BGH, Beschluss vom 24. November 2022 - I ZR 25/22

07.03.2023

BUNDESGERICHTSHOF

vom

24. November 2022

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO §§ 294, 544 Abs. 2 Nr. 1


Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist das Angebot des Beschwerdeführers auf Vernehmung eines Zeugen zur Glaubhaftmachung der Beschwer gemäß § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht geeignet (Anschluss an BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2020 - V ZR 273/19, MDR 2021, 380 [juris Rn. 8 bis 11]).


BGH, Beschluss vom 24. November 2022 - I ZR 25/22 - OLG Rostock, LG Rostock


Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2022 durch die Richter Feddersen und Dr. Löffler, die Richterinnen Dr. Schwonke und Dr. Schmaltz sowie den Richter Odörfer

beschlossen:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock - 2. Zivilsenat - vom 16. Februar 2022 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

Streitwert: 15.000 €

Gründe:

[1] I. Der Kläger ist der Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen und 26 weiterer verbraucher- und sozialorientierter Organisationen in Deutschland. Er nimmt die Beklagte, eine Lebensmittelherstellerin, auf Unterlassung von Aussagen auf der Verpackung ihres Produkts "L. " bzw. "Lu. " gemäß Anlage

K 1a in Anspruch. Das Produkt, ein veganer Joghurt-Ersatz, wird unter anderem mit einer fermentierten Lupinenzubereitung und Mangopüree hergestellt. Für die Herstellung der Lupinenzubereitung wird das Eiweiß der Süßlupinenpflanze zusammen mit Wasser aus dieser extrahiert. Auf der Produktverpackung findet sich unter anderem die Aufschrift: "Denn L. ist anders! L. enthält das einzig-

artige Eiweiß der Süßlupine...". Die Worte "enthält das einzigartige Eiweiß der Süßlupine" sind in deutlichem farblichen Kontrast zur hauptsächlich verwendeten Schriftfarbe gedruckt. In der Zutatenliste der Produktverpackung ist unter anderem die Angabe "Lupinenzubereitung (7,4%; Wasser, Lupinen Eiweiß Isolat)" enthalten.

[2] Der Kläger meint, die Lupinenzubereitung bestehe zu circa 80% aus Wasser und circa 20% aus Lupinen-Eiweiß-Isolat, so dass die beworbene Zutat "Eiweiß der Süßlupine" allenfalls 1,5% des Gesamtprodukts ausmache. Die Produktverpackung verstoße unter anderem gegen Art. 22 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (LMIV). Danach ist die Angabe der Menge einer bei der Herstellung oder Zubereitung eines Lebensmittels verwendeten Zutat erforderlich, wenn die betreffende Zutat auf der Kennzeichnung durch Worte, Bilder oder eine graphische Darstellung hervorgehoben ist.

[3] Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu unterlassen,

im Rahmen geschäftlicher Handlungen ein fermentiertes Lupinenprodukt in Verkehr zu bringen oder bringen zu lassen, ohne hierbei die Menge der beworbenen Zutat "Eiweiß der Süßlupine" anzugeben, sofern dies geschieht wie in Anlage K 1a wiedergegeben,

und an den Kläger Abmahnkosten von 214 € nebst Zinsen zu zahlen. Es hat den Streitwert - wie vom Kläger angegeben - auf 15.000 € festgesetzt.

[4] Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten nach Hinweiserteilung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen und den Streitwert ebenfalls auf 15.000 € festgesetzt. Eine Gegenvorstellung der Beklagten gegen die Streitwertfestsetzung ist ohne Erfolg geblieben.

[5] Mit ihrer Beschwerde, deren Verwerfung der Kläger beantragt, wendet sich die Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision im Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts. Im Fall der Revisionszulassung will die Beklagte ihren auf Klageabweisung gerichteten Klageantrag weiterverfolgen.

[6] II. Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, weil der Wert der von der Beklagten mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

[7] 1. Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer, über den das Revisionsgericht ohne Bindung an eine - möglicherweise fehlerhafte - Streitwertfestsetzung durch das Berufungsgericht selbst zu befinden hat, bemisst sich nach dem Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der Berufungsentscheidung. Wendet sich - wie hier - die beklagte Partei mit der Revision gegen die in der Vorinstanz zu ihren Lasten titulierte Unterlassungspflicht, so richtet sich der Wert der Beschwer nach ihrem gemäß § 3 ZPO grundsätzlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bemessenden Interesse an der Beseitigung dieser Verpflichtung. Der so zu bemessende Wert der Beschwer entspricht zwar nicht zwangsläufig, aber doch regelmäßig dem nach dem Interesse der klagenden Partei an dieser Verurteilung zu bemessenden Streitwert (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 2022 - I ZR 120/21, juris Rn. 7). Das Gericht setzt den Streitwert nach Ermessen fest (§ 3 Halbsatz 1 ZPO; vgl. auch § 51 Abs. 2 bis 4 GKG). Bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen von Verbraucherverbänden im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG kommt es für den Streitwert auf das satzungsmäßig wahrgenommene Interesse der Verbraucher an; maßgebend sind die gerade diesen drohenden Nachteile (BGH, Beschluss vom 15. September 2016 - I ZR 24/16, GRUR 2017, 212 [juris Rn. 9]; Beschluss vom 17. November 2020 - X ZR 3/19, GRUR 2021, 521 [juris Rn. 14] - UKlaG-Streitwert).

