BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 - XI ZB 32/21

29.08.2022

BUNDESGERICHTSHOF

vom

19. Juli 2022

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


VerkProspG § 13 (Fassung bis zum 31. Mai 2012)


BörsG §§ 44 ff. (Fassung bis zum 31. Mai 2012)

Zum Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung und zur Zuständigkeit des Senats, hierüber zu entscheiden (weitere Bestätigung von Senat, Beschluss vom 19. Januar 2021 ­ XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 22 ff.), sowie zur Bedeutung von gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO nicht näher begründeten Beschlüssen.


BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 - XI ZB 32/21 - OLG Hamburg, LG Hamburg


Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juli 2022 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, den Richter Dr. Grüneberg sowie die Richterinnen Dr. Menges, Dr. Derstadt und Ettl beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Musterrechtsbeschwerdeführers gegen den Musterentscheid des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 24. November 2021 wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Musterrechtsbeschwerdegegnerin und der Beigetretenen im Rechtsbeschwerdeverfahren trägt der Musterrechtsbeschwerdeführer.

Seine außergerichtlichen Kosten im Rechtsbeschwerdeverfahren trägt der Musterrechtsbeschwerdeführer selbst.

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird hinsichtlich der Gerichtskosten auf 5.851.327 € festgesetzt.

Der Gegenstandswert für die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird für den Prozessbevollmächtigten des Musterrechtsbeschwerdeführers auf 987.500 € und für den Prozessbevollmächtigten der Musterrechtsbeschwerdegegnerin und der Beigetretenen auf 5.851.327 € festgesetzt.

Gründe:

A.

[1] Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) darüber, ob der bei der Emission des Fonds H. (im Folgenden: Fonds) am 23. April 2009 aufgestellte Prospekt (im Folgenden: Prospekt) fehlerhaft ist und ob die Musterbeklagten hierfür aufgrund sogenannter bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen werden können. Gegenstand des Fonds ist die Beteiligung an vier Kommanditgesellschaften (E.

GmbH & Co. KG; im Folgenden: Schiffsgesellschaften), die jeweils in den Neubau eines Massengutschiffs Bulker mit einer Tragfähigkeit von 4.500 tdw investieren sollten.

[2] Die Musterbeklagten zu 1, 2 und 4 sind Initiatoren und Anbieter des Beteiligungsangebots. Sie sind Gründungskommanditisten der Schiffsgesellschaften. Die Musterbeklagte zu 3 ist aufgrund eines Spaltungs- und Übernahmevertrags vom 11. April 2013 von der Musterbeklagten zu 2 abgespalten worden. Die Musterbeklagte zu 1 ist mit einer Kommanditeinlage in Höhe von jeweils 24.000 € an den Schiffsgesellschaften beteiligt, die Musterbeklagten zu 2 und 3 mit jeweils 1.000 € und die Musterbeklagte zu 4 mit jeweils 12.500 €. Die Musterbeklagten zu 2 und 3 fungieren ferner als Treuhandkommanditisten, die Musterbeklagte zu 4 war außerdem Platzierungsgarantin.

[3] Seit dem Jahr 2018 haben zahlreiche Anleger Klagen gegen die Musterbeklagten erhoben. In diesen Klageverfahren verlangen sie von den Musterbeklagten Schadensersatz wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Beteiligung an den Schiffsgesellschaften nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne.

[4] Das Landgericht hat mit Beschluss vom 29. Juli 2019 dem Oberlandesgericht Feststellungsziele zum Zweck der Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt. Mit ihnen wird geltend gemacht, dass der Prospekt in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft sei (Feststellungsziel I 1 bis 8) und dass die Musterbeklagten zu 1 bis 4 für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Emissionsprospekts im Wege der Prospekthaftung im weiteren Sinne verantwortlich seien; insoweit sei hierfür nicht Voraussetzung, dass sie mit den Anlageinteressenten bei Vertragsanbahnung in sozialen Kontakt getreten seien oder ihnen auch nur namentlich bekannt gewesen sein müssten (Feststellungsziel II). Mit Beschluss vom 30. November 2020 hat das Oberlandesgericht auf Antrag des Musterklägers im Hinblick auf die Fehlerhaftigkeit des Prospekts das Feststellungsziel I um drei Punkte erweitert. Mit Musterentscheid vom 24. November 2021 hat es das Feststellungsziel II als unbegründet zurückgewiesen und festgestellt, dass die Feststellungsziele I gegenstandslos sind.

