BGH, Beschluss vom 21. September 2022 - XII ZB 504/21

14.11.2022

BUNDESGERICHTSHOF

vom

21. September 2022

in der Personenstandssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BGB §§ 1617 Abs. 1 Satz 3, 1617 b Abs. 1 Satz 3 und 4


Zur Bindungswirkung der Bestimmung über den Geburtsnamen eines Kindes für früher geborene Geschwisterkinder.


BGH, Beschluss vom 21. September 2022 - XII ZB 504/21 - Kammergericht Berlin, AG Schöneberg


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. September 2022 durch die Richter Guhling, Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 28. September 2021 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zu 2 zurückgewiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe:

[1] I. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind die nicht miteinander verheirateten Eltern des Sohnes F., geboren im August 2014, und der Tochter J., geboren im Oktober 2018. Für F. war im Zeitpunkt seiner Geburt zunächst seine Mutter, die Beteiligte zu 1, allein sorgeberechtigt, deren Namen er auch als Geburtsnamen erhielt. Nach der Geburt des zweiten Kindes J. vereinbarten die Beteiligten zu 1 und 2 am 5. November 2018 in notarieller Form das gemeinsame Sorgerecht für diese und wählten als ihren Geburtsnamen den Namen des Vaters. Am 19. Dezember 2019 trafen sie eine weitere notarielle Vereinbarung über das gemeinsame Sorgerecht für den Erstgeborenen F., ohne seinen Geburtsnamen neu zu bestimmen. Durch Folgebeurkundung vom 27. Januar 2020 trug das Standesamt auch für F. den Namen des Vaters als Geburtsnamen ein.

[2] Auf den Antrag der Beteiligten zu 1 vom 16. März 2020 hat das Amtsgericht angeordnet, den Geburtseintrag für F. dahin zu berichtigen, dass die Folgebeurkundung vom 27. Januar 2020 für gegenstandslos erklärt wird. Das Kammergericht hat die Beschwerde des Beteiligten zu 2 zurückgewiesen; hiergegen richtet sich dessen zugelassene Rechtsbeschwerde.

[3] II. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

[4] 1. Das Kammergericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Folgebeurkundung sei unrichtig, da sich der Name des Kindes F. nicht durch die Begründung des gemeinsamen Sorgerechts für ihn geändert habe.

[5] Zwar entstehe eine Bindungswirkung nach § 1617 Abs. 1 Satz 3 BGB auch für früher geborene Kinder, wenn für ein nachgeborenes Kind das Wahlrecht gemäß §§ 1617, 1617 b BGB bereits ausgeübt worden sei und die gemeinsame Sorge für das früher geborene Kind erst später begründet werde. Die gesetzgeberische Intention bei der Regelung der Bindungswirkung, dass alle Kinder eines Elternpaares zumindest bei gleichen Sorgerechtsverhältnissen den gleichen Geburtsnamen tragen sollen, spreche für eine Bindungswirkung auch in diesem Fall. Eine Durchbrechung des bereits erfolgten Namenserwerbs werde dadurch gerechtfertigt, dass die Eltern sich entschlossen hätten, nachträglich die gleiche Sorgerechtssituation wie bei dem Geschwisterkind herzustellen, was die Angleichung der Geburtsnamen nicht nur ermögliche, sondern sogar gebiete. Für F. sei die Namensbestimmung jedoch deshalb nicht wirksam geworden, weil die gemäß § 1617 b Abs. 1 Satz 3 BGB erforderliche Anschließung durch ihn nicht vorliege.

[6] Der Berichtigung des Geburtseintrags stehe auch nicht das Persönlichkeitsrecht des Kindes entgegen, da der tatsächlich geführte Name nur über einen unbedeutenden Zeitraum dessen Persönlichkeit mitbestimmt habe und ein Vertrauenstatbestand nicht entstanden sei. Noch im September 2020 habe sich das Kind nur mit seinem Vornamen identifiziert. Auch wenn es sich nach der inzwischen erfolgten Einschulung nunmehr auch mit seinem Nachnamen identifiziere, fehle es an einem Vertrauenstatbestand, da jedenfalls seit der Stellung des Berichtigungsantrags am 16. März 2020 allen Beteiligten bewusst gewesen sei, dass über die zutreffende Namensführung Streit bestehe. Selbst in den Fällen, in denen das Bestandsinteresse des Namensträgers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Richtigkeit von Eintragungen im Personenstandsregister überwiege, müsse der Betroffene zur Niederschrift des Standesamts oder in öffentlich beglaubigter Form erklären, den ­ bisher unrichtigen ­ Namen auch in Zukunft dauerhaft berechtigt führen zu wollen. An einer solchen Erklärung, die nur beide sorgeberechtigten Eltern gemeinsam abgeben könnten, fehle es.