[8] Auf einen höheren Streitwert und eine damit einhergehende höhere Beschwer im Fall der Verurteilung hat die beklagte Partei bereits in den Vorinstanzen hinzuweisen. Für die Bewertung sind der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz und die bis dahin vom Kläger vorgebrachten Anknüpfungstatsachen maßgeblich. Einer beklagten Partei, die weder die Streitwertfestsetzung in den Vorinstanzen beanstandet noch sonst glaubhaft gemacht hat, dass für die Festlegung des Streitwerts maßgebliche Umstände, die bereits dort vorgebracht worden sind, nicht hinreichend berücksichtigt worden sind, ist es regelmäßig versagt, sich erstmals im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde auf einen höheren, die erforderliche Rechtsmittelbeschwer erreichenden Wert zu berufen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 2022 - I ZR 120/21, juris Rn. 7).

[9] Für die Feststellung des Beschwerdewerts nach § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gilt ein gegenüber der Wertermittlung nach § 3 Halbsatz 2 ZPO vereinfachtes Verfahren, in dem eine Glaubhaftmachung des Werts gemäß § 294 ZPO genügt. Nach § 294 Abs. 1 ZPO sind zur Glaubhaftmachung zwar grundsätzlich alle Beweismittel zulässig. Die zugelassenen Beweismittel müssen aber hierfür geeignet sein. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde, in dem ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 128 Abs. 4, § 544 Abs. 6 Satz 1 ZPO) und regelmäßig entschieden wird, sind Angebote von Zeugen- und Sachverständigenbeweis nicht zur Glaubhaftmachung geeignet. Es muss keine mündliche Verhandlung anberaumt werden, um eine - dann nach § 294 Abs. 2 ZPO statthafte - sofortige Beweisaufnahme zu ermöglichen. Die Glaubhaftmachung muss vielmehr in schriftlicher Form erfolgen. Da auf Grundlage des innerhalb der Begründungsfrist des § 544 Abs. 4 ZPO eingereichten Beschwerdevorbringens über die Zulassung der Revision entschieden wird, muss der Beschwerdeführer innerhalb laufender Begründungsfrist darlegen und glaubhaft machen, dass er mit der Revision das Berufungsurteil in einem Umfang, der die Wertgrenze von 20.000 € übersteigt, abändern lassen will. Die Beschwer kann deshalb nur durch Unterlagen glaubhaft gemacht werden, die fristgerecht beigebracht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2020 - V ZR 273/19, MDR 2021, 380 [juris Rn. 8 bis 11]).

[10] 2. Nach diesen Grundsätzen ist weder die Streitwertfestsetzung des Berufungsgerichts auf 15.000 € ermessensfehlerhaft zu niedrig noch hat die Beschwerde eine über 20.000 € liegende Beschwer der Beklagten glaubhaft gemacht.

[11] a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde hat das Berufungsgericht den Streitwert nicht ermessenfehlerhaft zu niedrig - und erst recht nicht willkürlich - auf 15.000 € festgesetzt.

[12] Das Landgericht und das Berufungsgericht sind der indiziell zu berücksichtigenden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 1977 - I ZR 17/76, GRUR 1977, 748 [juris Rn. 3] = WRP 1977, 568) Streitwertangabe des Klägers in der Klageschrift gefolgt, die die Beklagte erstmals in Frage gestellt hat, nachdem das Berufungsgericht darauf hingewiesen hatte, dass es die Berufung der Beklagten zurückweisen wolle.

[13] Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Betrag von 15.000 € nicht das wirtschaftliche Interesse der Verbraucher an der Beseitigung einer rechtswidrigen Zutatenangabe auf der Verpackung des Produkts der Beklagten abbildet, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Behauptung der Beschwerde, die Streitwertangabe des Klägers sei prozesstaktischen Erwägungen und dem mit dem Klageverfahren einhergehenden Kostenrisiko geschuldet, entbehrt der Substanz. Auf die Frage, ob die maßgebliche Rechtsnorm bereits Gegenstand einer höchstgerichtlichen Entscheidung in Deutschland oder einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gewesen ist, kommt es für die Streitwertfestsetzung nicht an.

[14] b) Eine über 20.000 € liegende Beschwer der Beklagten hat die Beschwerde nicht glaubhaft gemacht.

[15] Die Beklagte hat zwar bereits im Berufungsverfahren vorgetragen, dass sie Lu. in einer Größenordnung von circa 400.000 Bechern pro Monat pro-

duziere, die sie zu einem Verkaufspreis von circa 1,20 € pro Becher an den Handel abgebe, und hiervon circa 16% auf die streitgegenständliche Geschmacksrichtung Mango entfielen, was einem monatlichen Umsatz von circa 76.800 € entspreche. Sie hat weiter vorgetragen, dass die Umstellung zu Kosten von circa 50.000 € führe, sechs Monate benötige und mit einem Produktionsausfall von zwei Monaten einhergehe. Diesen Vortrag hat die Beklagte unter Zeugenbeweis gestellt. Hierauf beruft sie sich auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren und meint, es stünden Ausfälle und Kosten in deutlich sechsstelliger Höhe in Rede, so dass die Beschwer bei mindestens 100.000 €, jedenfalls aber deutlich über 20.000 € liege.

[16] Dieses Vorbringen, das der Kläger bereits im Berufungsverfahren teilweise bestritten hat und im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren insgesamt bestreitet, kann für die Wertfestsetzung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden. Die Beklagte hat ihren Vortrag allein unter Zeugenbeweis gestellt und damit nicht in geeigneter Weise glaubhaft gemacht.

[17] III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Feddersen Löffler Schwonke

Schmaltz Odörfer

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