[5] Dagegen wendet sich der Beigeladene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er das Feststellungsbegehren vollumfänglich weiterverfolgt. Mit Beschluss vom 23. Februar 2022 hat der Senat den Beigeladenen zum Musterrechtsbeschwerdeführer und die Musterbeklagte zu 2 zur Musterrechtsbeschwerdegegnerin bestimmt.

B.

[6] Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

[7] I. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung des Musterentscheids im Wesentlichen ausgeführt:

[8] Das Feststellungsziel II sei nicht zu treffen, weil eine Haftung der Musterbeklagten als Gründungsgesellschafter aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden könne. Ein Anspruch auf dieser Grundlage werde vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung ­ hier gemäß § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung ­ verdrängt. Die Musterbeklagte zu 1 sei Gründungsgesellschafterin und Prospektverantwortliche nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BörsG aF, weil sie im Prospekt auf Seite 12 als Prospektverantwortliche genannt werde. Die Musterbeklagten zu 2 bis 4 seien nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF verantwortlich. Die Musterbeklagten zu 2 und 4 seien ebenfalls Gründungsgesellschafter, die Musterbeklagte zu 3 sei aus der Musterbeklagten zu 2 hervorgegangen. Die Musterbeklagte zu 2 fungiere zudem als Treuhandkommanditistin. Die Musterbeklagte zu 4 sei Konzernobergesellschaft und Platzierungsgarantin.

[9] Aufgrund dessen sei über die Feststellungsziele I nicht mehr zu entscheiden. Da das Feststellungsziel II unbegründet sei, seien die Feststellungsziele I gegenstandslos. Die behaupteten Prospektfehler sollten ausschließlich als anspruchsbegründende Voraussetzung einer Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden. Eine solche Prospekthaftung im weiteren Sinne sei aber aus Rechtsgründen nicht gegeben.

[10] II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

[11] 1. Die statthafte (§ 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 KapMuG) Rechtsbeschwerde des Musterrechtsbeschwerdeführers ist zulässig.

[12] Die Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt und begründet worden (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Das Rechtsbeschwerdeverfahren wird vom Beigeladenen als Musterrechtsbeschwerdeführer geführt (§ 21 Abs. 2 KapMuG). Die Rechtsbeschwerde formuliert einen ordnungsgemäßen Rechtsbeschwerdeantrag (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 575 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Der Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und nach den "Schlussanträgen des Musterklägers im Kapitalanleger-Musterverfahren zu entscheiden", lässt vorliegend erkennen, welche Abänderungen beantragt werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Oktober 2020 ­ XI ZB 28/19, WM 2020, 2411 Rn. 21 und vom 15. Dezember 2020 ­ XI ZB 24/16, BGHZ 228, 133 Rn. 34 ff., jeweils mwN).

[13] 2. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Oberlandesgericht hat zu Recht das Feststellungsziel II wegen des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung als unbegründet zurückgewiesen und den Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele I für gegenstandslos gehalten.

[14] a) Durch das Feststellungsziel II sollte nur eine Haftung der Musterbeklagten zu 1 bis 4 nach den Grundsätzen der "Prospekthaftung im weiteren Sinne" durch Verwenden eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden. Denn das Feststellungsziel II hat ausdrücklich und ausschließlich eine Aufklärungspflicht der Musterbeklagten nach den Grundsätzen der "Prospekthaftung im weiteren Sinne" betreffend die in den Feststellungszielen I genannten Prospektfehler zum Gegenstand. Dies ergibt sich auch aus dem Vorlagebeschluss, wonach mit den Feststellungszielen I und II ausschließlich eine Haftung der Musterbeklagten für den fehlerhaften Inhalt des Prospekts nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne festgestellt werden soll. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde auch nicht.