[7] 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand. Das Kammergericht hat zu Recht entschieden, der Geburtseintrag für F. sei dahin zu berichtigen, dass die Folgebeurkundung vom 27. Januar 2020 gegenstandslos ist.

[8] a) Die Berichtigung eines abgeschlossenen Registereintrags gemäß §§ 47, 48 PStG setzt eine von Anfang an bestehende Unrichtigkeit voraus. Unrichtig in diesem Sinne ist jeder Eintrag, dessen Inhalt auf der Verletzung materiell- oder verfahrensrechtlicher Vorschriften beruht. Der Begriff der Unrichtigkeit ist weit zu verstehen und umfasst sowohl tatsächlich oder rechtlich unrichtige als auch unvollständige Registereinträge. Eine Eintragung kann auch dann unrichtig sein, wenn sie zwar sachlich richtige Angaben enthält, eine Beurkundung dieser Angaben aber nicht vorgesehen ist. Gegenstand und Inhalt der Eintragungen in die Personenstandsregister werden vom Personenstandsgesetz und der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes (Personenstandsverordnung; PStV) grundsätzlich abschließend geregelt, so dass nicht ausdrücklich vorgesehene Angaben im Allgemeinen nicht zulässig sind. Jedoch können erklärende Zusätze im Interesse der Wahrheit und Klarheit der Personenstandsführung geboten sein. Maßgebend ist dabei, ob im Einzelfall ohne einen Zusatz die Sach- oder Rechtslage nicht so klargestellt wäre, wie es der Sinn und Zweck der Personenstandsregister gebietet, so dass der Eintrag ohne den Zusatz zu falschen Schlussfolgerungen führen könnte (Senatsbeschluss vom 2. Juni 2021 ­ XII ZB 405/20 ­ FamRZ 2021, 1543 Rn. 11 mwN).

[9] b) Die Folgebeurkundung vom 27. Januar 2020 war von Anfang an unrichtig, weil der Geburtsname des Kindes F. nicht als Folge der am 19. Dezember 2019 getroffenen Vereinbarung über das gemeinsame Sorgerecht für ihn geändert war.

[10] aa) Nach §§ 1617 b Abs. 1 Satz 4, 1617 Abs. 1 Satz 3 BGB gilt die Bestimmung über den Geburtsnamen eines Kindes nach der Begründung der gemeinsamen Sorge auch für die weiteren Kinder. Diese erwerben im Moment der Begründung des gemeinsamen Sorgerechts für sie den Geburtsnamen des ersten Geschwisterkinds kraft Gesetzes (Senatsbeschluss vom 13. November 2019 ­ XII ZB 118/17 ­ FamRZ 2020, 331 Rn. 26 mwN).

[11] Dabei ist allerdings der Begriff der "weiteren Kinder" in § 1617 Abs. 1 Satz 3 BGB, auf die sich die Bindung erstreckt, insofern mehrdeutig, als er entweder "sonstige Kinder" oder "später geborene Kinder" bedeuten kann. Der Begriff ist aus der früheren Vorschrift des § 1616 Abs. 2 Satz 3 BGB wörtlich übernommen worden (vgl. auch BT-Drucks. 13/4899 S. 90). Die frühere Regelung meinte nur "nachgeborene" bzw. "künftige" Kinder (BR-Drucks. 262/92 S. 33, 41), da sich der Geburtsname bereits geborener Kinder im Falle eines nachträglich bestimmten Ehenamens nach einer anderen Vorschrift richtete, nämlich nach § 1616 a Abs. 1 BGB aF.

