BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2024 - XII ZB 279/24

10.12.2024

BUNDESGERICHTSHOF

vom

2. Oktober 2024

in der Betreuungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


VBVG § 9 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1


Die für die Vergütung eines Berufsbetreuers nach § 9 VBVG maßgebende Dauer der Betreuung richtet sich auch bei einem Betreuerwechsel nach der Einrichtung der Betreuung (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 9. Mai 2012 ­ XII ZB 481/11 ­ FamRZ 2012, 1211).


BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2024 - XII ZB 279/24 - LG Halle, AG Halle (Saale)


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Oktober 2024 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger und die Richterin Dr. Pernice

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 6. Juni 2024 aufgehoben.

Die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 7. März 2024 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsmittelverfahren sind gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Wert: 377 €

Gründe:

[1] I. Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütungsansprüche eines Berufsbetreuers.

[2] Für den mittellosen Betroffenen ist seit 2004 eine Betreuung eingerichtet. Mit Beschluss vom 16. Oktober 2023 wurde die bisherige Betreuerin aus gesundheitlichen Gründen entlassen und der Beteiligte zu 1 zum neuen Berufsbetreuer bestellt. Am 15. Februar 2024 hat er die Festsetzung einer Betreuervergütung für den Zeitraum vom 20. Oktober 2023 bis zum 19. Januar 2024 in Höhe von 774 € auf Grundlage der für die Vergütung in den ersten drei Monaten vorgesehenen Fallgruppe B 1.2.1 der Vergütungstabelle beantragt. Dem hat er zugrunde gelegt, dass seine Bestellung wie die erstmalige Einrichtung einer Betreuung zu behandeln sei, da die vorherige Betreuerin bereits längere Zeit krankheitsbedingt nicht mehr für den Betroffenen tätig gewesen sei und er die von ihr in der Vergangenheit versäumten Maßnahmen in einem großen Umfang habe nachholen müssen.

[3] Das Amtsgericht hat unter Zugrundelegung einer Betreuung ab dem 25. Monat (Fallgruppe B 5.2.1 der Vergütungstabelle) eine Vergütung in Höhe von 397,50 € festgesetzt und den weitergehenden Antrag zurückgewiesen. Auf die zugelassene Beschwerde des Beteiligten zu 1 hat das Landgericht den Beschluss aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3 als Vertreterin der Landeskasse.

[4] II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung.

[5] 1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der Zweck der Einführung einer pauschalierten Betreuervergütung stehe nicht der Möglichkeit entgegen, in besonders gelagerten Einzelfällen aus Billigkeitsgründen vom Wortlaut der Vergütungsbestimmung abzuweichen, wenn sich der tatsächliche von dem im Vergütungssystem zugrunde gelegten Sachverhalt so stark unterscheide, dass eine direkte Anwendung des pauschalen Vergütungssystems zu evident unangemessenen Ergebnissen führen würde. Dies sei, auch wenn keine Unterbrechung der Betreuung eingetreten sei, dann der Fall, wenn der vormalige Betreuer ­ wie bei einer Lücke zwischen zwei Betreuungen ­ in den letzten Wochen und Monaten seiner Amtszeit praktisch untätig geblieben sei. Ein solcher Fall liege vor, da die vorherige Betreuerin eine Vielzahl erforderlicher Anträge nicht gestellt und relevante Informationen nicht an die zuständigen Stellen weitergegeben habe, so dass der Beteiligte zu 1 nicht nur gehalten gewesen sei, die versäumten Handlungen nachzuholen, sondern darüber hinaus sich dafür einzusetzen, dass dem Betroffenen aus der Verzögerung keine Nachteile entstehen. Auch habe eine Übergabe der Unterlagen und Vorgänge durch die vorherige Betreuerin nicht stattgefunden, so dass sich der Beteiligte zu 1 wie bei einer Neubestellung zunächst durch Anfragen und Anträge bei den zuständigen Stellen ein eigenes Bild habe verschaffen müssen.

[6] 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

[7] a) Die dem Beteiligten zu 1 zustehende Vergütung für die berufsmäßige Betreuung des mittellosen, in einer anderen als einer stationären Wohnform lebenden Betroffenen richtet sich nach Fallgruppe B 5.2.1 der Vergütungstabelle.

[8] Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 VBVG bemisst sich die Höhe der Fallpauschalen ­ neben weiteren Kriterien ­ unter anderem nach der Dauer der Betreuung. Hinsichtlich dieser wird bei der Berechnung der Fallpauschalen zwischen den Zeiträumen in den ersten drei Monaten der Betreuung, im vierten bis sechsten Monat, im siebten bis zwölften Monat, im 13. bis 24. Monat und ab dem 25. Monat unterschieden.

[9] Da die Betreuung des Betroffenen seit mehr als 25 Monaten unterbrechungsfrei besteht, kommen die Fallgruppen B 5 der Vergütungstabelle zur Anwendung. Ein Betreuerwechsel ohne Unterbrechung der Betreuung führt nicht zu einem Neubeginn der Betreuung im vergütungsrechtlichen Sinne. Die Berechnung der Dauer der Betreuung nach § 9 VBVG beginnt mit der Einrichtung der Betreuung und läuft bei einem sich daran anschließenden Betreuerwechsel weiter (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Mai 2012 ­ XII ZB 481/11 ­ FamRZ 2012, 1211 Rn. 11 ff. mwN).

[10] b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts besteht auch keine Veranlassung, hiervon aus Billigkeitsgründen abzuweichen.

[11] Wie der Senat bereits zum früheren System der Vergütung nach pauschalem Zeitaufwand entschieden hat, wollte der Gesetzgeber mit der Einführung der Pauschalierung der Vergütung für Berufsbetreuer durch das zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz vom 21. April 2005 (BGBl. I S. 1073) ein Abrechnungssystem schaffen, das einfach, Streit vermeidend, an der Realität orientiert und für die Berufsbetreuerinnen und -betreuer auskömmlich ist (Senatsbeschluss vom 9. Mai 2012 ­ XII ZB 481/11 ­ FamRZ 2012, 1211 Rn. 13 mwN). An dieser Konzeption hat sich auch durch die mit dem Gesetz zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung vom 22. Juni 2019 (BGBl. I S. 866) erfolgte Einführung von Fallpauschalen anstelle der bis dahin vorgesehenen Kombination aus Stundensatz und Stundenansatz nichts geändert (vgl. BR-Drucks. 101/19 S. 2 und BT-Drucks. 19/24445 S. 395).

[12] Grundlage der zu bewilligenden Vergütung ist nicht mehr der dem Betreuer im Einzelfall tatsächlich entstandene, von ihm konkret darzulegende Zeitaufwand, sondern eine von dem tatsächlichen Zeitaufwand unabhängige Pauschale, deren Größe nur von der Betreuungsdauer, dem Aufenthaltsort des Betreuten und davon abhängt, ob der Betreute bemittelt oder nicht bemittelt ist. Für den Wechsel vom ehrenamtlichen Betreuer zum Berufsbetreuer und unter Berufsbetreuern sieht das Gesetz keine Ausnahme von dem Pauschalierungssystem vor. Denn der mit einem Betreuerwechsel regelmäßig einhergehende Mehrbedarf und die Fälle besonderer Betreuungssituationen sind in die gebildeten Pauschalen bereits eingeflossen. Für die Berechnung der Pauschalen nach § 9 VBVG ist daher auch bei einem Betreuerwechsel die erstmalige Bestellung eines Betreuers maßgebend. Denn insoweit ist von dem Erfahrungswert auszugehen, dass der Betreuungsaufwand mit der Dauer der Betreuung abnimmt (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Mai 2012 ­ XII ZB 481/11 ­ FamRZ 2012, 1211 Rn. 14 ff. mwN).

[13] Zwar kann davon ausgegangen werden, dass der Arbeitsaufwand des Beteiligten zu 1 im vorliegenden Fall größer war als bei der Übernahme anderer Betreuungen, die zuvor berufsmäßig durch einen anderen Berufsbetreuer geführt waren. Der Zweck der Vergütungspauschalierung liegt jedoch darin, keine Differenzierung zwischen aufwändigen und weniger aufwändigen Betreuungen zuzulassen. Deshalb ist das Pauschalierungssystem sogar von Anzahl und Umfang der Aufgabenbereiche unabhängig. Der durch eine aufwändige Betreuung entstandene Mehraufwand ist in die Bemessung der Pauschalen eingeflossen. Einen im Einzelfall außergewöhnlich hohen Zeitaufwand kann der Berufsbetreuer aufgrund der der Pauschalvergütung zugrundeliegenden Mischkalkulation durch die weiteren von ihm übernommenen Betreuungen kompensieren. Denn die Mischkalkulation führt dazu, dass der für die Betreuung tatsächlich benötigte Zeitaufwand im Einzelfall geringer, aber auch höher sein kann als der der Pauschalierung zugrundeliegende Durchschnittswert. Auch eine durch Untätigkeit des früheren Betreuers eingetretene faktische Unterbrechung der Betreuung führt nicht zu einer Neuberechnung der Betreuungsdauer bei der Vergütung des nachfolgenden Betreuers. Das Pauschalierungssystem kompensiert den geringeren oder höheren Zeitaufwand durch die Mischkalkulation und schließt Einzelfallbetrachtungen aus (Senatsbeschluss vom 9. Mai 2012 ­ XII ZB 481/11 ­ FamRZ 2012, 1211 Rn. 20 ff. mwN).

Guhling Klinkhammer Günter

Nedden-Boeger Pernice

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2025 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell