BGH, Beschluss vom 22. Juni 2021 - XIII ZB 59/20

20.09.2021

BUNDESGERICHTSHOF

vom

22. Juni 2021

in der Abschiebungshaftsache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG § 13 Abs. 4, § 58 Abs. 2


a) Macht der Beteiligte geltend, durch die Verweigerung einer Überlassung der Akten in die Geschäftsräume und die Verweisung auf eine Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle in seiner Rechtsstellung beeinträchtigt zu sein, stehen § 13 Abs. 4 Satz 3, § 58 Abs. 2 FamFG in einer an Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG ausgerichteten verfassungskonformen Auslegung einer Überprüfung der Verweigerung der Aktenüberlassung im Rechtsmittelverfahren nicht entgegen.

b) Eine Beeinträchtigung der Rechtsstellung liegt vor, wenn die Entscheidung ermessensfehlerhaft ist und dem Beteiligten faktisch die Möglichkeit nimmt, von seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs Gebrauch zu machen. In einem Beschwerdeverfahren wird es jedenfalls dann allein ermessensgerecht sein, dem Antrag eines Verfahrensbevollmächtigten auf Überlassung von Verfahrens- und Sachakten zu entsprechen, wenn die zeitlichen Umstände dieses Verfahren erlauben und weder akten- noch personenbezogene wichtige Gründe dem entgegenstehen.


BGH, Beschluss vom 22. Juni 2021 - XIII ZB 59/20 - LG Köln, AG Leverkusen


Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2021 durch

den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Roloff, Dr. Picker und Dr. Rombach

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 39. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 16. Juli 2020 wird auf Kosten des Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Dolmetscher-

kosten nicht erhoben werden.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:

[1] I. Der Betroffene, ein mit einer bulgarischen Staatsangehörigen verheirateter türkischer Staatsangehöriger, beantragte nach Auslaufen einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung eine Verlängerung, die die beteiligte Behörde mit Ordnungsverfügung vom 4. Januar 2018 ablehnte. Er wurde am 24. September 2018 unter Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots bis zum 23. März 2021 in die Türkei abgeschoben. Am 29. Juni 2020 reiste er nach Deutschland ein und wurde tags darauf in der Wohnung seiner Eltern in B. festgenommen. Dabei erklärte er, er lebe mit seiner Ehefrau in Belgien, sei zum Kauf von Bekleidung nach Deutschland gekommen, wolle aber wieder nach Belgien zurück.

[2] Die beteiligte Behörde erhielt am 1. Juli 2020 von der Zentralstelle des Landes Nordrhein-Westfalen für Flugabschiebungen (ZFA) nach Rücksprache mit der zuständigen Bundespolizei die Auskunft, dass ein angefragter Flug in die Türkei mit Sicherheitsbegleitung für den Betroffenen innerhalb von vier Wochen stattfinden könne. Mit Ordnungsverfügung vom gleichen Tag stellte die beteiligte Behörde die vollziehbare Ausreisepflicht des Betroffenen fest und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei, alternativ in einen anderen Staat, in welchen er ausreisen dürfe oder der zu seiner Übernahme verpflichtet sei, an.

[3] Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht am 1. Juli 2020 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Abschiebung in die Türkei bis zum 29. Juli 2020 angeordnet. Am 5. Juli 2020 hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen gegen diese Anordnung Beschwerde eingelegt und um Akteneinsicht gebeten. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Das Landgericht hat dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen mitgeteilt, er könne bis zum 15. Juli 2020 auf der Geschäftsstelle der Kammer Einsicht in die Verfahrens- und die Ausländerakten nehmen. Die Beschwerde könne bis zum 17. Juli 2020 begründet werden. Die erneute Bitte des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen um Übersendung der Verfahrens- und der Ausländerakten in seine Kanzlei hat das Landgericht mit Beschluss vom 13. Juli 2020 zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 16. Juli 2020 hat es die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit welcher er nach Ablauf der Haftzeit und der freiwilligen Rückkehr in die Türkei am 5. August 2020 die Feststellung beantragt, in seinen Rechten verletzt zu sein. Die beteiligte Behörde beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