[12] Ohne hieran anzuknüpfen wird in der Rechtsliteratur überwiegend vertreten, dass die Vorschrift zwar auch für ältere Geschwister gelte, aber für diese Kinder keine Durchbrechung eines bereits erfolgten Namenserwerbs rechtfertige. Für früher geborene Kinder gelte die Bindungswirkung daher nur, wenn diese im Zeitpunkt der Namensbestimmung noch keinen Geburtsnamen erhalten hätten, etwa mangels elterlicher Bestimmung nach § 1617 BGB oder bei Auslandsgeburt (Henrich/Wagenitz/Bornhofen Deutsches Namensrecht [Stand: März 2000] § 1617 Rn. 101; MünchKommBGB/v. Sachsen Gessaphe 8. Aufl. § 1617 Rn. 28; BeckOK BGB/Pöcker [Stand: 1. August 2022] § 1617 Rn. 13; BeckOGK/?Kienemund [Stand: 1. August 2022] § 1617 Rn. 65; im Ergebnis auch AG Schöneberg StAZ 1995, 240).

[13] Teilweise wird allerdings weitergehend auch der ­ hier gegebene ­ Fall eines nachträglich begründeten gemeinsamen Sorgerechts für das früher geborene Kind in die Bindungswirkung des § 1617 Abs. 1 Satz 3 BGB einbezogen (Staudinger/Lugani BGB [2020] § 1617 Rn. 37). Für diese Auffassung könnte sprechen, dass die Bindungswirkung ihrer Zielrichtung nach nicht an das Alter oder an eine Geburtsreihenfolge anknüpft, sondern dem Prinzip der Namenseinheit von Geschwisterkindern im gleichen Sorgerechtsverhältnis folgt (vgl. Senatsbeschluss vom 13. November 2019 ­ XII ZB 118/17 ­ FamRZ 2020, 331 Rn. 27), zumal nicht ohne Weiteres ersichtlich ist, dass das ältere Geschwisterkind eines weitergehenden Persönlichkeitsschutzes bedarf, als er über die Anschließungsregelungen in §§ 1617 b Abs. 1 Satz 3 und 4, 1617 c Abs. 1 BGB bereits gewährleistet ist (vgl. Senatsbeschluss vom 13. November 2019 ­ XII ZB 118/17 ­ FamRZ 2020, 331 Rn. 32).

[14] bb) Die vorstehende Rechtsfrage bedarf hingegen keiner abschließenden Entscheidung, denn die für J. getroffene Namensbestimmung ist für F. als Geschwisterkind jedenfalls deshalb nicht nachträglich wirksam geworden, weil er im Zeitpunkt der Begründung des gemeinsamen Sorgerechts für ihn bereits fünf Jahre alt war und sich deshalb der Namensbestimmung hätte anschließen müssen, woran es fehlt.

[15] (1) Nach §§ 1617 b Abs. 1 Satz 3 und 4, 1617 c Abs. 1 BGB kann die durch Begründung des gemeinsamen Sorgerechts erfolgende Namensneubestimmung ohne eine Anschließung des Kindes nur dann automatisch erfolgen, wenn das Kind zu dem Zeitpunkt, in dem die Neubestimmung wirksam werden soll, das fünfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 13. November 2019 ­ XII ZB 118/17 ­ FamRZ 2020, 331 Rn. 32).

[16] Dieser Regelung liegt zugrunde, dass der Name eines Menschen, der Ausdruck der Identität sowie Individualität des Namensträgers ist, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 GG geschützt ist. Auch wenn es kein uneingeschränktes Recht auf Beibehaltung eines bisher geführten Namens gibt, kann der Namensträger doch grundsätzlich verlangen, dass die Rechtsordnung seinen Namen respektiert und eine Namensänderung nicht ohne gewichtigen Grund und nur unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit fordert (vgl. BVerfG StAZ 2001, 207, 208 und FamRZ 1988, 587, 589).

[17] Aufseiten des Namensträgers ist bei dieser Abwägung insbesondere zu berücksichtigen, ob sich im Vertrauen auf die Beständigkeit der Namensführung bereits eine schutzwürdige soziale Identität mit dem bislang geführten Namen bilden konnte (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Februar 2019 ­ XII ZB 130/16 ­ FamRZ 2019, 967 Rn. 39). Dem trägt das Gesetz in typisierender Weise durch die ab Vollendung des fünften Lebensjahres greifenden Anschließungs- und Einwilligungsregelungen der §§ 1617 a Abs. 2 Satz 2, 1617 b Abs. 1 Satz 3, 1617 c Abs. 1 und 2, 1618 Satz 3, 1757 Abs. 2 Satz 2 BGB Rechnung. Nach Vollendung des fünften Lebensjahres lernt das Kind nämlich typischerweise seinen vollständigen Namen zu schreiben, erhält es Zeugnisse und Bescheinigungen mit Vor- und Familiennamen und identifiziert sich deshalb zunehmend nicht nur mit seinem Vornamen, sondern auch mit seinem Familiennamen (Senatsbeschluss vom 13. November 2019 ­ XII ZB 118/17 ­ FamRZ 2020, 331 Rn. 32 mwN).

