffe. Zwar könne ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen, dass ein zuverlässiger und gewissenhafter Fachangestellter vorgegebene Fristen korrekt in den Kalender eintrage. Vorliegend treffe den Prozessbevollmächtigten aber ein eigenes Verschulden bei der Kontrolle der Fristeintragung in der Handakte. Denn bei der Bestätigung der Eintragung in der Handakte hätte dem Prozessbevollmächtigten auffallen müssen, dass im Fristenkalender anstelle des Datums 3. Juli 2019 kein dem tatsächlichen Zustellungszeitpunkt entsprechender Termin für die Berufungsbegründung (2. Juli 2019) notiert worden sei. Die Fristversäumnis sei daher als nicht entschuldbare Sorgfaltspflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten selbst anzusehen.

[8] 2. Diese Ausführungen halten sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

[9] a) Gemäß § 233 Satz 1 ZPO ist einer Partei auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert gewesen ist, die Frist zur Begründung einer Berufung einzuhalten. Dies ist gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

[10] Ob einen Prozessbevollmächtigten insoweit ein der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden trifft, richtet sich nach einem objektiv-typisierenden Maßstab, wobei auf die Person des Bevollmächtigten abzustellen ist. Verschuldensmaßstab ist dabei die von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde übliche Sorgfalt, wobei die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden dürfen. Ihre Beachtung muss im Einzelfall auch zumutbar sein, da andernfalls das Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf einen zumutbaren Zugang zu den Gerichten verletzt würde. Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018 ­ XII ZB 565/16 ­ FamRZ 2018, 841 Rn. 17 f. mwN).

[11] aa) Überlässt ein Rechtsanwalt die Notierung von Rechtsmittelfristen ­ wie hier ­ einer bislang zuverlässigen Kanzleikraft, muss er nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichthofs (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 ­ XII ZB 458/19 ­ zur Veröffentlichung bestimmt und BGH Beschluss vom 12. Juni 2018 ­ II ZB 23/17 ­ NJW 2018, 2895 Rn. 10 mwN) durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Allerdings ist ein bestimmtes Verfahren hinsichtlich der Fristwahrung weder vorgeschrieben noch allgemein üblich. Vielmehr steht es dem Rechtsanwalt grundsätzlich frei, auf welche Weise er sicherstellt, dass die zutreffend berechnete Frist im Fristenkalender eingetragen wird (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2009 ­ XII ZB 154/09 ­ MDR 2010, 400 f. mwN). Erforderlich ist indessen eine Gegenkontrolle durch den Rechtsanwalt. Hierzu gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 ­ XII ZB 458/19 ­ zur Veröffentlichung bestimmt und BGH Beschluss vom 12. Juni 2018 ­ II ZB 23/17 ­ NJW 2018, 2895 Rn. 10 mwN). Drängen sich hinsichtlich des Erledigungsvermerks in der Handakte keine Zweifel auf, braucht der Rechtsanwalt nicht auch noch den Fristenkalender zu überprüfen, wenn die Büroorganisation die klare Anweisung enthält, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender einzutragen sind, bevor der Erledigungsvermerk in der Handakte angebracht wird. Besteht eine solche Anweisung nicht, ist der Rechtsanwalt dagegen von einer eigenständigen Prüfung des Fristenkalenders nicht befreit. Denn ansonsten besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung im Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 ­ XII ZB 458/19 ­ zur Veröffentlichung bestimmt und BGH Beschluss vom 12. Juni 2018 ­ II ZB 23/17 ­ NJW 2018, 2895 Rn. 11 mwN).

[12] Aus dem Vorbringen der Beklagten ist zur allgemeinen Büroorganisation ihres Prozessbevollmächtigten nur ersichtlich, dass neben dem Fristenkalender Handakten geführt werden, die Eintragungen in den Fristenkalender durch entsprechende Erledigungsvermerke dokumentieren. Dass die Büroorganisation die klare Anweisung enthält, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender einzutragen sind, bevor der Erledigungsvermerk in der Handakte angebracht wird, ist nicht vorgetragen. Hinzu kommt, dass hinsichtlich des Erledigungsvermerks in den Handakten sich nach dem vorgetragenen Ablauf nicht nur Zweifel aufdrängen mussten, sondern dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten bekannt war, dass die Frist in der Handakte korrigiert wurde, obwohl noch keine entsprechende Änderung im Fristenkalender erfolgt war.