[15] b) Die begehrte Feststellung ist nicht zu treffen, weil eine Haftung der Musterbeklagten zu 1, 2 und 4 als Gründungsgesellschafter der Schiffsgesellschaften zum Zeitpunkt der Prospektherausgabe aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird ­ was der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 ­ XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 22 ff.) ­ vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt. Nichts anderes gilt für die Musterbeklagte zu 3, die aufgrund des Spaltungs- und Übernahmevertrags vom 11. April 2013 für die vor dem Wirksamwerden der Spaltung begründeten Verbindlichkeiten der Musterbeklagten zu 2 gesamtschuldnerisch haftet.

[16] Auf den am 23. April 2009 aufgestellten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG in der vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) i.V.m. § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) eröffnet.

[17] aa) Die Musterbeklagte zu 1 ist Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BörsG aF. Denn sie hat die Verantwortung für den Prospekt ausdrücklich übernommen (Prospekt, Seite 12). Eine Haftung der Musterbeklagten zu 1 aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB, die wie im Feststellungsziel II auf die Verwendung des Prospekts gestützt wird, ist daher aufgrund des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung ausgeschlossen.

[18] bb) Gleiches gilt auch für eine Haftung der Musterbeklagten zu 2 und 4 aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB, die auf die Verwendung des Prospekts gestützt wird.

[19] Nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF haften neben denjenigen, die für den Prospekt im Sinne des § 8g VerkProspG aF die Verantwortung übernommen haben, im Falle von dort enthaltenen unrichtigen oder unvollständigen wesentlichen Angaben auch diejenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF). Damit sollen die Personen und Unternehmen getroffen werden, von denen die wirtschaftliche Initiative ausgeht und die hinter dem Prospekt stehen und seine eigentlichen Urheber sind (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 ­ XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 24 mwN). Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF ist von einer Prospektverantwortlichkeit eines Hintermannes als Prospektveranlasser unter anderem dann auszugehen, wenn dieser auf die Konzeption des konkreten, mit dem Prospekt beworbenen und vertriebenen Modells maßgeblich Einfluss genommen hat und damit letztendlich auch für die Herausgabe des Prospekts verantwortlich ist. Dabei können die gesellschaftsrechtliche Funktion des Hintermannes sowie ein erhebliches wirtschaftliches Eigeninteresse für eine Einflussnahme auf die Konzeption des Modells sprechen. Nicht entscheidend ist, ob eine Mitwirkung unmittelbar bei der Gestaltung des Prospekts gegeben ist; ausschlaggebend dagegen ist, ob der Prospekt mit Kenntnis des Verantwortlichen in den Verkehr gebracht worden ist (Senatsbeschluss aaO).

[20] Nach diesen Grundsätzen sind die Musterbeklagten zu 2 und 4 Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF. Sie sind ­ was bereits ausreicht (Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2021 ­ XI ZB 26/19, WM 2021, 2386 Rn. 24) ­ Gründungsgesellschafterinnen der Schiffsgesellschaften mit Kommanditeinlagen von jeweils 1.000 € bzw. 12.500 €.

[21] cc) Die Musterbeklagte zu 3 haftet aufgrund der Abspaltung von der Musterbeklagten zu 2 gemäß § 123 Abs. 2, § 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG für deren vor dem Wirksamwerden der Spaltung begründete Verbindlichkeiten als Gesamtschuldnerin.

[22] dd) Die Musterbeklagten zu 1 bis 4 hafteten mithin als Prospektverantwortliche (Musterbeklagte zu 1) bzw. als Prospektveranlasserin (Musterbeklagte zu 2 bis 4) für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF. Neben dieser ist eine Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 ­ XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 26).

[23] Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den von der Rechtsbeschwerde zitierten Entscheidungen des II. und des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsbeschluss vom 27. April 2021 ­ XI ZB 35/18, BKR 2021, 774 Rn. 7 f. in Bezug auf das Urteil des III. Zivilsenats vom 13. August 2020 [III ZR 148/19, WM 2020, 1862 ff.] und das Urteil des II. Zivilsenats vom 19. November 2019 [II ZR 306/18, WM 2020, 169 ff.]).