[18] (2) Mangels der erforderlichen Anschließung, die vor Vollendung des 14. Lebensjahres beide Sorgeberechtigten gemeinsam als gesetzliche Vertreter für das Kind zu erklären haben (§ 1617 c Abs. 1 BGB), konnte die Namensänderung nicht für F. wirksam werden und war die Nachbeurkundung unrichtig.

[19] Nichts Anderes folgt in diesem Zusammenhang aus den Erwägungen der Rechtsbeschwerde, das Verstreichen der Dreimonatsfrist des § 1617 b Abs. 1 Satz 1 BGB dürfe dem Kind nicht zum Nachteil gereichen, weil die Behörde deren Einhaltung durch vorzeitige Eintragung der Nachbeurkundung selbst vereitelt habe. Denn dass das Einverständnis beider Sorgeberechtigten für eine Anschließungserklärung zu irgendeinem Zeitpunkt hätte hergestellt werden können, behauptet auch die Rechtsbeschwerde nicht und ist angesichts des von der Beteiligten zu 1 verfolgten Berichtigungsantrags auch fernliegend.

[20] c) Der Berichtigung des Geburtseintrags steht auch nicht das Persönlichkeitsrecht des Kindes entgegen.

[21] aa) Eine Namensänderung beeinträchtigt die Persönlichkeit und darf nicht ohne gewichtigen Grund gefordert werden. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Dies gilt nicht nur für den von der Rechtsordnung zugelassenen und somit rechtmäßig erworbenen, sondern auch für den von einem Menschen tatsächlich geführten Namen, wenn sich mit diesem Namen eine Identität und Individualität des Namensträgers herausgebildet und verfestigt hat und sich im Vertrauen auf die Richtigkeit der Namensführung auch herausbilden durfte. Insofern ist auch der tatsächlich geführte Name jedenfalls dann vom Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst, wenn er über einen nicht unbedeutenden Zeitraum die Persönlichkeit des Trägers tatsächlich mitbestimmt hat und ein entsprechender Vertrauenstatbestand vorliegt. Dagegen muss das öffentliche Interesse an der Richtigkeit von Eintragungen in Personenstandsregistern abgewogen werden (BVerfG StAZ 2001, 207, 208 mwN).

[22] bb) Im vorliegenden Fall konnte sich ein Vertrauenstatbestand hingegen schon deshalb nicht über einen hinreichend langen Zeitraum bilden, weil die Beteiligte zu 1 bereits sieben Wochen nach Vornahme der Nachbeurkundung deren Berichtigung beantragt hat. Soweit das Kind in schulischen Zusammenhängen übergangsweise unter dem falschen, nachbeurkundeten Geburtsnamen geführt worden ist, begründet das bei gleichzeitig anhängigem Berichtigungsverfahren keinen eigenständigen Vertrauenstatbestand.

[23] Im Übrigen fehlt es an einer Erklärung des Kindes, an dem seit der Nachbeurkundung tatsächlich geführten Namen festhalten zu wollen (vgl. BayObLGZ 2000, 18, 25 f. = NJW-RR 2000, 1104, 1106; Johansson/Sachse Anweisungs- und Berichtigungsverfahren in Personenstandssachen Rn. 446). Diese Erklärung könnten nach dem Rechtsgedanken des § 1617 c Abs. 1 BGB nur beide Sorgeberechtigte gemeinsam als gesetzliche Vertreter für das noch nicht 14jährige Kind abgeben. Da es auf die Erklärung der gesetzlichen Vertreter ankommt, geht auch die von der Rechtsbeschwerde erhobene Verfahrensrüge fehl, es sei versäumt worden, in dem personenstandsrechtlichen Verfahren die Neigungen und den Willen des Kindes durch dessen persönliche Anhörung oder mittels eines Verfahrensbeistands zu erforschen.

Guhling Schilling Günter

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