BGH, Beschluss vom 17. April 2019 - XII ZB 546/18

03.06.2019

BUNDESGERICHTSHOF

vom

17. April 2019

in der Familiensache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG §§ 64, 113 Abs. 1, 117; ZPO § 114


Reicht der Rechtsmittelführer einen Verfahrenskostenhilfeantrag verbunden mit einem Schriftsatz ein, der die formalen Anforderungen einer Beschwerdeschrift erfüllt, kommt die Deutung, dass der Schriftsatz zunächst nur als Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe gemeint war, nur in Betracht, wenn sich das entweder aus dem Schriftsatz selbst oder sonst aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 7. März 2012 ­ XII ZB 421/11 ­ FamRZ 2012, 962 und vom 27. Oktober 2010 ­ XII ZB 113/10 ­ FamRZ 2011, 29).


BGH, Beschluss vom 17. April 2019 - XII ZB 546/18 - OLG Hamm, AG Kamen


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. April 2019 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 7. November 2018 wird auf Kosten des Antragsgegners verworfen.

Wert: 4.546 €

Gründe:

[1] I. Die Antragstellerin nimmt ihren Ehemann, den Antragsgegner, auf Getrenntlebensunterhalt in Anspruch. Das Amtsgericht hat dem Antrag mit Beschluss vom 18. Oktober 2017, dem Antragsgegner zugestellt am 23. Oktober 2017, teilweise stattgegeben.

[2] Mit beim Amtsgericht am 23. November 2017 eingegangenem Rechtsanwaltsschriftsatz hat der Antragsgegner beantragt, ihm Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung seines Rechtsanwalts zu bewilligen, und weiter ausgeführt: "Die Beschwerde wird nur unter der Bedingung von Verfahrenskostenhilfe erhoben. Im Umfange der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird sodann Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts (...) eingelegt." Der Schriftsatz enthält eine Begründung, weshalb das Amtsgericht zu Unrecht zu einer Unterhaltspflicht gelangt sei, und ist vom Antragsgegnervertreter unterschrieben.

[3] Das Oberlandesgericht hat dem Antragsgegnervertreter den Eingang des Verfahrenskostenhilfeantrags mitgeteilt und dem Antragsgegner mit Beschluss vom 29. August 2018 die beantragte Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Nach entsprechendem Hinweis hat das Oberlandesgericht dann die Beschwerde verworfen, weil diese nur unter einer Bedingung und daher unzulässig eingelegt worden sei. Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht möglich, weil der Antragsgegner innerhalb der ab Zustellung des Verfahrenskostenhilfebeschlusses laufenden Wiedereinsetzungsfrist weder einen entsprechenden Antrag gestellt noch Beschwerde eingelegt habe.

[4] Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Rechtsbeschwerde.

[5] II. Die gemäß §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner nicht in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Die angefochtene Entscheidung hält sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

[6] 1. Wird ein Rechtsmittel oder seine Begründung zulässigerweise mit einem Antrag auf Verfahrenskostenhilfe verbunden, muss der Rechtsmittelführer zwar alles vermeiden, was den Eindruck erweckt, der Antrag solle eine (künftige) Verfahrenshandlung nur ankündigen und sie von der Gewährung von Verfahrenskostenhilfe abhängig machen. Wenn der Rechtsmittelführer aber einen Verfahrenskostenhilfeantrag verbunden mit einem Schriftsatz einreicht, der die formalen Anforderungen einer Beschwerdeschrift bzw. einer Beschwerdebegründung erfüllt, ist das regelmäßig als unbedingt eingelegtes Rechtsmittel zu behandeln. Die Deutung, dass der Schriftsatz zunächst nur als Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe gemeint war, kommt nur dann in Betracht, wenn sich das entweder aus dem Schriftsatz selbst oder sonst aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt. Im Zweifel ist zugunsten des Rechtsmittelführers anzunehmen, dass er eher das Kostenrisiko einer ganz oder teilweise erfolglosen Beschwerde auf sich nimmt als von vornherein zu riskieren, dass seine Beschwerde als unzulässig verworfen wird, er also unbedingt Beschwerde eingelegt hat und sich lediglich für den Fall der Versagung von Verfahrenskostenhilfe die Zurücknahme des Rechtsmittels vorbehält. Mit Rücksicht auf die schwerwiegenden Folgen einer bedingten und damit unzulässigen Beschwerdeeinlegung ist für die Annahme einer derartigen Bedingung eine ausdrückliche zweifelsfreie Erklärung erforderlich, die beispielsweise darin gesehen werden kann, dass der Schriftsatz als "Entwurf einer Berufungsbegründung" oder als "Begründung zunächst nur des PKH-Gesuchs" bezeichnet wird, von einer "beabsichtigten Berufungsbegründung" die Rede ist oder angekündigt wird, dass die Berufung "nach Gewährung der PKH" begründet werde. Dabei kann das Rechtsbeschwerdegericht die Auslegung einer verfahrensbezogenen Willenserklärung uneingeschränkt nachprüfen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. März 2012 ­ XII ZB 421/11 ­ FamRZ 2012, 962 Rn. 11 f. mwN und vom 27. Oktober 2010 ­ XII ZB 113/10 ­ FamRZ 2011, 29 Rn. 17 mwN).

[7] 2. Bei Anlegung dieses Maßstabs ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht den Schriftsatz des Antragsgegners vom 23. November 2017 nicht als Beschwerde, sondern lediglich als Verfahrenskostenhilfeantrag angesehen hat.

[8] Allerdings erfüllt dieser Schriftsatz insofern die Anforderungen an eine Rechtsmittel(begründungs)schrift, als er die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie Darlegungen dazu enthält, aus denen sich deren Unrichtigkeit ergeben soll, und vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners unterzeichnet ist. Ob trotz Fehlens eines Beschwerdeantrags auch den Anforderungen des § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG genügt ist (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 10. Juni 2015 ­ XII ZB 611/14 ­ FamRZ 2015, 1375 Rn. 9 ff. mwN), kann jedoch ebenso dahinstehen wie das Fehlen eines vollen Rubrums.

[9] Denn das Oberlandesgericht hat zu Recht angenommen, aus dem Schriftsatz ergebe sich mit der erforderlichen, jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit, dass nur ein Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe gestellt werden sollte. Mit eben diesem Antrag wird der Schriftsatz eingeleitet und im Folgesatz eindeutig erklärt, die Beschwerde werde nur unter der Bedingung eingelegt, dass Verfahrenskostenhilfe bewilligt werde. Diese vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners abgegebene Erklärung lässt allein den Schluss einer "bedingten Beschwerde" zu, die ­ aus wirtschaftlichen Erwägungen ­ gerade nicht unabhängig von Verfahrenskostenhilfe eingelegt und allein in ihrer Durchführung von der Bewilligung bzw. ihrem Umfang abhängig sein sollte (vgl. dazu etwa Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2010 ­ XII ZB 113/10 ­ FamRZ 2011, 29 Rn. 19 mwN). In Anbetracht dieser unmissverständlichen Formulierung konnte dem sich anschließenden Satz, dass im Umfange der Bewilligung "sodann Beschwerde (...) eingelegt" werde, allein die Ankündigung einer zukünftigen Verfahrenshandlung, nicht aber deren schon unbedingte Vornahme entnommen werden.

[10] 3. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, es fehle an einem entsprechenden Hinweis des Oberlandesgerichts nach § 139 Abs. 1 ZPO. Denn der Anwaltsschriftsatz enthielt keine aufklärungsbedürftige Unklarheit. Vielmehr wäre es Sache des anwaltlich beratenen Antragsgegners gewesen, nach Verfahrenskostenhilfebewilligung gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, 234, 236 Abs. 2 ZPO fristgerecht die versäumten Verfahrenshandlungen nachzuholen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Fristen zur Beschwerdeeinlegung und ­begründung zu beantragen. Da dies unterblieben ist, war für eine Wiedereinsetzung kein Raum. Fehl geht auch die Überlegung der Rechtsbeschwerde, die Wiedereinsetzung habe jedenfalls deshalb erfolgen müssen, weil die Beschwerde schon mit dem Schriftsatz vom 23. November 2017 eingelegt gewesen sei. Hätte dieser Schriftsatz einen solchen Erklärungswert gehabt, hätte es mangels Fristversäumnis schon keiner Wiedereinsetzung bedurft.

Dose Schilling Günter

Nedden-Boeger Guhling

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