[4] II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

[5] 1. Das Beschwerdegericht meint, über die Beschwerde des Betroffenen in der Sache entscheiden zu können, ohne dessen Verfahrensbevollmächtigten die Verfahrens- und die Ausländerakten zur Vorbereitung der Beschwerdebegründung in seine Kanzlei zu übersenden. Darauf habe dieser keinen Anspruch; eine Einsichtnahme in die genannten Akten auf der Geschäftsstelle der Kammer habe er abgelehnt. Die Beschwerde sei unbegründet. Der Haftanordnung liege ein Haftantrag zugrunde, der den gesetzlichen Anforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG genüge. Das gelte insbesondere für die Angaben zur erforderlichen Dauer der Haft, die die beteiligte Behörde nicht näher habe erläutern müssen. Die sachlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft hätten vorgelegen. Der Betroffene sei unerlaubt nach Deutschland eingereist und aufgrund dessen zur Ausreise verpflichtet. Die unerlaubte Einreise ergebe den Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Bei seinem Einwand, es sei unklar, ob angesichts der Coronavirus-Pandemie überhaupt Abschiebungen in die Türkei möglich seien, übersehe der Betroffene, dass die ZFA der beteiligten Behörde nach Rücksprache mit der Bundespolizei eine auf den konkreten Fall bezogene Auskunft zur Durchführbarkeit eines begleitenden Fluges binnen vier Wochen abgegeben habe. An der Richtigkeit dieser Auskunft zu zweifeln bestehe kein Anlass. Die beteiligte Behörde habe auch keinen genauen Flugtermin angeben müssen; ausreichend, aber auch erforderlich sei vielmehr eine positive Prognose, dass die Abschiebung innerhalb der beantragten Haftzeit auch realisiert werden könne. Einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen bedürfe es nicht.

[6] 2. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung im Ergebnis stand.

[7] a) Allerdings rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass das Beschwerdegericht dem Betroffenen nicht in der gebotenen Weise rechtliches Gehör gewährt hat.

[8] aa) Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG abzuleitende Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen auch in Abschiebungssachen zu beachten ist und dem durch eine geeignete Verfahrensgestaltung Rechnung getragen werden kann, etwa durch eine kurzfristige Einsichtnahme in die Akten auf der Geschäftsstelle des Gerichts und eine anschließende kurze Frist für die Begründung der Beschwerde (Beschluss vom 19. Juli 2018 - V ZB 223/17, NVwZ-RR 2019, 122 Rn. 8). Mit diesem zudem in erster Linie an den Haftrichter erster Instanz adressierten Hinweis hat der Bundesgerichtshof aber nur Möglichkeiten aufgezeigt, wie dem Beschleunigungsgebot in dringenden Fällen durch eine der Dringlichkeit im Einzelfall entsprechende Verfahrensgestaltung Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt nicht, dass insbesondere anwaltlich vertretenen Betroffenen stets nur kurzfristige Einsichtnahme in die Akten auf der Geschäftsstelle zu gewähren und stets eine kurze Frist zur Begründung zu setzen wäre. In derselben Entscheidung hat der Bundesgerichtshof nämlich betont, dass das Verfassungsgebot der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG den Verfahrensbeteiligten und insbesondere dem Betroffenen Gelegenheit verschaffen soll, durch seinen Vortrag die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen (aaO Rn. 6). Das Verfahren muss deshalb unter Ausnutzung der tatsächlichen Gegebenheiten so gestaltet werden, dass dieses Ziel auch erreicht wird. Das ist dem Beschwerdegericht nicht gelungen.

[9] bb) Rechtlich ist zwar nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen am 10. Juli 2020 eine Frist zur Einreichung der angekündigten Beschwerdebegründung bis zum 17. Juli 2020 gesetzt hat. Ob die Entscheidung des (Beschwerde-)Gerichts, dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen Einsicht nur auf der Geschäftsstelle der Kammer zu gewähren, mangels einer dem § 512 ZPO entsprechenden Vorschrift gemäß § 58 Abs. 2 FamFG im Rechtsmittelverfahren inzident im Hinblick auf eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG überprüfbar oder im Hinblick auf § 13 Abs. 4 Satz 3 FamFG auch einer Inzidentprüfung entzogen ist, wird unterschiedlich beurteilt (dafür: Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl., § 13 Rn. 69; MüKoFamFG/

A. Fischer, 3. Aufl., § 58 Rn. 123; Prütting/Helms/Ahn-Roth, FamFG, 5. Aufl., § 13 Rn. 49; Schulte-Bunert/Weinrich/Schöpflin, FamFG, 6. Aufl., § 13 Rn. 23;

Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl, § 13 FamFG Rn. 10; dagegen: Johannsen/

Henrich/Althammer, FamR, 7. Aufl., § 58 FamFG Rn. 9; Müther in Bork/

Jacoby/Schwab, FamFG 3. Aufl., § 58 Rn. 10; unklar Jacoby ebda. § 13 Rn. 13). Die Frage bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Der Ausschluss einer Inzidentprüfung findet seine Rechtfertigung darin, dass der Beteiligte gewöhnlich nicht dadurch in seiner Rechtsstellung nachteilig betroffen wird, dass sein Verfahrensbevollmächtigter die Akten auf der Geschäftsstelle einsehen muss (BayObLGZ 1995, 1, 3). Kann hingegen der Beteiligte - hier der Betroffene - geltend machen, durch die Verweigerung einer Überlassung der Akten in die Geschäftsräume und die Verweisung auf eine Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle in seiner Rechtsstellung beeinträchtigt zu sein, stehen § 13 Abs. 4 Satz 3, § 58 Abs. 2 FamFG in einer an Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG ausgerichteten verfassungskonformen Auslegung einer Inzidentprüfung jedenfalls nicht entgegen. Eine solche Beeinträchtigung der Rechtsstellung liegt vor, wenn die Entscheidung ermessensfehlerhaft ist und dem Beteiligten faktisch die Möglichkeit nimmt, von seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs Gebrauch zu machen.

[10] So liegt es hier. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen hatte angesichts der Weigerung des Gerichts, ihm die Akten zu überlassen, keine zumutbare Möglichkeit, sich mit dem Inhalt der Akten zu befassen. Zwar hat nach § 13 Abs. 4 Satz 1 FamFG auch ein Rechtsanwalt im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit keinen Anspruch auf Überlassung der Verfahrens- und der Ausländerakten in seine Kanzlei; vielmehr steht es im Ermessen des Gerichts, ob es eine Aktenüberlassung gestattet. Bei seiner Entscheidung hat das Beschwerdegericht jedoch die Grenzen seines Ermessen überschritten.

[11] Die Möglichkeit, die Verfahrens- und die Sachakten im Büro durchzugehen, ist für den mit Art. 103 Abs. 1 GG verfolgten Zweck, auf die Willensbildung des Gerichts Einfluss zu nehmen, von großer Bedeutung, weil die Durchsicht der Akten auf der Geschäftsstelle nur bei sehr einfach gelagerten Sachverhalten zur Vorbereitung weiterer prozessualer Schritte genügen wird. In der Regel bedarf es für eine gute Vorbereitung des Verfahrens der ungestörten Akteneinsicht. Sie hat der Gesetzgeber gerade Rechtsanwälten ermöglicht, weil sie aufgrund ihrer von gesetzlichen Pflichten geprägten Rechtsstellung innerhalb der Rechtspflege (vgl. § 1 BRAO) wegen des für sie geltenden Disziplinarrechts sowie der Aufsicht durch die Rechtsanwaltskammer im Umgang mit überlassen Akten besonders zuverlässig sind. Es wird deshalb in einem Beschwerdeverfahren jedenfalls dann allein ermessensgerecht sein, dem Antrag eines Verfahrensbevollmächtigten auf Überlassung von Verfahrens- und Sachakten zu entsprechen, wenn - wie hier - die zeitlichen Umstände dieses Verfahren erlauben und - wie ebenfalls hier - weder akten- noch personenbezogene wichtige Gründe dem entgegenstehen (vgl. zum Ganzen: BVerfG, AnwBl. 1998, 410, 411).

[12] b) Gleichwohl ist die Rechtsbeschwerde nicht begründet. Sie legt zwar nach Einsichtnahme in die im Rahmen des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorgelegte Ausländerakten dar, was der Betroffene im Fall einer im Beschwerdeverfahren erteilten Einsicht in die Akte vorgetragen hätte. Auf den gerügten Mängeln beruht die Beschwerdeentscheidung jedoch nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juli 2018 - V ZB 223/17, NVwZ-RR 2019, 122 Rn. 11).

