BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 - XII ZB 347/19

24.03.2020

BUNDESGERICHTSHOF

vom

12. Februar 2020

in der Betreuungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG §§ 7 Abs. 5, 274 Abs. 4 Nr. 1, 303 Abs. 2 Nr. 1


Wer nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG tatsächlich am Verfahren im ersten Rechtszug beteiligt wurde, bleibt auch dann gemäß § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG beschwerdebefugt, wenn nachfolgend seine Hinzuziehung entsprechend § 7 Abs. 5 FamFG wieder aufgehoben wird (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 9. April 2014 ­ XII ZB 595/13 ­ FamRZ 2014, 1099).


BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 - XII ZB 347/19 - LG Münster, AG Steinfurt


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Februar 2020 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling und Guhling und die Richterin Dr. Krüger

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 3. Juli 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe:

[1] I. Der Vater der Betroffenen (Beteiligter zu 3) möchte verhindern, dass die Mutter der Betroffenen (Beteiligte zu 1) zur Betreuerin für die gemeinsame Tochter bestellt wird.

[2] Bei der im Mai 2000 geborenen Betroffenen liegt eine geistige Behinderung als Folgezustand eines frühkindlichen Hirnschadens mit epileptischen Anfällen vor.

[3] Auf Anregung der Beteiligten zu 1 hat das Amtsgericht im Februar 2018 ein betreuungsgerichtliches Verfahren eingeleitet und am 25. April 2018 "formlos" beschlossen, den Beteiligten zu 3 auf seinen Antrag hin als Beteiligten hinzuzuziehen. Mit Beschluss vom 12. Juni 2018 hat das Amtsgericht die Beteiligten zu 1 und 2 als Betreuerinnen bestellt mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge sowie Vertretung gegenüber Behörden, Ämtern und Versicherungen beziehungsweise Vermögensangelegenheiten einschließlich der Geltendmachung von Unterhalt. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Beteiligten zu 3 hat das Amtsgericht nicht abgeholfen.

[4] Das Landgericht hat die Akten an das Amtsgericht zurückgegeben mit der Aufforderung, über die Hinzuziehung des Beteiligten zu 3 zum Verfahren in einem Zwischenverfahren zu entscheiden. Das Amtsgericht hat daraufhin durch Beschluss vom 4. April 2019 die Hinzuziehung des Beteiligten zu 3 zum Verfahren aufgehoben. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde (§ 7 Abs. 5 Satz 2 FamFG) des Beteiligten zu 3 hat das Landgericht zurückgewiesen.

[5] Durch den angefochtenen Beschluss vom 3. Juli 2019 hat das Landgericht schließlich die Beschwerde des Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 12. Juni 2018 verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3.

[6] II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, weil es die Beschwerde zu Unrecht verworfen hat.

[7] 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, der Beteiligte zu 3 sei nicht beschwerdeberechtigt. Eltern seien gemäß § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG nur dann beschwerdeberechtigt, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden seien. Diese Voraussetzung liege hinsichtlich des Beteiligten zu 3 nicht vor, da seine Hinzuziehung zum Verfahren inzwischen rechtskräftig aufgehoben worden sei. Auch sei der Beteiligte zu 3 durch die angefochtene Entscheidung erkennbar nicht in eigenen Rechten nach § 59 Abs. 1 FamFG beeinträchtigt.

[8] 2. Dies hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

[9] Gemäß § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG steht Eltern des Betroffenen gegen die Bestellung eines Betreuers das Recht der Beschwerde im Interesse des Betroffenen nur dann zu, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind. Für diese Beschwerdebefugnis kommt es allein darauf an, dass der Betei-

ligte zu 3 im ersten Rechtszug tatsächlich beteiligt worden ist. Eine der tatsächlichen Beteiligung nachfolgende, im Zwischenverfahren entsprechend § 7 Abs. 5 FamFG ergangene rechtskräftige Entscheidung, wonach die Beteiligung des Beteiligten zu 3 am Verfahren wieder aufgehoben wird, steht der einmal erlangten Beschwerdebefugnis nicht entgegen (zur nachträglichen Ablehnung der Hinzuziehung vgl. Senatsbeschluss vom 9. April 2014 ­ XII ZB 595/13 ­ FamRZ 2014, 1099 Rn. 8, 16).

[10] a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Beteiligte zu 3 vom Amtsgericht im Sinne des § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG beteiligt worden.

[11] aa) In Verfahren über die Bestellung eines Betreuers können gemäß § 274 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 FamFG im Interesse des Betroffenen dessen Eltern beteiligt werden. Dabei kann die Hinzuziehung eines Beteiligten auch konkludent erfolgen, etwa durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen (vgl. Senatsbeschluss vom 9. April 2014 ­ XII ZB 595/13 ­ FamRZ 2014, 1099 Rn. 11 mwN). Die Hinzuziehung kann innerhalb der Instanz auch wieder aufgehoben werden, wenn etwa das Gericht sein Ermessen während des Verfahrens für die Zukunft anders ausübt; insofern ist allerdings zur Rechtsklarheit ein förmlicher Beschluss im Sinne des § 38 FamFG erforderlich (Keidel/Sternal FamFG 20. Aufl. § 7 Rn. 42).

[12] bb) Danach ist der Beteiligte zu 3 hier im ersten Rechtszug beteiligt worden und demgemäß nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zur Beschwerde befugt.

[13] Vorliegend hat das Amtsgericht die Geschäftsstelle angewiesen, den Beteiligten zu 3 als Beteiligten in der Akte zu vermerken, ihm die Betreuungsanregung und den Einleitungsbeschluss zugeleitet und ihn zum Anhörungstermin geladen. Diese Verfahrenshandlungen allein begründen bereits eine Beteiligung im Sinne der §§ 274 Abs. 4 Nr. 1, 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Hinzu kommt, dass ausweislich des Beschlusses vom 4. April 2019 das Amtsgericht am 25. April 2018 "formlos" beschlossen hatte, den Beteiligten zu 3 auf seinen Antrag hin als Beteiligten hinzuzuziehen.

[14] Zwar hat das Amtsgericht nachfolgend im Hinblick auf den Widerspruch der Betroffenen im Anhörungstermin davon abgesehen, dem Beteiligten zu 3 eine Abschrift des Sachverständigengutachtens auszuhändigen, hat ihm die Entscheidung nur abgekürzt (ohne Gründe) übermittelt und ihm auch nachträglich Akteneinsicht verweigert. Dadurch ist indessen allenfalls das Ermessen für die Zukunft anderweitig ausgeübt worden.

[15] b) Auch die nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens rechtskräftig erfolgte Aufhebung der Hinzuziehung des Beteiligten zu 3 zum Verfahren vermag an der zu diesem Zeitpunkt bereits begründeten Beschwerdebefugnis nichts zu ändern. Denn die zuvor tatsächlich bereits erfolgte Beteiligung und die damit einhergehende Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG entfällt dadurch nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 9. April 2014 ­ XII ZB 595/13 ­ FamRZ 2014, 1099 Rn. 19).

[16] c) Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben.

[17] Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Dose Klinkhammer Schilling

Guhling Krüger

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