BGH, Beschluss vom 20. Juli 2021 - XIII ZB 72/19

28.09.2021

BUNDESGERICHTSHOF

vom

20. Juli 2021

in der Ausreisegewahrsamssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG § 70 Abs. 4, § 427 Abs. 2


Wird eine vorläufig angeordnete Freiheitsentziehung nach persönlicher Anhörung des Betroffenen vom Amtsgericht in Gestalt eines "klarstellenden Beschlusses" aufrechterhalten, so stellt dies eine Entscheidung über die Fortdauer der vorläufigen Freiheitsentziehung gemäß § 427 Abs. 2 Halbsatz 2 FamFG und keine Entscheidung in der Hauptsache dar.


BGH, Beschluss vom 20. Juli 2021 - XIII ZB 72/19 - LG Deggendorf, AG Viechtach


Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 2021 durch den Richter Prof. Dr. Kirchhoff als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Roloff, Dr. Picker und Dr. Rombach

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Deggendorf - 1. Zivilkammer - vom 29. Januar 2019 wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:

[1] I. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht am 5. November 2018 im Wege der einstweiligen Anordnung gegen den Betroffenen eine Freiheitsentziehung für die Dauer von längstens acht Tagen ab dem 6. November 2018 an. Nach seiner Festnahme am 6. November 2018 hörte das Amtsgericht den Betroffenen persönlich an. In dem über diese Sitzung aufgenommenen Vermerk führte der Haftrichter aus:

"Klarstellend ergeht folgender Beschluss: Der im Rahmen der einstweiligen Anordnung ergangene Beschluss vom 05.11.2018 wird nach Durchführung der Anhörung des Betroffenen aus den Gründen seines Erlasses aufrecht erhalten."

[2] Die gegen den Beschluss vom 5. November 2018 eingelegte Beschwerde des Betroffenen, der am 13. November 2018 nach Afghanistan abgeschoben wurde, wies das Landgericht mit Beschluss vom 29. Januar 2018 als unbegründet zurück. Zugleich hat es darin die gegen den Beschluss vom 6. November 2018 gerichtete weitere Beschwerde des Betroffenen als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

[3] II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

[4] 1. Das Beschwerdegericht hat den Beschluss des Amtsgerichts vom 6. November 2018 nicht als eigenständigen, in die Rechte des Betroffenen eingreifenden Beschluss angesehen, sondern als rein deklaratorische Entscheidung dahingehend, dass nach Durchführung der nachgeholten Anhörung eine Abänderung oder Aufhebung des Beschlusses vom 5. November 2018 nicht veranlasst sei. Es hat den Beschluss vom 6. November 2018 daher für nicht gesondert angreifbar gehalten.

[5] 2. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

[6] a) Gemäß § 70 Abs. 4 FamFG ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss im Verfahren über eine einstweilige Anordnung ausgeschlossen.

[7] b) Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist in einem Verfahren über eine einstweilige Anordnung ergangen.

[8] aa) Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 5. November 2018 eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG darstellt. Dies wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht in Frage gestellt.

[9] bb) Zu Recht hat das Beschwerdegericht weiter angenommen, auch der im Sitzungsvermerk des Amtsgerichts vom 6. November 2018 enthaltene "klarstellende Beschluss" sei im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens ergangen und keine Entscheidung in der Hauptsache.

[10] (1) Nachdem das Amtsgericht im Beschluss vom 5. November 2018 den Ausreisegewahrsam gegen den Betroffenen gemäß § 427 Abs. 2 FamFG vor dessen Anhörung einstweilig angeordnet hatte, musste es die Anhörung nach seiner Festnahme am Folgetag unverzüglich nachholen (§ 427 Abs. 2 Halbsatz 2 FamFG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie auch des Bundesgerichtshofs ist mit der Nachholung der Anhörung gemäß § 427 Abs. 2 Halbsatz 2 FamFG die Verpflichtung verbunden, den getroffenen vorläufigen Beschluss über die Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung dahingehend zu überprüfen, ob er angesichts der vervollständigten Entscheidungsgrundlage aufrechterhalten werden kann, oder ob er der Abänderung oder Aufhebung bedarf (BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2013 - 2 BvR 1872/10, juris Rn. 19; BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 2018 - V ZB 71/17, FGPrax 2018, 136 Rn. 8, und vom 22. August 2019 - V ZB 209/17, juris Rn. 10).

[11] (2) Mit der Entscheidung über die Aufrechterhaltung der am Vortag, dem 5. November 2018, ergangenen Entscheidung ist das Amtsgericht dieser Verpflichtung nachgekommen. Der Beschluss vom 6. November 2018 stellt keine Entscheidung in der Hauptsache dar, wie die Rechtsbeschwerde meint, sondern eine förmliche Entscheidung über die Fortdauer der vorläufigen Freiheitsentziehung. Aus der Formulierung, der Beschluss vom 5. November 2018 werde "aufrechterhalten", ergibt sich, dass die ursprüngliche Haftanordnung nicht durch eine neue Haftanordnung ersetzt werden, sondern es vielmehr bei der bereits erlassenen (vorläufigen) Anordnung verbleiben und diese weiterhin Gültigkeit haben sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2019 - V ZB 209/17, juris Rn. 11 mwN). Dies gilt umso mehr, als die beteiligte Behörde in ihrem Antrag vom 5. November 2018 lediglich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und einen Antrag auf Erlass einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren auch nach Ergreifen des Betroffenen und der anschließenden Vorführung vor den Haftrichter nicht gestellt hat.

[12] (3) Insoweit kommt den Ausführungen im Beschluss vom 5. November 2018, wonach die Anhörung des Betroffenen nach seiner Festnahme unverzüglich nachgeholt und sodann auch über die Bestellung eines Verfahrenspflegers und über den endgültigen Ausreisegewahrsam entschieden werde, keine Bedeutung zu; sie waren für das Verfahren des Amtsgerichts am 6. November 2018 nicht bestimmend.

[13] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Kirchhoff Schmidt-Räntsch Roloff

Picker Rombach

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