[13] aa) Der Haftanordnung liegt ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde zugrunde.

[14] (1) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Aus-

reisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8, vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8, vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7, und vom 23. März 2021 - XIII ZB 6/20, juris Rn. 6).

[15] (2) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag gerecht. Das gilt insbesondere für die Ausführungen der beteiligten Behörde zur erforderlichen Dauer der Haft und in diesem Rahmen zur Notwendigkeit einer Sicherheitsbegleitung, zu den Haftgründen und zu den milderen Mitteln, die der Betroffene für unzureichend hält.

[16] (a) Die erforderliche Dauer der Haft musste die beteiligte Behörde nicht näher erläutern. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedarf es dessen nicht, wenn - wie hier - eine Abschiebung mit Sicherheitsbegleitung vorgesehen ist und sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle oder entsprechende eigene Erfahrungswerte beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11, vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7, und vom 23. März 2021 - XIII ZB 6/20, juris Rn. 8). Die beteiligte Behörde hat hier nicht im Einzelnen erläutert, weshalb sie eine Sicherheitsbegleitung für erforderlich hält. Die Gründe ergeben sich aber zwanglos aus den Erläuterungen zur "Verhältnismäßigkeit". Dort hat die beteiligte Behörde vor allem auf den Umstand abgestellt, dass der Betroffene unter bewusstem Verstoß gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot eingereist ist und ein Aufenthaltsrecht in Belgien, auf das er sich berufen hatte, nicht festzustellen war. Das reicht vor dem Hintergrund aus, dass die Notwendigkeit einer Sicherheitsbegleitung von den Haftgerichten grundsätzlich wegen der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte nicht zu prüfen ist (BGH, Beschlüsse vom 23. Mai 2019 - V ZB 236/17, juris

Rn. 9, vom 25. August 2020 - XIII ZB 45/19, juris Rn. 21, vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 85/19, juris Rn. 28, und vom 23. März 2021 - XIII ZB 3/20, juris Rn. 14). Die Notwendigkeit einer Sicherheitsbegleitung liegt hier auch nicht so fern, dass der Zeitaufwand für ihre Vorbereitung dem Beschleunigungsgebot widerspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2021 - XIII ZB 3/20, aaO).

[17] (b) Die Ausführungen genügen entgegen der Auffassung des Betroffenen zur Darlegung des Haftgrunds der unerlaubten Einreise nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Aufgrund des gegen ihn verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbots durfte der Betroffene auch mit gültigen Papieren bis zum Ablauf des 23. März 2021 nur nach Aufhebung des Verbots gemäß § 11 Abs. 4

AufenthG oder mit einer Ausnahmegenehmigung nach § 11 Abs. 8 AufenthG nach Deutschland einreisen, über die er nicht verfügte.

[18] (c) Zu milderen Mitteln muss sich die beteiligte Behörde im Haftantrag nicht näher äußern, wenn sie - wie hier - die Notwendigkeit von Sicherungshaft erläutert hat (BGH, Beschluss vom 30. März 2017 - V ZB 128/16, FGPrax 2017, 185 Rn. 11).

[19] bb) Die Haftanordnung ist auch nicht mangels einer unzureichenden Tatsachengrundlage rechtswidrig.

[20] (1) Die Haftgerichte sind allerdings auf Grund von Art. 20 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich und auf Grund von § 26 FamFG einfachrechtlich verpflichtet, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend zu prüfen. Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, müssen auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht und die Freiheitsentziehung rechtfertigen. Die Freiheitsentziehung darf auch nur für einen Zeitraum angeordnet werden, für den eine ausreichende Tatsachengrundlage festgestellt ist. Angesichts des hohen Ranges des Freiheitsgrundrechts gilt dies in gleichem Maße, wenn die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme in Rede steht (zum Ganzen BGH, Beschluss vom 20. April 2021 - XIII ZB 47/20, juris Rn. 15 mwN).

[21] (2) Entgegen der Auffassung des Betroffenen genügen die Feststellungen in beiden Vorinstanzen diesen Anforderungen.