[13] bb) Sind die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen oder Anweisungen für eine Fristwahrung unzureichend, scheidet ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nur aus, wenn er seiner bislang zuverlässigen Kanzleikraft eine konkrete Einzelweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. etwa BGH Beschluss vom 4. September 2018 ­ VIII ZB 70/17 ­ NJW-RR 2018, 1325 Rn. 22 mwN). Dabei darf ein Rechtsanwalt zwar grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. April 2010 ­ XII ZB 64/09 ­ FamRZ 2010, 1067 Rn. 11 mwN und vom 2. April 2008 ­ XII ZB 189/07 ­ FamRZ 2008, 1338 Rn. 12 mwN). Betrifft die Anweisung indessen einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen sein oder werden, dass die Anweisung ­ etwa im Drang der übrigen Geschäfte ­ in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. April 2010 ­ XII ZB 64/09 ­ FamRZ 2010, 1067 Rn. 11 mwN und vom 2. April 2008 ­ XII ZB 189/07 ­

FamRZ 2008, 1338 Rn. 13 mwN). Durch eine klare und präzise Anweisung im Einzelfall, die Rechtsmittelbegründungsfrist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender einzutragen, wird in diesen Fällen eine ausreichende Vorkehrung getroffen, insbesondere dann, wenn weiter eine allgemeine Büroanweisung besteht, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen Aufgaben zu erledigen (vgl. Senatsbeschluss vom 2. April 2008 ­ XII ZB 189/07 ­ FamRZ 2008, 1338 Rn. 13 f. mwN).

[14] Auch diesen Anforderungen wird das Vorgehen des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht gerecht. Nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts wurde die Einzelanweisung zur Berichtigung der Rechtsmittelbegründungsfrist im Fristenkalender nicht schriftlich erteilt (für einem solchen Fall vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Dezember 2009 ­ XII ZB 154/09 ­ MDR 2010, 400 f. mwN und vom 21. April 2010 ­ XII ZB 64/09 ­ FamRZ 2010, 1067 Rn. 12 ff.). Im Gegensatz zu dem vom Senat bereits entschiedenen Fall (Senatsbeschluss vom 2. April 2008 ­ XII ZB 189/07 ­ FamRZ 2008, 1338 Rn. 13 f. mwN) ist hier auch keine klare und präzise mündliche Anweisung im Einzelfall vorgetragen, die Berufungsbegründungsfrist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender zu korrigieren. Denn die Büroangestellte wurde mündlich nur angewiesen, die Berufungsbegründungsfrist sowohl in der Handakte als auch im Fristenkalender auf den 2. Juli 2019 zu datieren. Sie korrigierte die Frist unmittelbar im Beisein des Prozessbevollmächtigten in den Handakten und trägt in ihrer eidesstattlichen Versicherung vor, sie habe dann mit den Akten zu tun gehabt, weil diese vollständig eingescannt werden mussten, um eine zeitnahe Rückgabe der Akten an das Gericht zu gewährleisten. Obwohl der Prozessbevollmächtigte aus dem Geschehensablauf wusste, dass die Kanzleikraft auf seine Weisung hin die Handakte vor einer entsprechenden Änderung des Fristenkalenders korrigiert hatte, kontrollierte er nur die in seinem Beisein erfolgte Änderung in der Handakte, nicht aber den Fristenkalender und verließ anschließend ohne weitere Vorkehrungen das Büro zu Mandantengesprächen.

[15] cc) Danach hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten keine ausreichende Vorkehrung zur Fristwahrung getroffen, so dass die Fristversäumung auch ihm selbst anzulasten ist.

[16] b) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung dagegen nicht davon ausgegangen, der 2. Juli 2019 als zutreffender Termin zur Berufungsbegründung sei in den Handakten des Prozessbevollmächtigten nicht notiert worden. Daher kann dahinstehen, ob eine solche Annahme des Berufungsgerichts gegebenenfalls die Beklagte in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) oder auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hätte.

Dose Klinkhammer Günter

Botur Krüger

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell