BGH, Beschluss vom 21. November 2016 - NotZ(Brfg) 2/16

01.02.2017

BUNDESGERICHTSHOF

vom

21. November 2016

in der verwaltungsrechtlichen Notarsache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5; GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2


Die Geschäfts- und Mitwirkungsregeln eines überbesetzten Spruchkörpers müssen die Mitwirkung im Voraus generell-abstrakt regeln und dürfen keinen vermeidbaren Spielraum lassen. Sofern dem - auch bei der Änderung - Rechnung getragen ist, dürfen Mitwirkungsregeln auch während ihrer Geltungsdauer und auch mit Wirkung für anhängige Verfahren unter Verwendung unbestimmter und auslegungsbedürftiger Begriffe (hier: Sachzusammenhang) geändert werden (Anschluss an BVerfGE 95, 322 ff.; BVerfG, NJW 2005, 2689 ff.; NJW 2009, 1734 ff.).


BGH, Beschluss vom 21. November 2016 - NotZ(Brfg) 2/16 - OLG Frankfurt am Main


wegen vorläufiger Amtsenthebung

Der Notarsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. November 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Prof. Dr. Radtke, die Richterin

Dr. Roloff und die Notare Dr. Strzyz und Dr. Hahn

beschlossen:

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des 1. Notarsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 21. Januar 2016- 1 Not 2/14 - zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Die Streitwertfestsetzung in dem Urteil des 1. Notarsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 21. Januar 2016 - 1 Not 2/14 - wird abgeändert.

Der Streitwert wird für den ersten Rechtszug und für das Zulassungsverfahren auf 25.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

[1] I. Der 1947 geborene Kläger ist seit 1975 als Rechtsanwalt zugelassen; im Dezember 1985 wurde er zum Notar für den Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit dem Amtssitz in Frankfurt am Main bestellt. Mit Bescheid vom 4. April 2013 enthob ihn der Beklagte zu 1 vorläufig seines Amtes. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte zu 2 zurück. Die mit Verfügung vom 24. September 2015 erfolgte Amtsenthebung ist Gegenstand des Parallelverfahrens NotZ(Brfg) 3/16.

[2] Die gegen die vorläufige Amtsenthebung gerichtete Anfechtungsklage sowie die gegen die Beklagte zu 3 gerichtete Leistungsklage, mit der der Kläger von der Beklagten zu 3 begehrt, im Wege der Folgenbeseitigung die Beklagten zu 1 und 2 dazu anzuhalten, die vorläufige Amtsenthebung aufzuheben, blieben vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Der Kläger beantragt, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts die Berufung zuzulassen.

[3] II. Ein Grund zur Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) besteht nicht.

[4] Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) oder eine Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) sind nicht ersichtlich. Der Rechtssache fehlt entgegen der Ansicht des Klägers auch die grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO). Entscheidungserhebliche Verfahrensfehler liegen ebenfalls nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO).

[5] 1. Das Oberlandesgericht hat die Anfechtungsklage zu Recht abgewiesen. Dazu wird zunächst auf die Ausführungen des Senats in dem im Parallelverfahren ergangenen Beschluss vom heutigen Tag (NotZ(Brfg) 3/16 unter II 1) Bezug genommen. Auch soweit das Oberlandesgericht die Klage gegen den Beklagten zu 2 wegen fehlender Passivlegitimation abgewiesen hat (§ 111c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO i.V.m. §§ 78, 79 VwGO), sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung weder aufgezeigt noch ersichtlich.

[6] 2. Das Oberlandesgericht hat die gegen die Beklagte zu 3 gerichtete Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Entgegen der Ansicht des Klägers, kann er sich nicht auf einen durch eine etwaige Feststellung einer Menschenrechtsverletzung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufschiebend bedingten Anspruch stützen.

[7] 3. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO zuzulassen.

[8] a) Eine fehlerhafte Besetzung des Gerichts, mithin ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, ist nicht ersichtlich. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, das Dezernat der zum 31. März 2014 aus dem Notarsenat ausgeschiedenen Richterin am Oberlandesgericht P., die für die Bearbeitung der Endziffer 2 zuständig gewesen sei, sei am 1. April 2014 von dem zu dem Senat hinzutretenden Richter am Oberlandesgericht S. übernommen worden. Anlässlich des Richterwechsels und wegen der vorhandenen Belastung sei das Dezernat durch eine Änderung der Geschäftsverteilung vom 1. April 2014 von drei Eingängen des Jahres 2014 freigestellt worden. Hiervon seien solche Verfahren ausgenommen worden, die kraft Sachzusammenhangs in das Dezernat fielen oder bereits vor dem 1. März 2014 zugewiesen gewesen seien. In der vorliegenden, am 22. April 2014 durch Verfügung des Vorsitzenden zugewiesenen Sache sei es wegen des Sachzusammenhangs mit den Verfahren 1 Not 2/13, 1 Not 3/13 und 1 Not 4/13 bei der Zuständigkeit von Richter am Oberlandesgericht S. verblieben.

[9] Das begegnet nach den an die Bestimmung der Sitz- oder Spruchgruppen von Berufsrichtern anzulegenden Maßstäben (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entgegen der Ansicht des Klägers keinen Bedenken. Die Geschäfts- und Mitwirkungsregelungen der Spruchkörper müssen im Voraus generell-abstrakt die Mitwirkung der Richter in überbesetzten Spruchkörpern regeln (BVerfGE 95, 322, 328 f.) und dürfen keinen vermeidbaren Spielraum lassen (aaO, 329). Sofern dem Rechnung getragen ist, dürfen Mitwirkungspläne - auch während ihrer Geltungsdauer und mit Wirkung für anhängige Verfahren - unter Verwendung unbestimmter und auslegungsbedürftiger Begriffe - wie hier: "Sachzusammenhang" - geändert werden (aaO, 332 f.).

[10] Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auch einen Verstoß gegen § 109 VwGO rügt, kann das Urteil nicht auf der von dem Kläger vermissten Zwischenentscheidung beruhen.

[11] b) Die pauschale Rüge des Klägers, das Oberlandesgericht habe den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt (§ 86 VwGO), ihn aber jedenfalls unter Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) zum Nachteil des Klägers gewürdigt, greift nicht durch. Der Kläger zeigt eine Gehörsverletzung sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot nicht auf. Insoweit kann ebenfalls auf die Ausführungen des Senats in dem im Parallelverfahren ergangenen Beschluss vom heutigen Tag (NotZ(Brfg) 3/16 unter II 1) Bezug genommen werden.

[12] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 111b Abs. 1 Satz 2 BNotO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung des Streitwerts hat der Senat wegen des vorläufigen Charakters der angefochtenen Amtsenthebung die Hälfte des in § 111g Abs. 2 Satz 1 BNotO bestimmten Regelbetrags zugrunde gelegt. Insoweit war die Streitwertfestsetzung in dem angefochtenen Urteil gemäß § 63 Abs. 3 GKG entsprechend anzupassen.

Galke Radtke Roloff

Strzyz Hahn

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