[22] (a) Dem Betroffenen ist allerdings einzuräumen, dass die äußere Gestaltung der Entscheidungsgründe des Amtsgerichts den Eindruck erwecken kann, als habe das Amtsgericht den Antrag der beteiligten Behörde nur wörtlich wiedergegeben und in den anschließenden eigenen Ausführungen keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Diesen Teil der Entscheidungsgründe hat das Amtsgericht aber mit einer Bezugnahme auf die Anhörung des Betroffenen eingeleitet. Bei dieser Anhörung hat es den Betroffenen eingehend zu den zentralen Punkten des Antrags, nämlich zu dem Vorhandensein einer Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland, zu einem Aufenthaltsrecht in Belgien oder Bulgarien und zu dem Zweck seines Aufenthalts in Deutschland befragt. Deshalb folgt aus dieser Bezugnahme, dass sich das Amtsgericht von der Richtigkeit der Angaben der beteiligten Behörde in dem wiedergegebenen Haftantrag überzeugt und sich diese Ausführungen zu eigen gemacht hat.

[23] (b) Die danach mangels Aufhebung des Einreiseverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG und mangels einer Aufenthaltserlaubnis nach § 11 Abs. 8

AufenthG vorliegende unerlaubte Einreise begründete den Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Es war mit einer Haftdauer von vier Wochen zu rechnen. Diese Dauer der Haft beruhte zwar auf der Entscheidung der beteiligten Behörde, für die Abschiebung des Betroffenen sei eine Sicherheitsbegleitung erforderlich. Die Richtigkeit dieser Entscheidung haben die Haftgerichte jedoch, wie oben (Rn. 16) ausgeführt, grundsätzlich nicht zu prüfen. Die Frage, wie die Haftgerichte im Blick auf § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 115/2008/EG (Rückkehrrichtlinie) vorzugehen hätten, wenn die beteiligte Behörde ihre Entscheidung für eine Sicherheitsbegleitung gar nicht (nachvollziehbar) begründete und sich solche Gründe auch nicht aus dem geschilderten Geschehen ergäben, stellt sich hier nicht, weil die beteiligte Behörde ihre Motive erläutert hat.

[24] (c) Rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass die Vorinstanzen mildere Mittel ausgeschlossen haben. Zwar mag sich der Betroffene, wie die Rechtsbeschwerde geltend macht, bei seinen Aufenthalten in Deutschland regelmäßig bei seinen Eltern aufgehalten haben. Für die Einschätzung der Vorinstanzen, mildere Mittel genügten zur Sicherung der Abschiebung nicht, spricht aber, dass der Betroffene trotz des bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Deutschland eingereist ist und sich für seine Aufenthalte in Deutschland in dieser Zeit nicht um die erforderlichen Ausnahmegenehmigungen nach § 11 Abs. 8 AufenthG bemüht hat, dass seine Angaben zu einem berechtigten Aufenthalt in Belgien nicht verifiziert werden konnten und dass der Zweck seiner Reise, den der Betroffene bei seiner persönlichen Anhörung gegenüber dem Amtsgericht angegeben hatte, nämlich Kleidung zu kaufen, seinen Aufenthalt in Deutschland nicht recht erklärt.

[25] (d) Es ist schließlich auch nicht rechtsfehlerhaft, dass die Vorinstanzen mit der beteiligten Behörde von der Durchführbarkeit der Haft ausgegangen sind. Die Rechtsbeschwerde macht zwar geltend, angesichts der Einschränkungen des Linienflugverkehrs habe der Aufklärung bedurft, ob im Juli 2020 Linienflüge in die Türkei stattgefunden hätten. Dies hatte die beteiligte Behörde bei der ZFA aber auch ausdrücklich abgefragt. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanzen keine Notwendigkeit gesehen haben, die Angabe der ZFA, ein Linienflug in die Türkei sei - im Juli 2020 - innerhalb von vier Wochen möglich, zu hinterfragen. Diese Einschätzung bestätigt der von dem Betroffenen zitierte Beschluss vom 27. Juli 2020 (11 XIV (B) 104/20), in dem das Amtsgericht Paderborn die Ablehnung einer Verlängerung der hier zu beurteilenden Haft unter anderem damit begründet, der Linienflugverkehr in die Türkei sei im Juni 2020 wieder aufgenommen worden.

[26] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Meier-Beck Schmidt-Räntsch Roloff

Picker Rombach

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