[24] (1) Das Verfahren II ZR 358/16 betraf eine mögliche Haftung eines Gründungsgesellschafters aufgrund von ­ ihm über § 278 BGB zuzurechnenden ­ unrichtigen oder unzureichenden Angaben einer Vertriebsmitarbeiterin beim Beratungsgespräch, wobei revisionsrechtlich zu unterstellen war, dass die klagenden Anleger den Prospekt nicht zur Kenntnis genommen hatten (BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 ­ II ZR 358/16, WM 2017, 1640 Rn. 10 f.). Auch im Verfahren II ZR 139/17 ging es um eine derartige Konstellation, wobei dort davon auszugehen war, dass dem klagenden Anleger der Verkaufsprospekt vor Zeichnung der Beteiligung nicht vorlag (BGH, Urteil vom 8. Januar 2019 ­ II ZR 139/17, WM 2019, 495 Rn. 1 und 25 ff.). Der Senat hat in seinem Beschluss vom 19. Januar 2021 (XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 26 im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 ­ XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 57) nicht in Frage gestellt, dass Gründungsgesellschafter Anlegern aus anderen Gründen als durch Verwenden einer Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung ­ etwa wegen unrichtiger mündlicher Zusicherungen ­ nach § 280 Abs. 1 i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB (und gegebenenfalls § 278 BGB) haften können (vgl. Senatsbeschluss vom 26. April 2022 ­ XI ZB 27/20, WM 2022, 1169 Rn. 23 mwN). Im Verfahren II ZR 306/18 war im Revisionsverfahren lediglich noch streitig, ob einem Gründungsgesellschafter oder einem mit ihm wesentlich kapitalmäßig oder personell verflochtenen Unternehmen bereits gewährte Sondervorteile im Emissionsprospekt auch dann offengelegt werden müssen, wenn sie bereits vor dem Beitritt eines Anlegers erfolgt sind, während die Haftung dem Grunde nach nicht Gegenstand war (BGH, Urteil vom 19. November 2019 ­ II ZR 306/18, WM 2020, 169 Rn. 6 ff.).

[25] (2) In der Entscheidung des III. Zivilsenats vom 16. März 2017 ging es um die Haftung einer Treuhandkommanditistin, die nicht zu den Gründungsgesellschaftern gehörte und auch keinen eigenen Gesellschaftsanteil an der Fondsgesellschaft hielt (BGH, Urteil vom 16. März 2017 ­ III ZR 489/16, WM 2017, 708 Rn. 2) und deren Pflichtverletzung darin bestand, unrichtige Prospektangaben nicht von sich aus richtig gestellt zu haben (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2017, aaO Rn. 19). Es ist daher schon nicht ersichtlich, dass diese Treuhandkommanditistin zu dem Personenkreis gehörte, der nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF haften kann. In dem Verfahren III ZR 148/19 fehlte es bereits an einem gesellschaftsrechtlichen Aufnahmevertrag seitens des Anlegers, so dass sich die Frage nach einer bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung im weiteren Sinne nicht stellte (BGH, Urteil vom 13. August 2020 ­ III ZR 148/19, WM 2020, 1862 Rn. 20).

[26] (3) Den Entscheidungen in den Verfahren II ZR 9/12, III ZR 264/14 und II ZR 331/14 lagen Beteiligungen an Fondsgesellschaften im Jahr 2000 (BGH, Urteile vom 22. Oktober 2015 ­ III ZR 264/14, WM 2015, 2238 Rn. 2 und vom 21. Juni 2016 ­ II ZR 331/14, WM 2016, 1487 Rn. 1), im Oktober 2004 und im Mai 2005 (BGH, Urteil vom 9. Juli 2013 ­ II ZR 9/12, WM 2013, 1597 Rn. 1) zugrunde. Die Regelungen des Anlegerschutzverbesserungsgesetzes vom 28. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2630) zur Haftung nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG für unrichtige oder unvollständige Angaben in einem Prospekt im Sinne des § 8g VerkProspG, auf welche sich die Entscheidung des Senats vom 19. Januar 2021 (XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 ff.) bezieht, traten jedoch erst am 1. Juli 2005 und somit danach in Kraft.

[27] (4) Dem nicht veröffentlichten und gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO aF (nunmehr: § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO) nicht näher begründeten Beschluss des II. Zivilsenats in dem Verfahren II ZR 280/16 lässt sich nur entnehmen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die oberlandesgerichtliche Entscheidung zurückgewiesen worden ist, weil kein Revisionszulassungsgrund gegeben war oder ein solcher nicht ordnungsgemäß dargelegt worden ist. Aus ihm lässt sich dagegen nicht ableiten, dass der II. Zivilsenat die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts für zutreffend befunden hätte.

[28] Die Voraussetzungen des im Hinblick auf die Fehlerkontrolle einschlägigen Zulassungsgrundes der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) sind nicht schon dann erfüllt, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts, gemessen an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, fehlerhaft ergangen wäre. Mit der Einführung dieses Zulassungsgrundes wollte der Gesetzgeber dem Bundesgerichtshof nicht die Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsprechung in dem Sinne auferlegen, dass Entscheidungen der Instanzgerichte in jedem Fall auf ihre Richtigkeit revisionsrechtlich zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren sind. Erforderlich ist vielmehr, dass über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts besteht (vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 104). Nur eine solche restriktive Auslegung entspricht dem mit der Neuregelung des Zugangs zur Revisionsinstanz ­ ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 14/4722, S. 66) ­ verfolgten Zweck, im Interesse der Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Bundesgerichtshofs das Rechtsmittel nur für solche Sachen zu eröffnen, deren Entscheidung Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukommt, weil hierbei Fragen auch mit Blick auf die Wiederholung ähnlicher Fälle zu beantworten sind oder sonstige Interessen der Allgemeinheit in besonderem Maße berührt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2003 ­ V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 293 f. mwN).

[29] Im danach maßgeblichen Interesse der Allgemeinheit liegt die Korrektur eines fehlerhaften Berufungsurteils zum einen dann, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, die nicht den Charakter einer Divergenz im herkömmlichen Sinne haben. Die hierdurch bestimmte Notwendigkeit einer höchstrichterlichen Leitentscheidung muss sich aus konkreten Anhaltspunkten ergeben, wie etwa aus einer ständigen Fehlerpraxis, die eine Wiederholung des Rechtsfehlers durch das Gericht besorgen lässt, oder aus der ernsthaften Gefahr einer Nachahmung durch andere Gerichte (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2003 ­ V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 294 mwN). Darüber hinaus besteht ein maßgebliches Allgemeininteresse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts auch dann, wenn das Berufungsurteil auf einem Rechtsfehler beruht, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Ein schwerer, das Vertrauen der Allgemeinheit in eine funktionierende Rechtsprechung gefährdender Rechtsfehler liegt vor, wenn das Berufungsgericht bei der Auslegung oder Anwendung von Vorschriften des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts gegen grundlegende, verfassungsrechtlich abgesicherte Gerechtigkeitsanforderungen verstoßen hat und die Entscheidung deshalb von Verfassungs wegen einer Korrektur bedarf. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die anzufechtende Entscheidung auf einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) oder auf einer Verletzung der Verfahrensgrundrechte des Beschwerdeführers ­ insbesondere der Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) oder des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ­ beruht, so dass nicht zweifelhaft ist, dass sie auf eine Verfassungsbeschwerde hin der Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegt (vgl. BGH aaO S. 295 f. mwN).

[30] c) Da der Antrag zu dem Feststellungsziel II in der Sache unbegründet ist, ist der Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele I gegenstandslos.

[31] Gegenstandslos wird der dem Musterverfahren zugrundeliegende Vorlagebeschluss hinsichtlich eines Feststellungsziels, wenn die Entscheidungserheblichkeit dieses Feststellungsziels aufgrund der vorausgegangenen Prüfung im Musterverfahren entfallen ist (Senatsbeschlüsse vom 22. November 2016 ­ XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 106, vom 19. September 2017 ­ XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 49, vom 23. Oktober 2018 ­ XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 61 und vom 6. Oktober 2020 ­ XI ZB 28/19, WM 2020, 2411 Rn. 54).

[32] Das ist hier für die Feststellungsziele I, die verschiedene Prospektfehler zum Gegenstand haben, der Fall. Der Vorlagebeschluss ist dahin auszulegen, dass die Prospektfehler ausschließlich als anspruchsbegründende Voraussetzung einer Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden sollen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. September 2017 ­ XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 54 und vom 12. Oktober 2021 ­ XI ZB 26/19, WM 2021, 2386 Rn. 28). Im Vorlagebeschluss ist ausgeführt, dass die Parteien sämtlicher Musterverfahrensanträge um Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne streiten würden. Da eine solche Haftung aus Rechtsgründen nicht gegeben ist, kommt es auf Feststellungen zu Prospektfehlern nicht mehr an.

[33] III. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Unrecht die Zuständigkeit des Senats.

[34] Der XI. Zivilsenat ist nach A. I. XI. Zivilsenat 1.c) des Geschäftsverteilungsplans des Bundesgerichtshofs für das Geschäftsjahr 2021 ausschließlich zuständig für Rechtsstreitigkeiten über Prospekthaftungsansprüche nach §§ 13, 13a VerkProspG. Die Zuständigkeit für spezialgesetzliche Prospekthaftungsansprüche besteht seit dem Jahr 1996. Der Senat ist damit auch zuständig, über das Konkurrenzverhältnis zwischen gesetzlicher Prospekthaftung nach § 13

VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF und bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung zu entscheiden. Denn ob letztere im Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung anwendbar ist, ist keine Frage der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung, sondern eine Frage nach der Reichweite der Rechtsfolgen der gesetzlichen Prospekthaftung (vgl. Senatsbeschluss vom 27. April 2021 ­ XI ZB 35/18, BKR 2021, 774 mit zust. Anm. Ueding; Klöhn, NZG 2021, 1063, 1071; Schulz, EWiR 2022, 133, 134 f.).

[35] IV. Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts für die Gerichtskosten und die Festsetzung des Gegenstandswerts für die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 51a Abs. 2 GKG und § 23b RVG.

[36] 1. Gemäß § 51a Abs. 2 GKG ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz bei der Bestimmung des Streitwerts von der Summe der in sämtlichen Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche auszugehen, soweit diese von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen sind. Infolgedessen sind bei der Streitwertbemessung auch die in den Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche der Beigeladenen zu berücksichtigen, die zwar dem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht beigetreten sind, ihre Klage aber nicht innerhalb der Monatsfrist des § 8 Abs. 3 Nr. 2, § 24 Abs. 2 KapMuG zurückgenommen haben (Senatsbeschlüsse vom 22. November 2016 ­ XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 117 und vom 19. September 2017 ­ XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 74). Der Gesamtwert der in sämtlichen ausgesetzten Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche beträgt vorliegend 5.851.327 €.

[37] 2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die außergerichtlichen Kosten richtet sich nach § 23b RVG. Danach bestimmt sich der Gegenstandswert nach der Höhe des von dem Auftraggeber oder gegen diesen im Prozessverfahren geltend gemachten Anspruchs, soweit dieser Gegenstand des Musterverfahrens ist. Für die Prozessbevollmächtigten, die mehrere Beteiligte im Rechtsbeschwerdeverfahren vertreten, ist der Gegenstandswert für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten gemäß § 22 Abs. 1 RVG in Höhe der Summe der nach § 23b RVG zu bestimmenden Streitwerte festzusetzen (Senatsbeschlüsse vom 22. November 2016 ­ XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 118, vom 19. September 2017 ­ XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 75 und vom 23. Oktober 2018 ­ XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 81).

[38] Danach ist der Gegenstandswert für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten des Prozessbevollmächtigten des Musterrechtsbeschwerdeführers auf 987.500 € festzusetzen. Für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten des Prozessbevollmächtigten der Musterbeklagten zu 1 bis 4 beläuft sich der Gegenstandswert auf 5.851.237 €.

Ellenberger Grüneberg Menges

Derstadt Ettl

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